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Tag Archive: Rechtsanwalt Köln Aufenthaltsrecht

  1. Ausländerrecht: Ehegatten eines Unionsbürgers kann bei Scheidung die Aufenthaltskarte entzogen werden

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    VG Augsburg, Urteil vom 18.01.2023, Az.: Au 6 K 22.2179

    Wenn Sie Ehegatte oder eine Ehegattin eines EU Bürgers oder einer EU Bürgerin sind, können Sie selbstverständlich bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen zusammen in Deutschland leben. Voraussetzung dafür ist unter Anderem, dass sie zusammen in der Lage sind, sich selbst zu versorgen und krankenversichert sind.

    Nach 5 Jahren haben Sie zudem die Möglichkeit, eine Daueraufenthaltskarte zu bekommen, so dass Sie dauerhaft berechtigt sind, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Wie sieht es aber aus, wenn Ihr europäische Ehegatte alleine aus Deutschland weggeht oder sich scheiden lässt? Mit einem solchen Fall hatte sich das Verwaltungsgericht Augsburg zu beschäftigen.

    Sachverhalt des Falles:

    Indischer Ehemann war zu seiner rumänischen Ehefrau nach Deutschland gezogen

    Der indische Kläger war Ehegatte einer zunächst im deutschen Bundesgebiet lebenden rumänischen Staatsangehörigen, welche dann am 31.01.2021 aus Deutschland weggezogen war.

    Der Kläger war seiner Ehefrau am 22. Mai 2017 ins Bundesgebiet nachgezogen und hatte am 24. Mai 2017 eine bis zum 23. Mai 2022 befristete Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern erhalten. Am 17. August 2017 war der Kläger in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten gezogen. Nach Informationen der Krankenversicherung war der Kläger vom 1. Oktober 2018 bis 1. September 2020, daneben vom 25. Mai 2020 bis 3. Juli 2020, sowie erneut vom 14. September 2020 bis zum Datum der Bestätigung der Rentenversicherung am 10. Januar 2022 erwerbstätig.

    Die Ehefrau war nur kurz in Deutschland erwerbstätig und zog nach einigen Jahren weg und ließ sich scheiden

    Mit Antrag vom 25. April 2022 hatte der Kläger beim Beklagten die Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte beantragt und seinen Familienstand als seit dem Jahr 2021 getrennt lebend angegeben.

    Im Mai 2022 hatte sich der Kläger von seiner rumänischen Ehefrau scheiden lassen.

    Ausländerbehörde verweigerte Daueraufenthaltskarte und forderte den Kläger zur Ausreise auf

    Mit Schreiben vom 31.10.2022 lehnte der Beklagte die Erteilung der Aufenthaltskarte ab und forderte den Kläger auf, dass Bundesgebiet zu verlassen. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass die Ehefrau nach der Einreise des Klägers im Jahr 2017 keiner Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mehr nachgegangen sei und daher nach spätestens sechs Monaten keine Freizügigkeitsberechtigung mehr innegehabt habe.

    Zwar sei der Kläger selbst ab dem 1. Oktober 2017 erwerbstätig gewesen, doch sei seine Ehefrau als nichterwerbstätige Unionsbürgerin weder über den Kläger noch sonst eigenständig familienversichert oder sonst krankenversichert gewesen. Für sie habe nur vom 5. August 2015 bis 5. Oktober 2016 ein Versicherungsschutz bestanden. Daher habe sie als nichterwerbstätige Unionsbürgerin keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU für einen Fortbestand eines Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet nachgewiesen und sei daher nicht mehr freizügigkeitsberechtigt gewesen. Da der Kläger zwar seine Ehefrau begleitet habe oder ihr nachgezogen sei, sie selbst jedoch nicht mehr freizügigkeitsberechtigt gewesen sei, habe auch der Kläger lediglich für die ersten sechs Monate nach der Einreise, also vom 22. Mai 2017 bis 22. November 2017, ein abgeleitetes Recht auf Einreise und Aufenthalt innegehabt.

    Somit habe der Kläger auch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU erlangt. Vielmehr habe er sich lediglich die ersten sechs Monate nach seiner Einreise mit einem Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet aufgehalten. Zudem sei mit der Ausreise seiner Ehefrau am 31. Januar 2021 die eheliche Lebensgemeinschaft endgültig aufgelöst und auch der unionsrechtliche Zusammenhang für ein Zusammenleben (Nachziehen oder Begleiten eines Unionsbürgers) durch die Beendigung des Aufenthalts der Ehefrau im Bundesgebiet zerrissen.

