Aufenthaltserlaubnis wegen nachhaltiger Integration Archive - MTH Rechtsanwälte Köln
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Tag Archive: Aufenthaltserlaubnis wegen nachhaltiger Integration

  1. Ausländerrecht: Klage gegen die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs

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    Verwaltungsgericht Karlsruhe, 10.10.2012, Az.: 4 K 2777/11

    Haben Ausländer einen gesetzlichen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel, wie zum Beispiel eine Aufenthaltserlaubnis, kann diese Aufenthaltserlaubnis als Verwaltungsakt mit einer Auflage versehen werden.

    Eine solche Auflage kann zum Beispiel die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs sein. Diese Verpflichtung wird immer dann ausgesprochen, wenn der Ausländer nach Ansicht der Ausländerbehörde zu wenig Sprachkenntnisse und gesellschaftliche Kenntnisse hat.

    Seine Rechtsgrundlage hat die Verpflichtung zum Integrationskurs in § 44a Abs. 1 AufenthG. Insbesondere relevant ist dabei § 44a Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Danach ist ein Ausländer zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet, wenn er in besonderer Weise integrationsbedürftig ist und die Ausländerbehörde ihn zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet.

    Wenn der Ausländer aber der Ansicht ist, dass er bereits gut integriert ist und ausreichende Sprachkenntnisse hat, um sich in Deutschland zu integrieren, kann diese Auflage auch zur sinnlosen Belastung werden. Denn ein solcher Integrationskurs kann bis zu 700 Stunden dauern und ist neben einer normalen Vollzeitarbeit kaum zu schaffen. Dann kann Klage gegen die Verpflichtung zum Integrationskurs eingereicht werden. Dies wurde im folgenden Fall von einer türkischen Ehefrau und Mutter gemacht:

    Sachverhalt des Falles:

    Türkische Klägerin wurde zum Integrationskurs verpflichtet

    Die Klägerin in diesem Fall war türkische Staatsangehörige und war am 23.04.1981 zu ihrem türkischen Ehemann in die Bundesrepublik eingereist.  Die Eheleute hatten sechs Kinder, die alle die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen. Der Ehemann führte seit 1992 selbständig einen Lebensmittelladen. Bis zu einer schweren Erkrankung hatte die Klägerin im Jahr 2007 im Lebensmittelladen durch Putzen und Aufräumen ausgeholfen und den Haushalt geführt. Die Klägerin hatte eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG, befristet bis zum 11.11.2012.

    Mit Schreiben vom 10.11.2010 hatte das Landratsamt Karlsruhe der Klägerin mitgeteilt, dass bei ihrer persönlichen Vorsprache bei der Dienststelle am 10.11.2010  festgestellt worden sei, dass sie sich nicht auf einfache Art in der deutschen Sprache verständigen könne. Somit sei beabsichtigt, sie gemäß § 44a Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zur Teilnahme an einem Integrationskurs zu verpflichten und eine entsprechende gebührenpflichtige Verfügung zu erlassen.

    Türkin macht Krankheiten und Analphabetismus geltend

    Gegen diese Verpflichtung wendete die Klägerin schriftlich ein, sie sei 59 Jahre alt und leide seit 2007 unter einem Hämangioendotheliom der Leber. Vor Kurzem habe sie sich einer großen Operation unterziehen müssen. Sie sei Analphabetin und seelisch sehr angespannt und mitgenommen. Beigefügt war ein ärztliches Attest.

    Daraufhin wurde die Klägerin zur amtsärztlichen Untersuchung aufgefordert, der sie nachkam. Die Stellungnahme des Gesundheitsamtes bei der Außenstelle Bruchsal des Landratsamtes Karlsruhe vom 30.12.2010 kam zu dem Ergebnis, dass nach erheblichen körperlichen Erkrankungen mit belastenden Therapien die Klägerin beim Untersuchungszeitpunkt noch körperlich angeschlagen war. Die Amtsärztin riet, die Klägerin für die nächsten drei Monate von einem Sprachkurs zu befreien. Danach sei davon auszugehen, dass die Klägerin körperlich, geistig und seelisch in der Lage ist, an einem Integrationskurs teilzunehmen.

