Lebensunterhalt gesichert Niederlassungserlaubnis Archive - MTH Rechtsanwälte Köln
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Tag Archive: Lebensunterhalt gesichert Niederlassungserlaubnis

  1. Ausländerrecht: Beratungspflicht der Ausländerbehörde hinsichtlich Beantragung der Niederlassungserlaubnis

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    Verwaltungsgericht Stuttgart, 29.03.2012, Az.: 11 K 4541/11

    Während der Antragsstellungen von Aufenthaltserlaubnissen o.ä. steht man in ständigem Kontakt mit seiner zuständigen Ausländerbehörde. An diese werden Unterlagen und Dokumente geschickt, die diese letztlich verarbeitet. So verhält es sich auch mit Anträgen für eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Familienzusammenführung. Denn wer ein minderjähriges deutsches Kind in Deutschland hat, kann eine solche beanspruchen.

    Welche Arten von Aufenthaltstitel gibt es?

    Im vorliegenden Fall erstrebte der Antragsteller die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, da er (nach bereits rechtmäßigem Aufenthalt) nunmehr ein deutsches minderjähriges Kind besaß. Da der Ast. aber nicht die zeitlichen Voraussetzungen erfüllte, nach welcher er drei Jahre eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug besitzen musste, wurde der Antrag abgelehnt. Daraufhin beantragte der Ast. die rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung. Nach erhobener Klage stimmte das Verwaltungsgericht Stuttgart diesem Antrag zu und verpflichtete sodann die Ausländerbehörde zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis, da diese eine solche Verweigerung nunmehr nicht mehr rechtfertigen konnte.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:

    Der 1971 geborene Kläger war bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger. Anfang 2006 gelangte er letztmals als Werkvertragsarbeitnehmer nach Deutschland. Die Beklagte erteilte ihm hierfür eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG, die verschiedentlich verlängert wurde.

    Ausländischer Arbeitnehmer bekommt deutsches Kind und Erhält Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG

    Am 12.04.2006 heiratete er eine in Stuttgart lebende kroatische Staatsangehörige und beantragte am 15.05.2006 die Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug. Diese erhielt er auch am 21.06.2006 auf der Grundlage des § 30 AufenthG. Am 11.06.2007 wurde sie bis zum 10.06.2009 verlängert.

    Am 18.09.2008 brachte die Ehefrau des Klägers in Stuttgart ein gemeinsames Kind zur Welt, das gemäß § 4 Abs. 3 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit besaß. Hierüber wurde die Beklagte im Rahmen eines Aufenthaltserlaubnisverlängerungsverfahrens im Mai 2009 unterrichtet. Am 19.05.2009 erhielt der Kläger eine bis zum 19.05.2011 gültige Aufenthaltserlaubnis, nunmehr nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG.

    Kläger beantragt nachfolgend die Niederlassungserlaubnis

    Am 12.07.2010 beantragte der Kläger die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Mit Schreiben vom 22.07.2010 teilte die Beklagte dem Kläger hierzu mit, die zeitlichen Voraussetzungen seien erst ab 14.02.2011 erfüllt. Es wurde geraten, den Antrag zurückzunehmen. Am 23.09.2010 meldete sich daraufhin der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers. Dieser verwies darauf, dass der Kläger mit seinem Kind deutscher Staatsangehörigkeit in familiärer Lebensgemeinschaft zusammenlebte und sich sein Begehren daher nach § 28 Abs. 2 AufenthG richtete. Die Voraussetzungen hierfür waren erfüllt.

    Mit Verfügung vom 17.03.2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ab. Grund dafür war, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG nicht vollständig nachgewiesen wurden. Die „erleichterte“ Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG setzte voraus, dass der betreffende Ausländer zuvor drei Jahre lang ununterbrochen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG besessen hatte. Der Kläger aber besaß eine solche erst seit dem 19.05.2009. Die gesetzliche Frist war daher erst am 19.05.2012 erreicht. Auch konnte der gesicherte Lebensunterhalt des Klägers, der selbständig war und einen Gewerbebetrieb führte, nicht ausreichend belegt werden.

    Gegen die Ablehnung der Niederlassungserlaubnis argumentiert der Kläger, dass die Ausländerbehörde ihn nicht ausreichend aufgeklärt habe

    Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und begründete diese damit, dass seine Tochter bereits am 18.09.2008 geboren sei. Dass der Kläger seine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG erst am 19.05.2009 erhalten hatte, war nicht seine Schuld. Der entsprechende Rechtsanspruch hatte mit Geburt des Kindes bestanden. Auch eine ausreichende Lebensunterhaltssicherung konnte bald dargelegt werden.

    Im Widerspruchsverfahren fragte das Regierungspräsidium Stuttgart beim Kläger an, ob mit dem eingelegten Widerspruch auch ein Antrag auf rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 AufenthG ab dem Zeitpunkt der Geburt des deutschen Kindes gestellt wurde. Dies wäre dann durch die untere Ausländerbehörde zuständigkeitshalber zu prüfen.

    Kläger beantragt die rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 S.1 Nr. 3 AufenthG

    Auf Grund dieses Hinweises des Regierungspräsidiums Stuttgart beantragte der Kläger am 11.04.2011, die ihm erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Geburt des deutschen Kindes (18.09.2008) zu erteilen. Am 19.04.2011 informierte die Beklagte den Kläger, dass sie beabsichtigte, diesen Antrag abzulehnen, da er selbst nach der Geburt seiner Tochter nicht bei der Ausländerbehörde vorgesprochen und auch keine entsprechende Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG beantragt hatte. Erst später wurde die Ausländerbehörde darüber informiert, dass er in der Zwischenzeit Vater geworden war. Die rückwirkende Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels war nicht zulässig, da es an einem schutzwürdigen Interesse fehlte. Das Bundesverwaltungsgericht hatte ein solches schutzwürdiges Interesse nur insoweit anerkannt, als ein Ausländer überhaupt keinen Titel besaß, der zu einer Aufenthaltsverfestigung hätte führen können. Der Kläger aber hatte im maßgeblichen Zeitpunkt einen Aufenthaltstitel gemäß § 30 AufenthG besessen. Eine rückwirkende Erteilung eines anderen, als des ursprünglichen Aufenthaltstitels, war daher weder notwendig noch gerechtfertigt. Um außerdem zu verhindern, dass in einem solchen Fall zwei unterschiedliche Aufenthaltstitel gleichzeitig in der Vergangenheit vorliegen, muss der ursprünglich erteilte Titel für den entsprechenden Zeitraum aufgehoben werden. Hierfür aber fehlte es einer Rechtsgrundlage. Daher kam in einer solchen Lebenssituation nur ein Zweckwechsel in Betracht, welcher nur für die Zukunft (und nicht die Vergangenheit) galt und voraussetzte, dass der ursprünglich erteilte Aufenthaltstitel ausgelaufen, auf ihn verzichtet wurde, oder anderweitig erledigt war. Außerdem fehlte es weiterhin an Nachweisen für einen gesicherten Lebensunterhalt.

    Daraufhin erhielt der Kläger die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG bis zum 18.05.2014 von der Beklagten verlängert.

    Während des Widerspruchsverfahrens legte der Kläger keine weiteren Unterlagen zu seiner Lebensunterhaltssicherung vor. Daraufhin wies das Regierungspräsidium Stuttgart am 22.11.2011 den Widerspruch des Klägers gegen die Verfügung der Beklagten zurück, da er u.a. die Voraussetzungen eines gesicherten Lebensunterhalts nicht nachweisen konnte. Darauf, ob die Dreijahresfrist nach § 28 Abs. 2 AufenthG erfüllt war, kam es deshalb nicht weiter an.

