Abschiebungsschutz nach Art. 33 GFK bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG Archive - MTH Rechtsanwälte Köln
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Tag Archive: Abschiebungsschutz nach Art. 33 GFK bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG

  1. Ausländerrecht: Gilt für eine Flüchtlingsfamilie ein Abschiebungsverbot nach Griechenland?

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    Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 22.11.2019, Az. 17a K 2746/18.A

    Viele Menschen, die nach Europa fliehen, bekommen an den Außengrenzen der EU erstmalig den internationalen Schutzstatus zugesprochen. Sie bleiben jedoch möglicherweise nicht in den äußeren EU-Mitgliedsstaaten wie Griechenland, sondern ziehen weiter nach Zentraleuropa. Ob einem Flüchtling dann Asyl oder eine Aufenthaltsgenehmigung gewährt wird, bestimmen in Deutschland u.a. das Asylgesetz (AsylG) und das Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Hier ist ebenfalls geregelt wie mit Personen verfahren wird, die nach behördlicher Prüfung keinen Aufenthaltstitel erlangen. Diese werden dann aufgefordert, Deutschland innerhalb einer gesetzten Frist wieder zu verlassen. Kommen sie dieser Aufforderung nicht nach, droht ihnen die Abschiebung in ihr Heimatland oder das Land, in denen ihnen der internationale Schutzstatus zugesprochen wurde. In bestimmten Fällen kann eine Abschiebung allerdings ausgeschlossen sein. § 60 AufenthG zählt Konstellationen auf, in denen ein Abschiebungsverbot gilt. So dürfen durch die Abschiebung beispielsweise keine Menschenrechte verletzt werden, die u.a. in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) niedergeschrieben sind. Sind die Lebensverhältnisse in dem Land, in das abgeschoben werden soll, für die Abgeschobenen zu schlecht, kann ein Abschiebungsverbot greifen.

    Im nachstehenden Urteil hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (VG Gelsenkirchen) klargestellt, dass eine Abschiebung einer Familie nach Griechenland, bei den derzeit dort herrschenden Lebensbedingungen für Flüchtlinge, nicht menschenrechtskonform wäre.

    Sachverhalt: Im vorliegenden Fall streiten die Parteien darüber, ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein Abschiebungsverbot nach Griechenland für eine Familie feststellen muss. Kläger sind die Mitglieder der Familie, Beklagter das BAMF.

    Die sechsköpfige syrische Familie, bestehend aus Eltern und ihren vier Kindern im Alter zwischen 3 und 15 Jahren, flieht nach eigenen Angaben im März 2016 aus ihrem Heimatland. Über die „Balkanroute“ gelangt sie nach Griechenland, wo ihr am 17.3.2017 internationaler Schutz gewährt wird. Mit der in Griechenland erhaltenen Aufenthaltserlaubnis reist sie am 18.12.2017 in Deutschland ein und beantragt gegenüber dem BAMF Asyl. Im Rahmen der persönlichen Anhörung am 16.1.2018 erläutern die Eltern die Lage in einem Flüchtlingscamp in Griechenland, wobei sie auf die fehlende medizinische Versorgung für die kranke Mutter und eine Tochter hinwiesen. Ebenfalls legen sie ihre Fluchtgründe dar.

    Das BAMF lehnt den Asylantrag am 8.5.2018 als unzulässig ab. Die Unzulässigkeit gemäß § 29 I Nr.2 AsylG begründet es mit Verweis darauf, dass der Familie bereits in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt wurde.

    Es stellt darüber hinaus fest, dass kein Abschiebungsverbot iSd. § 60 AufenthG zugunsten der Kläger vorliegt. Zur Begründung dafür führt es an, dass eine Abschiebung nach Griechenland keine Verletzung des Verbots der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gemäß Art. 3 EMRK darstellt. Ebenfalls sieht das BAMF keine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit der Kläger, was zu einem Abschiebungsverbot gemäß § 60 VII AufenthG führen würde. Daher fordert es die Kläger auf, Deutschland binnen 30 Tagen nach Bekanntgabe zu verlassen, droht ihnen sonst mit Abschiebung nach Griechenland.

    Hiergegen wehren sich die Kläger mit ihrer Klage. Sie befürchten bei einer Abschiebung nach Griechenland unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer Not zu geraten, in der sie nicht einmal ihre elementarsten Bedürfnisse befriedigen können.

    Daher beantragen sie, dass die Feststellung des BAMF vom 8.5.2018, dass kein Abschiebungsverbot vorliegt, aufgehoben wird. Zudem soll das BAMF verpflichtet werden festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 V AufenthG vorliegt.

    Das BAMF beantragt Abweisung der Klage unter Verweis auf seinen Bescheid.

    Entscheidung des Gerichts: Das VG Gelsenkirchen hält die Klage für begründet und spricht den Klägern einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 V AufenthG zu. Es hebt den Bescheid des BAMF vom 8.5.2018 dahingehend auf.

