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Tag Archive: Rechtsanwalt Köln Abschiebung

  1. Ausländerrecht: Abschiebungsverbote wegen humanitärer Gründe

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    Verwaltungsgericht Bayreuth, Urteil v. 17.06.2020, Az.: B 7 K 20.30314

    Bei der Stellung eines Asylantrags entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darüber, welcher Schutzstatus dem Antragsteller zuerkannt wird: die Asylberechtigung, die Flüchtlingseigenschaft, der subsidiäre Schutz, oder aber ein Abschiebeverbot wird festgestellt. Im Falle des Abschiebeverbots ist zu begründen, inwiefern im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche konkrete individuelle Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Durch die Corona Pandemie stellt sich die Frage, inwieweit diese als solch eine Gefahr betrachtet werden kann und somit Abschiebeverbote festgestellt werden können, da das ansteckende Virus auch tödliche Folgen haben kann.

    In dem vorliegenden Fall erhob der Antragsteller nach Verneinung aller Schutzstatus durch das BAMF eine Klage und beantragte die Feststellung eines Abschiebeverbots für Äthiopien, indem vor allem auf die Pandemielage verwiesen wurde. Das Verwaltungsgericht wies die zulässige Klage als unbegründet ab, da im Falle Äthiopiens die humanitäre Lage die Voraussetzungen eines Abschiebeverbots – auch trotz Corona-Virus – nicht erfülle.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens

    Asylantrag eines äthiopischen Staatsangehörigen war abgelehnt worden

    Der Kläger war äthiopischer Staatsangehöriger mit oromischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit. Er wurde 2016 in der Bundesrepublik D. geboren. Durch die Antragsfiktion des § 14a Abs. 2 AsylG wurde am 10.01.2017 ein Asylantrag für den Kläger als gestellt erachtet.

    Das BAMF lehnte den Asylantrag des Vaters des Klägers mit Bescheid vom 28.03.2017 vollumfänglich ab. Gegen den ablehnenden Bescheid wurde eine Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht anhängig. Die Asylanträge der Mutter und des älteren Bruders des Klägers wurden von der Beklagten mit Bescheid vom 16.03.2017 abgelehnt. Gegen die Ablehnungen wurde ebenfalls eine Klage beim Verwaltungsgericht anhängig. Auch der Asylantrag des jüngeren Bruders des Klägers wurde mit Bescheid vom 31.08.2018 abgelehnt. Auch insoweit war eine Klage anhängig.

    Mit Schreiben vom 06.07.2017 wurde die Mutter des Klägers aufgefordert, schriftlich zu den eigenen Asylgründen des Klägers Stellung zu nehmen. Die Mutter des Klägers gab im Rahmen ihrer eigenen Anhörung am 02.03.2017 an, ihre Kinder hätten die gleichen Asylgründe wie sie.

    Mit Bescheid vom 14.09.2017 lehnte die Beklagte die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1) und den Antrag auf Asylanerkennung (Ziffer 2) ab. Der subsidiäre Schutzstatus wurde nicht zuerkannt (Ziffer 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Dem Kläger wurde die Abschiebung nach Äthiopien angedroht (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6).

    BAMF sah keine individuelle Verfolgung des Klägers

    Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, der Kläger sei kein Flüchtling i.S.d. § 3 AsylG. Es keine individuelle Verfolgung geltend gemacht worden. Vielmehr sei nur auf die Gründe der Mutter verwiesen worden. Eine Vorverfolgung könne angesichts der Tatsache, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren worden sei und sich zu keiner Zeit im Herkunftsland der Mutter aufgehalten habe, auch nicht vorliegen. Eine positive Entscheidung im Rahmen des § 26 AsylG, durch welche Familienangehörige wie minderjährige Kinder den Schutzstatus der stammberechtigten Person (hier die Mutter) ableiten können, habe ebenfalls nicht ergehen können, da der Asylantrag der Mutter des Klägers abgelehnt wurde.

    Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gem. Art. 16 a Abs. 1 GG seien nicht gegeben gewesen, da nicht einmal der weitergefasste Schutzbereich des § 3 AsylG einschlägig gewesen war.

    Auch ein subsidiärer Schutz wurde nicht zuerkannt

    Subsidiärer Schutz sei nicht zu gewähren. Ein dem Kläger drohender Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 AsylG sei weder geltend gemacht worden noch ergäbe sich ein solcher aus dem gesamten Sachverhalt. Eine Gefahr i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 3 bestand im Falle Äthiopiens nicht.

    Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG lägen nicht vor. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bewertet werden. Selbst unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Die Mutter des Klägers habe seit ihrem zwölften Lebensjahr immer wieder bei ihrem Onkel gelebt und sich dort in festen sozialen Strukturen befunden. Es sei davon auszugehen, dass die Mutter des Klägers und der Kläger familiären Rückhalt in Äthiopien erfahren werden. Zudem sei die Mutter des Klägers jung und im erwerbsfähigen Alter, so dass zu erwarten sei, dass diese den Lebensunterhalt für sich und den Kläger sichern könne.

    Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG seien weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.

    Gegen die negative Entscheidung reichte der Kläger Klage ein

    Mit Schriftsatz vom 19.09.2017 erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage und beantragte zunächst, den Bescheid der Beklagten vom 14.09.2017 aufzuheben (1.) und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, hilfsweise den subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen (2.).

