Ausländerrecht: Analphabetismus ist kein Grund für Einbürgerung ohne ausreichende Sprachkenntnisse - MTH Rechtsanwälte Köln
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Ausländerrecht
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von: Helmer Tieben

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, 28.03.2022, Az.: 19 A 2172/20

In dem vorgenannten Urteil hatte die Klägerin Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen eingelegt. Das Verwaltungsgericht Aachen hatte entschieden, dass der Analphabetismus der Klägerin keine Entschuldigung dafür sei, dass diese im Rahmen der Einbürgerung keine ausreichenden Sprachkenntnisse und Kenntnisse der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung vorweisen konnte.

Welche Arten von Einbürgerung gibt es?

Bei der Überprüfung dieses erstinstanzlichen Urteils kam das Oberverwaltungsgericht zu dem Schluss, dass keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts Aachen bestünden:

Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:

Die Klägerin hatte die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband bei der Einbürgerungsbehörde beantragt. Dass sie keine ausreichenden Deutschkenntnisse und keine Kenntnisse der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung vorweisen konnte, entschuldigte sie damit, dass sie Analphabetin sei und wegen Angtsstörungen, Depressionen und Persönlichkeitsstörungen nicht in der Lage sei, sich diese Kenntnisse anzueignen.

Klägerin reicht Atteste in Bezug auf Depression, Angststörungen und Persönlichkeitsstörung ein

Hierzu reichte sie ein Attest vom 23.03.2022 ein, indem ihre Ärztin bescheinigte, dass die Bewältigung der Teilnahme an einem Sprachkurs und einer Prüfungssituation erschwert und ein rasches Erlernen und sicheres Anwenden einer Fremdsprache nicht möglich seien.

In einem späteren Attest vom 15.07.2020 bescheinigte die Ärztin dann, dass die Klägerin vollständig außerstande sei, an einem Sprach- oder Integrationskurs teilzunehmen.

Einbürgerungsbehörde beharrt dennoch auf ausreichende Deutschkenntnisse

Nachdem die Einbürgerungsbehörde die Einbürgerung wegen der fehlenden Kenntnisse abgelehnt hatte, klagte die Klägerin beim Verwaltungsgericht Aachen. Nachdem das VG Aachen der Einbürgerungsbehörde und nicht der Klägerin Recht gegeben hatte, beantragte die Klägerin die Zulassung ihrer Berufung beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen.

Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Aachen:

Das Oberverwaltungsgericht entschied nun, dass die Klägerin mit ihrem Zulassungsvorbringen die Würdigung des Verwaltungsgerichts Aachen nicht schlüssig in Frage gestellt habe.

Das Verwaltungsgericht habe zu Recht entschieden, dass im Fall der Klägerin nicht von den Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 StAG abzusehen sei. § 10 Abs. 6 StAG verpflichte zu einem Absehen von diesen Einbürgerungsvoraussetzungen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen könne.

Klägerin habe keine aussagekräftigen Atteste eingereicht

Dabei obliege es dem Einbürgerungsbewerber aufgrund seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 StAG i. V. m. § 82 Abs. 1 AufenthG, das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 6 StAG hinreichend substantiiert darzulegen. Berufe er sich auf ein krankheitsbedingtes Unvermögen, so müsse dies regelmäßig durch ein fachärztliches Attest nachgewiesen werden. Aus dem Attest müsse sich nachvollziehbar mindestens ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt habe und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstelle, insbesondere inwieweit sie die Fähigkeit des Einbürgerungsbewerbers zum Erlernen der deutschen Sprache beeinträchtige. Zu den mitzuteilenden ärztlichen Erkenntnisgrundlagen gehörten insbesondere Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden habe, welche Art von Befunderhebung stattgefunden habe und ob die vom Patienten geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden würden.

Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben.