    § 60 V AufenthG legt ein Abschiebungsverbot für die Fälle fest, in denen die Abschiebung zu einer Verletzung der EMRK führt. Bei einer Abschiebung der Familie nach Griechenland drohen ihr dort allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit Lebensumstände, die sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSd. Art. 3 EMRK unterwerfen. Eine drohende solche Behandlung dürfe allerdings nicht zu schnell, sondern nur in drohenden Situationen extremer materieller Not angenommen werden. Diese Situation ist mit dem Fehlen von „Brot, Seife und einem Bett“ und der zusätzlichen Gefahr physischer und psychischer Beeinträchtigung gegeben. Das Gericht beruft sich hierbei auf die EuGH-Entscheidungen „Jawo“ (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17) und „Ibrahim“ (EuGH Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17).

    Anknüpfend führt es aus, dass allein die möglicherweise günstigeren Sozialhilfeleistungen und sonstigen Lebensverhältnisse in Deutschland allein keinen Grund zur Annahme einer unmenschlichen Behandlung zulassen. Insbesondere seien jungen, gesunden und arbeitsfähigen Personen größere Anstrengungen abzuverlangen. Im Umkehrschluss sei für vulnerable Personen wie Minderjährige ein anderer Maßstab anzulegen. Für solch vulnerable Personen müssen besondere Aufnahmebedingungen bestehen und diese vor einer Abschiebung von dem Aufnahmestaat ggf. auch zugesichert werden.

    Für Griechenland sieht das Gericht die Aufnahmebedingungen für vulnerable Personen allerdings nicht erfüllt, sodass eine Abschiebung der klagenden Familie (kranke Mutter, vier minderjährige Kinder) nicht mit der EMRK vereinbar wäre. Insbesondere stellt es darauf ab, dass die Familie mit großer Wahrscheinlichkeit weder eine Wohnung noch einen Platz in einer Obdachlosenunterkunft finden würde und somit obdachlos würde. Bezüglich der Wohnungssuche weist es auf die fehlende staatliche Hilfe bei der Suche, fehlende Sicherung der Finanzierung wohnungsbezogener Sozialleistung hin. Es stuft daher die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Wohnungssuche auf dem freien Markt als gering ein, berücksichtigt insbesondere die fehlenden Sprachkenntnisse und fehlende Erfahrung mit der griechischen Kultur. Auch eine Möglichkeit der Unterkunft in einem Obdachlosenheim hält es aufgrund der Überfüllung dieser zu unwahrscheinlich. Die wahrscheinliche Obdachlosigkeit der Kläger, die insbesondere die Kinder nicht abwenden könnten, würde für die Minderjährigen zu einer existentiellen Gefahr für Leib und Leben erwachsen.

    Das BAMF konnte die Zweifel an der Situation in Griechenland nicht ausräumen, bestärkte sie in seinem Bescheid vielmehr. So warteten schon im Jahr 2013 Flüchtlingsfamilien im Schnitt mehr als 7 Monate auf eine Wohnung. Außerdem habe die Obdachlosigkeit in Griechenland weiter zugenommen.

    Ebenfalls stellt das Gericht fest, dass keine ausreichende Zusicherung Griechenlands vorliege, die Kläger hinreichend zu schützen.

    Im Falle einer Abschiebung läge somit eine Verletzung des Verbots vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung iSd. Art. 3 EMRK vor. Ein Anspruch auf Feststellung des Abschiebungsverbot gemäß § 60 V AufenthG besteht.

    Dem steht auch nicht entgegen, dass die Eltern trotz des in Griechenland zuerkannten Schutzstatus das Land gen Deutschland verlassen haben. Das Verhalten der Eltern darf, im Lichte der Art. 3 EMRK und Art. 2 II 1 GG, nicht auf die besonders schutzbedürftigen minderjährigen Kläger zurückfallen.

    Quelle: Verwaltungsgericht Gelsenkirchen

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  2. Ausländerrecht: Widerruf eines Abschiebungsverbots nach § 73c AsylG auch bei rechtskräftigen Urteil

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    Verwaltungsgericht Augsburg, 15.05.2017, Az.: AU 5 K 17.31212

    Nach § 73c Abs. 2 AsylG ist die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Gemäß § 73c Abs. 3 i.V.m. § 73 Abs. 3 AsylG ist bei Widerruf oder Rücknahme der Anerkennung als Asylberechtigter oder der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für den subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) oder die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Demnach ist jeweils zu prüfen, ob ein Abschiebungsverbot besteht oder ein subsidiärer Schutz, also ein ernsthafter Schaden für den Ausländer im Heimatland, droht. Ein ernsthafter Schaden ist hiernach die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Der Widerruf nach § 73c Abs. 2 AsylG kann jederzeit erfolgen, sofern eine tatsächliche Änderung der Gefahrenprognose in erheblicher Weise eingetreten ist. Die Jahresfrist aus §§ 48, 49 VwVfG findet hingegen auf § 73c AsylG keine Anwendung.

    Ausweisungsgründe

    Das nachfolgende Urteil des VG Augsburg befasst sich nunmehr mit der Frage, ob ein Widerruf nach § 73c Abs. 2 AsylG auch bei vorangegangenem rechtskräftigen Urteil, bei Feststellung eines Abschiebungsverbots, erfolgen kann.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens

    Afghanischer Kläger klagt gegen Widerruf eines Abschiebungsverbotes

    Der Kläger wendet sich mit seiner Klage zum einen gegen den Widerruf eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG und zum anderen die Feststellung, dass kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt.