    Gegen die Ablehnung der Niederlassungserlaubnis reicht der Kläger Klage ein

    Am 22.12.2011 hatte der Kläger das Verwaltungsgericht angerufen und führte aus, dass er die zeitliche Voraussetzung des § 28 Abs. 2 AufenthG für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erfüllte. Demnach wurde nämlich gerade nicht verlangt, dass der Ausländer zuvor für drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sein musste. Die vorher besessene Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG stellte ebenfalls einen Aufenthaltstitel zum Familiennachzug dar und musste insoweit genügen. Im Übrigen werde insoweit auf das anhängige Verfahren auf rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG verwiesen. Der Kläger legte im laufenden gerichtlichen Verfahren den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2009 und betriebswirtschaftliche Auswertungen des Steuerberaters für die Jahre 2010 und 2011 vor.

    In Vorbereitung der mündlichen Verhandlung teilte die Beklagte mit, dass die zeitlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG noch nicht erfüllt waren und der gesicherte Lebensunterhalt weiter überprüft werden musste.

    In der mündlichen Verhandlung vom 29.03.2012 hatte der Kläger sein Klagebegehren um den Anspruch auf rückwirkende Erteilung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG erweitert, dieses Begehren nun aber auf einen Termin drei Jahre vor dem Tag der mündlichen Verhandlung fixiert.

    Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart:

    Kläger steht ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu

    Die Klage war insgesamt zulässig. Des Weiteren war das Begehren, das abgeschlossene Verfahren des Klägers auf erstmalige Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG wieder aufzugreifen und dem Kläger diese Aufenthaltserlaubnis nunmehr rückwirkend ab dem 28.03.2009 zu erteilen, auch begründet. Denn der Kläger hatte einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung seines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 LVwVfG i.V.m. §§ 48 und 49 LVwVfG (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne).

    Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Behörde – auch wenn die in § 51 Abs. 1 bis 3 LVwVfG normierten Voraussetzungen nicht vorliegen – ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten des Betroffenen wiederaufgreifen und eine neue – der gerichtlichen Überprüfung zugängliche – Sachentscheidung treffen (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne). Diese Möglichkeit des Wiederaufgreifens findet ihre Rechtsgrundlage in § 51 Abs. 5 LVwVfG i.V.m. §§ 48 und 49 LVwVfG (BVerwG, Urt. v. 22.10.2009 – 1 C 15/08 -, zit. n. <juris>; Urt. v. 7.09.1999 – 1 C 6.99 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 20 S. 16; Urt. v. 21.03.2000 – 9 C 41.99 -, BVerwGE 111, 77 <82>).

    Eine Durchbrechung der Rechtskraft erfordert hierbei zunächst eine Positiventscheidung der Behörde zum Wiederaufgreifen (Stufe 1), also etwa weil die Behörde sich im Wege ihres Wiederaufgreifensermessens nach § 51 Abs. 5 LVwVfG hierzu entscheidet. Erst wenn eine solche Positiventscheidung getroffen ist, wird der Weg für eine erneute Sachentscheidung eröffnet (Stufe 2).

    Auf dieser zweiten Stufe ist die Behörde nicht auf die in § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG und § 49 Abs. 1 LVwVfG normierten Möglichkeiten der Aufhebung des Verwaltungsakts ex tunc („von damals an“) oder ex nunc („ab jetzt“) beschränkt, sondern sie hat zu entscheiden, ob der Verwaltungsakt zurückgenommen, im Wege eines Zweitbescheids bestätigt, oder ob er geändert werden soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.09.1999 a.a.O.).

    Mit der Befugnis der Behörde, ein rechtskräftig abgeschlossenes Verwaltungsverfahren im Ermessenswege wiederaufzugreifen, korrespondiert ein – gerichtlich einklagbarer (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) – Anspruch des Betroffenen auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.09.2007 – 2 BvR 1613/07 -, InfAuslR 2008, 94; BVerwG, Urteil vom 21.03.2000 a.a.O.).

    Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte ihr Ermessen über das Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 5 LVwVfG i.V.m. §§ 48 und 49 LVwVfG noch nicht abschließend ausgeübt. Sie hatte lediglich in einem Schreiben vom 19.04.2011 den Kläger darüber informiert, dass sie beabsichtigte, diesen Antrag abzulehnen. Jedoch hielten die Ausführungen der Beklagten, weshalb sie einem Wiederaufgreifen, d.h. einer Positiventscheidung auf der ersten Stufe der ihr obliegenden Ermessensentscheidung, gegenüber stand, einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

    Die Annahme, dass das im Wege des Wiederaufgreifens geltend gemachte Begehren nicht zulässig war, weshalb bereits auf der ersten Stufe eine ablehnende Entscheidung erfolgte, war im vorliegenden Fall kein zu berücksichtigender Gesichtspunkt. Die rückwirkende Erteilung der erstmaligen Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 28 Abs. 1 AufenthG war hier ohne weiteres zulässig, vor allem lag ein schutzwürdiges Interesse vor. Die Annahme der Beklagten, das Bundesverwaltungsgericht hatte ein solches schutzwürdiges Interesse nur insoweit anerkannt, als ein Ausländer überhaupt keinen Titel besaß, der zu einer Aufenthaltsverfestigung hätte führen können, traf in keinster Weise zu. In der entsprechenden Entscheidung vom 09.06.2009 (-1 C 7/08 -, zit. n. <juris>) heißt es:

    Ausländer kann rückwirkendes Erteilen eines Aufenthaltstitels nur bei schutzwürdigem Interesse verlangen

    „Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein Ausländer die Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nach der Antragstellung nur beanspruchen, wenn er ein schutzwürdiges Interesse hieran hat. Dies gilt unabhängig davon, ob der Aufenthaltstitel für einen späteren Zeitpunkt bereits erteilt worden ist oder nicht. In diesem Sinne hat der Senat ein schutzwürdiges Interesse angenommen, wenn es für die weitere aufenthaltsrechtliche Stellung erheblich sein kann, von welchem Zeitpunkt an der Ausländer den begehrten Aufenthaltstitel besitzt (Urteile vom 27. Januar 2009 – BVerwG 1 C 40.07 – DVBl 2009, 650 und vom 29. September 1998 – BVerwG 1 C 14.97 – Buchholz 402.240 § 24 AuslG 1990 Nr. 3 m.w.N.).“

    Im dort zu entscheidenden Fall hatte das Bundesverwaltungsgericht die (nachträgliche) rückwirkende Erteilung eines Aufenthaltstitels nur versagt, weil sich diese dort aufenthaltsrechtlich nicht mehr auswirken konnte, da der dortige Kläger ein Daueraufenthaltsrecht bereits erworben hatte. Im vorliegenden Fall aber begehrte der Kläger gerade die rückwirkende erstmalige Erteilung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG um anschließend ein Daueraufenthaltsrecht nach § 28 Abs. 2 AufenthG zu erhalten. Da gerade die Beklagte den dreijährigen Besitz der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG vom Kläger verlangte, bevor ihm die Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG erteilt werden konnte, war das schutzwürdige Interesse des Klägers i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts offenkundig.

    Auch der zweite angeführte Punkt der Beklagten konnte die Weigerung, das Verfahren wiederaufzugreifen, nicht rechtfertigen. In diesem Punkt hatte die Beklagte ausgeführt, dass der ursprünglich erteilte Titel – hier also der nach § 30 AufenthG – mit Wirkung für den entsprechenden Zeitraum aufgehoben werden musste, damit in der Vergangenheit nicht zeitgleich zwei unterschiedliche Aufenthaltstitel vorliegen, wobei es aber an einer Rechtsgrundlage fehlte. Denn die Beklagte hatte in ihrem Schreiben vom 19.04.2011 selbst ausgeführt, dass im Falle eines solchen Zweckwechsels der zunächst erteilte Aufenthaltstitel ausgelaufen oder auf ihn verzichtet werden musste. Eine solche Erklärung ist in einem Antrag auf Zweckwechsel bzw. Titelwechsel aber stets konkludent enthalten. Auch beim Wechsel von einer noch gültigen Aufenthaltserlaubnis hin zu einer Niederlassungserlaubnis handhabte die Beklagte dies nicht anders.