    Gegen den Ablehnungsbescheid klagte der Kläger beim Verwaltungsgericht Augbsurg.

    Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg

    VG Augsburg bestätigte Entscheidung der Ausländerbehörde

    Das Verwaltungsgericht Augsburg folgte der Ansicht der Ausländerbehörde und urteilte nun, dass dem Kläger die Aufenthaltskarte zu Recht nicht zu erteilen war und auch der Entzug des bisherigen Aufenthaltsrechts rechtmäßig war.

    Nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU könne der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt werden, wenn die Voraussetzungen dieses Rechts innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind oder nicht vorliegen; § 4a Abs. 6 FreizügG/EU gilt entsprechend (§ 5 Abs. 4 Satz 2 FreizügG/EU).

    Dabei könne eine Verlustfeststellung nicht nur getroffen werden, wenn das Freizügigkeitsrecht ursprünglich bestanden hat und später entfallen ist, sondern auch dann, wenn die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU zu keinem Zeitpunkt bestanden haben (vgl. BayVGH, U.v. 18.7.2017 – 10 B 17.339 – juris Rn. 24). Die Fünfjahresfrist beziehe sich darauf, dass nach Ablauf eines rechtmäßigen fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalts im Bundesgebiet ein Daueraufenthaltsrecht erworben wird. Die Möglichkeit zur Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU würde demnach mit dem Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22/14 – NVwZ-RR 2015, 910 juris Rn. 16) erlöschen.

    Wegen Arbeitslosigkeit hatte die Ehefrau (und damit auch der Kläger) die Freizügigkeit verloren

    Die von der rumänischen Ehefrau abgeleitete Freizügigkeit sei nach dem Gericht bereits deswegen erloschen, weil die Ehefrau des Klägers lediglich vom 5. August 2015 bis 5. Oktober 2016 eine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe und dadurch durch die Erwerbslosigkeit ihre eigene Freizügigkeit verloren habe.

    Zwar sind nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 Satz 1 FreizügG/EU Unionsbürger auch losgelöst von einer Erwerbstätigeneigenschaft oder sonstiger wirtschaftlicher Tätigkeit freizügigkeitsberechtigt, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz sowie ausreichende Existenzmittel verfügen.

    Da die Ehefrau aber im Zeitpunkt der Einreise des Klägers weder einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz noch die erforderlichen Existenzmittel im Sinne des § 4 FreizügG/EU besessen habe, sei sie nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 Satz 1 FreizügG/EU im Zeitpunkt seiner Einreise nicht freizügigkeitsberechtigt gewesen.

    Die Scheidung und der Wegzug der Ehefrau sei ebenfalls ein Grund für den Verlust der Freizügigkeit

    Schließlich habe der Kläger auch kein fortwirkendes Aufenthaltsrecht nach einer Scheidung von der Unionsbürgerin nach § 3 Abs. 4 FreizügG/EU erlangt. Zwar hat die geschlossene Ehe bis zur Scheidung insgesamt mehr als drei Jahre und im Bundesgebiet mindestens ein Jahr gedauert. Doch sei die Ehefrau bereits ab dem 5. Oktober 2016, jedenfalls aber vor Ablauf von einem Jahr Eheleben im Bundesgebiet, nicht mehr selbst freizügigkeitsberechtigt gewesen, so dass ihr Zusammenleben mit dem Kläger – verstanden als gleichzeitige, nicht notwendig gemeinsame Lebensführung beider Ehegatten im Bundesgebiet (vgl. EuGH, U.v. 16.7.2015 – C-218/14 – NVwZ 2015, 1431/1432 Rn. 54 ff.; BVerwG, U.v. 28.3.2019 – 1 C 9.18 – InfAuslR 2019, 277 ff.) – diesem keine abgeleitete Rechtsstellung als Familienangehöriger eines freizügigkeitsberechtigten Ehegatten mehr vermittelt habe.

    Zudem sei sie bereits zum 31. Januar 2021 und damit mehr als ein Jahr vor dem am 21. Februar 2022 zugestellten Scheidungsantrag und erst recht vor der vollzogenen Scheidung endgültig aus dem Bundesgebiet fortgezogen. Der Scheidungsantrag erfolgte somit auch nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach Wegzug des Unionsbürgers (vgl. EuGH, U.v. 2.9.2021 – C-930/19 – NVwZ-RR 2022, 66 ff. Rn. 30, 44).