Diesen Anforderungen würden die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Atteste nicht genügen. Mit den zutreffenden diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nehme, setze sich die Klägerin nicht auseinander. Das mit dem Zulassungsantrag vorgelegte Attest der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. N. -C. vom 15. Juli 2020 enthalte außer dem Hinweis auf ihre erstmalige Vorstellung am 20. März 2020 ebenfalls keine Angaben dazu, wann und wie häufig sich die Klägerin in ärztlicher Behandlung befunden habe und auf welcher Grundlage die Ärztin ihre Diagnose gestellt habe. So fehlten etwa Ausführungen dazu, in welchen zeitlichen Abständen Gespräche mit der Klägerin und Arztbesuche stattgefunden und inwieweit die Feststellungen auf den Angaben der Klägerin, ihres Ehemanns oder auf eigenen ärztlichen Untersuchungen beruhen würden. Zudem habe die Ärztin nicht erläutert, wie genau die diagnostizierte Angststörung, chronifizierte Depression und Persönlichkeitsstörung die Klägerin beim Erlernen der deutschen Sprache beeinträchtigen würde.

Atteste der behandelnden Ärzte widersprechen sich

In ihrem früheren Attest vom 23. März 2020 habe die Ärztin bescheinigt, dass die Bewältigung der Teilnahme an einem Sprachkurs und einer Prüfungssituation erschwert und ein rasches Erlernen und sicheres Anwenden einer Fremdsprache nicht möglich seien. Auf welcher Grundlage sie in dem Attest vom 15. Juli 2020 zu der weitergehenden Schlussfolgerung gelangt sei, dass die Klägerin vollständig außerstande sei, an einem Sprach- oder Integrationskurs teilzunehmen, lasse sich dem Attest nicht entnehmen, zumal die Ärztin eingangs erklärt habe, dass die Anamneseerhebung mit der nur assyrisch sprechenden Klägerin kaum möglich sei, und abschließend wiederum nur als „fraglich“ bezeichnet, ob die Klägerin in der Lage sei, eine Fremdsprache zu lernen. Wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt habe, erfordere § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG weder ein rasches Erlernen der deutschen Sprache noch deren sichere Beherrschung noch die Teilnahme an einem Sprachkurs, sondern lediglich ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache, die den Anforderungen des § 10 Abs. 4 StAG entsprechen würden.

Fehle es danach an einem aussagekräftigen ärztlichen Attest, aus dem sich das geltend gemachte krankheitsbedingte Unvermögen der Klägerin zum Erwerb ausreichender Deutschkenntnisse ergebe, bestünde keine Veranlassung für eine Beweiserhebung zu den tatsächlichen Voraussetzungen des § 10 Abs. 6 StAG und die entsprechenden Beweisanträge oder -anregungen der Klägerin seien unsubstantiiert.

Auch dies habe das Verwaltungsgericht entgegen dem Einwand der Klägerin bereits zutreffend ausgeführt. Die Klägerin müsse zur Substantiierung des Vortrags zu ihren krankheitsbedingten Einschränkungen auch kein ärztliches Gutachten einholen, sondern lediglich aussagekräftige Bescheinigungen der behandelnden Ärzte vorlegen.

Fehlende Schulbildung und Analphabetismus generell kein Entschuldigungsgrund

Die fehlende Schulbildung und der Analphabetismus der Klägerin würden es nicht rechtfertigen, von den Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 StAG abzusehen. Analphabetismus sei als solcher keine Krankheit oder Behinderung im Sinn des § 10 Abs. 6 StAG.

Die Klägerin habe auch nicht substantiiert dargelegt, dass sie wegen einer geistigen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage sei, Lesen und Schreiben zu lernen. Insoweit würden im Hinblick auf das vorgelegte Attest der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 15. Juli 2020, in dem die Ärztin bescheinigt, dass „von einer ungünstigen Prognose für eine Alphabetisierung ausgegangen werden“ müsse, die obigen Ausführungen zum Erlernen der deutschen Sprache entsprechend gelten.

§ 10 Abs. 6 StAG sei auch nicht zu Gunsten von Einbürgerungsbewerbern entsprechend anzuwenden, die Analphabeten sind. Das Gleiche gelte für die mit dem Zulassungsantrag unspezifisch als Hinderungsgrund angeführten persönlichen und familiären Verhältnisse. Es sei keine Regelungslücke gegeben, die durch Analogie oder erweiternde Auslegung zu schließen wäre. § 10 Abs. 6 StAG enthalte im Gegensatz zu § 9 Abs. 2 Satz 4 AufenthG gerade keine Regelung, nach der zur Vermeidung einer Härte auch in Fällen, in denen keine Krankheit oder Behinderung vorliege, von ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache und der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Deutschland abgesehen werden könne

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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