    Da für ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 5 LVwVfG die Antragsfrist des § 51 Abs. 3 LVwVfG nicht gilt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.10.2009, a.a.O.), stand aus Rechtsgründen einer positiven Ausübung des Wiederaufgreifensermessens nichts entgegen.

    Ausländerbehörde hatte gegen ihre Beratungspflicht verstoßen

    Die Beklagte entschied durch Wiederaufgreifen des Verfahrens auf erstmalige Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG rechtmäßig, da sie selbst gegen ein Gesetz verstoßen hatte, dessen „Korrektur“ hier nun geboten war. So hatte der Kläger nach der Geburt seiner Tochter im September 2009 nicht bei der Ausländerbehörde vorgesprochen und auch keine entsprechende Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG beantragt, jedoch unterlag die Beklagte auch in ausländerrechtlichen Verfahren den Vorschriften des LVwVfG. Nach dessen § 25 Abs. 1 soll die Behörde die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind. Als Ausdruck der aus dem Rechtsstaatsprinzip i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip folgenden Betreuungs- und Fürsorgepflicht des Staates setzt die Belehrungspflicht keine vorangehende Anfrage voraus, sie ist von der Behörde vielmehr von Amts wegen zu erfüllen (VGH Ba.-Wü., Beschl. v. 20.06.2006 – 1 S 1136/05 -, zit. n. <juris>; vgl. auch P. Stelkens/Kallerhoff in: Stelkens u.a. <Hg.>, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 25 Rn. 30, 34).

    In Konsequenz der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 09.06.2009, a.a.O.) bedeutet dies, eine Ausländerbehörde muss immer dann auf die Möglichkeit einer Antragstellung auf Erteilung einer rückwirkenden Aufenthaltserlaubnis hinweisen, wenn sie erkennt, dass a) die maßgeblichen Voraussetzungen schon in der Vergangenheit vorgelegen haben und b) mit Blick auf ein künftiges Daueraufenthaltsrecht für den Betroffenen eine günstige Wirkung möglich ist. Dies ist in Fällen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG ebenso der Fall wie dann, wenn ein zuvor geduldeter Ausländer nun die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erlangt. Schließlich gilt dies in Fällen, in denen ein Ausländer mit zuvor „unsicherem“ Aufenthaltsstatus (§ 16 AufenthG; Au-pair) einen höherwertigen Status erlangt, etwa durch Eheschließung. Inwieweit eine rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis dann tatsächlich geboten ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Dabei sind sowohl der Zeitpunkt der Antragstellung als auch etwa der Nachweis der entsprechenden Voraussetzungen wie auch verfassungsrechtliche Grundentscheidungen (Art. 6 Ans. 1 GG) berücksichtigungsfähig.

    Kläger hatte ein schutzwürdiges Interesse an der Wiederaufgreifung

    Demzufolge hatte die Beklagte nicht nur die Pflicht, das Verfahren auf erstmalige Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG hier wiederaufzugreifen, sondern auch, wie vom Kläger beantragt, eine solche bereits ab dem 28.03.2009 auszusprechen. Denn das schutzwürdige Interesse des Klägers reichte bis zu dem Tage zurück, da ihm dies nunmehr die Erlangung der Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG ermöglicht. Die Beklagte konnte anhand der im Mai 2009 vorgelegten Unterlagen selbst erkennen, dass ein Anspruch nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG auf Grund des 2008 geborenes deutsches Kindes bestand. Dann hätte schon damals – rückwirkend -der Aufenthaltstitel des Klägers von § 30 AufenthG nach § 28 Abs. 1 AufenthG umgewandelt werden müssen. Diese Rechtsfolge konnte der Kläger nunmehr beanspruchen.

    Folglich ergab sich dann auch einen Anspruch auf die Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG des Klägers, wodurch auch dieser Teil der Klage begründet war. Die Einsicht in die vom Kläger und seiner Ehefrau vorgelegten Unterlagen ergaben zur richterlichen Überzeugung (§ 108 VwGO), dass – im Sinne der gebotenen Prognoseentscheidung – von einem gesicherten Lebensunterhalt ausgegangen werden konnte. Der Kläger war arbeitsam, fleißig, und sein Gewerbebetrieb erzielte seit der Gründung steigende Einnahmen. Zusätzlich stand der Familie das Erwerbseinkommen der Ehefrau bzw. in den entsprechenden Zeiträumen Erziehungsgeld zur Verfügung. Die Familie besaß außerdem Wohneigentum mit einer tragbaren Belastung.

    Quelle: Verwaltungsgericht Stuttgart

    Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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  2. Ausländerrecht: Die Sicherung des Lebensunterhalts bei Erteilung einer Niederlassungserlaubnis

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    OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20.01.2021, Az.: 2 L 102/19

    Eine Möglichkeit, sich in Deutschland niederlassen zu können ist durch den Erwerb einer Niederlassungserlaubnis. Diese ist  an gewisse Voraussetzungen geknüpft, wie zum Beispiel den vorherigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder aber die Zahlung von Pflichtbeiträgen in die gesetzliche Rentenversicherung für 60 Monate.

    Eine weitere Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels (egal ob Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis) ist die Sicherung des Lebensunterhalts. Dies ist in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geregelt, welcher die allgemeinen Voraussetzungen der Erteilung eines Aufenthaltstitels regelt.

    Hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts wird aber auch Rücksicht auf diejenigen genommen, welche diese Voraussetzung krankheitsbedingt nicht erfüllen können. Davon kann zum Beipiel abgesehen werden, wenn man dies auf Grund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit nicht erfüllen kann. Dasselbe gilt für die Zahlung der Rentenversicherungspflichtbeiträge.

    Im vorliegenden Fall wurde einer Klägerin auf Grund ihrer krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit trotz fehlender Pflichtbeitragszahlung eine Niederlassungserlaubnis erteilt. Nach Berufung durch die Ausländerbehörde aber wurde dieses Urteil geändert, da die Krankheit der Klägerin diese, zumindest in den ersten 7 Jahren ihres rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland, nicht daran gehindert hatte, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:

    Kosovarische Klägerin erhielt immer wieder Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen

    Die 1961 geborene Klägerin war Staatsangehörige des Kosovo und reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern am 13. Dezember 1999 in das Bundesgebiet ein. Die Asylanträge der Familie lehnte das BAMF mit Bescheid vom 14. Mai 2002 ab. Auf die daraufhin erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht Magdeburg mit Urteil vom 2. Juli 2003 die Bundesrepublik Deutschland festzustellen, dass beim Ehemann der Klägerin die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG vorliegen; im Übrigen blieb die Klage ohne Erfolg. Ab dem 26. Januar 2006 wurde die Abschiebung der Klägerin ausgesetzt; eine Erwerbstätigkeit wurde zunächst nicht, ab dem 23. Januar 2007 mit Erlaubnis der Ausländerbehörde und später wiederum nicht gestattet. Eine Aufenthaltserlaubnis wurde ihr zwischen 2008 und 2011 immer wieder erteilt, die letzte Erteilung erfolgte hierbei am 7. März 2014, welche nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG bis zum 7. März 2015 befristet wurde, und die in der Folgezeit mehrfach verlängert wurde. Sämtliche Aufenthaltserlaubnisse sowie die zwischenzeitlich ausgestellten Fiktionsbescheinigungen nach § 81 Abs. 5 AufenthG enthielten jeweils die Nebenbestimmung, dass die Erwerbstätigkeit gestattet war.