    Auch die persönliche Situation des Klägers würde nicht gegen die Entscheidung sprechen

    Der Beklagte habe bei der Verlustfeststellung die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Deutschland, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen in seine Entscheidung einbezogen und vertretbar gewichtet. Insbesondere habe er die Aufenthaltszeiten des Klägers im Bundesgebiet und dessen zwar wirtschaftliche, aber sonst nicht besonders schutzwürdigen persönlichen Bindungen angemessen gewürdigt. Durchgreifende Änderungen zu dieser Ermessensbegründung des Beklagten hätten sich auch im gerichtlichen Verfahren nicht ergeben.

    Die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts des Klägers sei auch mit Blick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig.

    Nach Völkerrecht sei ein Staat berechtigt, die Einreise von Ausländern in sein Staatsgebiet und ihren Aufenthalt zu regeln. Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiere keinem Ausländer das Recht, in ein bestimmtes Land einzureisen und sich dort aufzuhalten und die Mitgliedstaaten sind befugt, in Erfüllung ihrer Aufgabe, die öffentliche Ordnung zu gewährleisten, einen Ausländer auszuweisen, der wegen Straftaten verurteilt worden ist. Dies erfordere, dass die Aufenthaltsbeendigung gesetzlich vorgesehen ist, also auf einer dem Betroffenen erkennbaren Rechtsgrundlage beruhe, und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, also durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und im Einzelfall verhältnismäßig sei.

    Für den Kläger sei der Schutzbereich des Art. 8 EMRK hinsichtlich seines Privatlebens als Gesamtheit der sozialen Bindungen zwischen niedergelassenen Ausländern und der Gesellschaft, in der sie leben, eröffnet, da der im Bundesgebiet weitgehend bindungslose Kläger seit dem 22. Mai 2017 mit Wohnsitz in Deutschland gemeldet sei, sich seither durchgehend in Deutschland tatsächlich aufhalte und so den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen von mehr als fünf Jahren hier habe. Ein Familienleben hingegen bestünde seit der Trennung der Eheleute nicht mehr.

    Quelle: Verwaltungsgericht Augsburg

    Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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  2. Ausländerrecht: Das Chancenaufenthaltsrecht soll Geduldeten einmalig die Chance zur langfristigen Integration eröffnen

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    Durch die Einführung des § 104c AufenthG besteht seit dem 31.12.2022 eine neue Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten – das Chancenaufenthaltsrecht.

    Profitieren können von der neuen Regelung Ausländer, die am 31.10.2022 seit mindestens 5 Jahren geduldet oder gestattet in Deutschland gelebt haben. Die Aufenthaltserlaubnis wird dann befristet auf 18 Monate erteilt. Dieser Zeitraum soll einmalig die Chance eröffnen, im Rahmen eines sicheren Aufenthalts alle Voraussetzungen zur Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 a oder § 25 b AufenthG zu erfüllen. Geschieht dies nicht, fällt die Person nach Ablauf der 18 Monate wieder in den vorherigen Status zurück.

    Die Voraussetzungen nach § 5 AufenthG, wie ein gesicherter Lebensunterhalt, die Klärung der Identität oder die Pflicht einen gültigen Pass zu haben müssen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG nicht erfüllt sein – vielmehr sollen die 18 Monate dazu dienen, gerade Aspekte wie diese zu klären.

    Nach Abs.2 können auch minderjährige, ledige Kinder, Ehegatten oder Lebenspartner die mit dem Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 107c Abs.1 AufenthG in häuslicher Gemeinschaft leben die Aufenthaltserlaubnis beantragen.

    Die konkreten Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG sind der dauerhafte geduldete, gestattete oder durch eine Aufenthaltserlaubnis gewährte Aufenthalt in der Bundesrepublik seit mindestens 5 Jahren zum 31.10.2022 und die Bekennung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik. Der Antragstellende darf zudem nicht wegen einer im Bundesgebiet vorsätzlich begangenen Straftat verurteilt worden sein, mit Ausnahme von Verurteilungen von nicht mehr als 50 Tagessätzen oder nicht mehr als 90 Tagessetzen für Straftaten nach dem AufenthG oder AsylG die nur von Ausländern begangen werden können, oder Verurteilungen nach dem Jugendstrafrecht mit Ausnahme der Verhängung von Jugendstrafe. Er darf zudem nicht wiederholt falsche Angaben gemacht oder über seine Identität getäuscht und dadurch kausal seine Abschiebung verhindert haben.