    Mit Schreiben vom 09.02.2011 wiederholte der Rechtsanwalt der Klägerin ihre Einwände gegen die Teilnahme an einem Integrationskurs und ließ vortragen, ihr stünde eine Niederlassungserlaubnis unabhängig von der Frage der sprachlichen Fähigkeiten zu.

    Mit Verfügung des Landratsamtes Karlsruhe vom 26.01.2011 verpflichtete das Landratsamt die Klägerin zur regelmäßigen Teilnahme und zum erfolgreichen Abschluss eines Integrationskurses verpflichtet. Sie wurde ebenfalls verpflichtet, der Ausländerbehörde bis spätestens 01.05.2011 eine Bestätigung eines Sprachkursträgers bezüglich der ordnungsgemäßen Anmeldung um den regelmäßigen Besuch eines Integrationskurses vorzulegen. Bei Nichterfüllung wurde der Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 100 € angedroht.

    Dagegen legte der Rechtsanwalt der Klägerin am 11.02.2011 Widerspruch ein und ließ mitteilen, sie sei in der Lage, sich in sehr einfacher Art und Weise auf Deutsch zu unterhalten. Sie verstehe Begriffe wie Kartoffel, Tomate, Haus, Wohnung und Kindergarten, so dass sie sowohl beim Einkauf, mit Nachbarn und bei Behörden Gespräche führen könne. Auch in der Klinik habe sie sich verständigen können. Sie meine lediglich, dass sie die komplizierte deutsche Sprache, die von einigen Personen, die bei Behörden arbeiteten dort an den Tag gelegt würden, nicht verstehen könne. Anlässlich einer Vorsprache der Klägerin im Beisein ihres Rechtsanwalts beim Landratsamt Karlsruhe am 19.07.2011 konnte nicht eindeutig geklärt werden, ob bei ihr einfache mündliche Deutschkenntnisse vorhanden sind. Sechs von dreizehn Fragen konnte sie nicht verstehen.

    Mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2011 änderte das Regierungspräsidium Karlsruhe Ziff. 1 der Verfügung vom 26.01.2011 wie folgt: Die Widerspruchsführerin wird zur ordnungsgemäßen Teilnahme am Integrationskurs und zur Teilnahme am Abschlusstest verpflichtet. Ansonsten blieb es bei dem Verpflichtungsbescheid.

    Türkin reicht Klage beim Verwaltungsgericht ein

    Gegen den geänderten Verpflichtungsbescheid reichte die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe ein.

    In der Begründung der Klage führte die Klägerin weiter aus: Allein dadurch, dass sie 30 Jahre lang in Deutschland am tatsächlichen Leben teilgenommen habe, habe sie die Integration schon bewiesen. Sie habe sechs Kinder zur Welt gebracht, die allesamt integriert seien und Steuern zahlten. Ihre Kinder besäßen die deutsche Staatsangehörigkeit und eine Ausbildung. Seit 1992 habe ihr Mann einen Lebensmittelladen geführt, in dem sie mitgeholfen, geputzt und aufgeräumt habe. Die Sprachdefizite, die sie habe, seien nicht auf fehlende Integration zurückzuführen, sondern auf die Tatsache, dass sie Analphabetin und aufgrund ihres Alters nicht mehr in der Lage sei, einen solchen Kurs durchzuführen. Aufgrund der besonderen Umstände könne von ihr nicht die Teilnahme am Integrationskurs verlangt werden. Wegen des Verschlechterungsverbots aus dem Assoziationsabkommen ARB 1/80 und der Rechtsprechung des EUGH dazu dürften keine Verschlechterungen wie etwa die Einführung der Sprachnachweise beim Ehegattennachzug und die Anforderung von Sprachkenntnissen des Niveaus B 1 für eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis Anwendung finden. Außerdem sei der sich aus Art. 6 oder 8 EMRK ergebende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt. Dem Inhaber einer Niederlassungserlaubnis (§ 51 Abs. 5 AufenthG) werde von der Ausländerbehörde eine Bescheinigung ausgestellt, aus der sich ergebe, wie lange er sich maximal im Ausland aufhalten dürfe. Für sie bestehe diese Möglichkeit nicht, so dass sie nicht mit ihrem Ehemann, der beabsichtige, als Rentner länger als ein halbes Jahr in der Türkei zu leben, zusammenleben könne, obwohl sie schon 30 Jahre in Deutschland lebe und keinen Cent Sozialhilfe bezogen habe, vielmehr zusammen mit ihrem Ehemann Arbeitsplätze geschaffen und mit Steuerzahlungen viele Sozialhilfeempfänger finanziert habe. In der mündlichen Verhandlung machte sie geltend, ihre Kinder besäßen alle einen Universitätsabschluss und weil ihre Kinder berufstätig seien, müsse sie die Enkelkinder betreuen. Sie wolle nicht an einem Integrationskurs teilnehmen, „dies gehe nicht in ihren Kopf“ und ein solcher Kurs verursache Stress für sie und mache sie krank.

    Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe:

    Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat entschieden, dass die Klage zwar zulässig aber unbegründet sei.

    Die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs finde ihre Rechtsgrundlage in der Vorschrift des § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Danach sei ein Ausländer zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet, wenn er in besonderer Weise integrationsbedürftig sei und die Ausländerbehörde ihn zur Teilnahme am Integrationskurs auffordere. Diese Voraussetzungen seien hier gegeben.

    Verwaltungsgericht sieht besondere Integrationsbedürftigkeit bei Türkin

    Die Klägerin sei in besonderer Weise integrationsbedürftig (§ 44a Abs. 1 Nr. 3 AufenthG). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers beruhe Integration auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und des Austauschs zwischen dem zuziehenden Ausländer und der ihn aufnehmenden Gesellschaft. Der Zuzug aus dem Ausland führe nicht nur für den Ausländer zur Notwendigkeit, sich in einer neuen und ungewohnten Umgebung einzuleben, sondern fordere auch von der Gesellschaft zusätzliche Hilfen zur Orientierung.

    Die Nutzung der verfügbaren Bildungsangebote sei ein notwendiger, aktiver Eigenbeitrag zur Integration. Der Gesetzgeber habe in Kapitel 3 des Aufenthaltsgesetzes die Integration geregelt. Sie werde zur Eingliederung von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland gefördert und gefordert (§ 43 Abs. 1 AufenthG). Ein Grundangebot stelle dabei der sog. Integrationskurs dar (§ 43 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 AufenthG), mit dem ausreichende deutsche Sprachkenntnisse und Kenntnisse von Rechtsordnung, Kultur und Geschichte in Deutschland vermittelt werden sollen (§ 43 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Ausländer sollen dadurch mit den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet so weit vertraut werden, dass sie ohne Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbständig handeln können (§ 43 Abs. 2 Satz 3 AufenthG).

    Unter welchen Voraussetzungen ein Ausländer „in besonderer Weise integrationsbedürftig“ sei, sei im AufenthG nicht definiert. Diese Tatbestandsmerkmale seien unbestimmte Rechtsbegriffe, die vom Gericht voll überprüfbar seien. Ein Ermessen oder ein Beurteilungsspielraum stünde der zuständigen Behörde insoweit nicht zu. Beide Begriffe seien mit Hilfe der §§ 43 ff AufenthG und den Vorschriften der IntV auszulegen. Sprachlich seien die Worte „besonders“ und „in besonderer Weise“ eine Hervorhebung und je nach Sinnzusammenhang eine Verschärfung des folgenden Adjektivs bzw. Verbs. Maßgeblich dafür, wann der Ausländer in „besonderer Weise“ oder „besonders“ (s. § 4 Abs. 3 IntV) integrationsbedürftig sei seien die Umstände des Einzelfalles, weshalb dahinstehen könne, ob der unterschiedlichen sprachlichen Formulierung inhaltliche Differenzierungen beizumessen seien. Die Wortwahl in „besonderer Weise integrationsbedürftig“ finde sich auch in § 44 Abs. 4 Satz 2 AufenthG bei der Integration deutscher Staatsangehöriger, aus der aber wegen des besonderen Personenkreises keine, allenfalls eingeschränkte Rückschlüsse auf § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG gezogen werden können. Einen Fall besonderer Integrationsbedürftigkeit regele § 4 Abs. 3 IntV. Danach könne von einer besonderen Integrationsbedürftigkeit insbesondere dann ausgegangen werden, wenn sich der Ausländer als Inhaber der Personensorge für ein in der Bundesrepublik Deutschland lebendes Kind „nicht auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann“ und es ihm deshalb bisher nicht gelungen sei, sich ohne staatliche Hilfe in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren. Die Formulierung „insbesondere“ sei dahin zu verstehen, dass der Gesetzgeber die Voraussetzungen einer besonderen Integrationsbedürftigkeit nicht abschließend geregelt habe, sondern nur ein Beispiel dazu. § 4 Abs. 3 IntV verbindee zwei Gesichtspunkte miteinander, nämlich, dass sich der Ausländer nicht auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen könne und es ihm deshalb nicht gelungen sei, sich ohne staatliche Hilfe in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren. Die Formulierung hinsichtlich des Maßes der Sprachkenntnisse („nicht auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen“) knüpfe an den, vom Gesetzgeber in § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1.a) AufenthG und in der IntV im Zusammenhang mit den Zielen des Integrationskurses und dem Abschlusstest verwendeten (§§ 3 Abs. 2, 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 IntV), ihm deshalb bekannten, Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen an, der europäische Sprachtests in sechs Schwierigkeitsgrade einteile. Niveau A1 setze Folgendes voraus: “Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen – z. B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben – und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben. Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen.“

    Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie sich auf Niveau A1, also auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen könne. Davon könne aufgrund des Akteninhalts und ihrer persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung nicht ausgegangen werden. Mit Schreiben ihrer Tochter habe sie mitteilen lassen, dass sie Analphabetin sei. Die in der Akte befindlichen und von ihr unterzeichneten Schreiben habe sie nicht selbst geschrieben, verfasst seien sie vermutlich von einer ihrer Töchter worden, die sie auch bei Behördengängen begleitet hätten. Auch die Prüfung ihrer Deutschkenntnisse am 19.07.2011 durch das Landratsamt, bei der sie oftmals auf Deutsch nicht angesprochen werden konnte, verfestige diese Ansicht.

    Zudem habe die Klägerin das Bestehen ihrer wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Integration weder vorgetragen noch sei diese sonst ersichtlich. Der Beschäftigung der Klägerin im Betrieb ihres Ehemannes komme insoweit jedenfalls kein entscheidendes Gewicht für ihre Integration zu, weil sie im Geschäft nur geputzt und aufgeräumt habe. Aus ihrer Mithilfe im Geschäft und Haushalt könne allenfalls auf eine wirtschaftliche Integration geschlossen werden, die allein nicht ausreichend sei. Deshalb helfe auch der Hinweis darauf, ihr Ehemann und sie würden Steuern bezahlen und hätten noch nie Sozialhilfe bezogen, nicht weiter, weil sie allein hierdurch nicht integriert sei (§ 43 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 AufenthG, §§ 3, 17 IntV). Es gebe keinerlei Anhaltspunkte, dass die Klägerin außerhalb ihrer Familie gesellschaftlich und kulturell integriert sei.

    Die Betreuung der Kinder und Enkelkinder steht der Teilnahme am Integrationskurs nicht entgegen

    Auch sei der Klägerin die Teilnahme an einem Integrationskurs wegen der Betreuung ihrer Enkelkinder und ihres Gesundheitszustandes nicht im Sinne von § 44a Abs. 2 Nr. 3 AufenthG unmöglich und nicht unzumutbar. Nach dieser Bestimmung seien Ausländer, deren Teilnahme an einem Integrationskurs auf Dauer unmöglich oder unzumutbar sei, von der Teilnahmeverpflichtung ausgenommen. Der Begründung zur Vorgängerregelung des § 44a Abs. 2 AufenthG sei der Wille des Gesetzgebers zu entnehmen, dass die Erziehung eigener Kinder allein noch nicht zur Unzumutbarkeit einer Kursteilnahme führe; dies gelte insbesondere bei der Möglichkeit kursergänzender Kinderbetreuung. Erst recht müsse dies für die Erziehung von Enkelkindern gelten. Der Gesetzgeber habe dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG durch die Schaffung von Frauenintegrationskursen mit Kinderbetreuung hinreichend Rechnung getragen (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 IntV). Dass hierbei nicht an die Betreuung von Enkelkindern gedacht sei, sei mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar, weil das Verhältnis zwischen Großeltern und Enkeln grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG unterfalle.