    Der Kläger ist 1990 in Afghanistan geboren und auch afghanischer Staatsangehöriger mit Volkszugehörigkeit der Tadischken und sunnitischen Glauben. Mit Bescheid vom 02.02.2010 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Anträge des Klägers auf Anerkennung der Asylberechtigung ab. Im Weiteren führte es aus, dass auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorlägen. Als Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger sein Anliegen nicht glaubhaft gemacht habe. Vielmehr habe er Verwandte in Afghanistan, sodass davon auszugehen sei, dass er in seinem Elternhaus leben könne und das notwendige Existenzminimum gesichert sei.

    Durch rechtskräftiges Urteil des Bayrischen Verwaltungsgerichts Augsburgs vom 09.06.2010 (Az. Au 6 K 10.30026) wurde festgestellt, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG, jedoch keine Asylberechtigung bestünde. Dies wurde durch Bescheid vom 31.01.2011 bestätigt.

    Mit Bescheid vom 20.02.2017 wurde das ausgesprochene Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG durch das BAMF widerrufen und im Weiteren festgestellt, dass bei dem Kläger auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht bestünde.

    Dem 18 Jahre alten Kläger drohe in Afghanistan keine extreme Gefahr

    Als Begründung wurde angeführt, dass sich die Lage seit dem Urteil geändert habe und der Kläger insbesondere die Volljährigkeit erreicht habe. Dem Kläger als gesunder und arbeitsfähiger junger Mann drohe bei der Rückkehr nach Afghanistan keine extreme Gefahrensituation. Nicht einmal dann, wenn er nicht besonders qualifiziert sei oder keinen Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte erhalten könne. Rückkehrer aus der Personengruppe des Klägers könnten sich durch Gelegenheitsarbeiten zumindest ein Existenzminimum erwirtschaften.

    Auch ein das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG würde nicht vorliegen, da trotz schlechter humanitärer Verhältnisse eine im vorliegenden Fall keine besonders unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten sei. Insbesondere sei keine die Voraussetzung des Art. 3 EMRK zu erwarten. Die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt.

    Hiergegen legte der Kläger Klage beim Bayrischen Verwaltungsgericht Augsburg ein. Er trägt vor, dass das rechtskräftig ergangene Urteil der Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylG entgegenstehe, sofern sich die Sach- und Rechtslage nicht entscheidungserheblich ändere. Bei dem Kläger lägen die Voraussetzungen des § 3 AsylG vor, zumindest aber die des § 60 Abs. 7 AufenthG.

    Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg

    Die Klage sei zulässig aber unbegründet. Nach § 76 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 102 Abs. 2 VwGO habe ein Einzelrichter ohne Teilnahme eines Vertreters der Beklagtenseite an der mündlichen Verhandlung entscheiden können.

    Gericht sieht die Gründe für das Abschiebungsverbot nachträglich entfallen

    Die Klage sei jedoch unbegründet. Das Begehren sei nur begründet, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für den Widerruf nach § 73c Abs. 2 AsylG nicht vorliegen würden. Nach § 73c Abs. 2 AsylG setze der Widerruf eines nach nationalem Recht gewährten Abschiebungsschutzes voraus, dass die Voraussetzungen für das ursprünglich anerkannte Abschiebungsverbot (hier: § 60 Abs. 7 AufenthG) nachträglich entfallen seien und auch nicht aus anderen Gründen ein Abschiebungsverbot bestünde. Hierbei seien alle Rechtsgrundlagen für den nationalen Abschiebungsschutz in die Prüfung einzubeziehen.

    Nach § 73c Abs. 2 AsylG sei die Entscheidung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorlägen, zwingend zu widerrufen, sobald die Voraussetzungen nicht mehr vorlägen. Im Weiteren sei im Widerrufsfalle im Hinblick auf § 73 Abs. 3 AsylG auch zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes oder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gegeben seien.

    Gegen den Bescheid bestünden keine rechtlichen Bedenken. Zum Entscheidungszeitpunkt hätten die Voraussetzungen für eine Weitergewährung nicht mehr vorgelegen. Es lägen nunmehr neue Tatsachen vor, die eine nach § 73c Abs. 2 AsylG beachtliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse darstellten.

    Nach § 60 Abs. 5 AufenthG dürfe ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig sei.

    Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG solle von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestehe. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG seien die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, generell ausgesetzt seien, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG könne die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt werde. Eine solche Abschiebestoppanordnung bestehe jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.

    Das Gericht sei daher der Auffassung, dass ein fortgeltendes Abschiebungsverbot für den Kläger nicht bestehe. Im Weiteren führt es aus, dass sich die allgemeine Gefahr in Afghanistan für den Kläger nicht zu einer extremen Gefahr verdichtet habe, sodass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG ebenso ausschiede. Die hierfür aufgestellten Kriterien seien nicht erfüllt. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen würden, hänge im Wesentlichen von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und entzögen sich insofern einer reinen quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten ließe, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setze voraus, dass sich der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit kurz nach seiner Rückkehr in eine lebensgefährliche Situation wiederfände, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien könne (z.B. Hungertod).

    In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH 19.2.2014 – 13A ZB 14.30022 ) gehe das Gericht davon aus, dass derzeit für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende, alleinstehende, männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige, in Afghanistan nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung führe.