    In der mündlichen Verhandlung fand eine teilweise Rücknahme der Verpflichtungsanträge statt, zuletzt wurde jedoch noch beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ein nationales Abschiebungsverbot nach §60 Abs. 5 und 7 AufenthG beim Kläger festzustellen. Dies sollte unter Aufhebung der Ziffern 4 bis 6 des Bescheids des BAMF vom 14.09.2017 erfolgen.

    Am 2.10.2017 beantragte die Beklagte die Klage abzuweisen.

    Das Verwaltungsgericht Bayreuth wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 02.04.2020 ab, woraufhin der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 28.04.2020 die Durchführung der mündlichen Verhandlung beantragte.

    Zur Begründung trug der Klägerbevollmächtigte im Wesentlichen vor, eine Entscheidung der Beklagten bezüglich des Asylantrages sei verfrüht, da die Verfahren der Eltern und der Geschwister des Klägers noch beim zuständigen Verwaltungsgericht anhängig seien. Aufgrund dieser Anhängigkeit könne eine Prüfung hinsichtlich eines Familienasyls bzw. der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht wahrgenommen werden. Im Übrigen handelte es sich beim Kläger um ein dreijähriges Kind, das von den Eltern abhängig sei. Eine Trennung von den Eltern und den Geschwistern sei nicht möglich, so dass insbesondere die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Betracht komme, sofern hinsichtlich der Eltern bzw. der Geschwister ein solches Abschiebungsverbot durch Gerichte festgestellt werde. Die Entscheidungspraxis des Verwaltungsgerichts, bei dem die Klageverfahren der Geschwister und der Eltern anhängig seien, ging dahin, dass man äthiopischen Staatsangehörigen aufgrund der Corona-Pandemie und der schwierigen Versorgungslage Abschiebungsverbote zubillige.

    Mit Beschluss der Kammer vom 30.03.2020 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

    Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth

    Gericht sah ebenfalls keine Probleme wegen Corona-Pandemie und Heuschreckenplage

    Das VG Bayreuth wies die Klage als zulässig, aber unbegründet ab.

    Zur Begründung trug es vor, dass der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG hatte. Die Abschiebungsandrohung sowie die Entscheidung der Beklagten nach § 11 AufenthG war ebenfalls nicht zu bestanden (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

    Zunächst führte das VG Bayreuth an, dass ein nationales Abschiebungsverbot nach §60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht festzustellen war.

    Soweit der Kläger auf die schlechten Lebensbedingungen im Herkunftsland, insbesondere infolge der „Corona-Pandemie“ und der „Heuschreckenplage“, verweisen würde, führe dieser Vortag nicht zur Verpflichtung der Beklagten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.

    Abschiebungsverbot nur dann, wenn konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestünde

    Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Fehlt eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, kann ein Ausländer im Hinblick auf die (allgemeinen) Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – juris; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris; VG Würzburg, GB v. 11.5.2020 – 8 K 20.50114 – juris).

    Unsichere wirtschaftlich schlechte Lage begründet kein Abschiebungsverbot

    Die allgemein unsichere oder wirtschaftlich schlechte Lage im Zielstaat infolge von Hungersnöten, Naturkatastrophen oder Epidemien – und damit auch infolge der Verbreitung des Corona-Virus bzw. der massiven Ausbreitung der Heuschrecken in Äthiopien – seien nur Gründe für Gefahren allgemeiner Art nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, weil ihr die gesamte Bevölkerung oder eine ganze Bevölkerungsgruppe des betroffenen Landes (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) ausgesetzt ist (vgl. Kluth/Heusch in: BeckOK AuslR, § 60 AufenthG, Rn. 38 ff., 45).

    Für das Gericht war auch nicht ersichtlich gewesen, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Äthiopien einer Extremgefahr im vorstehenden Sinne, die die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung einschränken könnte, ausgesetzt wäre.

    Weder aus den Darlegungen des Klägerbevollmächtigten noch aufgrund anderweitiger Erkenntnisse konnte aus Seiten des Gerichts geschlossen werden, dass der Kläger als Kleinkind – ohne bekannte bzw. dargelegte Vorerkrankungen – aufgrund der Verbreitung des Corona-Virus (auch) in Äthiopien bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wäre. Bei Zugrundelegung der gegenwärtigen Erkenntnisse über die Verbreitung des Corona-Virus in Äthiopien und des damit bestehenden Ansteckungsrisikos bestehe keine beachtliche Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Verlaufs der Erkrankung für die Personengruppe, die der Kläger angehöre, geschweige denn eine Extremgefahr im vorstehenden Sinn. Äthiopien ist eine der am wenigsten betroffenen Nationen im Osten Af. (Horn von Af.) im Vergleich zur Rate des COVID-19-Fallwachstums und der Infektionen der Nachbarländer. Nach den bisherigen Erkenntnissen zu Covid-19 kam es zudem bei der weit überwiegenden Anzahl der Erkrankten zu einem milden bis moderaten Verlauf, der größtenteils nicht einmal eine medizinische Versorgung erforderte. Nur eine äußerst geringe Anzahl der Erkrankten geriet in einen kritischen Zustand. Das größte Risiko für einen schweren Verlauf bestehe bei Personen im Alter von über 60 Jahren und bei Personen mit Vorerkrankungen (vgl. hierzu ausführlich VG Würzburg, GB.v. 24.3.2020 – 10 K 19.50254 – juris).

