Ausländerrecht: Öffentliches Interesse an familieneinheitlicher Staatsangehörigkeit bei der Einbürgerung
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Ausländerrecht
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von: Helmer Tieben

Verwaltungsgericht Augsburg, 08.10.2012, Az.: 11 K 1376/12

Nach § 8 Abs. 1 StAG kann ein Ausländer auf seinen Antrag eingebürgert werden,  soweit er rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, wenn er handlungsfähig nach § 37 Abs. 1 S. 1 StAG oder gesetzlich vertreten ist, weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist, eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen gefunden hat und sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist.

Von diesen Voraussetzungen kann gemäß § 8 Abs. 2 StAG aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden. Demnach ist der Behörde in Fällen, bei denen zwar die Handlungsfähigkeit nach § 27 Abs. 1 S. 1 StAG oder eine gesetzliche Vertretung gegeben ist, aber eine der anderen Voraussetzungen nicht vorliegt, ein pflichtgemäßes Ermessen eröffnet, dennoch die Einbürgerung zu genehmigen.

Das Gericht überprüft bei einer Klage gegen einen ergangenen Bescheid nunmehr, ob die jeweilige Entscheidung der Behörde ermessensfehlerfrei ist oder ob Ermessensfehler gegeben sind und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wurde (§ 113 Abs. 5, 114 VwGO). Bei den Ermessensfehlern wird zwischen verschiedenen Arten unterschieden: Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch und Ermessensreduzierung auf Null. So geht die Behörde zum Beispiel beim Ermessensnichtgebrauch davon aus, dass ihr überhaupt kein Ermessen durch den Gesetzgeber eingeräumt wurde, obwohl dies geschehen ist. Und bei Ermessensfehlgebrauch übt die Behörde ihr pflichtgemäßes Ermessen zwar aus, jedoch fehlerhaft.

Im vorliegenden Fall begehrt der Kläger eine Neuentscheidung über seinen Antrag auf Einbürgerung, nachdem die Behörde diesen unter Hinweis auf seine strafgerichtliche Verurteilung ablehnte.

Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:

Der Kläger begehrt eine erneute Entscheidung über seinen Einbürgerungsantrag.

Der Kläger reiste als Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina im Jahr 1993 in die Bundesrepublik Deutschland ein und heiratete dort 1994 eine Landsmännin, die später eingebürgert wurde. Die beiden im Bundesgebiet geborenen Kinder besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit.

Der Kläger erhielt am 10.12.2003 eine befristete Aufenthaltserlaubnis gefolgt von einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG am 05.11.2009. Die Niederlassungserlaubnis erhielt er am 20.11.2011.

Der Kläger wurde am 21.06.2000 wegen Diebstahls in drei Fällen in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung, Diebstahl, Beihilfe zum Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren, auf Bewährung ausgesetzt für die Dauer von 3 Jahren, verurteilt. Diese Strafe wurde am 31.07.2003 erlassen.

Nachdem der Kläger straffällig wurde beantragte er die Einbürgerung

Der Kläger beantragte im Jahr 2006 erstmals seine Einbürgerung. Ihm wurde mit Hinweis auf die strafgerichtliche Verurteilung und die Dauer der Tilgungsfrist des Bundeszentralregisters bis 2015 die Ablehnung in Aussicht gestellt, woraufhin er seinen Antrag zurücknahm. Ein erneuter Antrag zur Einbürgerung wurde mit Bescheid vom 29.07.2011 mit derselben Begründung vom Beklagten abgelehnt. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27.03.2012 ebenfalls aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung und der Tilgungsfrist zurückgewiesen.

Der Kläger hat am 24.04.2012 Klage erhoben, mit der Begründung, dass die erfolgte Versagung der Einbürgerung ermessensfehlerhaft sei. Es sei ermessensrelevant, dass sich der Kläger seit annähernd 20 Jahren legal im Bundesgebiet aufhalte, er sich bis auf die einzige Verurteilung im Jahr 2000 vorbildlich verhalten habe und ihm die Strafe im Jahr 2003 auch erlassen worden sei. Der Beklagte hätte keine Verkürzung der Tilgungsfrist wegen einer erstmaligen Verurteilung ohne Gefahr künftiger Straftaten erwogen. Die Erteilung der Niederlassungserlaubnis und das Versagen der Einbürgerung seien außerdem widersprüchlich. Der Antrag des Klägers zielt auf die Aufhebung des Widerspruchsbescheids und die Neuentscheidung des Einbürgerungsantrags ab.