    In der Gesamtschau der ins Verfahren eingeführten aktuellen Auskünfte insbesondere hinsichtlich der problematischen Versorgungslage sei nicht davon auszugehen, dass jeder Rückkehrer aus Europa generell in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung nach Kabul erleiden müsse (vgl. BayVGH, U.v. 20.1.2012 – 13a B 11.30425).

    Für junge und arbeitsfähige Männer bestünde die Möglichkeit sich eine Existenz in Kabul aufzubauen

    Für junge und arbeitsfähige Männer, wie den Kläger, ohne erhebliche gesundheitliche Einschränkungen, bestehe die Möglichkeit, sich eine neue Existenz in Kabul oder einer anderen größeren Stadt aufzubauen (vgl. BayVGH, Urt. v. 15.3.2012 – 13a B 11.30439). Insbesondere, da der Kläger sowohl in Afghanistan als auch in der Bundesrepublik Deutschland als Autolackierer gearbeitet habe und daher von einer Sicherung des Existenzminimums auszugehen sei. Daher sei es auch nicht relevant, dass der Kläger nach seinen Ausführungen im Verfahren über keinen aufnahmebereiten Familienverbund in Afghanistan verfüge.

    Im Weiteren legt das Gericht dar, dass auch ein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes aus § 73c Abs. 3 i.V.m. § 73 Abs. 3 AsylG und § 4 AsylG nicht bestünde.

    Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG sei ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht habe, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden drohe.

    Gefahr der Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe bestehe nicht

    Die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG habe der Kläger bereits nicht geltend gemacht. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG lägen insofern nicht vor.

    Einem Ausländer würde darüber hinaus nach § 3e Abs. 1 AsylG i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG kein subsidiärer Schutz zuerkannt, sofern er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG habe und sicher und legal in diesen Landesteil reisen könne, dort aufgenommen werden würde und vernünftigerweise erwartet werden könne, dass er sich dort niederlässt. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 AsylG erfülle, seien gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die im sicheren Teil des Herkunftslandes vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie die persönlichen Umstände des Klägers zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen.

    Hierfür sei eine Einzelfallentscheidung erforderlich (vgl. BayVGH, Besch. v. 11.12.2013 – 13A ZB 13.30185). Dabei seien die individuellen Besonderheiten wie Sprache, Bildung, persönliche Fähigkeiten, vorangegangene Aufenthalte des Klägers in dem in Betracht kommenden Landesteil, örtliche und familiäre Bindungen, Geschlecht, Alter, ziviler Status, Lebenserfahrung, soziale Einrichtungen, gesundheitliche Versorgung und verfügbares Vermögen zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bestünde für den Kläger eine inländische Fluchtalternative, wo er die Möglichkeit habe eine Arbeit aufzunehmen und dadurch sein Existenzminimum zu sichern.

    Aufgrund dessen sei die Klage zwar zulässig aber unbegründet gewesen.

    Quelle: Verwaltungsgericht Augsburg

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  3. Ausländerrecht: Abschiebungsanordnung gegen einen der radikal-islamistischen Szene zuzuordnenden Gefährder

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    Bundesverwaltungsgericht, 21.03.2017, Az.: 1 VR 1/17 (1 A 2/17)

    Nach § 58a AufenthG kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen. Jedoch muss hierbei eine Einzelfallentscheidung unter Abwägung der Interessen vorgenommen werden. Im Weiteren dürfen keine Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG vorliegen. Ein Abschiebungsverbot liegt unter anderem vor, wenn dem Ausländer ein ernsthafter Schaden, demnach die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Im Weiteren soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

    Sachverhalt: Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die Verfügung vom 16. Februar 2017 über seine Abschiebung nach Algerien nach § 58a AufenthG.

    Der 27-jährige Antragsteller ist in der Bundesrepublik Deutschland geboren und auch aufgewachsen sowie algerischer Staatsangehöriger. Er wurde am 09.02.2017 im Wege einer Groß-Razzia verhaftet, weswegen es zu der Erstellung der Verfügung und der Anordnung einer Abschiebungshaft bis zum 24.03.2017 kam. Das zuständige Ministerium hat hierzu ausgeführt, dass der Antragsteller nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden als „Gefährder (Funktionstyp Akteur)“ der radikal-islamistischen Szene in Deutschland zuzurechnen sei, mit der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) sympathisiere und mehrfach Gewalttaten unter Einsatz von Waffen angekündigt habe.

    Am 16.02.2017 legte der Antragsteller Klage beim Bundesverwaltungsgericht ein und beantragte zugleich einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO. Er führt zunächst an, dass § 58a AufenthG verfassungswidrig sei. Im Weiteren beruft er sich auf das nationale Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 AufenthG, denn im Falle einer Abschiebung bestünde für ihn eine konkrete Leibes- und Lebensgefahr. Der Antragsgegner verteidigt die angegriffene Verfügung.

    Bundesverwaltungsgericht: Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO zwar zulässig aber unbegründet sei. Gegen die Rechtmäßigkeit der ausgesprochenen Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG bestünden keine ernsthaften Zweifel. Insbesondere sei die Ermächtigungsgrundlage formell und materiell verfassungsgemäß.

    Gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit spreche zunächst nicht, dass das § 58a AufenthG nicht im Regierungsentwurf zum Zuwanderungsgesetz enthalten gewesen sei, sondern auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses aufgenommen wurde. Der Vermittlungsausschuss solle sich ausgehend vom Anrufungsbegehren im Rahmen der parlamentarischen Ziele bewegen und hierdurch einen Ausgleich für politische Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag, Bundesrat und gegebenenfalls Bundesregierung erwirken. Es gäbe zwar keine konkreten gesetzlichen Ausgestaltungen über die Funktion und Stellung des Vermittlungsausschusses, jedoch solle die jeweilige Stellungnahme einen hinreichend klaren Bezug zu dem jeweiligen Gesetzgebungsverfahren aufweisen.

    Im Wege des Anrufungsverfahrens zum Zuwanderungsgesetz habe sich die Vermittlung nicht auf einzelne Gesetzesteile, sondern auf das gesamte Gesetz bezogen. Daher sei der Vorschlag rechtmäßig gewesen. Insbesondere, da bereits zuvor im Gesetzgebungsverfahren die Formulierung „terroristische Taten“ in anderen Normen diskutiert und verwendet worden sei.

    Ebenso sei der Bundesgesetzgeber nach §§ 83, 84 GG berechtigt gewesen, die Zuständigkeit für den Erlass der Abschiebungsanordnung auf die obersten Landesbehörden zu übertragen. Denn diese führen Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten aus, sofern das Grundgesetz nicht etwas anderes bestimme.

    § 58a AufenthG sei auch materiell verfassungsgemäß. Angesichts der besonderen Gefahren, denen der Gesetzgeber mit der Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung nach § 58a AufenthG begegnen will, sei die Vorschrift nicht unverhältnismäßig. Der Gesetzgeber habe das regelhafte gestufte Verfahren des Erlasses eines Grundverwaltungsaktes (Ausweisung), einer Abschiebungsandrohung mit Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise und der nachfolgenden Abschiebung im Fall der Nichtbefolgung der Ausreisepflicht als administrativ und zeitlich zu aufwändig angesehen, um den in § 58a AufenthG benannten besonders schwerwiegenden Gefahren für hochrangige Rechtsgüter zu begegnen. Hieran ändere auch die im regelhaften Ausweisungsrecht bestehende Möglichkeit der Beschleunigung durch Anordnung der sofortigen Vollziehung nichts, denn diese bedürfe der besonderen Begründung im Einzelfall, von der der Gesetzgeber bei den hier zu begegnenden besonderen Gefahren absehen wollte und durfte. Die vom Antragsteller angeführten Maßnahmen, mit denen einer besonderen Gefährlichkeit eines Ausreisepflichtigen in der Regel zu begegnen sei, wie die Anordnung von Abschiebungshaft, die Anordnung von Gewahrsam nach dem jeweiligen landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsrecht (z.B. § 35 PolG NRW) oder Überwachungsmaßnahmen nach § 56 AufenthG seien nicht gleich wirksam wie eine schnelle Entscheidung mit deutlich verkürzter Abschiebehaft nach § 58a AufenthG.

    Auch die mit dem Erlass einer Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes verbundene Einschränkung des Rechtsschutzes stünde im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 GG. Hierfür sei es ausreichend, dass verfassungsrechtliche Bindungen beachtet seien (BVerfG, Beschluss vom 21. März 1985 – 2 BvR 1642/83 – BVerfGE 69, 220, 229). Dies sei im vorliegenden Fall gegeben, denn es bestünde kein Anspruch darauf, mehrere gerichtliche Instanzen zur Verfügung zu haben. Insbesondere träge der § 58a AufenthG dem Art. 19 Abs. 4 GG durch die Festlegung, dass unverzüglich dem durch die Abschiebungsanordnung betroffenen Ausländer die Möglichkeit gegeben werden muss, mit einem Rechtsbeistand Kontakt aufzunehmen, Rechnung.

    Insgesamt sei die angegriffene Abschiebungsanordnung bei einer vorliegend gebotenen umfassenden Prüfung weder formell noch materiell zu beanstanden. Die durch den Antragsgegner gewählte Anspruchsgrundlage sei eine selbständige ausländerrechtliche Maßnahme der Gefahrenabwehr. Sie ziele auf die Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und/oder einer terroristischen Gefahr ab.

    „Der Begriff der „Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ sei – wie die wortgleiche Formulierung in § 54 Abs. 1 Nr. 2 und § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG – nach der Rechtsprechung des Senats enger zu verstehen als der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des allgemeinen Polizeirechts. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasse die innere und äußere Sicherheit und schütze nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 – 1 C 26.03 – BVerwGE 123, 114 <120> = juris Rn. 17). In diesem Sinne richten sich auch Gewaltanschläge gegen Unbeteiligte zum Zwecke der Verbreitung allgemeiner Unsicherheit gegen die innere Sicherheit des Staates (vgl. Kluth, in: BeckOK AuslR, Stand November 2016, § 58a AufenthG Rn. 6).“

    Der Begriff der terroristischen Gefahr sei zwar nicht definiert, jedoch könne er aus den aufenthaltsrechtlichen Vorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus, sowie aus Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923) hergeleitet werden. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts läge eine völkerrechtlich geächtete Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln jedenfalls dann vor, wenn politische Ziele unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter verfolgt werde (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2011 – 1 C 13.10 – BVerwGE 141, 100 Rn. 19 m.w.N.).