    Daneben gab es keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Versorgungslage in Äthiopien – auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen und Verschärfungen durch die Corona-Pandemie und die Heuschreckenplage – gegenwärtig derart desolat wäre, dass der Klägerin dort der Hungertod oder schwerste Gesundheitsschäden in Folge von Mangelernährung drohten (vgl. hierzu DW, Wie Ostafrika eine Heuschreckenplage bekämpft – inmitten einer Pandemie; Aus Politik und Zeitgeschichte: Am Ende kann nur Gott uns helfen. Das Coronavirus in Ä.). Auch aus den in der mündlichen Verhandlung eingeführten Quellen (vgl. hierzu insbesondere auch WFP EAST AFRICA – Update on the Desert Locust Outbreak) ergab sich eine solche Zuspitzung der Situation in Äthiopien im aktuellen Zeitpunkt nicht. Im Rahmen der vom Gericht zu treffenden Prognoseentscheidung war davon auszugehen, dass die Eltern des Klägers in Äthiopien das absolute Existenzminimum für sich und ihre Kinder sichern konnten. Die Eltern des Klägers seien jung, gesund und erwerbsfähig. Sie verfügten für äthiopische Verhältnisse über eine solide Schulbildung und haben einen eigenen Laden in Ä. besessen. Es war nicht ersichtlich gewesen, dass die Eltern des Klägers an diese Verhältnisse nicht anknüpfen könnten. Der Vater des Klägers hatte zudem beim Onkel in der Mühle gearbeitet, so dass er schon insoweit erleichterten Zugang zu einer Erwerbstätigkeit gehabt haben dürfte. Im Übrigen seien sie auf sämtliche Erwerbstätigkeiten – auch auf schlichte Hilfstätigkeiten – zu verweisen. Dem stand entgegen, dass der Kläger mittlerweile zwei Geschwister hatte. Familien mit drei Kindern seien für äthiopische Verhältnisse keine Seltenheit, sondern eher der Regelfall. Auch diesen Familien gelingt es, ihre Existenz in Äthiopien zu sichern. Selbst wenn die Mutter des Klägers wegen der Erziehung der Kinder keiner Erwerbstätigkeit nachgehen könnte, sei jedenfalls der Vater des Klägers in der Lage, das notwendige Existenzminimum für die Kernfamilie zu erwirtschaften. Der Prognose einer gemeinsamen Rückkehr der gesamten Kernfamilie stand auch nicht entgegen, dass – jedenfalls nach Aktenlage – die Mutter des Klägers zwischenzeitlich einmal kurzzeitig vom Ehemann/Vater getrennt gelebt haben dürfte. Nach Auskunft der Regierung von Oberfranken lebte die Familie inzwischen (wieder) als Familie (Eltern und drei Kinder) in Bayreuth zusammen. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte – insoweit wurde weder vom Bevollmächtigen des Klägers etwas vorgetragen, noch hatten es die Eltern des Klägers für notwendig gehalten, persönlich zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen – war daher davon auszugehen, dass die Familie als gesamte Kernfamilie in die Heimat zurückkehren werde. Im Übrigen verfügte der Kläger über verwandtschaftlichen Rückhalt, der ihn und seine Eltern/Geschwister in Äthiopien unterstützen konnte. Die Mutter des Klägers hatte zwar keine Mutter mehr – und selbst wenn sie auf ihren Vater nicht zurückgreifen könnte, welches das Gericht so für nicht glaubhaft hielt -, verfügte sie jedenfalls noch über zwei Brüder, zwei Schwestern, drei Tanten und vier Onkel in der Heimat. Sie erklärte zudem beim Bundesamt, die Geschwister und Verwandten würden (auch) in Ar. leben. Der Vater des Klägers erklärte gegenüber dem Bundesamt, er habe noch einen Bruder, zwei Schwestern, vier Tanten und sieben Onkel sowie dass seine Geschwister und seine Verwandten in Adama lebten. In der heutigen Zeit, insbesondere aufgrund der Vernetzung über soziale Netzwerke, erschien es dem Gericht auch möglich und wahrscheinlich, dass die Eltern des Klägers auf ihre Verwandten zurückgreifen konnten. Gegenteiliges wurde auch von der Klägerseite nicht vorgetragen. Selbst wenn in letzter Zeit kein oder kaum Kontakt zu Verwandten in die Heimat bestanden hatte, sei der Kontakt zu diesen Personen ohne Weiteres wiederherstellbar. Es entspreche zudem den Gepflogenheiten in afrikanischen Großfamilien, dass eine Unterstützung innerhalb des Familienverbundes in Notsituationen erfolge. Deshalb könnten die vielen Verwandten, insbesondere der wohlgesonnene Onkel der Mutter, bei dem die Mutter des Klägers bereits früher gelebt hatte, die Eltern des Klägers finanziell unterstützen oder zumindest die Kinder beaufsichtigen, während die Mutter des Klägers einer Erwerbstätigkeit nachgehen würde. Es war für das Gericht insbesondere auch nicht ersichtlich, dass die Geschwister des Klägers nicht alterstypisch entwickelt waren oder an schweren Krankheiten litten, welches ggf. mit einem höheren Einsatz von Betreuungsleistungen oder finanziellen Mitteln verbunden gewesen wäre.

