Abschiebung von Islamisten Archive - MTH Rechtsanwälte Köln
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Tag Archive: Abschiebung von Islamisten

  1. Ausländerrecht: Die erfolgreiche Berufung im Ausländerrecht setzt einen Zulassungsgrund voraus.

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    Verwaltungsgerichtshof München, Beschluss v. 02.04.2020, Az.: 10 ZB 19.1552

    Wird im Ausländerrecht, welches dem Verwaltungsrecht zugehörig ist, ein negatives Urteil gefällt,  besteht immer noch die Möglichkeit, einen Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen, über welchen das Oberverwaltungsgericht entscheidet.

    Im vorliegenden Fall erhob der Kläger einen Antrag auf Zulassung der Berufung, welcher zwar zulässig, aber als unbegründet abgewiesen wurde, da die vom Kläger vorgelegten Zulassungsgründe nicht ausreichend durchgriffen. Es konnten weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) oder Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) festgestellt werden.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:

    Das Verwaltungsgericht München hatte dem Kläger seinen Anspruch nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (unabhängig vom Aufenthaltszweck) verneint, da ihm nach §11 Abs. 1 AufenthG kein Aufenthaltstitel erteilt werden dürfe und zudem ein Ausweisungsinteresse bei ihm bestand (§5 I Nr. 2 AufenthG).

    Am 30. November 2011 erfolgte eine mündliche Verhandlung, in welcher der Kläger seine Klage zurücknahm, woraufhin er mit Bescheid vom 18. Juli 2011, welcher am 30.11.2011 bestandskräftig wurde, ausgewiesen wurde. Der Kläger reiste bisher noch nicht aus, weshalb auch die auf drei Jahren angelegte Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots, welche in Nr. 3 des Bescheids vom 18. Juli 2011 festgelegt wurde, noch nicht ablief.

    Anderweitiges ergab sich auch nicht aus der mündlichen Verhandlung des 30. November 2011, in der eine Bewährungsduldung mit einer Bewährungszeit von 5 Jahren vereinbart wurde.

    Voraussetzung für diese war zum einen der „Nachweis der Straffreiheit“ (Nr. 1). Die Beklagte hatte die Bewährungsduldung nur unter der Voraussetzung gewährt, alle strafrechtlich relevanten Vorgänge, also auch etwaige offene Strafverfahren oder bislang von den Strafverfolgungsbehörden noch nicht aufgegriffene Taten, zu kennen.

    Kläger hatte mehrere strafrechtliche Verurteilungen

    Der Kläger jedoch hatte verschwiegen, dass er im Zeitraum vom 30. September 2009 bis 31. März 2011 insgesamt 122 falsche Rechnungen ausgestellt hatte und somit zu Unrecht zwischen 30.000 und 35.000 Euro erworben hatte. Die diesbezüglichen strafrechtlichen Ermittlungen wurden noch während der vereinbarten Bewährungszeit von 5 Jahren am 12. Mai 2014 eingeleitet. Das Strafurteil des Landgerichts Augsburg hingegen, (in dem der Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten auf Grund von Urkundenfälschung in 18 Fällen verurteilt wurde), erfolgte erst am 14. Juni 2017, d.h. nachdem die Bewährungszeit bereits abgelaufen war. Das Verwaltungsgericht München urteilte, dass das nach der Bewährungszeit erteilte Strafurteil diesbezüglich aber keine Rolle spiele. Hiergegen wendete der Kläger nun ein, die Voraussetzung der Nr.1 erfüllt zu haben, da die Straftaten zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Bewährungsduldung vom Verwaltungsgericht noch nicht entdeckt wurden und keine Verpflichtung zur Offenbarung dieser von Seiten des Klägers bestünde. Zudem hatte er nach Abschluss der Vereinbarung der Bewährungsduldung keine weiteren Straftaten begangen.

    Eine weitere Voraussetzung für die in der mündlichen Verhandlung des 30. Novembers 2011 vereinbarten Bewährungsduldung war die „Schuldenfreiheit gegenüber der öffentlichen Hand“ (Nr.4).