    Notwendig ist zudem gemäß § 81 Abs.1 AufenthG die Stellung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Dieser Antrag muss keine Angabe der Norm enthalten, auf deren Grundlage die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll. Dies führt dazu, dass bereits jetzt Gerichte mit der Anwendung des § 104c AufenthG befasst sind, so zum Beispiel das Verwaltungsgericht Schwerin (Urteil vom 24.01.2023 I A 1110/21 SN). Zwar hatte der bereits seit 2015 geduldet in Deutschland lebende, aus Mauretanien stammende Kläger den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bereits im September 2020 gestellt, das Gericht legte diesen jedoch so aus, dass sie sich nicht auf eine bestimmte Anspruchsgrundlage beziehe. Das Gericht gab der Klage auf Grundlage des § 104c AufenthG statt.

    • 104c AufenthG ist eine Soll-Vorschrift, bei Vorliegen der Voraussetzungen ist daher in der Regel die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Bei Vorliegen atypischer Umstände ist jedoch ausnahmsweise nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.

    Während die Neuregelung für viele Menschen die Möglichkeit bietet, eine bereits lang bestehende Duldung zu beenden und einen Aufenthaltstitel zu erhalten, lassen sich auch problematische Aspekte erkennen. So führt die Stichtagsregelung etwa dazu, dass Personen, die kurze Zeit später die Voraussetzungen für die Visumserteilung erfüllen, davon nicht mehr profitieren können, ohne, dass sie dies beeinflussen könnten. Zudem werden Fragen der Sicherung des Lebensunterhalts oder der Klärung der Identität lediglich zeitlich nach hinten verschoben. Während der Zeit des gesicherten Aufenthaltes wird dies in vielen Fällen jedoch leichter möglich sein als während des lediglich geduldeten oder gestatteten Aufenthalts.

    Quellen:

    1. VG Schwerin, Urteil vom 24.01.2023, Az.: I A 1110/21 SN
    2. Nachtigall: Chancen-Aufenthaltsrecht – Tatsächliche Chance für Geduldete? ZRP 2022, 184

     

  3. Ausländerrecht: Stillhalteklausel des Assoziierungsabkommens Türkei – EWG ermöglicht türkischem Kind den Aufenthalt

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    Verwaltungsgericht Darmstadt, 18.12.2013, Az.: 5 K 310/12.DA

    Am 12.09.1963 unterzeichneten die Türkei und die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ein Assoziierungsabkommen, mit welchem die Türkei näher an die europäischen Staaten herangeführt werden sollte, um schlussendlich einen Beitritt der Türkei zu ermöglichen.

    Dieser völkerrechtliche Vertrag wurde nachfolgend durch weitere Protokolle und Beschlüsse ergänzt.

    Um die Beschäftigung und die Freizügigkeit der bereits in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen türkischen Arbeitnehmer und ihrer Angehörigen zu regeln, wurde das Assoziierungsabkommen am 19.09.1980 durch den Beschluss 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei ergänzt.

    Eine besondere Bedeutung kommt bei diesem Beschluss der so genannten Stillhalteklausel des Artikels 13 ARB 1/80 zu. Diese Stillhalteklausel verbietet den Vertragsstaaten vor dem Hintergrund des Ziels einer Annäherung bzw. eines späteren Beitritts der Türkei zur Europäischen Union (EU) die Einführung „neuer Beschränkungen“ in Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, wovon nach der Rechtsprechung des EuGH insbesondere auch aufenthaltsrechtliche Regelungen umfasst sind.

    In der oben genannten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Darmstadt hatte dieses darüber zu entscheiden, ob das türkische Kind einer abgelehnten Asylbewerberin und eines aufenthaltsberechtigten türkischen Arbeitnehmers bis zum Erreichen des 16. Lebensjahres einen Aufenthaltstitel benötigte.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens

    Ausländerbehörde hatte Aufenthaltstitel für türkisches Kind wegen fehlender Unterhaltssicherung abgelehnt

    Der Vater des Kindes war türkischer Arbeitnehmer und lebte seit dem Jahre 1994 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die Mutter war im Jahre 2009 eingereist und hatte einen Asylantrag gestellt, welcher abgelehnt worden war.