Einbürgerungsbehörde lehnt die Einbürgerung wegen der Straftaten ab

Der Beklagte bringt ergänzend zur Begründung vor, dass bei einer Entscheidung über die Verkürzung der Vorwerfbarkeit der Straffälligkeit in Abweichung von den Tilgungsfristen die Schwere und Häufigkeit der Straftaten, der zeitliche Abstand, die Beseitigung früherer negativer Umstände, der Tilgungszeitpunkt und eine evtl. vorliegende Staatenlosigkeit eine Rolle spielten. Im Ergebnis stelle der Beklagte fest, dass der Kläger die Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland nicht in ausreichendem Maße respektiere, sodass noch kein ausreichender Integrationsgrad bestehe, der einen Ausnahmetatbestand rechtfertigen könne. Die Erteilung der Niederlassungserlaubnis stehe in keinem Widerspruch zum Versagen der Einbürgerung, da hierfür andere Voraussetzungen gelten würden und diese von einer anderen Behörde erteilt werde.

Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart:

Verwaltungsgericht folgt der Ansicht des Klägers

Die Klage sei zulässig und begründet. Die Bescheide seien rechtsfehlerhaft und verletzten den Kläger in seinem Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung über seine Einbürgerung (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).

Aufgrund der erfolgten strafgerichtlichen Verurteilung am 21.06.2000 habe der Kläger keinen Anspruch auf Einbürgerung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG. Auch könne die Straftat wegen der Dauer der Freiheitsstrafe nach § 12a Abs. 1 S. 1 StAG nicht außer Betracht bleiben. Das mögliche Ermessen ist auch aufgrund der Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze nach §12a Abs. 1 S. 1 und 3 StAG nicht eröffnet.

Auch liegen weder die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 StAG vor, noch kann von einem atypischen Sachverhalt ausgegangen werden. Demnach ist das Ermessen der Behörde oder der Anspruch auf Einbürgerung nach § 9 Abs. 1 StAG nicht gegeben.

Vorliegend sei statt einer Anspruchseinbürgerung eine Ermessenseinbürgerung möglich

§ 8 Abs. 2 StAG ermögliche jedoch eine behördliche Ermessensentscheidung, aus Gründen des öffentlichen Interesses von den Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 2 abzusehen. Diese Ermessensermächtigung setze voraus, dass die Ermessensermächtigung nach § 12a Abs. 1 S. 2 und 3 StAG nicht greift, was vorliegend der Fall ist.

Im vorliegenden Einzelfall sei eine Ermessensentscheidung aus Gründen einer besonderen Härte zwar abzulehnen, jedoch aus Gründen des öffentlichen Interesses geboten. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass die Kernfamilie des Klägers ausschließlich aus deutschen Staatsangehörigen bestehe. § 9 Abs. 1 StAG gebiete es, als Ausfluss des Art. 6 Abs. 1 GG, dass die Einbürgerung zur Herstellung einer einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit in der Familie erfolgen solle, insbesondere um ihren Zusammenhalt zu stärken. Von diesem Grundsatz müsse sich die Behörde daher im Rahmen des § 8 Abs. 2 StAG leiten lassen. Im vorliegenden Fall würde diesem Grundsatz der einheitlichen Staatsangehörigkeit der Familie durch die Einbürgerung des Klägers Rechnung getragen werden.

Die Tatsache, dass alle anderen Familienangehörigen Deutsche sind, verpflichtet die Behörde zur fehlerfreien Ermessensentscheidung

Infolgedessen kann der Kläger verlangen, dass eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung über seine Einbürgerung getroffen werde, soweit die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 StAG auch weiterhin vorlägen. Ob andere von der Einbürgerung berührte staatliche Interessen gewahrt werden, müsse Gegenstand der Abwägung im Rahmen der Ermessensbetätigung sein.

Da der Beklagte in seinen ergangenen Bescheiden davon ausgegangen sei, dass kein Ermessen gegeben sei, liege ein Ermessensfehler vor. Die Bescheide seien daher rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten. Der Neubescheidungsklage sei somit stattzugeben gewesen.

Quelle: Verwaltungsgericht Stuttgart

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