    BAMF und Gericht wiesen auf das Rückkehrprogramm hin

    Im Übrigen hatte das Bundesamt bereits mit der Zuleitung des streitgegenständlichen Bescheids an den Bevollmächtigten des Klägers auf die Rückkehrhilfen bei freiwilliger Ausreise hingewiesen. Aus dem sog. REAG-/GARP-Programm (vgl. Bl. 51 ff. d.A.) könne u.a. eine Reisebeihilfe i.H.v. 200,00 EUR sowie eine Starthilfe von 1.000,00 EUR in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus besteht das Reintegrationsprogramm ERRIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen Beratung nach der Ankunft, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, Unterstützung bei einer Existenzgründung, Grundausstattung für die Wohnung sowie die Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen. Solch eine Unterstützung wird als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückkehrende Einzelpersonen beträgt dabei bis zu 2.000,00 EUR und im Familienverbund bis zu 4.000,00 EUR (vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/programmes).

    Es lag auf der Hand, dass die genannten Rückkehrhilfen und Leistungen aus dem Reintegrationsprogramm gerade in der Anfangszeit nach der Rückkehr und vor dem Hintergrund der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie mit dazu beitrugen, dass der Kläger mit seiner Familie in Äthiopien wieder Fuß fassen werde. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich der Kläger nicht darauf berufen konnte, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96). Dementsprechend sei es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Äthiopien freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen (vgl. hierzu auch VG Bayreuth, U.v. 25.6.2020 – B 7 K 19.30636).

    Individuelle Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, insbesondere lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich alsbald nach der Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG), wurden weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.

    Auch kein Abschiebungsverbot wegen der Europäischen Menschenrechtskonvention

    Das Gericht urteilte, dass dem Kläger auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zustand.

    Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Insbesondere darf gemäß Art. 3 EMRK niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

    Soweit der Kläger auf die schlechte Lage im Herkunftsland infolge der „Corona-Pandemie“ und der „Heuschreckenplage“ Bezug nehme, sprach nach Auffassung des Gerichts bereits vieles dafür, dass § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG bezüglich allgemeiner Gefahren aufgrund der unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat als lex specialis anzusehen sei und daher insoweit auch im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG Sperrwirkung „entfaltet“. Bei den nationalen Abschiebungsverboten im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG handelt es sich nämlich um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris; BayVGH, U.v. 21.11.20104 – 13a B 14.30284 – juris). Eine zusätzliche Würdigung allgemeiner Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit im Zielstaat der Abschiebung im Rahmen und am Maßstab des § 60 Abs. 5 AufenthG würde die gesetzgeberischen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot bei allgemeinen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit konterkarieren (so auch BayVGH, B.v. 6.5.2020 – 23 ZB 20.30943 – im Hinblick auf das Verhältnis von § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c AufenthG zu § 60 Abs. 5 AufenthG bei der Geltendmachung gesundheitlicher Gründe).

    Letztlich könnte aber entgegenstehen, ob die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG auch im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG greife. Doch selbst wenn man der Auffassung folge, dass der Schutzbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG auch bei einer allgemeinen Gefahrenlage, insbesondere bei einer schlechten allgemeinen Situation mit unzumutbaren Lebensbedingungen eröffnet sein solle, da schon von der Gesetzessystematik her der Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG nicht herangezogen werden könne (so BayVGH, U.v.21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris), ist bei der Prüfung eines Abschiebungsverbotes aus humanitären Gründen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG jedenfalls ein „sehr hohes Niveau“ anzulegen und eine „besondere Ausnahmesituation“ erforderlich. Nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“, nämlich wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sind, liegen die Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 5 AufenthG vor (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris m.w.N.; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris m.w.N.; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris).

    Gemessen an diesem Maßstab war beim Kläger auch ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK im Hinblick auf die gegenwärtig schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien zu verneinen. Daran änderte auch der dem Gericht in der mündlichen Verhandlung übergebende Auszug einer Entscheidung des VG … nichts. Zwar wurde dort der rechtliche Maßstab für die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots aus humanitären Gründen gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zutreffend aufgezeigt, dem Auszug jedoch konnte nicht einmal das Entscheidungsdatum, geschweige denn etwas zur persönlichen und familiären Situation des Klägers, insbesondere zum schulischen und beruflichen Hintergrund der Eltern des Klägers, deren Familienverhältnisse sowie etwas zur der Existenz eines verwandtschaftlichen Rückhalts entnommen werden. Auch die aktuelle Auskunftslage sowie die vom Verwaltungsgericht … ins Verfahren einbezogenen Auskünfte rechtfertigten es nach Überzeugung des hiesigen Einzelrichters nicht, äthiopischen Staatsangehörigen – wie dem Gericht aus anderem Verfahren teilweise bekannt – mehr oder weniger pauschal und ohne eingehende Darlegung der Situation im jeweiligen Einzelfall, gegenwärtig ein Abschiebungsverbot aus humanitären Gründen „aufgrund der sich derzeit durch die Corona-Pandemie im Zusammenspiel mit der in Äthiopien herrschenden Heuschreckenplage ergebenden landesweiten Verhältnisse“ (so die Argumentation im übergebenen Urteilsauszug) zuzusprechen.