    Das am 2011 in Worms geborene Kind besaß einen türkischen Nationalpass. Die Ausländerbehörde lehnte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab, weil der Lebensunterhalt des Kindes nicht durch das Einkommen des Vaters gedeckt sei.

    Entscheidung des Verwaltungsgerichts Darmstadt

    VG urteilt, dass das Kind noch nicht einmal einen Aufenthaltstitel benötige

    Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat nun entschieden, dass das Kind aufgrund der Rechtslage aus dem Jahr 1990 bis zum Erreichen des 16. Lebensjahres keinen Aufenthaltstitel benötige.

    Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts habe das Kind einen Anspruch auf die Feststellung, dass es sich aufgrund des Befreiungstatbestandes des § 2 Abs. 2 DV AuslG 1990 rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte.

    Denn nach dem damals geltenden Recht bedurften türkische Staatsangehörigen unter 16 Jahren, die einen Nationalpass oder einen als Passersatz zugelassenen Kinderausweis besaßen, keiner Aufenthaltsgenehmigung, solange ein Elternteil eine Aufenthaltsgenehmigung besaß.

    Die alte Rechtslage sei auf den Fall anzuwenden, weil sich das türkische Kind auf eine Regelung aus dem Assoziierungsabkommen mit der Türkei berufen könne.

    Nach Art 13 1/80 dürften keine Einschränkungen hinsichtlich des Zugangs zum Arbeistmarkt gemacht werden

    Nach Art. 13 des Beschlusses des Assoziationsrates 1/80 dürften die Mitgliedsstaaten der EU und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß seien, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

    Art. 13 ARB 1/80 verbiete damit die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen, die bezweckten oder bewirkten, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen würden, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung in dem betreffenden Mitgliedstaat galten. Erfasst würden durch diese Stillhalteklausel auch sämtliche Regelungen, die Aufenthaltsrechte als Voraussetzung des Zugangs zum Arbeitsmarkt einschränkten bzw. ihren Erwerb erschwerten.

    Mit anderen Worten: Die Stillhalteklausel solle einen zwischen den Mitgliedsstaaten und der Türkei einmal erreichten Rechtsstandard losgelöst vom Einzelfall auf (mindestens) diesem Niveau fixieren und für die Zukunft gegenüber neuen Beschränkungen veränderungsfest machen.

    Das türkische Kind unterfalle der Stillhalteklausel

    Das türkische Kind unterfalle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts dieser Stillhalteklausel, weil es sich aufgrund seiner Geburt rechtmäßig und damit ordnungsgemäß im Bundesgebiet aufhalte.

    Der mit der Geburt im Bundesgebiet einhergehende rechtmäßige Aufenthalt sei nicht nur eine vorläufige, verfahrensrechtliche Rechtsposition. Eine derartige verfahrensrechtliche Rechtsstellung wäre nicht ausreichend, um einen ordnungsgemäßen Aufenthalt i.S.d. Art. 13 ARB 1/80 zu begründen.

    Durch den rechtmäßigen Aufenthalt nach der Geburt habe der Gesetzgeber der besonderen Beziehung zwischen dem Kleinkind und der Mutter unmittelbar nach der Geburt im Interesse der Familieneinheit und zur Aufrechterhaltung der nach Art. 6 Abs. 1 GG besonders geschützten Kind-Eltern-Beziehung Rechnung tragen wollen.

    Diene der rechtmäßige Aufenthalt des Kindes nicht der verfahrensrechtlichen Sicherstellung des Aufenthaltsrechts bis zu einer Entscheidung über den Aufenthaltsstatus des Kindes, sondern dem Schutz der besonderen Beziehung zwischen den Eltern und dem Kleinkind unmittelbar nach der Geburt im Interesse der Gewährung der Familieneinheit und zur Aufrechterhaltung der nach Art. 6 Abs. 1 GG besonders geschützten familiären Betreuungsgemeinschaft, so handele es sich um ordnungsgemäßen Aufenthalt i.S.d. Art. 13 ARB 1/80.

    Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Verwaltungsgericht hat die Berufung zum VGH Kassel und die Sprungrevision an das BVerwG zugelassen.