    Antrag auf Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG lehnte die Ausländerbehörde mangels Sicherung des Lebensunterhalts ab

    Den von der Klägerin am 18. April 2016 gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. Februar 2018 ab, weil der Lebensunterhalt der Klägerin nicht gesichert gewesen sei (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Von der Erfüllung dieser Voraussetzung konnte nicht nach § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG abgesehen werden. Das vom Jobcenter erstattete Gutachten hatte ergeben, dass die Klägerin täglich weniger als drei Stunden und wöchentlich weniger als 15 Stunden leistungsfähig sei und diese aufgehobene Leistungsfähigkeit laut Einschätzung der sozialmedizinischen gutachterlichen Stellungnahme voraussichtlich bis zu sechs Monate dauere.

    Nach Einholung eines Gutachtens sei die Klägerin erwerbsfähig

    Nach dieser Einschätzung sei die Klägerin weiterhin als erwerbsfähig anzusehen, wenn auch mit Einschränkungen. Dem Gutachten war auch zu entnehmen, dass durch medizinische Reha-Maßnahmen eine ausreichende Leistungsfähigkeit hergestellt werden würde. Zudem würde sich eine deutliche Reduzierung des Körpergewichts positiv auf die gesundheitliche Situation auswirken. Auch hatte die Klägerin laut Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung keine 60 Monate Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Der Ausnahmetatbestand des § 9 Abs. 6 Satz 2 AufenthG war auch insoweit nicht gegeben. Es könne nicht im Sinne des Gesetzgebers sein, einen fast zehn Jahre währenden Bezug öffentlicher Mittel und die Nichtleistung von Pflichtbeiträgen zur Rentenversicherung mit einer Niederlassungserlaubnis zu belohnen.

    Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2018 zurück.

    Gegen die Ablehnung reichte die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht ein

    Am 6. November 2018 erhob die Klägerin Klage und führte zur Begründung u.a. aus: Die vorgelegten fachärztlichen Atteste und Bescheinigungen belegten, dass sie aus gesundheitlichen Gründen unverschuldet an der Aufnahme einer sozialabgabenpflichtigen Erwerbstätigkeit gehindert war. Sie wiesen eine schwere Rheumaerkrankung aus und bestätigten den hohen Schweregrad der Erkrankung. Aus einem Attest ließe sich ein zudem behandlungsbedürftiger Bandscheibenvorfall entnehmen. Zwischenzeitlich hatte die Bundesagentur für Arbeit in einer sozialmedizinischen gutachterlichen Stellungnahme vom 6. Oktober 2017 festgestellt, dass die Klägerin nicht arbeitsfähig und damit auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar sei. Das Gutachten spreche von schweren Funktionsstörungen des Nervensystems sowie des Stütz- und Bewegungssystems. Aus einem weiteren Attest der H-Fachklinik ergab sich ein umfangreiches und multiples Krankheitsbild.

    Die Klägerin beantragte, den Bescheid der Beklagten vom 16. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt vom 8. Oktober 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, nach Rechtsauffassung des Gerichts den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis neu zu bescheiden.

    Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Sie hatte u.a. vorgetragen: Die Klägerin war nicht als dauerhaft erwerbsunfähig anzusehen. Dies wurde auch nicht durch die vorgelegten Atteste belegt. Zudem ging aus den umfangreichen ärztlichen Stellungnahmen hervor, dass die Klägerin wiederholt ärztlichen Empfehlungen nicht nachgekommen war. Sie hatte ihren derzeitigen gesundheitlichen Zustand in gewissem Umfang auch selbst zu verantworten. Im Übrigen verfügte die Klägerin nach dem eingereichten Versicherungsverlauf nicht über die notwendigen 60 Monate Beitragsleistungen. Die Klägerin traf für den von ihr geltend gemachten Ausnahmetatbestand die materielle Beweislast.

    Verwaltungsgericht verurteilt die Ausländerbehörde zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis

    Mit dem angefochtenen Urteil hatte das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die begehrte Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Zur Begründung hatte es u.a. ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sowie Nr. 4 bis 9 AufenthG erfülle die Klägerin. Dies ergebe sich aus dem Verwaltungsvorgang und werde im Übrigen von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt. Von den Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG, die die Klägerin unstreitig nicht erfülle, sei nach § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG abzusehen. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen dieses Ausnahmetatbestandes sei die Zuerkennung der Niederlassungserlaubnis. Die Krankheit bzw. Behinderung der Klägerin hindere sie auf nicht absehbare Zeit, jedenfalls für länger als sechs Monate, an der Erfüllung der Integrationsvoraussetzung der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts sowie der weiteren Erbringung von Pflichtbeiträgen zur Rentenversicherung. Dies ergebe sich aus der Vielzahl der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen. Aus der Entwicklung in den vergangenen Jahren sei ersichtlich gewesen, dass sich die Erkrankungen und daraus folgenden Einschränkungen offensichtlich nicht innerhalb von sechs Monaten beheben ließen; es sei auch nicht erkennbar, dass dies nunmehr innerhalb von sechs Monaten geschehen werde. Die letzten sozialmedizinischen Begutachtungen durch die Bundesagentur für Arbeit stellten jeweils fortlaufend und mittlerweile für fast zwei Jahre eine Einschränkung von voraussichtlich unter sechs Monaten fest. Das der Beklagten nach § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eröffnete Ermessen sei auf Null reduziert. Die dazu nötige Ausnahmesituation liege darin begründet, dass die Beklagte allein die fehlenden Integrationsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG als für den Anspruch schädlich ansehe. Weitere Gesichtspunkte, die gegen einen verfestigten Aufenthalt der Klägerin in Deutschland sprechen könnten, seien auch nicht ersichtlich. Die denkbaren Ermessenserwägungen, also die Dauer des Aufenthalts in Deutschland, die Integration des Ausländers in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland, die Straffälligkeit von Personen, mit denen der Ausländer in familiärer Lebensgemeinschaft lebe, selbst geschaffene oder verschuldete Duldungsgründe, soweit sie nach § 102 Abs. 2 AufenthG anrechenbar seien, und die Fortdauer des Aufenthaltszwecks bzw. der Schutzgründe, die die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis rechtfertigten, seien hinsichtlich der Klägerin ersichtlich positiv zu werten. Die Klägerin spreche gut Deutsch, ihre mittlerweile erwachsenen Kinder seien gut integriert und arbeiteten. Sie habe jedenfalls in der Vergangenheit gearbeitet und sich in dem Psychologischen Zentrum für Flüchtlinge und Integration engagiert. Anhaltspunkte, die gegen eine Verfestigung des Aufenthaltsrechts sprächen, lägen somit nicht vor.