    Im vorliegenden Fall verwies das hiesige Gericht daher auf die obigen einzelfallbezogenen Ausführungen zu § 60 Abs. 7 AufenthG. Obwohl im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG nicht der Maßstab der „Extremgefahr“ anzulegen war, handelte es sich im Fall des hiesigen Klägers – bei einer hypothetischen Rückkehr mit seiner Familie – nach Auffassung des Gerichts jedenfalls (auch) nicht um einen „ganz außergewöhnlichen“ Fall, in dem humanitären Gründe der Abschiebung „zwingend“ entgegenstünden.

    Es bestand auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschl. der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, waren Gründe, die dem Erlass der Abschiebungsandrohung gegenüber dem Kläger entgegenstünden, nicht ersichtlich. Denn er war nicht als Flüchtling oder Asylbewerber anzuerkennen. Ihm stand auch kein subsidiärer Schutz oder ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu. Er besaß zudem keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).

    Die in Ziffer 6 des angefochtenen Bescheids festgesetzte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots begegnete keinen rechtlichen Bedenken, insbesondere ist das nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. nun von Amts wegen zu erlassenden Einreise- und Aufenthaltsverbots in Bescheiden, die vor dem 21.08.2019 erlassen wurden, in der Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 AufenthG zu sehen (BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 – juris; VG Ansbach, U.v. 10.10.2019 – AN 3 K 17.32242).

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  2. Ausländerrecht: Gleiche Beurteilung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG bei Familien

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    Verwaltungsgericht München, 18.05.2017, Az.: M 17 K 17.31269

    Sofern ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland angestrebt wird, entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über die Anerkennung als Asylberechtigter aufgrund politischer Verfolgung (Art. 16a Abs. 1 GG) und über die Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 AufenthG.  Demnach enthält § 60 AufenthG Regelungen, nach denen ein Ausländer nicht abgeschoben werden darf. So darf zum Beispiel nach § 60 Abs. 5 AufenthG ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Hierdurch wird die materiellen Garantie der EMRK mit dem deutschen Ausländerrecht verknüpft, sodass ein Abschiebungshindernis besteht, sofern eine Verletzung nach Art. 3 EMRK oder nach einer anderen Norm der EMRK droht.

    Ausweisungsgründe

    Liegt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor, so hat das BAMF nach § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG dem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen, sofern dem keine anderweitigen Gründe entgegenstehen. Als Gründe werden unter anderem fehlende Mitwirkung, schwerwiegende Straftaten oder die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland genannt.

    In dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht München ging es nunmehr darum, ob bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bestand und ob eine einheitliche Bewertung zu seiner Frau und seinen Kindern zu erfolgen hatte.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:

    Der Kläger war afghanischer Staatsangehöriger und hatte in Deutschland Asyl beantragt

    Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und reiste im Dezember 2015 auf dem Landweg gemeinsam mit seiner Frau und seinem Sohn in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 16. Juli 2016 stellte er einen Asylantrag, hierbei führte er aus, dass sein Vater im Oktober 2015 entführt worden sei, jedoch aufgrund der Einschaltung der Polizei keinerlei Lösegeld bezahlt worden sei. Daraufhin hätten sie nach einer Woche von dem Tod des Vaters erfahren. Gleichzeitig sei der Mutter des Klägers gedroht worden unter anderem damit, dass auch der Kläger umgebracht werden solle. Im Weiteren hat der Kläger ausgeführt, dass sein Sohn Tuberkulose habe.

    Mit Bescheid vom 13. Januar 2017, zugestellt am 17. Januar 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag unter Nennung von unterschiedlichen Voraussetzungen ab. Zunächst lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vor. Der Kläger habe nicht vorgetragen, dass der Einreise ein persönliches Verfolgungsschicksal zugrunde läge. Die vorgetragenen Handlungen in Bezug auf die Entführung stellten weder flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlungen noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal dar. Vielmehr können bei derlei Bedrohungen staatliche Stellen Schutz bieten.

    BAMF sah weder Asyl noch subsidiärer Schutz noch Abschiebungsverbote

    Ebenso bestünde kein subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbote, denn es sei nicht ersichtlich, dass dem Kläger bei Rückkehr die Todesstrafe oder Folter, unmenschliche oder erniedrigende Bedingungen erwarten. Vielmehr sei nicht erkennbar, dass ihm individuelle konfliktbedingte Gefahren drohen würden. Er sei ein gesunder und arbeitsfähiger junger Mann, der sich zumindest in Afghanistan das Existenzminimum sichern könne. Im Weiteren habe er für die Einreise erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügung gehabt, die eine Unterstützung im Herkunftsland nahelegen würden.

    Hiergegen legte der Kläger am 25. Januar 2017 beim zuständigen Bayrischen Verwaltungsgericht München Klage ein und begehrt die Feststellung, dass er Asylberechtigter bzw. Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 4 AsylVfG sei. Hilfsweise begehrt er, dass ein Abschiebungsverbot bestünde. Die Beklagte stellte keinen Antrag.