    Auch die Krankheit ist kein Hindernis für den Integrationskurs

    Soweit die Klägerin einwende, sie sei krank, sie habe mehrere schwere Operationen hinter sich und das Erlernen der deutschen Sprache „gehe nicht in ihren Kopf“, mit anderen Worten, sie sei nicht lernfähig, führe dies nicht zur Unzumutbarkeit im Sinne des § 44a Abs. 2 Nr. 3 AufenthG. Denn die amtsärztliche Untersuchung vom 30.12.2010 habe ergeben, dass die Klägerin nach Ablauf von drei Monaten körperlich, geistig und seelisch in der Lage sei, an einem Integrationstest teilzunehmen. Im Hinblick auf das bedürfnisgerechte Kursangebot seien keine Gründe ersichtlich, aus denen sich eine Unzumutbarkeit ergeben könne.

    Die Kurse seien auch für Analphabeten ausgelegt

    Mit Rücksicht darauf, dass das Kursangebot nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 und 3 IntV i.V.m. § 14 Abs. 2 Satz 4 IntV auf Analphabeten und Personen zugeschnitten sei, die noch nie im Leben eine Schule besucht haben, und dass solche Kurse auch tatsächlich angeboten würden, könne sich die Klägerin nicht erfolgreich darauf berufen, das Erlernen ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache sei für sie unmöglich und verursache Stress, der sie krank mache.

    Ihre in der mündlichen Verhandlung geäußerte fehlende Bereitschaft, an einem Integrationskurs teilzunehmen, rechtfertige auch nicht die Annahme, dass die Teilnahme daran für sie unzumutbar oder unmöglich ist. Ihre Herkunft und ihr Verständnis von ihrer Rolle als türkische Frau eines türkischen Ehemannes würden der Klägerin ihrem eigenen Bekunden zufolge nicht die Teilnahme an einem Integrationskurs verbieten, auch nicht der Umstand, dass sie den Weg zum Kursort gegebenenfalls allein zurücklegen und die Zeit dafür außerhalb ihrer Familie verbringen müsse. Dazu habe sie über ihre Tochter in der mündlichen Verhandlung erklären lassen, dass sie u.a. selbständig Einkäufe tätige und sich außerhalb ihrer Wohnung selbständig bewegen könne, was sie bei Arztbesuchen und Ähnlichem bereits getan habe.

    Die von § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG verlangte behördliche Aufforderung der Klägerin zur Teilnahme an einem Integrationskurs sei durch den angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 26.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 10.10.2011 angeordnet worden.

    Die Verpflichtung zur Teilnahme am Abschlusstest sei ebenfalls rechtmäßig. Zutreffend habe die Widerspruchsbehörde die Ausgangsentscheidung abgeändert und nur zur Teilnahme am Abschlusstest verpflichtet, nicht zur erfolgreichen Teilnahme. Die Teilnahme am Abschlusstest sei Teil des Integrationskurses, der abgeschlossen werde durch den skalierten Sprachtest „Deutsch-Test für Zuwanderer“, der die Sprachkompetenzen in den Fertigkeiten Hören, Lesen, Schreiben und Sprechen auf den Stufen A2 bis B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen nachweise und den bundeseinheitlichen Test zum Orientierungskurs (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 und 2 IntV).

    Die Verpflichtung zum Integrationskurs verletzt nicht Art 6 GG oder Art 8 EMRK

    Die Klägerin werde durch die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs nicht in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG verletzt, auch nicht in Art. 8 EMRK. Die Obliegenheit zum Erwerb ausreichender Sprachkenntnisse und der Kenntnis von der Rechtsordnung, Kultur und Geschichte in Deutschland (§ 43 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) verfolge ein legitimes Ziel, indem sie die Integration von Ausländern fördere (§ 43 Abs. 1 AufenthG) und Zwangsehen verhindern solle. Das gesetzliche Instrumentarium zur Erreichung dieses Ziels sei nicht evident ungeeignet (s. BVerwG, Urt. v. 30.03.2010 – 1 C 8/09 -, <juris> zu § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, nachfolgend BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 25.03.2011 – 2 BvR 1413/10 -, <juris>).