    Quelle: Verwaltungsgericht Darmstadt

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  4. Asylrecht: Handlungsmöglichkeiten des Asylbewerbers nach unanfechtbarer Ablehnung des Asylerstantrages

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    Ist das Asylverfahren durch unanfechtbare Ablehnung des Asylantrages abgeschlossen, hat der Asylbewerber grundsätzlich zwei Möglichkeiten, um ein neues Verfahren in Gang zu setzen.

    Zum einen kann der Asylbewerber einen sogenannten Asylfolgeantrag stellen, zum Anderen kann ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gestellt werden.

    I.)           Asylfolgeantrag

    Der Asylfolgeantrag ist in § 71 AsylG geregelt und auf die Anerkennung als Asylberechtigter oder als Flüchtling gerichtet (§71 Abs.1 S.1 AsylG i.V.m.§13 Abs.1 AsylG).

    Gem. § 71 Abs. 1 AsylG ist ein weiteres Asylverfahren allerdings nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 – 3 VwVfG (Verwaltungsverfahrensgesetz) vorliegen.

    Das VwVfG regelt das Verwaltungsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland.

    Gemäß § 51 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes (im Falle des Asylverfahrens ist dies die Ablehnung des Asylerstantrages) zu entscheiden, wenn

    1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;

    2. neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;

    3. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

    Vereinfacht gesagt, kann ein Asylfolgeantrag somit nur dann Erfolg haben, wenn neue Gründe, neue Dokumente oder neue Beweise für asylrelevante Tatsachen gegeben sind.

    Gem. § 51 Abs. 2 VwVfG ist der Asylfolgeantrag des Weiteren nur dann zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

    Darüber hinaus muss der Asylfolgeantrag gem. § 51 Abs. 3 VwVfG binnen drei Monaten ab dem Tage gestellt werden, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

    An den Asylfolgeantrag werden somit sowohl vom Gesetzgeber als auch von der Rechtsprechung strenge Anforderungen gestellt.

    Der Asylfolgeantrag ist persönlich bei der Asylaußenstelle zu stellen, bei der auch der Erstantrag gestellt wurde.

    Zu beachten ist, dass dem Antragsteller eines Asylfolgeantrages bei Stellung des Antrages Abschiebungshaft drohen kann.

    Gem. § 58 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ist ein Ausländer nämlich zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Abschiebungshaft zu nehmen, wenn er aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist. Dies ist bei Asylfolgeantragstellern regelmäßig der Fall.

    Die Stellung eines Asylfolgeantrages führt nicht dazu, dass der Aufenthalt gem. § 55 Abs. 1 S. 1 AsylG gestattet ist. Allerdings führt die Stellung des Asylfolgeantrages regelmäßig dazu, dass der Antragsteller gem. § 60a AufenthG geduldet wird.

    Gem. § 60a Abs. 2 AufenthG ist die Abschiebung nämlich aus rechtlichen Gründen solange untersagt, bis das BAMF eine Mitteilung darüber gegeben hat, dass das Asylfolgeverfahren nicht durchgeführt wird.

    Teilt das BAMF mit, dass aufgrund des Asylfolgeantrages ein neues Verfahren aufgenommen wird, kann dieses wiederum zu einer neuen Aufenthaltsgestattung führen.

    2.)          Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens

    Wie bereits erwähnt kann es im Asylverfahren auch unabhängig von einem Asylfolgeantrag zu einem „Wiederaufgreifen des Verfahrens“ kommen.

    In diesem Fall muss das BAMF gem. § 51 Abs.5 VwVfG i. V. m. den §§ 48, 49 VwVfG auf dem Ermessenswege entscheiden, ob es seine Entscheidung zugunsten des Betroffenen ändert.

    Der Vorteil an diesem Wiederaufgreifen des Verfahrens ist, dass der dahingehende Antrag auch nach Ablauf von drei Monaten gestellt werden kann.

    Im Gegensatz zum Asylfolgeantrag ist der Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens allerdings nur zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG möglich. Das Ziel der Flüchtlingsanerkennung kann dadurch nicht erreicht werden.

    Wenn allerdings die Voraussetzungen des § 60 Abs.2, 3, 5 oder 7 AufenthG gegeben sind, hat das BAMF das Verfahren wieder aufzugreifen, da das Ermessen des BAMF insofern auf Null reduziert ist.

    Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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