    Kläger klagte auf Zuerkennung von Abschiebungsverboten

    Der Kläger führt hierzu aus, dass seinem Sohn und seiner Ehefrau, die im siebten Monat schwanger sei, mit Bescheid vom 08.12.2016 ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zuerkannt worden sei und darüber hinaus seien schwere Kampfhandlungen in dem gesamten Stadtgebiet gegeben, sodass die Ausführungen der Beklagten an der Realität vorbei gingen.

    In der mündlichen Verhandlung nahm der Kläger seine Anträge bezüglich der Asylberechtigung und der Flüchtlingseigenschaft zurück und begehrt lediglich weiterhin die Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot bestünde.

    Entscheidung des Verwaltungsgerichts München:

    Die Klage sei zulässig und begründet. Eine Entscheidung hätte im Hinblick auf § 102 VwGO auch ohne Anwesenheit der Beklagtenseite ergehen können.

    Nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK läge ein Abschiebungsverbot vor, wenn ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür bestünden, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr liefe einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Für die Beurteilung seien die Gesamtumstände des jeweiligen Falls und der Prognosemaßstab maßgeblich (vgl. z.B. VG Lüneburg, Urt. v. 6.2.2017, 3 A 140/16 – juris Rn. 53 m.w.N.). Die Annahme eines Abschiebungsverbots im Ausnahmefall komme bei einer allgemeinen Gewalt im Herkunftsland nur in Betracht, sofern extreme Gewalt und schlechte humanitäre Bedingungen vorlägen. Ein Ausnahmefall im Hinblick des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK könnten nach Ansicht des Bayrischen Verwaltungsgerichtshof unter anderem bei einer Familie mit minderjährigen Kindern gemacht werden (vgl. Bay. VGH, Urt. v. 21.11.2014 – 13 a B 14.30285).

    Gericht sah grundrechtlichen Schutz als gegeben an, da man von einer einheitlichen Familienrückreise ausgehen müsse

    Eine Ausnahme sei bei dem Kläger anzunehmen. Er habe neben seiner Frau auch zwei kleine Kinder, die er versorgen müsse. Der Kläger könne bei einer getrennten Betrachtung eines Abschiebungsverbots in keinem Fall als Alleinstehend betrachtet werden, wie es die Beklagte getan habe. Im Hinblick auf den grundrechtlichen Schutz nach Art. 6 GG müsse von einer einheitlichen Rückreise der gesamten Familie ausgegangen werden (vgl. BayVGH, Urt. v. 21.11.2014 – 13 a B 14.30285 – juris Rn. 21 m.w.N.). Somit sei er seinen Kindern Sorge- und Unterhaltsverpflichtet und für eine gute Versorgung verantwortlich. Eine derartige Versorgung, unter anderem in Hinblick auf Ärzte wäre im Herkunftsland nicht gegeben.

    Der Klage sei daher stattzugeben. Bei dem Kläger bestünde ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

    Quelle: Verwaltungsgericht München

    Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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  3. Ausländerrecht: Zur Frage, ob die Begleichung der Abschiebekosten auch von minderjährigen Ausländern verlangt werden kann.

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    Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, 25.09.2014, Az.: 8 LC 163/13

    Gemäß § 66 Abs. 1 AufenthG hat ein ausländischer Staatsangehöriger diejenigen Kosten zu tragen, die durch die Durchsetzung einer räumlichen Beschränkung, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung entstehen.

    Diese Regelung findet insbesondere immer dann Anwendung, wenn ein Ausländer nach seiner Abschiebung versucht, nochmals in das Bundesgebiet einzureisen. Grundsätzlich versucht die Behörde dann nämlich immer vor der erneuten Einreise des Ausländers, zunächst die Begleichung der Abschiebungskosten zu erreichen.

    Fraglich ist, ob auch ausländische Staatsangehörige, welche zum Zeitpunkt ihrer ersten Einreise und/oder ihrer Abschiebung minderjährig waren, zur Begleichung ihrer Abschiebekosten herangezogen werden können.

    Dem könnte nämlich insbesondere § 1629a BGB, die Beschränkung der Minderjährigenhaftung, entgegenstehen.

    Diese mit dem Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger vom 25.08.1998 (BGBl I 1998, 2847) in das BGB eingefügte Bestimmung beschränkt die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für ihr Kind begründet haben, auf das Vermögen des Kindes, das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhanden ist.

    Ziel des Gesetzes ist es, dem Kind den Start in die Volljährigkeit ohne Schulden zu ermöglichen.

    In dem oben genannten Fall des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hatte dieses darüber zu entscheiden, ob eine serbische Staatsangehörige, welche bei ihrer ersten Einreise nach Deutschland neun Jahre und bei ihrer Abschiebung sechzehn Jahre alt war, zur Begleichung der Abschiebekosten herangezogen werden durfte.

    Sachverhalt: Die serbische Klägerin war 1995 zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern in das Bundesgebiet eingereist und hatte Asyl beantragt. Da das Asylverfahren negativ verlief, war sie 2002 auf dem Luftweg in ihren Heimatstaat Serbien abgeschoben worden.