    Die vom Senat zugelassene Berufung hatte die Beklagte wie folgt begründet: Es könne nicht lediglich auf die aktuelle gesundheitliche Situation und die nunmehr gegebene Erwerbsunfähigkeit der Klägerin abgestellt werden. Die Klägerin war zwar derzeit nicht imstande, täglich mehr als drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Tätigkeit nachzugehen. Diese Einschränkungen bestünden jedoch nicht dauerhaft. Erwerbsgemindert sei nur, wer „auf nicht absehbare Zeit“, also länger als sechs Monate, diesen Einschränkungen unterliege. Dies sei nach den vorliegenden sozialmedizinischen Stellungnahmen und Gutachten nicht der Fall. Selbst wenn in der Person der Klägerin eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit vorläge und man bei der Beurteilung dieses Rechtsbegriffes auf die jetzige Sachlage abstelle, folge daraus nicht zwingend die Verpflichtung, die begehrte Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Das ihr eingeräumte Ermessen sei nicht auf Null reduziert. Auch insoweit dürfe nicht ausschließlich auf die jetzige vermeintliche Erwerbsunfähigkeit der Klägerin abgestellt werden. Andernfalls wäre bei jedweder fehlenden Sicherung des Lebensunterhalts infolge einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen, so dass die Ermessensregelung des § 26 Abs. 4 AufenthG praktisch leerliefe. Insbesondere sei für die Ermessensentscheidung erheblich, dass die Klägerin in der Vergangenheit keine Anstrengungen unternommen hatte, um die geforderten rentenversicherungsrechtlichen Zeiten zu erwerben. Sie war nachweisbar und aktenkundig nur in untergeordneter Art und Weise einer Beschäftigung nachgegangen. Nach Aktenlage hatte sich die Klägerin (auch wenn nicht alle Zeiten belegt seien) in den Jahren 2010 bis 2013 durchschnittlich 12 Stunden im Monat für Übersetzungsleistungen ehrenamtlich engagiert und hierfür eine Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Tätigkeiten erhalten. Aus dem am 23. März 2020 bei ihr eingereichten Rentenversicherungsverlauf vom 18. Oktober 2019 ging hervor, dass sie bisher keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen war. In diesem Verlauf waren lediglich Zeiten enthalten, in denen durch das Jobcenter bis zum 31. Dezember 2010 Pflichtbeiträge abgeführt worden seien, sowie Zeiten mit geringfügigen, nicht versicherungspflichtigen Beschäftigungen. Nach den darin enthaltenen Erläuterungen und Hinweisen der Deutschen Rentenversicherung waren während der mit „geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung“ gekennzeichneten Zeiten Arbeitsentgelte erzielt worden, für das ausschließlich der Arbeitgeber seinen Beitragsanteil getragen hatte. Diese Tätigkeiten seien jedoch so geringfügig gewesen, dass sie für eine eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts nur eine untergeordnete Rolle gespielt hätten. Der Klägerin müsse somit entgegengehalten werden, dass sie offensichtlich zu keinem Zeitpunkt in Erwägung gezogen hatte, ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis in Vollzeit aufzunehmen, um eine Altersvorsorge zu betreiben. Gründe, die dem entgegengestanden haben könnten, seien weder dargelegt noch ersichtlich gewesen. Die Klägerin hatte während ihres nunmehr über 20-jährigen Aufenthalts im Bundesgebiet (davon über 12 Jahre mit einem Aufenthaltsrecht) ausreichend Gelegenheit gehabt, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und rentenrechtliche Anwartschaften zu erzielen. Ihr Gesundheitszustand hatte eine solche Erwerbstätigkeit zugelassen. Von einer gelungenen Integration konnte deshalb keine Rede sein. Die Vorschrift des § 26 Abs. 4 AufenthG habe auch die wirtschaftliche Integration in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland im Blick.

    Die Beklagte beantragte, das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragte, die Berufung zurückzuweisen.

    Hierzu trug sie vor, dass sie auch in der Vergangenheit aufgrund ihrer schweren Erkrankung unverschuldet nicht in der Lage gewesen war, die notwendigen 60 Monate Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung durch die Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit zu erbringen. Sie sei über einen sehr langen Zeitraum arbeitsunfähig gewesen. Auch dies ergebe sich aus den vorliegenden Befundberichten.

    Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt:

    Berufungsgericht entscheidet, dass die Klägerin keine Niederlassungserlaubnis erhält

    Die beim OVG Sachsen-Anhalt eingereichte Berufung hatte Erfolg. Der Senat entschied über die Berufung der Beklagten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für begründet und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich hielt.

    Die zulässige Berufung der Beklagten war begründet.

    Das Verwaltungsgericht hatte die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, der Klägerin die von ihr begehrte Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Die Klägerin hatte weder hierauf einen Anspruch (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), noch auf Neubescheidung ihres Erlaubnisantrages (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

    Nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach dem fünften Abschnitt des AufenthG besitzt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. Nach § 26 Abs. 4 Satz 2 AufenthG gilt § 9 Abs. 2 Satz 2 bis 6 AufenthG entsprechend.

    Klägerin könne ihren Lebensunterhalt nicht eigenständig aufbringen

    Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG verlangt, dass der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist. Diese Voraussetzung aber erfüllte die Klägerin nicht. Nach der gesetzlichen Definition in § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG der Bezug von Kindergeld, Kinderzuschlag, Erziehungsgeld, Elterngeld, Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, öffentlichen Mitteln, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, und Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Da die Klägerin und ihr Ehemann nach den im erstinstanzlichen Verfahren zum Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingereichten Unterlagen Leistungen nach dem SGB II bezogen und auch keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass sie eine auf Dauer angelegte Erwerbstätigkeit (wieder) aufgenommen hätten oder wiederaufnehmen werden, die zur Deckung des Bedarfs der Familie ausreicht, war der Lebensunterhalt der Klägerin nicht im Sinne des § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig gewesen.

    Auch habe die Klägerin keine 60 Monate Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erbracht

    Die Klägerin hatte auch nicht mindestens 60 Monate Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet oder Aufwendungen für einen Anspruch auf vergleichbare Leistungen einer Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung oder eines Versicherungsunternehmens nachgewiesen.

    § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG fordert nach der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ein Aufbringen der Beiträge durch den Ausländer selbst; Beiträge, die bis zum Jahr 2010 während des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II von der Arbeitsverwaltung erbracht wurden, sollen diese Voraussetzung nicht erfüllen (BayVGH, Beschluss vom 7. Dezember 2015 – 19 ZB 14.2293 – juris Rn. 7 ff.; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 9 Rn. 47 f.; Huber, AufenthG, 2. Aufl. 2016, § 9 Rn. 10; a.A.: Maor, in: BeckOK Kluth/Heusch, AufenthG § 9 Rn. 11). Dafür spricht der Wortlaut des Gesetzes sowie der Umstand, dass die den Pflichtbeiträgen aufenthaltsrechtlich gleichwertigen freiwilligen Beiträge zur Rentenversicherung gemäß §§ 7, 171, 173 SGB nur vom Versicherten selbst geleistet werden konnten und können (BayVGH, Urteil vom 7. Dezember 2015, a.a.O.). Folgt man dieser Auffassung, erfüllte die Klägerin die Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG schon deshalb nicht, weil der von der Beklagten zuletzt vorgelegte Rentenversicherungsverlauf für die Klägerin vom 18. Oktober 2019 lediglich von der Arbeitsverwaltung in der Zeit vom 17. Juni 2008 bis 31. Dezember 2010 geleistete Pflichtbeiträge während des Bezugs von Arbeitslosengeld II auswies sowie geringfügige nichtversicherungspflichtige Beschäftigungen, in denen Arbeitsentgelte erzielt wurden, für die ausschließlich der Arbeitgeber seinen Beitragsanteil getragen hatte.

    Selbst wenn die von der Arbeitsverwaltung und ausschließlich vom Arbeitgeber aufgebrachten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als ausreichend anzusehen sein sollten, wären lediglich für 56 Monate (Juni 2008 bis Dezember 2010 (31 Monate) und März 2013 bis März 2015 (25 Monate) Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet worden.

    Auch könne sich die Klägerin nicht wirksam auf eine Krankheit berufen

    Der Klägerin kam weiterhin auch nicht die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG zugute, wonach von den Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 abgesehen wird, wenn der Ausländer diese aus den in Satz 3 genannten Gründen, mithin wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung, nicht erfüllen kann.

    Es sprach hier allerdings vieles dafür, dass sich die Klägerin in Bezug auf die Sicherung des Lebensunterhalts auf § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG stützen konnte. Die Anwendung dieser Vorschriften setzt in Bezug auf § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG voraus, dass der Ausländer (nahezu) dauerhaft erwerbsgemindert ist, also – etwa aufgrund einer Krankheit – (nahezu) dauerhaft nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt zu sichern (vgl. Beschluss des Senats vom 14. März 2019 – 2 L 120/16 – juris Rn. 19, m.w.N.). Zur Bestimmung der krankheits- oder behinderungsbedingten Erwerbsunfähigkeit wird auf die sozialrechtlichen Bestimmungen über die (teilweise) Erwerbsunfähigkeit nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 und Satz 2 bzw. Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zurückgegriffen, wonach teilweise erwerbsgemindert derjenige ist, der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, und vollerwerbsgemindert derjenige ist, der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (vgl. NdsOVG, Urteil vom 16. Juli 2020 – 13 LC 41/19 – juris Rn. 32; Müller, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 9 Rn. 13; Dienelt, a.a.O., § 9 Rn. 93). Dabei bedeutet „auf nicht absehbare Zeit“ länger als sechs Monate (Gürtner, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 43 SGB VI Rn. 25, unter Bezugnahme auf § 101 Abs. 1 SGB VI, wonach befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet werden, und BSG, Urteil vom 23. März 1977 – 4 RJ 49/76 – juris Rn. 16). Diesen rechtlichen Ansatz hielt auch die Beklagte für zutreffend.

    Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Würdigung, aus der Vielzahl der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen ergebe sich, dass die Klägerin aufgrund der festgestellten Erkrankungen jedenfalls für länger als sechs Monate gehindert gewesen sei, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, erschien plausibel.

    Die sozialmedizinischen gutachterlichen Stellungnahmen der Bundesagentur für Arbeit (BA) vom 30. Oktober 2013 (Beiakte B, Bl. 334) und 16. Oktober 2015 (Beiakte B, Bl. 362), in denen der Klägerin jeweils noch eine vollschichtige Einsetzbarkeit von täglich sechs Stunden und mehr attestiert wurde, hatte das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang zu Recht nicht in seine Würdigung einbezogen; denn diese lagen schon so lange zurück, dass ihnen für die Einschätzung des aktuellen Gesundheitszustandes der Klägerin und ihre künftige Einsetzbarkeit für Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt keine maßgebliche Bedeutung mehr zukam.

    Die sozialmedizinische gutachterliche Stellungnahme der BA vom 6. Oktober 2017 ging davon aus, dass die bei der Klägerin festgestellten schwerwiegenden gesundheitlichen Störungen (vordergründig: Hirntumor, Erkrankung des rheumatoiden Formenkreises, psychische Minderbelastbarkeit, Eisenmangelanämie, Funktionsstörungen des Nervensystems, des Herz-, Kreislauf- und Gefäßsystems, des Stoffwechsel- und Verdauungssystems, des Stütz- und Bewegungssystems und Übergewicht) Tätigkeiten auf dem allgemeinen oder zweiten Arbeitsmarkt voraussichtlich für einen Zeitraum bis zu sechs Monaten nicht zuließen und bei Nichtdurchführung der empfohlenen intensiven und umfänglichen Maßnahmen eine erhebliche Gefährdung der Erwerbs- und Leistungsfähigkeit drohte. Die gutachterliche Stellungnahme der BA vom 8. März 2019 (Bl. 112 GA) gelangte erneut zu der Einschätzung, dass ein tägliches Leistungsvermögen von weniger als drei Stunden vorliege und verwies auf die im Vorgutachten bereits empfohlenen Maßnahmen sowie darauf, dass eine nochmalige Einschaltung des ärztlichen Dienstes erst sinnvoll sei, wenn diese Maßnahmen durchgeführt worden seien.

    Insofern konnte der Beklagten zwar darin beizupflichten sein, dass nach der Bewertung der beiden Gutachter der BA eine die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erlaubende Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit der Klägerin bei Durchführung der empfohlenen Maßnahmen zumindest möglich erschien. Dies vermag aber die Einschätzung der Vorinstanz, dass sich die aus den multiplen Erkrankungen der Klägerin ergebenden Einschränkungen ihrer Leistungsfähigkeit nicht innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten beheben ließen, nicht ernsthaft in Frage zu stellen. Zu den in der Stellungnahme vom 6. Oktober 2017 empfohlenen „intensiven und umfänglichen“ Maßnahmen sollten gehören:

    1. zeitnahe Intensivierung der psychologischen, psychosomatischen, psychiatrischen Mitbehandlung,
    2. verstärkte Wiederaufnahme neurologischer, HNO-fachärztlicher, rheumatologischer und orthopädischer Konsultationen,
    3. Einleitung einer multimodalen Schmerztherapie,
    4. Verordnung physiotherapeutischer Maßnahmen,
    5. Beantragung einer stationären medizinischen Reha-Maßnahme nach Abschluss der noch erforderlichen Therapien,
    6. deutliche Reduzierung des Körpergewichts.

    Es erschien dem VG bereits fraglich, wie dieses von der BA empfohlene „Programm“ innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten von der Klägerin überhaupt hätte bewältigt werden können. Unabhängig davon hatte das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf Kommentarliteratur die Auffassung vertreten, dass die Verweigerung einer Behandlung nicht dazu führe, dass eine Gesundheitsstörung nicht als Erkrankung im Sinne von § 43 SGB VI anzusehen wäre und es der Klägerin darüber hinaus nicht zumutbar sei, eine riskante Operation am Gehirn vornehmen zu lassen, um unter gewissen unsicheren Umständen danach vielleicht wieder leistungsfähiger zu sein; dies sei vielmehr eine zutiefst persönliche Entscheidung der Klägerin, die ihr die Beklagte nicht abverlangen könne. Dem war die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten.

    Es liege keine länger als sechs Monate dauernde Erwerbsunfähigkeit vor

    Für eine länger als sechs Monate dauernde Erwerbsunfähigkeit der Klägerin sprachen auch die weiteren ärztlichen Stellungnahmen. Nach dem Attest der Fachärzte für Innere Medizin/Endokrinologie/Diab. Dr. Sch. und Dr. W. vom 18. Juli 2019 war eine relevante Erwerbsfähigkeit bei der Klägerin nicht mehr gegeben. Nach dem Attest des Facharztes für Innere Medizin/Rheumatologie Dipl.-Med. B. vom 19. Juli 2019 befand sich die Klägerin bei diesem Arzt seit 2014 in Behandlung. Die Klägerin sei durch rheumatoide Arthritis und vor allem durch die zusätzlichen Erkrankungen stark eingeschränkt gewesen, aus diesem Grund stets auf Hilfe angewiesen und nicht mehr arbeitsfähig. Die immunsuppressive Therapie erfolgte gegenwärtig mit Leflunomid. Mehrere stationäre Behandlungen im Fachkrankenhaus für Rheumatologie in V. seien erfolgt, zuletzt im November 2018. Der weitere Erkrankungsverlauf war nicht vorhersagbar. Nach dem Attest der Fachärzte für Innere Medizin/Endokrinologie/Diab. Dr. Sch. und Dr. W. vom 22. August 2019 befand sich die Klägerin in regelmäßiger rheumatologischer Behandlung. Es erfolgte eine medikamentöse Therapie mit Leflunomid. Die Therapie mit Prednisolon war aufgrund des Risikos der Größenzunahme des Hirntumors beendet worden. Dies führte zu gehäuften Schmerzschüben. Bezüglich des Hirntumors befand sich die Klägerin in neurochirurgischer und neurologischer Kontrolle. Es war bereits zu einer Operation geraten worden. Die Therapie der arteriellen Hypertonie und Hyperlipoproteinämie erfolgte medikamentös und hatte aufgrund rezidivierender Blutdruckschwankungen optimiert werden müssen. Eine kardiologische Vorstellung der Klägerin war vorgesehen, um eine weiterführende Diagnostik bezüglich einer koronaren Herzerkrankung durchzuführen, da wiederholt Dyspnoe- und Angina pectoris-Symptomatik aufgetreten war. Die Anämie sei unter hämatologischer Kontrolle. Die Klägerin war aufgrund der multiplen Erkrankungen nicht arbeitsfähig.

    Jedenfalls in Bezug auf das Erfordernis des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, dass der Ausländer mindestens 60 Monate Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet hat oder Aufwendungen für einen Anspruch auf vergleichbare Leistungen einer Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung oder eines Versicherungsunternehmens nachweist, griff die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG nicht zugunsten der Klägerin.