    Ein Verstoß gegen den besonderen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG liege weder in der Einführung des § 44a AufenthG noch in der konkreten Anwendung vor. Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG dürfe niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Dieses Differenzierungsverbot setze einen kausalen Zusammenhang zwischen der Bevorzugung oder der Benachteiligung und den in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG genannten Merkmalen voraus; die Bevorzugung oder Benachteiligung müsse mithin gerade wegen eines dieser Merkmale erfolgen (s. BVerwG, Urt. v. 30.03.2010 – 1 C 8/09 -, <juris> zu § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, nachfolgend BVerfG, Nichtannahmeb. v. 25.03.2011 – 2 BvR 1413/10 -, <juris>). Der nach § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG verpflichtete Ausländer werde nicht wegen seiner Sprache, seiner Herkunft oder seiner Alters diskriminiert, die Einführung des Integrationskurses diene seiner Integration (§ 43 Abs. 1 AufenthG).

    § 44aAbs. 1 Nr. 3 AufenthG und §§ 10 ff IntV seien auch mit Art. 13 1/80 ARB vereinbar (a.A. Gutmann, InfAuslR 2005, 45 ff, 48). Die Tragweite der Stillhalteklausel in Art. 13 1/80, wonach die Vertragsparteien keine neuen Beschränkungen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer einführen dürften, sei nicht auf bereits in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierte türkische Staatsangehörige beschränkt. Diese Bestimmung beziehe sich jedoch nur auf Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in „seinem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind“ (EUGH, Urt. v. 21.10.2003 – C-317/01, C-369/01 -, <juris> u. Urt. v. 09.12.2010 – C-300/09 und C-301/09, C-300/09 , C-301/09 -, <juris> Rn 49 m.w.N.).

    Die Verpflichtung zum Integrationskurs ist auch mit ARB 1/80 vereinbar

    Die Vorschrift sei auf die Klägerin schon deshalb nicht anwendbar, weil sie selbst nicht Arbeitnehmerin war und als Familienangehörige ihre Ehemannes (Art. 6 Abs. 1, 7 Satz 1 ARB 1/80) nicht mehr den Schutz des ARB 1/80 genieße, weil ihr Ehemann seit 1992 eine selbständige Tätigkeit ausübe, indem er selbständig Lebensmittelmärkte führe. Abgesehen davon sei Art. 13 1/80 ARB nicht verletzt, weil die Einführung eines Integrationskurses keine „Beschränkung“ bzw. „Verschlechterung“ sei. Dass die Niederlassungserlaubnis an „ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache“ anknüpfe (§ 9 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG), bzw. die auf die Klägerin anwendbare Vorschrift des § 104 Abs. 2 AufenthG für die Niederlassungserlaubnis verlange, dass sich Ausländer „auf einfache Art. in deutscher Sprache mündlich verständigen können“, sei keine Verschlechterung im Sinne der Stillhalteklausel, die durch die Einführung des § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 43 Abs. 2 und 3 AufenthG ausgelöst werde. Denn die geforderten sprachlichen Kenntnisse könnten auch auf andere Weise als durch die Teilnahme an einem Integrationskurs nachgewiesen werden. Hinzu komme, dass § 9 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG nicht automatisch die Ablehnung der Niederlassungserlaubnis mit der Verweigerung der Teilnahme eines nach § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG verpflichteten Ausländers an einem Integrationskurs nach den §§ 10 ff, § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 IntV verbindee. Zudem seien in § 9 Abs. 2 Sätze 3, 4, 5 und 6 AufenthG wichtige Ausnahmen von den sprachlichen und kulturellen Anforderungen normiert.

    Quelle: Verwaltungsgericht Karlsruhe

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  2. Ausländerrecht: Aufenthaltserlaubnis wegen nachhaltiger Integration ist bei Vereitelung der Ausreise zu versagen.

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    Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluß vom 9.4.2019, Az.: 11 S 2868/18

    In § 25b AufenthG ist geregelt, dass Menschen mit einer Duldung, die sich seit längerer Zeit in Deutschland aufhalten, unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie sich nachhaltig in die hiesigen Gesellschafts- und Lebensverhältnisse integriert haben.