    Im Zeitpunkt der Abschiebung war sie sechzehn Jahre alt gewesen. Seit 2012 lebt die Klägerin wieder im Bundesgebiet. Sie ist mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen.

    Mit Bescheid vom 07.06.2012 zog die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen die Klägerin zu den auf sie entfallenden Kosten der Abschiebung in Höhe von insgesamt etwa 600 EUR heran.

    Gegen diesen Bescheid legt die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Oldenburg mit der Begründung ein, dass sie im Zeitpunkt der Einreise in das Bundesgebiet neun Jahre alt gewesen sei und die Einreise nicht habe beeinflussen können. Gleiches gelte für die Abschiebung, zu deren Zeitpunkt sie ebenfalls noch minderjährig gewesen sei.

    Das VG Oldenburg wies die Klage ab. Begründet wurde die Abweisung der Klage mit dem Wortlaut des einschlägigen § 66 Abs. 1 AufenthG. Danach habe ein Ausländer die Kosten zu tragen, die durch die Durchsetzung einer Abschiebung entstehen. Die so bestimmte Kostenpflicht setze nicht voraus, dass der Ausländer bei seiner Abschiebung volljährig gewesen ist. Auch die Beschränkung der Minderjährigenhaftung des § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuches würde hier nicht greifen.

    Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht: Das mit der Berufung befasste Niedersächsische Oberverwaltungsgericht wies die Berufung in dem oben genannten Urteil nun ebenfalls ab.

    Nach Ansicht des Gerichts finde der streitgegenständliche Bescheid seine Rechtsgrundlage in den §§ 66 Abs. 1, 67 Abs. 1 und 3 AufenthG. Nach § 66 Abs. 1 AufenthG habe der Ausländer die Kosten zu tragen, die durch die Durchsetzung einer Abschiebung entstünden. Eine solche Abschiebung der Klägerin sei hier am 11.12.2002 erfolgt.

    Auch die Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629a Abs. 1 BGB stünde der Heranziehung vorliegend nicht entgegen. Diese Bestimmung gelte im streitrelevanten öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis nicht unmittelbar, finde allerdings entsprechende Anwendung.

    Grundsätzlich gewährleiste § 1629a Abs. 1 BGB einen weitreichenden Schutz des Minderjährigen vor fremdverantworteten Verbindlichkeiten. Der volljährig Gewordene könne seine Haftung grundsätzlich für alle Verbindlichkeiten, die während seiner Minderjährigkeit durch seine Eltern als seine gesetzlichen Vertreter oder durch ihn selbst mit Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter begründet worden seien, auf den Bestand seines bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens beschränken.

    Im vorliegenden Fall erfülle die Klägerin allerdings die tatbestandlichen Voraussetzungen des entsprechend anzuwendenden § 1629a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB nicht.

    Die Nichtbefolgung der Ausreisepflicht und die daran anknüpfende Notwendigkeit einer zwangsweisen Durchsetzung dieser Pflicht durch die Abschiebung stelle zwar eine „sonstige Handlung“ im Sinne der genannten Bestimmung dar. Diese „sonstige Handlung“ sei aber nicht von den Eltern der Klägerin aufgrund ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht und insbesondere ihres gesetzlichen Aufenthaltsbestimmungsrechts zu verantworten, sondern von der Klägerin selbst.

    Diese sei bei Durchführung der Abschiebung bereits sechzehn Jahre alt und somit nach § 80 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes voll handlungsfähig im Sinne des Aufenthaltsgesetzes gewesen.

    Somit habe die Ausreisepflicht der Klägerin auch nicht die Eltern, sondern sie selbst getroffen. Vor solchen, vom Minderjährigen selbst verantworteten Folgen eines Handelns schütze die Haftungsbeschränkung nach § 1629a BGB nicht.

    Etwas anderes könne sich ausnahmsweise dann ergeben, wenn die Eltern erkennbar von ihrem widerstreitenden Aufenthaltsbestimmungsrecht Gebrauch machen und so eine freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht durch den Minderjährigen verhindern würden. Hierfür hätten im konkreten Fall aber keine Anhaltspunkte bestanden.

    Quelle: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht

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  4. Ausländerrecht: Stillhalteklausel des Assoziierungsabkommens Türkei – EWG ermöglicht türkischem Kind den Aufenthalt

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    Verwaltungsgericht Darmstadt, 18.12.2013, Az.: 5 K 310/12.DA

    Am 12.09.1963 unterzeichneten die Türkei und die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ein Assoziierungsabkommen, mit welchem die Türkei näher an die europäischen Staaten herangeführt werden sollte, um schlussendlich einen Beitritt der Türkei zu ermöglichen.

    Dieser völkerrechtliche Vertrag wurde nachfolgend durch weitere Protokolle und Beschlüsse ergänzt.

    Um die Beschäftigung und die Freizügigkeit der bereits in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen türkischen Arbeitnehmer und ihrer Angehörigen zu regeln, wurde das Assoziierungsabkommen am 19.09.1980 durch den Beschluss 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei ergänzt.