    Da das Absehen von der Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG gemäß
    § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG voraussetzt, dass der Ausländer diese „aus den in Satz 3 genannten Gründen“ nicht erfüllen kann, ist erforderlich, dass die Krankheit oder Behinderung kausal ist für die Unmöglichkeit, den Nachweis der Altersvorsorge zu erbringen (vgl. Marx, in: GK-AufenthG II – § 9 Rn. 258).

    Zutreffend war das Verwaltungsgericht zwar davon ausgegangen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist. Für die Frage, ob der Ausländer im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG die Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG aus den in § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG genannten Gründen nicht erfüllen „kann“, kam es aber entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht darauf an, ob der Ausländer im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aufgrund seiner Erkrankung oder Behinderung daran gehindert ist, künftig (weitere) Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung oder Aufwendungen für die private Altersvorsorge zu erbringen, sondern darauf, ob er aufgrund der Erkrankung oder Behinderung bis zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage gewesen ist, die erforderlichen 60 Monate Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung oder Aufwendungen für eine vergleichbare private Altersvorsorge zu leisten.

    Aus der Formulierung im Präsens („erfüllen kann“) mag zwar für die Frage der Sicherung des Lebensunterhalts deutlich werden, dass die gegenwärtige Situation entscheidend ist bzw. der Zeitpunkt, ab dem die Niederlassungserlaubnis zugesprochen wird, und es insoweit nicht darauf ankommt, ob der Ausländer bereits in der Vergangenheit wegen Krankheit oder Behinderung an der Sicherung des Lebensunterhalts gehindert gewesen ist oder diesen aus anderen Gründen, namentlich wegen Versäumnissen hinsichtlich seiner Erwerbsobliegenheit, nicht gesichert hat (vgl. VG Aachen, Urteil vom 19. März 2014 – 8 K 1398/12 – juris Rn. 45 ff.; Müller, in: Hofmann NK-AuslR, 2. Aufl., § 9 Rn. 13). Auch mag die nach § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG erforderliche Kausalität zwischen der krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit und der fehlenden Unterhaltssicherung nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass der Ausländer in der Vergangenheit ggf. aus anderen Gründen – sei es wegen einer Verletzung der Erwerbsobliegenheit, sei es wegen fehlender Chancen am Arbeitsmarkt, sei es wegen einer bewussten Entscheidung zur Übernahme von Erziehungsaufgaben in der Familie – den Lebensunterhalt nicht sichergestellt hat. Dies lässt sich damit begründen, dass durch den späteren Eintritt der vollen Erwerbsminderung bzw. Erwerbsunfähigkeit wegen Krankheit und Behinderung eine von etwaigen früheren Gründen unabhängige neue Ursachenreihe eröffnet wurde, die den Ursachenzusammenhang zwischen den früheren Gründen und der fehlenden Unterhaltssicherung unterbricht und nunmehr allein ursächlich für die Nichterfüllbarkeit des Erfordernisses der Unterhaltssicherung ist (so VG Aachen, Urteil vom 19. März 2014, a.a.O., Rn. 51). Dafür spricht auch der Umstand, dass bei der Frage der Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG eine Prognose darüber anzustellen ist, ob der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 – 10 C 10.12 – juris Rn. 13).

    Auch das Erfordernis der hinreichenden Altersvorsorge erfülle die Klägerin nicht

    Diese Erwägungen lassen sich aber auf das Erfordernis der hinreichenden Altersvorsorge nicht übertragen. Der Ausländer „kann“ die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG (im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung) nicht erfüllen, wenn er nicht mindestens 60 Monate Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung „geleistet hat“ oder Aufwendungen für einen Anspruch auf vergleichbare Leistungen einer Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung oder eines Versicherungsunternehmens „nachweist“. Anders als bei dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts ist insoweit keine in die Zukunft gerichtete Prognose anzustellen. Eine Krankheit oder Behinderung ist nur dann kausal für die Unmöglichkeit, den Nachweis der Altersvorsorge zu erbringen, wenn sie den Ausländer bereits vor dem maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Erlaubnisantrag hinderte, die erforderlichen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung oder Aufwendungen zur privaten Altersvorsorge zu leisten.

    Hiernach konnte im Fall der Klägerin von der Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht abgesehen werden, weil nicht ersichtlich war, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung gehindert gewesen war, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen, die es ihr ermöglich hätte, die erforderlichen 60 Monate Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu leisten. Jedenfalls nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG am 12. Juni 2008, in der ihr eine Erwerbstätigkeit gestattet wurde, war die Klägerin rechtlich nicht gehindert, eine solche Beschäftigung auszuüben. Dass bei der Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt und in der Folgezeit eine Erkrankung vorlag, die sie daran hinderte, eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufzunehmen, war nicht erkennbar gewesen. In der sozialmedizinischen Stellungnahme der BA vom 30. Oktober 2013 wurde der Klägerin ungeachtet der bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen für gelegentlich mittelschwere Arbeiten attestiert. Auch nach der sozialmedizinischen Stellungnahme der BA vom 16. Oktober 2015 war die Klägerin noch auf dem ersten allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar, wenn auch mit der Einschränkung, dass sämtliche Tätigkeiten, die in Übereinstimmung mit dem Leistungsbild standen, zumutbar sein sollten. Die Klägerin war noch bis zum 27. März 2015 erwerbstätig. Bei sämtlichen Tätigkeiten seit Gestattung der Erwerbstätigkeit ab Juni 2008 handelte es sich aber nur um geringfügige, nicht versicherungspflichtige Beschäftigungen. Dass sich die Klägerin – insbesondere unmittelbar nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG – auch um die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit bemühte, war nicht ersichtlich. Es bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin während des gesamten Zeitraums, in dem sie geringfügig beschäftigt war, bereits so erkrankt war, dass die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nicht in Betracht kam. Von einer langfristigen oder gar dauerhaften Arbeitsunfähigkeit der Klägerin war erst in späteren ärztlichen Stellungnahmen die Rede gewesen, wie etwa im Attest der Fachärzte für innere Medizin Dr. Sch., Dr. Sch., Dr. W. vom 29. März 2016 (Bl. 376 des Verwaltungsvorgangs). Eine andere Beurteilung geboten auch nicht die von der Klägerin im Berufungsverfahren eingereichten ärztlichen Befundberichte. Der Bericht des Universitätsklinikums Magdeburg vom 10. September 2020 setzte die Vorgeschichte der Klägerin als bekannt voraus und befasste sich mit der aktuellen Situation der Klägerin. Die ärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. Sch. äußerte sich zur Krankengeschichte der Klägerin ohne konkrete Zeitangaben und schloss mit der Aussage, dass die Klägerin aufgrund der aufgezählten Erkrankungen nicht arbeitsfähig sei.

    Eine Ausnahme vom Erfordernis der Altersvorsorge in der Person der Klägerin ergab sich auch nicht aus § 9 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift genügt es bei Ehegatten, die in ehelicher Lebensgemeinschaft leben, wenn die Voraussetzungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3, 5 und 6 durch einen Ehegatten erfüllt werden. Dass der Ehemann der Klägerin die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erfüllte, wurde weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

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  3. Ausländerrecht: Keine Niederlassungserlaubnis bei mangelhafter Kenntnisse der deutschen Sprache und Rechtsordnung.

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    Bundesverwaltungsgericht, 28.04.2015, Az.: BVerwG 1 C 21.14

    Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein drittstaatsangehöriger Ausländer in Deutschland eine Niederlassungserlaubnis (also einen unbefristeten Aufenthaltstitel) erlangen.

    Voraussetzung dafür ist allerdings unter Anderem, dass der Ausländer gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 7 und 8 AufenthG über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt.

    Von diesen Voraussetzungen kann nur in bestimmten Härtefällen eine Ausnahme gemacht werden.

    In dem hier dargestellten Fall des Bundesverwaltungsgerichts hatte dieses darüber zu entscheiden, ob einer türkischen Staatsangehörigen eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden musste, obwohl sie weder über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache noch über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügte.