    Die in § 25b AufenthG genannten Voraussetzungen sind:

    – der Ausländer muss seit mindestens acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem minderjährigen ledigen Kind in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben

    – der Ausländer muss sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügen,

    – der Ausländer muss seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichern oder bei der Betrachtung der bisherigen Schul-, Ausbildungs-, Einkommens- sowie der familiären Lebenssituation ist zu erwarten, dass er seinen Lebensunterhalt im Sinne von § 2 Absatz 3 sichern wird, wobei der Bezug von Wohngeld unschädlich ist,

    – der Ausländer muss über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt und

    – bei Kindern im schulpflichtigen Alter deren tatsächlichen Schulbesuch nachweisen.

    Selbst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis allerdings dann zu versagen, wenn der Ausländer die Aufenthaltsbeendigung durch vorsätzlich falsche Angaben, durch Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit oder Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen verhindert oder verzögert hat.

    In dem hier besprochenen Fall war der Antrag des Ausländers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG abgelehnt worden, weil die Ausländerbehörde davon ausgegangen war, dass der aus Kamerun stammende Kläger nicht alles ihm Zumutbare getan habe, um das Ausreisehindernis des fehlenden Rückreisedokuments zu beseitigen.  Dieser Ansicht hatte sich das zunächst angerufene Verwaltungsgericht angeschlossen und die Klage des Klägers abgewiesen. Hiergegen richtete sich die Berufung des Klägers zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg.

    Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Der VGH Baden-Württemberg entschied nun, dass der Antrag auf Zulassung der Berufung zwar zulässig, jedoch unbegründet sei. Die Berufung sei nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen

    Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) würden dann vorliegen, wenn unter Berücksichtigung der vom Antragsteller dargelegten Gesichtspunkte (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedürfe, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich sei (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10.03.2004 – 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838; vom 15.12.2003 – 7 AV 2.03 -, NVwZ 2004, 744; vom 12.11.2002 – 7 AV 4.02 -, juris; vom 11.11.2002 – 7 AV 3.02 -, DVBl. 2003, 401 und vom 14.06.2002 – 7 AV 1.02 -, DVBl. 2002, 1556).

    Mit anderen Worten: Sie seien immer schon dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.07.2013 – 1 BvR 3057/11 -, BVerfGE 134, 106 <118 Rn. 36>; Beschluss vom 08.12.2009 – 2 BvR 758/07 -, BVerfGE 125, 104 <140>; Beschluss vom 03.03.2004 – 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77). Dabei sei davon auszugehen, dass das Zulassungsverfahren das Berufungsverfahren nicht vorwegnehmen solle (BVerfG, a.a.O., BVerfGE 134, 106 <119 Rn. 40>, es sei denn, es lasse sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen, das Verwaltungsgericht habe die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden und die angestrebte Berufung werde deshalb keinen Erfolg haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2004, a.a.O.), sofern nicht seinerseits andere Gründe wiederum auf einen anderen Zulassungsgrund hinführen würden (vgl. hierzu Stuhlfauth, in: Bader u.a., VwGO, 7. Aufl. (2018), § 124 Rn. 22). Dabei seien auch nach Erlass der angegriffenen Entscheidung und bis zum Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) neu eingetretene Tatsachen sowie erhebliche Änderungen des maßgeblichen Rechts zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14.06.2002 und vom 15.12.2003, jew. a.a.O.; Stuhlfauth, a.a.O., § 124 Rn. 26 ff.)

    Zur Darlegung ernstlicher Zweifel sei eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung erforderlich. Der Streitstoff müsse dabei unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil gesichtet, rechtlich durchdrungen und aufbereitet werden; erforderlich sei eine fallbezogene Begründung, die dem Berufungsgericht eine Beurteilung der Zulassungsfrage ohne weitere eigene aufwendige Ermittlungen ermöglichen würde. Das Maß der zu leistenden Substantiierung könne dabei von der jeweiligen Begründungsdichte und dem Begründungsaufwand der Entscheidung abhängig sein

    Gemessen hieran, zeige der Kläger mit seiner Antragsbegründung keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils auf.