    Die Anspruchsvoraussetzung der „besonderen Gefahr“ des § 58a AufenthG beziehe sich allein auf das Gewicht und die Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie das Gewicht der befürchteten Tathandlung des Betroffenen, nicht jedoch auf die zeitliche Eintrittswahrscheinlichkeit (vergleichbare Gefahrdimension wie bei terroristischer Gefahr). Für die Beurteilung der Vergleichbarkeit sei eine „Gefahrenprognose“ erforderlich. Diese müsse auf hinreichend zuverlässigen Tatsachen beruhen. Ein bloßer (Gefahren-)Verdacht oder Vermutungen bzw. Spekulationen seien jedoch nicht ausreichend. Abweichend von dem sonst im Gefahrenabwehrrecht geltenden Prognosemaßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit mit seinem nach Art und Ausmaß des zu erwartenden Schadens differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab müsse, nach den Ausführungen des Gerichts, für ein Einschreiten nach § 58a AufenthG eine bestimmte Entwicklung nicht wahrscheinlicher sein als eine andere. Vielmehr genüge angesichts der besonderen Gefahrenlage, dass sich aus den festgestellten Tatsachen ein beachtliches Risiko dafür ergäbe, dass die von einem Ausländer ausgehende Bedrohungssituation sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik umschlagen könne.

    In Anwendung der vorgenannt dargelegten Grundsätze sei nach Ansicht des Gerichts davon auszugehen, dass vom Antragsteller derzeit aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ein beachtliches Risiko im Sinne des § 58a AufenthG ausgehe. Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden sei er der radikal-islamistischen Szene in Deutschland zuzurechnen und pflege u.a. Kontakte mit Personen, die einer aus dem Umfeld der verbotenen Organisation „Kalifatstaat“ hervorgegangenen G. islamistisch-salafistischen Gruppierung mit jihadistischer Tendenz angehören. Er sympathisiere mit der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) und deren Märtyrerideologie, sei gewaltbereit und habe mehrfach angedroht, eine Gewalttat mit Hilfe einer Waffe zu begehen. Zwar sei den Sicherheitsbehörden noch kein konkreter Plan des Antragstellers zur Ausführung einer terroristischen Gewalttat bekannt geworden. Hier bestehe aber aufgrund der Persönlichkeit des Antragstellers und seiner Einbindung in eine G. islamistisch-salafistische Gruppierung mit jihadistischer Tendenz ein zeitlich und sachlich beachtliches Risiko im Sinne des § 58a AufenthG. Der Senat stufe den Antragsteller unter Beachtung der Ausländerakte des Antragstellers (AA), der Akte des Ministeriums (MI), den Erkenntnissen aus der Telefonüberwachung sowie dem Vorbringen des Antragstellers und des Antragsgegners im vorliegenden Verfahren so ein, dass von ihm eine terroristische Gefahr ausginge.

    Wegen der Gewaltbereitschaft des Antragstellers, der immer wieder durch Rohheitsdelikte aufgefallen sei und sich auch im Verfahren entsprechend geäußert habe, seiner bekundeten Sympathie für den IS und für Attentäter des IS sowie seiner Einbindung in die G. Salafistengruppe mit Kontakten zu Selbstmordattentätern bestehe ein beachtliches Risiko, dass der Antragsteller mit einer terroristischen Gewalttat ein Fanal setze, mit dem seine Verachtung der säkularen Welt europäischer Prägung zum Ausdruck komme. Dieses Risiko kann sich jederzeit realisieren. Die Einschätzung des Senats zu dem vom Antragsteller ausgehenden Risiko entspräche weitgehend der polizeilichen Einschätzung vom 07.02.2017, wonach sich aus der Summe der gewonnenen Erkenntnisse „die konkrete Gefahr eines islamistisch motivierten Anschlages“ ergäbe. Ideologische Einwirkung auf eine gewaltbereite Person könne in die Ausführung einer nach § 58a AufenthG relevanten Gewalttat umschlagen.

    Darüber hinaus sei die Abschiebungsanordnung als Rückkehrentscheidung auch mit der Richtlinie 2008/115/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) zu vereinbaren. Insbesondere müsse dem Antragsteller wegen der von ihm ausgehenden Gefahr für die öffentliche und nationale Sicherheit keine Frist zur freiwilligen Ausreise eingeräumt werden.

    Ebenso sei die Entscheidung des Antragsgegners ermessensfehlerfrei, da das öffentliche Interesse dem privaten Interesse überwiege.

    Letztlich berufe sich der Antragsteller ohne Erfolg auf das Abschiebeverbot aus § 60 Abs. 5, 7 AufenthG, wonach ihm seiner Ansicht nach bei einer Rückführung nach Algerien eine konkrete Gefahr für Leib und Leben drohe. Insbesondere befürchte er die Todesstrafe.

    Nach Ausführungen des Gerichts sei eine Todesstrafe in Algerien für seine Taten wenig wahrscheinlich, auch wenn das algerische Strafgesetzbuch die Komplizenschaft mit Anführern einer aufständischen Bewegung unter Todesstrafe stelle. Jedoch sei diese seit 1993 nicht mehr vollstreckt worden. Im Weiteren würde zur Bekämpfung des Terrorismus bzw. „subversiver“ Bestrebungen das Verteidigen derartiger Aktivitäten mit Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren bestraft werden. Jedoch sei nicht ersichtlich, dass der Antragsteller einer Komplizenschaft verdächtigt werde.

