Ausländerrecht. Kettenduldung wegen Vaterschaft deutscher Kinder kann zu Chancenaufenthaltsrecht nach § 104c AufenthG führen - MTH Rechtsanwälte Köln
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Ausländerrecht
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von: Helmer Tieben

Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 22.01.2024, Az.: W 7 K 23.140

Die folgenden Voraussetzungen muss ein Ausländer erfüllen, will er das Chancenaufenthaltsrecht erhalten:

      • Er wird aktuell in Deutschland geduldet
      • Er bekennt sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung
      • Er wurde nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mehr als 50 Tagessätzen verurteilt

Darüber hinaus darf der Ausländer nicht über eine bestimmte Schwelle hinaus gegen seine Mitwirkungspflichten verstoßen haben, zum Beispiel bei der Passbeschaffung. Mit einem solchen Fall hatte sich das Verwaltungsgericht Würzburg in dem hier vorgestellten Fall zu beschäftigen.

Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens

Kläger war ursprünglich zur Asylbeantragung eingereist

Der Kläger war nigerianischer Staatsangehöriger. Er war am 12. August 2016 nach Deutschland eingereist und hatte einen Asylzweitantrag, nachdem er bereits zuvor in Italien erfolglos ein Asylverfahren durchlaufen hatte. Dieser wurde wegen Unzulässigkeit abgelehnt. Nach Erlöschen seiner Aufenthaltsgestattung wurden für den Kläger Duldungsbescheinigungen ausgestellt und mehrfach verlängert. Grund für die Duldung waren zunächst fehlende Ausweispapiere.

Schließlich wurde der Kläger Vater deutscher Kinder

Am 2. Oktober 2017 hatte der Kläger die Vaterschaft für seinen deutschen Sohn vorgeburtlich anerkannt. In der Geburtsurkunde war der Kläger als Vater eingetragen, allerdings mangels Urkundenüberprüfung mit dem Zusatz „Identität nicht nachgewiesen“. Schließlich wurde ein zweiter deutscher Sohn geboren, für den der Kläger ebenfalls sowohl vorgeburtlich am 10. November 2022 die Vaterschaft anerkannte. Der Kläger lebt mit seiner deutschen Lebensgefährtin, den beiden gemeinsamen Söhnen, beide deutsche Staatsangehörige, sowie einem weiteren älteren Kind seiner Lebensgefährtin in häuslicher Gemeinschaft.

In der Folge erhielt der Kläger immer wieder Duldungen

Schließlich beantragte der Kläger die Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen und wegen nachhaltiger Integration. Diesen Antrag nahm er schließlich zurück. Dem Kläger waren seit Januar 2018 zudem Gestattungen zur Ausübung der Erwerbstätigkeit erteilt worden. Mit Schreiben vom 1. September 2021 teilte der Beklagte dem Kläger mit, eine neuerliche befristete Beschäftigungserlaubnis nur zu erteilen, wenn der Kläger im Gegenzug verbindlich zusichere, einen Teil seiner Einnahmen anzusparen, um so in Zukunft das Visumverfahren durchführen zu können. Diesem Ansinnen kam der Kläger nicht nach.

Als der Kläger abgeschoben werden sollte, beantragte er das Chancenaufenthaltsrecht

Am 30. August 2022 beantragte die ZAB die Abschiebung des Klägers. Vom Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführungen wurde am 5. Oktober 2022 ein Flugtermin für den 18. Oktober 2022 vorgemerkt. Ein Versuch, den Kläger an seiner Wohnadresse in Gewahrsam zu nehmen, scheiterte. Wegen erneuter Schwangerschaft der Partnerin, wurde der Kläger weiterhin geduldet.

Am 8. November 2022 hatte der Beklagte dem Kläger erneute Verlängerungen seiner Duldung in Aussicht gestellt, sollte er das Visumverfahren von Deutschland aus betreiben und umgehend eine Vorabzustimmung bei der örtlichen Ausländerbehörde beantragen. Dies tat der Kläger.

Mit Schreiben vom 30. Dezember 2022 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG, wies aber darauf hin, dass weiterhin die Bereitschaft zur Nachholung des Visumverfahrens bestehe, sollten die Voraussetzungen des Chancen-Aufenthaltsrechts wider Erwarten nicht vorliegen.

Diesen Antrag lehnte der Beklagte ab, da seine Duldung erloschen sei. Dagegen klagte der Kläger.