    Kläger hatte darüber hinaus Steuerschulden in Höhe von EUR 200.000

    Das Landgericht Augsburg stellte mit dem Strafurteil vom 14. Juni 2017 fest, dass der Kläger Steuerschulden in Höhe von 200.000 Euro hatte. Das Verwaltungsgericht München urteilte somit, dass ebenfalls ein Versagungsgrund gemäß §5 Abs.1 Nr. 2 AufenthG bestünde. Demnach darf kein Ausweisungsinteresse bestehen. Durch die Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten aber läge jedoch ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG vor. Da er Wiederholungstäter sei, bestehe auch die Gefahr, erneut straffällig zu werden und sich weitere Geldquellen mit strafrechtlicher Relevanz zu erschließen. Gegen seine Ehefrau und ihn sei derzeit ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche anhängig. Ein atypischer Ausnahmefall, der ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung gebieten würde, liege nicht vor. Der familiären Situation des Klägers (Ehefrau und vier minderjährige Kinder) sei mit seiner Duldung nach § 60a AufenthG auch mit Blick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK hinreichend Rechnung getragen worden.

    Hierzu wendete der Kläger gegen das Verwaltungsgericht ein, dass ihm über die Steuerschulden in Höhe von 200.000 Euro nichts bekannt gewesen war da der Fiskus bisher nicht an ihn herangetreten war und keine aussagekräftigen Unterlagen diesbezüglich vorhanden lägen.

    Urteil des Verwaltungsgerichtshofs München

    Das VGH München urteilte nun, dass die Klage zwar zulässig, aber nicht begründet gewesen sei.

    Berufungsgericht sah keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils

    Um eine Berufung zuzulassen müssen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen. Dies ist der Fall, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33).

    Das Verwaltungsgerichtshof München jedoch urteilte, dass dies nicht der Fall gewesen sei da die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes tragende Annahme, dass der begehrten Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis infolge der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 18. Juli 2011 die Titelerteilungssperre gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG entgegenstünde,  durch den Kläger nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wurde. Zum einen hatte der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 30. November 2011 lediglich erklärt: „Die Beklagte ist bereit, gegen Klagerücknahme und unter folgenden weiteren Voraussetzungen dem Kläger für die Dauer von fünf Jahren wiederholt (auf jeweils ein Jahr) Bewährungsduldungen, die ihm zugleich die Erwerbstätigkeit gestatten, zu erteilen: … (Es folgen die Voraussetzungen Nr. 1. bis 4., deren Vorliegen der Kläger jeweils vor Verlängerung der Duldung erbracht haben muss).“ Eine (weitergehende) Regelung bzw. Zusicherung bezüglich der Ausweisungsverfügung und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist dagegen ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 30. November 2011 nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut dieser Erklärung nicht erfolgt. Dass VGH München erklärte weiter, selbst wenn man die Prozesserklärung der Beklagten vom 30. November 2011 jedoch entsprechend §§ 133, 157 BGB auch dahingehend verstehen wollte, dass sie unter den in der Erklärung genannten vier Voraussetzungen nach Ablauf der Bewährungszeit von fünf Jahren auch nicht mehr an ihrer Ausweisungsverfügung festhalten bzw. diese dem Kläger nicht mehr entgegenhalten werde, ergäbe sich nicht der vom Kläger behauptete Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Das VGH München bekräftigte somit die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger weder die Voraussetzung der Nr.1 „Nachweis der Straffreiheit (Vorsatzstraftaten)“ noch der Nr. 4. „Nachweis der Schuldfreiheit gegenüber der öffentlichen Hand“ erfüllt habe.

    Nach Ansicht des Gerichts hatte Kläger den Nachweis der Straffreiheit nicht erbracht

    Der Kläger habe den Nachweis der Straffreiheit nicht erbracht, da er mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 14. Juni 2017, welches ab dem 22.06.2017 rechtskräftig wurde, wegen Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten (ausgesetzt zur Bewährung mit einer Bewährungszeit von vier Jahren) verurteilt wurde. Unabhängig von der Frage, ob der Kläger im Zeitpunkt der Vereinbarung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 30. November 2011 bereits auf diese damals noch nicht angeklagten Straftaten (Urkundenfälschungen) wegen ihrer möglichen Relevanz für eine Bewährungsduldung hätte hinweisen müssen sei letztlich entscheidend gewesen, dass der Kläger nach dem Zeitpunkt der Vereinbarung erneut wegen Vorsatzstraftaten verurteilt wurde. Unerheblich sei in dem Sinne auch, dass der Kläger die Straftaten noch vor der mündlichen Verhandlung vom 30. November 2011 und den entsprechenden Prozesserklärungen der Parteien begangen hatte. Das VGH urteilte, dass das Verwaltungsgericht zu Recht darauf verwiesen habe, dass es bei einer „Bewährungsduldung“, bei der die Behörde unter bestimmten Voraussetzungen für einen festgelegten Zeitraum den Vollzug der Aufenthaltsbeendigung, welche mit einer Ausweisung verbunden ist, aussetzt um den Betroffenen die Gelegenheit der Bewährung und damit einer Grundlage für einen weiteren (legalen) Aufenthalt zu ermöglichen, für die Voraussetzung der „Straffreiheit“ ausschlaggebend sei, dass nicht weitere Ausweisungsgründe bzw. -interessen (s. § 54 AufenthG) vorliegen oder entstehen. Auf Grund des Strafurteils des Landgerichts Augsburgs vom 14. Juni 2017 aber sei genau dies der Fall gewesen.