    Sachverhalt: Die 1984 geborene Klägerin türkischer Staatsangehörigkeit war im Jahre 2005 im Rahmen des Ehegattennachzugs zu ihrem türkischen Ehemann in die BRD eingereist.

    Im gleichen Jahr erhielt sie erstmals eine Aufenthaltserlaubnis und wurde zugleich zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet. Wegen ihrer Schwangerschaft brach die Klägerin den Integrationskurs dann aber vorzeitig ab.

    Auch nach der Geburt ihres Kindes besuchte sie den Integrationskurs nicht und begründete dies zunächst damit, dass sie ihr Kind betreuen müsse und darüber hinaus eine schlechte Verkehrsanbindung bestehen würde.

    Später teilte sie mit, dass sie auch aufgrund einer erneuten Schwangerschaft und hieraus resultierender Beschwerden erneut nicht an dem Kurs teilnehmen könne.

    Im Februar 2010 erhielt die Klägerin eine weitere Aufenthaltserlaubnis, die bis zum Februar 2012 befristet worden war und den Zusatz enthielt „Erwerbstätigkeit gestattet“.

    Mit Bescheid vom 12.11.2012 lehnte die Ausländerbehörde des Beklagten den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ab, da die Klägerin nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung verfügte.

    Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Der daraufhin angerufene Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

    Gegen dieses letzte Urteil reichte die Klägerin Revision zum Bundesverwaltungsgericht ein.

    Bundesverwaltungsgericht: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs bestätigt und die Revision der Klägerin ebenfalls zurückgewiesen.

    Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz (§ 9 Abs. 2 und § 28 Abs. 2 AufenthG), da sie die hierfür erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache und die Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung nicht nachgewiesen habe.

    Es könne auch nicht ausnahmsweise von der Teilnahme an einem Integrationskurs abgesehen werden, da die von der Klägerin geltend gemachten Hinderungsgründe keinen Härtefall begründen würden.

    Die Klägerin könne sich auch nicht mit Erfolg auf das assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbot (Art. 13 ARB 1/80) berufen, welches neue Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt verbietet.

    Denn die Klägerin habe auch ohne die begehrte Niederlassungserlaubnis bereits wegen ihrer Rechtsstellung als Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers ein assoziationsrechtliches Daueraufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80.

    Danach habe sie Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG, welche ihr dauerhaft auch einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt vermitteln würde.

    Die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 greife nur bei neuen Beschränkungen des Zugangs zum Arbeitsmarkt. Die mittlerweile schärferen Voraussetzungen für einen unbefristeten Aufenthaltstitel (Niederlassungserlaubnis) hätten hier aber keine Auswirkungen auf den Arbeitsmarktzugang der Klägerin.

    Quelle: Bundesverwaltungsgericht

    Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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  4. Ausländerrecht: Neue Gerichtsentscheidung zur Voraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts in Bezug auf die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis

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    Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 30.11.2011, Az.: 8 PA 186/11

    § 9 Abs. 2 regelt die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen der Niederlassungserlaubnis in Deutschland. Gem. § 9 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist die Niederlassungserlaubnis einem Ausländer nur dann zu erteilen, wenn dessen Lebensunterhalt gesichert ist.

    Nach der gesetzlichen Definition in § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers dann gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann.

    Dabei bleiben insbesondere die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Somit bedarf es der positiven Prognose, dass der künftige Lebensunterhalt des Ausländers auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist.

    Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs und des zur Verfügung stehenden Einkommens seit der Änderung des Rechts der Sozial- und Arbeitslosenhilfe vom 1. Januar 2005 bei erwerbstätigen Ausländern im Grundsatz nach den entsprechenden Bestimmungen des SGB II (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 – 1 C 21.09 -, BVerwGE 138, 148, 153 f. m.w.N).

    Erstrebt ein erwerbsfähiger Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zum Zusammenleben mit seinen Familienangehörigen in einer häuslichen Gemeinschaft oder lebt er bereits mit seiner Familie zusammen, so gelten für die Berechnung seines Anspruchs auf öffentliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II grundsätzlich die Regeln über die Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 SGB II.

    Aufenthaltstitel_nach_dem_AufenthaltsG

    Eine isolierte Betrachtung des Hilfebedarfs für jedes einzelne Mitglied der familiären Gemeinschaft scheidet aus. Im Aufenthaltsrecht umfasst daher die Sicherung des Lebensunterhalts bei erwerbsfähigen Ausländern allgemein – und nicht nur für besondere Fallkonstellationen wie den Familiennachzug – den Lebensunterhalt des mit ihm in familiärer Gemeinschaft lebenden Ehepartners und der unverheirateten Kinder bis zum 25. Lebensjahr (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 – 1 C 21.09 -, a.a.O., S. 154; Urt. v. 16.11.2010 – 1 C 20.09 -, BVerwGE 138, 135, 141; Nrn. 2.3.2 f. und 9.2.1.2 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz – AVwV AufenthG – v. 26.10.2009, GMBl. 2009, 877).

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens

    Der ausländische Kläger bezog zuletzt ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt von 546,28 EUR und war nach den unwidersprochenen Angaben des Beklagten zur Sicherung des Lebensunterhalts daneben auf monatliche öffentliche Leistungen in Höhe von circa 1.000,00 EUR angewiesen.

    Kläger konnte wegen schwerbehinderter Tochter und Hüftschaden nicht genug Geld verdienen

    Im Rahmen des Erteilungsverfahrens der Niederlassungserlaubnis machte der Kläger entsprechend der Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG geltend, dass er aufgrund der Pflege seiner schwerbehinderten Tochter nicht zur eigenständigen Lebensunterhaltssicherung in der Lage sei. Ausnahmsweise sei ihm somit die Niederlassungserlaubnis zu erteilen.

    Nach § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG wird von der Erteilungsvoraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG dann abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann.

    Darüber hinaus machte der Kläger geltend, aufgrund eines Hüftschadens an der Aufnahme einer Vollzeittätigkeit gehindert zu sein.

    Urteil des OVG Lüneburg

    OVG Lüneburg sieht Klage als unbegründet an

    Das OVG Lüneburg bestätigte die Ansicht der Vorinstanz, dass die körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen bei dem die Niederlassungserlaubnis beantragenden Ausländer selbst vorliegen müssen und die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 2 S. 6 i. V. m. S. 3 AufenthG auf den hier zur Entscheidung vorliegenden Fall nicht anwendbar sei.

    Auch eine analoge Anwendung des § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG sei daher von vorneherein auf den vorliegenden Fall ausgeschlossen (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.10.2008 – 1 C 34.07 -, NVwZ 2009, 246, 247; OVG Saarland, Beschl. v. 29.1.2008 – 2 D 472/07 -, juris Rn. 11; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 19.10.2007 – 18 A 4032/06 -, juris Rn. 17; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 26.7.2007 – 13 S 1078/07 -, juris Rn. 24; GK-AufenthG, Stand: Oktober 2011, § 9 Rn. 220 f.).

    Atteste würden nicht aussagekräftig die Hinderung an der Vollzeittätigkeit darstellen

    Auch könne aus den durch den Kläger beigebrachten ärztlichen Attesten nicht gefolgert werden, dass der Ausländer an einer Vollzeittätigkeit permanent gehindert sei.

    Aus den ärztlichen Attesten ergäben sich lediglich funktionsbezogene, nicht aber arbeitszeitbezogene Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers.

    Die körperlichen Einschränkungen des Klägers hinderten diesen folglich nicht, eine Vollzeitbeschäftigung aufzunehmen.

    In den ärztlichen Attesten werde auch nicht festgestellt, dass die mit der Erkrankung verbundenen funktionsbezogenen Einschränkungen einen Schweregrad erreichen würden, welcher den Kläger an der Erfüllung seines Lebensunterhaltes hindern würden.

    Quelle: Oberverwaltungsgericht Lüneburg

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