Entscheidung des Verwaltungsgerichts Würzburg

Da VG Würzburg sah einen Anspruch des Klägers auf das Chancenaufenthaltsrecht

Das Verwaltungsgericht Würzburg gab dem Kläger Recht und urteilte, dass die Voraussetzungen für das Chancenaufenthaltsrecht vorliegen würden.

Der Kläger sei derzeit geduldet, er erfülle die erforderliche Voraufenthaltszeit zum Stichtag und die Mitwirkungspflichtverletzungen des Klägers würden zudem nicht die Intensität, die zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG bzw. zur Annahme eines atypischen Falls erforderlich wären, verletzen.

Das Leben in Nigeria sei der fast gänzlich deutschen Familie nicht zuzumuten

Zudem könne die Lebensgemeinschaft der Familie auch lediglich in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden. Allein der Kläger sei nigerianischer Staatsangehöriger. Seine Partnerin und die beiden gemeinsamen Kinder seien deutsche Staatsbürger.

Eine Trennung zur Nachholung des Visumsverfahrens sei zudem unzumutbar

Daher sei eine Prognose darüber anzustellen, welchen Trennungszeitraum der Betroffene realistischerweise zu erwarten habe, um in einem nächsten Schritt prüfen zu können, ob eine ggf. ermittelte vorübergehende Trennung aus Sicht des betroffenen Kindes zumutbar sei.

Die prognostizierte Trennungsdauer bei einer Abschiebung am 11. März 2022 belaufe sich auf dieser Grundlage im Idealfall auf ca. acht Monate, hätte aber auch mehr als zwei Jahre betragen können, insbesondere wenn der Kläger die Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gerichtlich hätte durchsetzen müssen. Ohne Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots hätte sogar eine Trennungszeit von ca. drei Jahren und sechs Monaten eintreten können. Die Prognose der Höchstdauer des Trennungszeitraums sei jedenfalls mit größeren Unsicherheiten behaftet.

Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte der Kläger damit selbst bei einer Abschiebung am 11. März 2022 die Geburt seines zweiten Sohnes am versäumt.

Die Schwangerschaften der deutschen Ehefrau hätten aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen erzeugt

Dabei sei zu berücksichtigen, dass nicht nur ein bereits geborenes Kind bei der Entscheidung über die Zumutbarkeit einer Abschiebung von Bedeutung ist, sondern bereits die Schwangerschaft Vorwirkungen entfalte. Die Vaterschaft eines hier lebenden Ausländers für ein noch ungeborenes Kind stellt einen Umstand dar, der unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und der Pflicht des Staates, sich gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 1 Abs. 1 GG schützend und fördernd vor das ungeborene Kind zu stellen, aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen im Sinne eines Abschiebungshindernisses entfalten könne. Zum Wohl des Kindes sei dabei im Grundsatz der Umgang mit beiden Elternteilen erforderlich. Daraus folge zwar kein generelles Abschiebungsverbot, allerdings die Verpflichtung der Ausländerbehörde, bei aufenthaltsbeendenden Entscheidungen die vorfamiliäre Bindung angemessen zu berücksichtigen und insbesondere die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr des Vaters vor der Geburt einzustellen.

Auch die geringen Mitwirkungspflichtsverletzungen des Klägers würden nicht gegen das Chancenaufenthaltsrecht sprechen

Es würden auch keine Mitwirkungspflichtverletzungen des Klägers vorliegen, die eine Intensität erreichen, die zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG bzw. zur Annahme eines atypischen Falls erforderlich wäre.

Nach § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG solle die Chancen-Aufenthaltserlaubnis versagt werden, wenn der Ausländer wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gemacht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht habe und dadurch seine Abschiebung verhindere.

Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger im Verwaltungsverfahren Mitwirkungspflichtverletzungen begangen habe. Die Kommunikation mit der Behörde sei entgegen § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG immer wieder mit größeren Verzögerungen erfolgt. Dessen ungeachtet fehle es jedenfalls an der Kausalität dieses Verhaltens für die fehlende Abschiebung, wie sie zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis erforderlich wäre. Denn in der rückblickenden Gesamtbetrachtung sei die Ursache für die unterbliebene Abschiebung des Klägers nicht dessen fehlende Mitwirkung am Verwaltungsverfahren, sondern die Geburt zweier Kinder zu Beginn und kurz nach dem Ende des für die Stichtagsregelung des § 104c Abs. 1 AufenthG maßgeblichen Zeitraums und die damit einhergehende rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung gewesen.

Somit überschreite sein (pflichtwidriges) Verhalten nicht die hohe Schwelle, die unter § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG bzw. – bzgl. des Unterlassens – als atypischer Fall zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis führen könne.

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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