    Laut dem VGH München sei auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die nach Nr. 4 vorbringende Voraussetzung der „Nachweis der Schuldfreiheit gegenüber der öffentlichen Hand“ nicht vorliege, nicht rechtlich zu beanstanden gewesen sei. Der Einwand des Klägers, von im Strafurteil vom 14. Juni 2017 angeführten Steuerschulden in Höhe von 200.000 Euro sei ihm „nichts bekannt“ und der Fiskus sei bis jetzt nicht an ihn „herangetreten“, weshalb er diese Schulden „bestreite“, verkennt seine in dieser Voraussetzung festgelegte Nachweispflicht.

    Auch bestand hinsichtlich der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine Titelerteilungssperre

    Da in diesem Fall bereits die Titelerteilungssperre gemäß §11 Abs. 1 AuenthG durchgriff, kam es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob das durch die strafrechtliche Verurteilung vom 14. Juni 2017 indizierte Ausweisungsinteresse (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG) auch aktuell noch bestand und ob gegebenenfalls ein atypischer Fall vorliege, der eine Ausnahme von dieser Regelerteilungsvoraussetzung (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) gebieten würde.

    Ein weiterer Grund, um eine Berufung zuzulassen ist die der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

    Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2019 – 10 ZB 18.1768 – Rn. 11; B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris Rn. 10; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72).

    Zulassungsvorbringen des Klägers war nicht ausreichend

    Diesen Anforderungen genügte das Zulassungsvorbringen, der Frage der Bindungswirkung einer Vereinbarung bezüglich Straffreiheit in der vorliegenden Fallkonstellation komme mangels obergerichtlicher Entscheidungen grundsätzliche Bedeutung zu, nicht. Schon die Formulierung der Frage zielte auf die einzelfallbezogene Auslegung einer Prozesserklärung ab. Ein weitergehender Klärungsbedarf wurde nicht aufgezeigt.

    Auch den Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) genügte die Zulassungsbegründung nicht. Diese erfordert, dass ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender Rechts- oder Tatsachensatz bezeichnet wird, mit dem die Vorinstanz von einem in der Rechtsprechung eines übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift abgewichen ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Die divergierenden Sätze sind einander so gegenüberzustellen, dass die Abweichung erkennbar wird (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 22.3.2019 – 10 ZB 18.2598 – juris Rn. 18; B.v. 18.4.2019 – 10 ZB 18.2660 – juris Rn. 9 m.w.N.). Daran fehlte es hier.

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  2. Ausländerrecht: Abschiebungsanordnung gegen einen der radikal-islamistischen Szene zuzuordnenden Gefährder

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    Bundesverwaltungsgericht, 21.03.2017, Az.: 1 VR 1/17 (1 A 2/17)

    Nach § 58a AufenthG kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen. Jedoch muss hierbei eine Einzelfallentscheidung unter Abwägung der Interessen vorgenommen werden. Im Weiteren dürfen keine Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG vorliegen. Ein Abschiebungsverbot liegt unter anderem vor, wenn dem Ausländer ein ernsthafter Schaden, demnach die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Im Weiteren soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

    Sachverhalt: Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die Verfügung vom 16. Februar 2017 über seine Abschiebung nach Algerien nach § 58a AufenthG.

    Der 27-jährige Antragsteller ist in der Bundesrepublik Deutschland geboren und auch aufgewachsen sowie algerischer Staatsangehöriger. Er wurde am 09.02.2017 im Wege einer Groß-Razzia verhaftet, weswegen es zu der Erstellung der Verfügung und der Anordnung einer Abschiebungshaft bis zum 24.03.2017 kam. Das zuständige Ministerium hat hierzu ausgeführt, dass der Antragsteller nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden als „Gefährder (Funktionstyp Akteur)“ der radikal-islamistischen Szene in Deutschland zuzurechnen sei, mit der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) sympathisiere und mehrfach Gewalttaten unter Einsatz von Waffen angekündigt habe.

