Krankenversicherungsrecht: Verweigerung der Pflichtversicherung durch die gesetzliche Krankenkasse wegen angeblichen Vorrangs des SGB XII
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Erbrecht
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von: Helmer Tieben

Sozialgericht Oldenburg, 05.09.2011, Az.: S 61 KR 151/11

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Diejenigen Tatbestände, welche die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung auslösen, sind in § 5 SGB V aufgezählt. Zu dem Kreis der pflichtversicherten Personen gehören unter Anderem Arbeiter, Angestellte oder Studenten sowie Bezieher bestimmter Sozialleistungen.

Ebenfalls pflichtversichert sind gem. § 5 SGB V solche Menschen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Sicherung im Krankheitsfall haben.

Bei Versicherungspflichtigen beginnt die Mitgliedschaft mit dem Tage, an dem die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht erfüllt sind, § 186 SGB V.

Bei Arbeitern, Angestellten oder Auszubildenden ist dies also Tag des Eintritts in die versicherungspflichtige Beschäftigung.

Im Fall des freiwilligen Beitritts zur gesetzlichen Krankenversicherung gem. § 9 SGB V beginnt die Mitgliedschaft gem. § 188 Abs. 1, 3 SGB V grundsätzlich mit dem Tage des Beitritts, also der schriftlichen Anmeldung bei der Krankenkasse.

Wenn der bisher Pflichtversicherte sich freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung weiter versichern möchte, weil die Versicherungspflicht aus irgendeinem Grund entfallen ist, (sogenannte Weiterversicherung) schließt sich die freiwillige Mitgliedschaft gem. § 188 Abs. 2 SGB V unmittelbar an das Ende der vorherigen Pflichtversicherung an.

Das bedeutet, dass auch die Beitragspflicht (§§ 223 Abs. 1, 240 SGB V unmittelbar einsetzt. Es wird damit verhindert, dass Versicherungsberechtigte die dreimonatige Erklärungsfrist des § 9 Abs. 2 SGB V alleine deshalb bis zum Ende ausnutzen, um Beiträge zu sparen.

Oftmals kommt es auch vor, dass sich gesetzliche Krankenversicherungen weigern, bestimmte Personen zu versichern.

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In dem oben genannten Fall des Sozialgerichts Oldenburg hatte dieses darüber zu entscheiden, ob die Klägerin pflichtversichert in der gesetzlichen Krankenversicherung war oder ob die Klägerin Hilfe zur Gesundheit im Rahmen Ihres Bezuges von SGB XII hätte erhalten müssen.

Sachverhalt: Die 1959 geborene Klägerin erhielt Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Da die Klägerin ihre eigenen Angelegenheiten nicht mehr selber regeln konnte, wurde für sie ein gesetzlicher Betreuer bestellt, der unter anderem die Aufgabenkreise Gesundheitssorge sowie Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten inne hatte.

Im Zusammenhang mit der Grundsicherung der Stadt erhielt die Klägerin bisher ebenfalls Hilfe zur Gesundheit. Dahingehend übernahm die Stadt E die Behandlungskosten und nahm in der Folge die Eltern der Klägerin gem. 94 Abs. 1 SGB XII aus übergegangenem Recht in Anspruch.

Nachdem die Eltern der Klägerin sich gegenüber der Stadt E. schließlich bereit erklärt hatten, für den Lebensunterhalt der Klägerin ab dem 01.11.2010 aufzukommen, stellte die Stadt E. die Sozialhilfeleistungen mit Bescheid vom 07.10.2010 ab dem 01.11.2010 ein.

Daraufhin beantragte die Klägerin daraufhin am 18.10.2010 bei der Beklagten die Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung.

Am 10.11.2010 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Grundsicherung im Alter und Erwerbsminderung nach dem SGB XII bei dem Sozialhilfeträger.

Dazu führten die Eltern der Klägerin zur Begründung aus, dass sich die finanzielle Situation der Familie durch die erhöhte Pflegebedürftigkeit des Vaters unerwartet verschlechtert habe und die Tochter daher nicht mehr unterstützt werden könne.