    Das weitere Vorbringen des Antragstellers, dass er der Gefahr der Folter ausgesetzt würde, sei zwar nicht ausgeschlossen, jedoch sei die Folter in Algerien verboten und unter Strafe gestellt. Ebenso wurde im Zusammenhang mit der Verdächtigung der Folter im Jahr 2016 durch den Polizeidienst der algerische Sicherheitsdienst DRS aufgelöst und durch eine andere Behörde ersetzt worden. Im Weiteren sei die algerische Verfassung angepasst worden und dadurch sei mehr grundrechtlicher Schutz gewährt.

    Da die Folter des Antragstellers jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden könne, müssten insofern diplomatische Zusicherungen bei der Abschiebung getroffen werden. Diplomatische Zusicherungen seien nach der EGMR zulässig, sofern das Abschiebungsland entsprechende Zuverlässigkeit aufweist. Dies sei bei Algerien der Fall, sodass nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts gegen die Abschiebung unter diplomatischer Zusicherung keine Bedenken bestehen würde.

    Der Antragsteller sei eine terroristische Gefahr, sodass eine Abschiebung nach § 58a AufenthG grundsätzlich erfolgen könne. Unter Beachtung der Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG und der nicht auszuschließenden Folter müssten jedoch diplomatische Zusicherungen gemacht werden. Der Antrag ist dennoch unbegründet, da einer Abschiebung kein Verbot entgegenstünde. Die Verfügung sei gemäß § 58a AufenthG zulässig und begründet.

    Quelle: Bundesverwaltungsgericht

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  4. Ausländerrecht: Zurückweisung eines russischen Staatsangehörigen wegen Falschangaben bei Visabeschaffung

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    VG München, 04.12.2013, Az.: M 23 S 13.5250

    Gemäß § 15 Abs. 1 AufenthG wird ein Angehöriger eines Staates, der nicht der Europäischen Union angehört, an der Grenze zurückgewiesen, wenn dieser unerlaubt einreisen will. Gemäß § 15 Abs. 2 AufenthG kann ein Ausländer an der Grenze dann zurückgewiesen werden, wenn

    1.) ein Ausweisungsgrund vorliegt,

    2.) der begründete Verdacht besteht, dass der Aufenthalt nicht dem angegebenen Zweck dient,

    2a.) er nur über ein Schengen-Visum verfügt oder für einen kurzfristigen Aufenthalt von der Visumpflicht befreit ist und beabsichtigt, entgegen § 4 Abs. 3 Satz 1 eine Erwerbstätigkeit auszuüben oder

    3.) er die Voraussetzungen für die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien nach Artikel 5 des Schengener Grenzkodex nicht erfüllt.

    Die aus diesen Gründen erfolgte Einreiseverweigerung/Zurückweisung ist eine unaufschiebbare Maßnahme von Polizeivollzugsbeamten. Dies wiederum bedeutet, dass gegen eine solche Maßnahme zwar ein Widerspruch möglich ist, diesem Widerspruch jedoch keine aufschiebende Wirkung zukommt. Die Einreiseverweigerung/Zurückweisung kann somit durch die Polizeivollzugsbeamten trotz Widerspruchs sofort vollzogen werden.

    Wenn der Ausländer also Widerspruch gegen die Einreiseverweigerung/Zurückweisung einlegen will, muss er darüber hinaus nach § 80 Abs. 5 VwGO den Antrag stellen, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Zurückweisung anzuordnen, um nicht sofort zurückgewiesen zu werden.

    Über einen solchen Antrag hatte in dem oben genannten Beschluss das Verwaltungsgericht München zu entscheiden.

    Sachverhalt: Der in Russland geborene Antragsteller war russischer Staatsangehöriger und im Jahre 2013 alleine per Flugzeug von Moskau nach München geflogen. Bei der Einreisekontrolle hatte er einen Reisepass mit einem griechischen Einreisevisum vorgelegt. Das im November 2013 erteilte Schengen-Visum der Kategorie C hatte eine Gültigkeitsdauer von November 2013 bis Dezember 2013 für eine Einreise und 14 Aufenthaltstage.

    Bei der Einreisebefragung durch die Bundespolizei, bei der ein Sprachmittler anwesend war, hatte der Antragsteller angegeben, dass er an einer Reise teilnehme, die kurzfristig von der Regierung von Russland beschlossen worden sei. Er sei nach Deutschland gekommen, um an Verhandlungen von Ministerien teilzunehmen. Deutschland sei sein ursprüngliches Reiseziel gewesen sei. Er sei davon ausgegangen, dass seine Mitarbeiter, die für ihn das Visum beantragt hätten, in der kurzen Zeit ab Planung der Reise kein deutsches Visum mehr beantragen hätten können und daher ein griechisches Visum beantragt hätten.