    Am 16.02.2017 legte der Antragsteller Klage beim Bundesverwaltungsgericht ein und beantragte zugleich einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO. Er führt zunächst an, dass § 58a AufenthG verfassungswidrig sei. Im Weiteren beruft er sich auf das nationale Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 AufenthG, denn im Falle einer Abschiebung bestünde für ihn eine konkrete Leibes- und Lebensgefahr. Der Antragsgegner verteidigt die angegriffene Verfügung.

    Bundesverwaltungsgericht: Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO zwar zulässig aber unbegründet sei. Gegen die Rechtmäßigkeit der ausgesprochenen Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG bestünden keine ernsthaften Zweifel. Insbesondere sei die Ermächtigungsgrundlage formell und materiell verfassungsgemäß.

    Gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit spreche zunächst nicht, dass das § 58a AufenthG nicht im Regierungsentwurf zum Zuwanderungsgesetz enthalten gewesen sei, sondern auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses aufgenommen wurde. Der Vermittlungsausschuss solle sich ausgehend vom Anrufungsbegehren im Rahmen der parlamentarischen Ziele bewegen und hierdurch einen Ausgleich für politische Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag, Bundesrat und gegebenenfalls Bundesregierung erwirken. Es gäbe zwar keine konkreten gesetzlichen Ausgestaltungen über die Funktion und Stellung des Vermittlungsausschusses, jedoch solle die jeweilige Stellungnahme einen hinreichend klaren Bezug zu dem jeweiligen Gesetzgebungsverfahren aufweisen.

    Im Wege des Anrufungsverfahrens zum Zuwanderungsgesetz habe sich die Vermittlung nicht auf einzelne Gesetzesteile, sondern auf das gesamte Gesetz bezogen. Daher sei der Vorschlag rechtmäßig gewesen. Insbesondere, da bereits zuvor im Gesetzgebungsverfahren die Formulierung „terroristische Taten“ in anderen Normen diskutiert und verwendet worden sei.

    Ebenso sei der Bundesgesetzgeber nach §§ 83, 84 GG berechtigt gewesen, die Zuständigkeit für den Erlass der Abschiebungsanordnung auf die obersten Landesbehörden zu übertragen. Denn diese führen Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten aus, sofern das Grundgesetz nicht etwas anderes bestimme.

    § 58a AufenthG sei auch materiell verfassungsgemäß. Angesichts der besonderen Gefahren, denen der Gesetzgeber mit der Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung nach § 58a AufenthG begegnen will, sei die Vorschrift nicht unverhältnismäßig. Der Gesetzgeber habe das regelhafte gestufte Verfahren des Erlasses eines Grundverwaltungsaktes (Ausweisung), einer Abschiebungsandrohung mit Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise und der nachfolgenden Abschiebung im Fall der Nichtbefolgung der Ausreisepflicht als administrativ und zeitlich zu aufwändig angesehen, um den in § 58a AufenthG benannten besonders schwerwiegenden Gefahren für hochrangige Rechtsgüter zu begegnen. Hieran ändere auch die im regelhaften Ausweisungsrecht bestehende Möglichkeit der Beschleunigung durch Anordnung der sofortigen Vollziehung nichts, denn diese bedürfe der besonderen Begründung im Einzelfall, von der der Gesetzgeber bei den hier zu begegnenden besonderen Gefahren absehen wollte und durfte. Die vom Antragsteller angeführten Maßnahmen, mit denen einer besonderen Gefährlichkeit eines Ausreisepflichtigen in der Regel zu begegnen sei, wie die Anordnung von Abschiebungshaft, die Anordnung von Gewahrsam nach dem jeweiligen landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsrecht (z.B. § 35 PolG NRW) oder Überwachungsmaßnahmen nach § 56 AufenthG seien nicht gleich wirksam wie eine schnelle Entscheidung mit deutlich verkürzter Abschiebehaft nach § 58a AufenthG.

    Auch die mit dem Erlass einer Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes verbundene Einschränkung des Rechtsschutzes stünde im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 GG. Hierfür sei es ausreichend, dass verfassungsrechtliche Bindungen beachtet seien (BVerfG, Beschluss vom 21. März 1985 – 2 BvR 1642/83 – BVerfGE 69, 220, 229). Dies sei im vorliegenden Fall gegeben, denn es bestünde kein Anspruch darauf, mehrere gerichtliche Instanzen zur Verfügung zu haben. Insbesondere träge der § 58a AufenthG dem Art. 19 Abs. 4 GG durch die Festlegung, dass unverzüglich dem durch die Abschiebungsanordnung betroffenen Ausländer die Möglichkeit gegeben werden muss, mit einem Rechtsbeistand Kontakt aufzunehmen, Rechnung.