    Eine besondere Bedeutung kommt bei diesem Beschluss der so genannten Stillhalteklausel des Artikels 13 ARB 1/80 zu. Diese Stillhalteklausel verbietet den Vertragsstaaten vor dem Hintergrund des Ziels einer Annäherung bzw. eines späteren Beitritts der Türkei zur Europäischen Union (EU) die Einführung „neuer Beschränkungen“ in Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, wovon nach der Rechtsprechung des EuGH insbesondere auch aufenthaltsrechtliche Regelungen umfasst sind.

    In der oben genannten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Darmstadt hatte dieses darüber zu entscheiden, ob das türkische Kind einer abgelehnten Asylbewerberin und eines aufenthaltsberechtigten türkischen Arbeitnehmers bis zum Erreichen des 16. Lebensjahres einen Aufenthaltstitel benötigte.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens

    Ausländerbehörde hatte Aufenthaltstitel für türkisches Kind wegen fehlender Unterhaltssicherung abgelehnt

    Der Vater des Kindes war türkischer Arbeitnehmer und lebte seit dem Jahre 1994 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die Mutter war im Jahre 2009 eingereist und hatte einen Asylantrag gestellt, welcher abgelehnt worden war.

    Das am 2011 in Worms geborene Kind besaß einen türkischen Nationalpass. Die Ausländerbehörde lehnte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab, weil der Lebensunterhalt des Kindes nicht durch das Einkommen des Vaters gedeckt sei.

    Entscheidung des Verwaltungsgerichts Darmstadt

    VG urteilt, dass das Kind noch nicht einmal einen Aufenthaltstitel benötige

    Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat nun entschieden, dass das Kind aufgrund der Rechtslage aus dem Jahr 1990 bis zum Erreichen des 16. Lebensjahres keinen Aufenthaltstitel benötige.

    Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts habe das Kind einen Anspruch auf die Feststellung, dass es sich aufgrund des Befreiungstatbestandes des § 2 Abs. 2 DV AuslG 1990 rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte.

    Denn nach dem damals geltenden Recht bedurften türkische Staatsangehörigen unter 16 Jahren, die einen Nationalpass oder einen als Passersatz zugelassenen Kinderausweis besaßen, keiner Aufenthaltsgenehmigung, solange ein Elternteil eine Aufenthaltsgenehmigung besaß.

    Die alte Rechtslage sei auf den Fall anzuwenden, weil sich das türkische Kind auf eine Regelung aus dem Assoziierungsabkommen mit der Türkei berufen könne.

    Nach Art 13 1/80 dürften keine Einschränkungen hinsichtlich des Zugangs zum Arbeistmarkt gemacht werden

    Nach Art. 13 des Beschlusses des Assoziationsrates 1/80 dürften die Mitgliedsstaaten der EU und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß seien, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

    Art. 13 ARB 1/80 verbiete damit die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen, die bezweckten oder bewirkten, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen würden, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung in dem betreffenden Mitgliedstaat galten. Erfasst würden durch diese Stillhalteklausel auch sämtliche Regelungen, die Aufenthaltsrechte als Voraussetzung des Zugangs zum Arbeitsmarkt einschränkten bzw. ihren Erwerb erschwerten.

    Mit anderen Worten: Die Stillhalteklausel solle einen zwischen den Mitgliedsstaaten und der Türkei einmal erreichten Rechtsstandard losgelöst vom Einzelfall auf (mindestens) diesem Niveau fixieren und für die Zukunft gegenüber neuen Beschränkungen veränderungsfest machen.

    Das türkische Kind unterfalle der Stillhalteklausel

    Das türkische Kind unterfalle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts dieser Stillhalteklausel, weil es sich aufgrund seiner Geburt rechtmäßig und damit ordnungsgemäß im Bundesgebiet aufhalte.

    Der mit der Geburt im Bundesgebiet einhergehende rechtmäßige Aufenthalt sei nicht nur eine vorläufige, verfahrensrechtliche Rechtsposition. Eine derartige verfahrensrechtliche Rechtsstellung wäre nicht ausreichend, um einen ordnungsgemäßen Aufenthalt i.S.d. Art. 13 ARB 1/80 zu begründen.

    Durch den rechtmäßigen Aufenthalt nach der Geburt habe der Gesetzgeber der besonderen Beziehung zwischen dem Kleinkind und der Mutter unmittelbar nach der Geburt im Interesse der Familieneinheit und zur Aufrechterhaltung der nach Art. 6 Abs. 1 GG besonders geschützten Kind-Eltern-Beziehung Rechnung tragen wollen.

    Diene der rechtmäßige Aufenthalt des Kindes nicht der verfahrensrechtlichen Sicherstellung des Aufenthaltsrechts bis zu einer Entscheidung über den Aufenthaltsstatus des Kindes, sondern dem Schutz der besonderen Beziehung zwischen den Eltern und dem Kleinkind unmittelbar nach der Geburt im Interesse der Gewährung der Familieneinheit und zur Aufrechterhaltung der nach Art. 6 Abs. 1 GG besonders geschützten familiären Betreuungsgemeinschaft, so handele es sich um ordnungsgemäßen Aufenthalt i.S.d. Art. 13 ARB 1/80.

    Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Verwaltungsgericht hat die Berufung zum VGH Kassel und die Sprungrevision an das BVerwG zugelassen.

    Quelle: Verwaltungsgericht Darmstadt

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