Dementsprechend erhielt die Klägerin seit dem 01.12.2010 wieder Grundsicherungsleistungen.

Die beklagte Krankenkasse lehnte den Antrag auf Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung mit Bescheid vom 16.02.2011 ab.

Sie vertrat die Ansicht, dass die Klägerin durch die Unterbrechung des Bezuges von Grundsicherungsleistungen nicht pflichtversichert in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung geworden sei.

Es liege gem. § 5 Abs. 8a Satz 2 und 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) eine unverhältnismäßig kurze Unterbrechung des Bezugs der Grundsicherungsleistungen vor.

Diese Norm diene dem Erhalt des Vorrangs der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers für die Erbringung von Hilfen zur Gesundheit und dieser Vorrang solle nicht unterlaufen werden.

Am 16.03.2011 legte die Klägerin gegen die Weigerung der Krankenkasse Widerspruch ein.

Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit der Begründung zurück, dass es nicht nachvollziehbar sei, warum die Eltern der Klägerin bei unveränderten Einkommensverhältnissen, die Klägerin für genau einen Monat hätten unterhalten können.

Nach Ansicht der Beklagten erwecke dieser Sachverhalt insofern den Anschein, gesteuert zu sein, um durch eine kurzzeitige Leistungsunterbrechung krankenversicherungspflichtig zu werden und fortan den Vorrang der Krankenhilfe durch den Sozialhilfeträger zu unterlaufen. Dies entspreche nicht dem Sinn und Zweck der Versicherungspflicht.

Am 10.06.2011 erhob die Klägerin, vertreten durch ihren Betreuer, Klage beim Sozialgericht Oldenburg.

Sozialgericht Oldenburg: Das SG Oldenburg folgte der Ansicht der Klägerin und urteilte, dass die Beklagte verpflichtet sei, zu Gunsten der Klägerin die Pflichtversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V durchzuführen.

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V seien Personen versicherungspflichtig, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren.

Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin vor. Sie habe bis zum November 2010 im Falle einer Krankheit Schutz durch die Hilfe zur Gesundheit im Zusammenhang mit den Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung des Sozialamtes nach §§ 41 ff. SGB XII gehabt. Dieser Schutz sei mit Aufhebung der Grundsicherungsleistungen zum 01.11.2010 weggefallen.

Da die Klägerin fortan ohne Krankenversicherungsschutz gewesen sei, greife die Pflichtversicherung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Für die Pflegeversicherung gelte dies entsprechend. Denn Versicherungspflichtig in der sozialen Pflegeversicherung seien nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) die versicherungspflichtigen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung.

Dazu gehörten gem. § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB XI ausdrücklich auch die nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V versicherungspflichtigen.

Auch der Ausschlusstatbestand des § 5 Abs. 8a S. 2 SGB V greife hier nicht. Danach sei nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nicht versicherungspflichtig, (…) wer Empfänger laufender Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des Zwölften Buches sei. Die Klägerin sei aber im November 2010 nicht mehr Empfängerin von Sozialhilfeleistungen gewesen.

Auch der Ausschlusstatbestand des § 5 Abs. 8a S. 3 SGB V führe zu keinem anderen Ergebnis. Danach sei eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausgeschlossen, wenn der Anspruch auf diese Leistungen nach dem SGB XII für weniger als einen Monat unterbrochen werde.

Dieser Ausschlussgrund, bei dem die Versicherungspflicht der Klägerin entfallen würde, sei hier nicht erfüllt. Denn der Bezug von Grundsicherungsleistungen sei vorliegend für einen vollen Monat (den Monat November 2010) unterbrochen worden, nicht für „weniger als einen Monat“, wie in der Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 8a S. 3 SGB V ausdrücklich gefordert sei.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes trete im Falle einer Unterbrechung von mindestens einem Monat die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ein.

Auch für eine erweiternde Auslegung des § 5 Abs. 8a SGB V bestünde hier kein Anlass.

Quelle: Sozialgericht Oldenburg

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Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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