    Insgesamt sei die angegriffene Abschiebungsanordnung bei einer vorliegend gebotenen umfassenden Prüfung weder formell noch materiell zu beanstanden. Die durch den Antragsgegner gewählte Anspruchsgrundlage sei eine selbständige ausländerrechtliche Maßnahme der Gefahrenabwehr. Sie ziele auf die Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und/oder einer terroristischen Gefahr ab.

    „Der Begriff der „Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ sei – wie die wortgleiche Formulierung in § 54 Abs. 1 Nr. 2 und § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG – nach der Rechtsprechung des Senats enger zu verstehen als der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des allgemeinen Polizeirechts. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasse die innere und äußere Sicherheit und schütze nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 – 1 C 26.03 – BVerwGE 123, 114 <120> = juris Rn. 17). In diesem Sinne richten sich auch Gewaltanschläge gegen Unbeteiligte zum Zwecke der Verbreitung allgemeiner Unsicherheit gegen die innere Sicherheit des Staates (vgl. Kluth, in: BeckOK AuslR, Stand November 2016, § 58a AufenthG Rn. 6).“

    Der Begriff der terroristischen Gefahr sei zwar nicht definiert, jedoch könne er aus den aufenthaltsrechtlichen Vorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus, sowie aus Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923) hergeleitet werden. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts läge eine völkerrechtlich geächtete Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln jedenfalls dann vor, wenn politische Ziele unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter verfolgt werde (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2011 – 1 C 13.10 – BVerwGE 141, 100 Rn. 19 m.w.N.).

    Die Anspruchsvoraussetzung der „besonderen Gefahr“ des § 58a AufenthG beziehe sich allein auf das Gewicht und die Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie das Gewicht der befürchteten Tathandlung des Betroffenen, nicht jedoch auf die zeitliche Eintrittswahrscheinlichkeit (vergleichbare Gefahrdimension wie bei terroristischer Gefahr). Für die Beurteilung der Vergleichbarkeit sei eine „Gefahrenprognose“ erforderlich. Diese müsse auf hinreichend zuverlässigen Tatsachen beruhen. Ein bloßer (Gefahren-)Verdacht oder Vermutungen bzw. Spekulationen seien jedoch nicht ausreichend. Abweichend von dem sonst im Gefahrenabwehrrecht geltenden Prognosemaßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit mit seinem nach Art und Ausmaß des zu erwartenden Schadens differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab müsse, nach den Ausführungen des Gerichts, für ein Einschreiten nach § 58a AufenthG eine bestimmte Entwicklung nicht wahrscheinlicher sein als eine andere. Vielmehr genüge angesichts der besonderen Gefahrenlage, dass sich aus den festgestellten Tatsachen ein beachtliches Risiko dafür ergäbe, dass die von einem Ausländer ausgehende Bedrohungssituation sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik umschlagen könne.

    In Anwendung der vorgenannt dargelegten Grundsätze sei nach Ansicht des Gerichts davon auszugehen, dass vom Antragsteller derzeit aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ein beachtliches Risiko im Sinne des § 58a AufenthG ausgehe. Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden sei er der radikal-islamistischen Szene in Deutschland zuzurechnen und pflege u.a. Kontakte mit Personen, die einer aus dem Umfeld der verbotenen Organisation „Kalifatstaat“ hervorgegangenen G. islamistisch-salafistischen Gruppierung mit jihadistischer Tendenz angehören. Er sympathisiere mit der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) und deren Märtyrerideologie, sei gewaltbereit und habe mehrfach angedroht, eine Gewalttat mit Hilfe einer Waffe zu begehen. Zwar sei den Sicherheitsbehörden noch kein konkreter Plan des Antragstellers zur Ausführung einer terroristischen Gewalttat bekannt geworden. Hier bestehe aber aufgrund der Persönlichkeit des Antragstellers und seiner Einbindung in eine G. islamistisch-salafistische Gruppierung mit jihadistischer Tendenz ein zeitlich und sachlich beachtliches Risiko im Sinne des § 58a AufenthG. Der Senat stufe den Antragsteller unter Beachtung der Ausländerakte des Antragstellers (AA), der Akte des Ministeriums (MI), den Erkenntnissen aus der Telefonüberwachung sowie dem Vorbringen des Antragstellers und des Antragsgegners im vorliegenden Verfahren so ein, dass von ihm eine terroristische Gefahr ausginge.