    Die Bundespolizei wies daraufhin den Antragsteller zurück und verweigerte ihm die Einreise. Sie stützte diese Entscheidung auf § 15 Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i. V. m. Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 562/2006 – Schengener Grenzkodex – SGK und begründete die Einreiseverweigerung in dem standardisierten Formular damit, dass die Einreise ohne gültiges Visum oder gültigen Aufenthaltstitel erfolgt sei.

    Gegen diese Verweigerung beantragte der Antragsteller per Fax bei dem Verwaltungsgericht München sinngemäß nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Zurückweisung anzuordnen. Eine Begründung des Antrags erfolgte nicht.

    Entgegen der per Fax übermittelten Bitte des Bayerischen Verwaltungsgerichts an die Bundespolizei, bis zur Entscheidung über den Antrag von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen, erfolgte die Rückführung des Antragstellers im November 2013.

    Verwaltungsgericht München: Das Verwaltungsgericht München entschied nun in dem oben genannten Beschluss, dass der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Einreiseverweigerung anzuordnen, zulässig sei.

    Der Antrag würde sich gegen eine unaufschiebbare Maßnahme von Polizeivollzugsbeamten im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO richten, gegen welche ein Widerspruch zwar statthaft sei, welchem jedoch keine aufschiebende Wirkung zukomme (vgl. auch Art. 13 Abs. 3 UAbs. 2 SGK).

    Auch sei der Antrag weder durch eine gegebenenfalls bisher noch nicht förmlich erfolgte Einlegung eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache, vgl. § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO, noch durch die vollzogene Rückreise unzulässig geworden, da sich die Zurückweisung hierdurch weder erledigt habe noch irreversibel vollzogen worden sei.

    Allerdings sei der zulässige Antrag unbegründet.

    Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 80 Abs. 5 VwGO habe das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Es habe dabei abzuwägen zwischen dem gesetzlich bestimmten öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs.

    Bei dieser Abwägung seien die Erfolgsaussichten des Widerspruchsverfahrens zu berücksichtigen. Würde die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergeben, dass der Widerspruch offensichtlich erfolglos bleiben werde, würde das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurücktreten.

    Erweise sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, bestünde kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Sei der Ausgang des Widerspruchsverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibe es bei der Interessenabwägung.

    Im vorliegenden Fall sei nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung davon auszugehen, dass ein Widerspruch des Antragstellers offensichtlich erfolglos bleiben würde. Damit würde das in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegen.

    Dem Antragsteller sei nach § 15 Abs. 1 AufenthG i. V. m. Art. 13 Abs. 1 SGK die Einreise zu verweigern gewesen, weil er nach dem mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern vom 29. August 2013 (BGBl I S. 3485) neu eingefügten § 14 Abs. 1 Nr. 2a AufenthG unerlaubt einreisen wollte.

    Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedürften Ausländer für die Einreise in das Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht u. a. durch das Recht der Europäischen Union etwas anderes bestimmt sei.

    Nach § 14 Abs. 1 Nr. 2a AufenthG sei die Einreise in das Bundesgebiet unerlaubt, wenn der Ausländer zwar ein nach § 4 AufenthG erforderliches Visum bei der Einreise besäße, dieses aber durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkt oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichen worden sei und deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder annulliert werde.

    Der Antragsteller sei zwar im Besitz eines griechischen Schengen-Visums gewesen, welches grundsätzlich auch zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland berechtige.

    Dieses Schengen-Visum sei jedoch durch falsche Angaben gegenüber den griechischen Behörden erschlichen worden. Denn der Antragsteller habe zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, nach Griechenland einzureisen, sondern habe von an Anfang an eine Reise in die Bundesrepublik Deutschland geplant.

    Die Bundespolizei sei daher zu Recht davon ausgegangen, dass es ernsthafte Gründe zu der Annahme gebe, dass das Visum in betrügerischer Weise erlangt worden und daher nach Art. 34 VO (EG) Nr. 810/2009 – Visakodex i.V.m. Art. 13 Abs. 6 i.V.m. Anhang V Teil A SGK zu annullieren sei.

    Bei dieser Beurteilung sei auf den Zeitpunkt der Behördenentscheidung abzustellen; die Bundespolizei müsse vor Ort unter einem gewissen Zeitdruck eine Entscheidung treffen. Der Antragsteller könne sich auch nicht darauf berufen, dass er von den falschen Angaben keine Kenntnis habe. Der Antragsteller habe den Antrag auf Erteilung eines Schengen-Visums selbst unterschreiben müssen und hierbei nicht nur die Reiseangaben, sondern auch die Belehrung bezüglich der Abgabe von falschen Erklärungen zur Kenntnis nehmen müssen.

    Auch sei dem Antragsteller nach seinen eigenen Angaben bewusst gewesen, dass ein griechisches Schengen-Visum schneller zu erlangen ist.

    Die Einreise war daher gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2a AufenthG unerlaubt und der Antragsteller damit nach § 15 Abs. 1 AufenthG zwingend zurückzuweisen. Auf das Vorliegen eines Ausweisungsgrunds auf Grund der Erfüllung eine Straftatbestands nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 i.V.m. Abs. 6 AufenthG sowie auf einen gegebenenfalls vorhandenen Anwendungsvorrang der unionsrechtlichen zwingenden Zurückweisungsbestimmungen in Art. 13 SGK komme es daher nicht mehr an.

    Quelle: Verwaltungsgericht München

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