    Wegen der Gewaltbereitschaft des Antragstellers, der immer wieder durch Rohheitsdelikte aufgefallen sei und sich auch im Verfahren entsprechend geäußert habe, seiner bekundeten Sympathie für den IS und für Attentäter des IS sowie seiner Einbindung in die G. Salafistengruppe mit Kontakten zu Selbstmordattentätern bestehe ein beachtliches Risiko, dass der Antragsteller mit einer terroristischen Gewalttat ein Fanal setze, mit dem seine Verachtung der säkularen Welt europäischer Prägung zum Ausdruck komme. Dieses Risiko kann sich jederzeit realisieren. Die Einschätzung des Senats zu dem vom Antragsteller ausgehenden Risiko entspräche weitgehend der polizeilichen Einschätzung vom 07.02.2017, wonach sich aus der Summe der gewonnenen Erkenntnisse „die konkrete Gefahr eines islamistisch motivierten Anschlages“ ergäbe. Ideologische Einwirkung auf eine gewaltbereite Person könne in die Ausführung einer nach § 58a AufenthG relevanten Gewalttat umschlagen.

    Darüber hinaus sei die Abschiebungsanordnung als Rückkehrentscheidung auch mit der Richtlinie 2008/115/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) zu vereinbaren. Insbesondere müsse dem Antragsteller wegen der von ihm ausgehenden Gefahr für die öffentliche und nationale Sicherheit keine Frist zur freiwilligen Ausreise eingeräumt werden.

    Ebenso sei die Entscheidung des Antragsgegners ermessensfehlerfrei, da das öffentliche Interesse dem privaten Interesse überwiege.

    Letztlich berufe sich der Antragsteller ohne Erfolg auf das Abschiebeverbot aus § 60 Abs. 5, 7 AufenthG, wonach ihm seiner Ansicht nach bei einer Rückführung nach Algerien eine konkrete Gefahr für Leib und Leben drohe. Insbesondere befürchte er die Todesstrafe.

    Nach Ausführungen des Gerichts sei eine Todesstrafe in Algerien für seine Taten wenig wahrscheinlich, auch wenn das algerische Strafgesetzbuch die Komplizenschaft mit Anführern einer aufständischen Bewegung unter Todesstrafe stelle. Jedoch sei diese seit 1993 nicht mehr vollstreckt worden. Im Weiteren würde zur Bekämpfung des Terrorismus bzw. „subversiver“ Bestrebungen das Verteidigen derartiger Aktivitäten mit Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren bestraft werden. Jedoch sei nicht ersichtlich, dass der Antragsteller einer Komplizenschaft verdächtigt werde.

    Das weitere Vorbringen des Antragstellers, dass er der Gefahr der Folter ausgesetzt würde, sei zwar nicht ausgeschlossen, jedoch sei die Folter in Algerien verboten und unter Strafe gestellt. Ebenso wurde im Zusammenhang mit der Verdächtigung der Folter im Jahr 2016 durch den Polizeidienst der algerische Sicherheitsdienst DRS aufgelöst und durch eine andere Behörde ersetzt worden. Im Weiteren sei die algerische Verfassung angepasst worden und dadurch sei mehr grundrechtlicher Schutz gewährt.

    Da die Folter des Antragstellers jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden könne, müssten insofern diplomatische Zusicherungen bei der Abschiebung getroffen werden. Diplomatische Zusicherungen seien nach der EGMR zulässig, sofern das Abschiebungsland entsprechende Zuverlässigkeit aufweist. Dies sei bei Algerien der Fall, sodass nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts gegen die Abschiebung unter diplomatischer Zusicherung keine Bedenken bestehen würde.

    Der Antragsteller sei eine terroristische Gefahr, sodass eine Abschiebung nach § 58a AufenthG grundsätzlich erfolgen könne. Unter Beachtung der Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG und der nicht auszuschließenden Folter müssten jedoch diplomatische Zusicherungen gemacht werden. Der Antrag ist dennoch unbegründet, da einer Abschiebung kein Verbot entgegenstünde. Die Verfügung sei gemäß § 58a AufenthG zulässig und begründet.

    Quelle: Bundesverwaltungsgericht

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