    Er berufe sich darauf, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht den Versagungsgrund des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG angenommen habe. Er, der Kläger, habe jedoch auf die Nichtausstellung eines Reisepasses durch die Botschaft Kameruns keinen Einfluss, da die Botschaft das Ergebnis der Klageverfahren habe abwarten wolle (Mitteilung des Regierungspräsidiums an das Verwaltungsgericht vom 21.02.2018)

    Mit diesem Vorbringen würden die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts dazu, dass der Kläger (auch aktuell) nicht alles ihm Zumutbare tue, um das Ausreisehindernis des fehlenden Rückreisedokuments zu beseitigen, nicht erfolgreich in Zweifel gezogen. Denn ausweislich der verwaltungsgerichtlichen Akten in diesem (12 K 5834/17), wie auch in den vorangegangenen Verfahren (9 K 2394/14 und 11 S 1562/16), habe der Kläger zu keinem Zeitpunkt substantiiert dargelegt, sich um die Ausstellung eines Ausweispapiers in ausreichender und zumutbarer Weise bemüht zu haben

    § 3 Abs. 1 AufenthG statuiere die Passpflicht, die zu den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG gehöre. Diese Pflicht werde durch die Mitwirkungsverpflichtungen nach § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bei der Beschaffung des Identitätspapiers flankiert. Ein ausreisepflichtiger Ausländer habe daher alle zur Erfüllung seiner Ausreisepflicht erforderlichen Maßnahmen, und damit auch die zur Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapiers, grundsätzlich ohne besondere Aufforderung durch die Ausländerbehörde unverzüglich einzuleiten. Zweifel in Bezug auf die Unmöglichkeit einer Passbeschaffung würden zu Lasten des Ausländers gehen, weil er generell und damit insbesondere auch – wie hier – im Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für die ausschließlich seinem Einflussbereich unterliegenden, ihm günstigen Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig sei und dies auch in Ansehung einer für ihn möglicherweise schwierigen Beweissituation gelte (OVG NRW, Beschlüsse vom 18.09.2006 – 18 A 2388/06 -, BeckRS 2006, 26479, vom 05.06.2008 – 18 E 471/08 -, juris, und vom 21.08.2014 – 18 A 1668/12 -, BeckRS 2014, 119408)

    Etwas Anderes gelte hier nicht, weil § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG als Versagungsnorm ausgestaltet sei. Denn die Vorschrift knüpfe an die allgemeinen Obliegenheiten und Mitwirkungspflichten des Ausländers an, die ausschließlich dessen Einflussbereich unterliegen würden und der Behörde regelmäßig nicht bekannt sein könnten. Dass der Ausländer diesen Pflichten in ausreichender und zumutbarer Weise nachzukommen versucht habe, hatbe er daher zunächst darzulegen und gegebenenfalls zu belegen. Erst wenn er die aufgezeigten (üblichen) Mitwirkungshandlungen und Obliegenheiten erfüllt habe, trage die Ausländerbehörde die Darlegungs- und Beweislast dafür, welche konkreten weiteren und nicht von vornherein aussichtslosen Mitwirkungshandlungen der Betroffene zur Beseitigung des Ausreisehindernisses noch unternehmen könne (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.09.2006, a.a.O., m.w.N.)

    Davon ausgehend fehle es im Fall des Klägers auch mit Blick auf das Zulassungsvorbringen an jeder nachvollziehbaren und damit bewertbaren Darlegung seiner konkreten Bemühungen um die Ausstellung eines Passes oder Passersatzpapieres, und dies durchgängig seit dem Verfahren im Jahre 2014 (vgl. hierzu den Beschluss des Senats vom 22.09.2016 im Verfahren 11 S 1562/16) bis heute. Es liege davon ausgehend für den Senat auf der Hand, dass das Entscheidungsverhalten der Botschaft Kameruns auf Umständen beruhen könne, die der Kläger beeinflussen könnte, wenn er es denn wollte. Der Senat habe schon in seinem Beschluss vom 22. September 2016 darauf hingewiesen, dass ein konkreter Vortrag zu Bemühungen des Klägers um die Ausstellung eines Passes umso mehr erforderlich gewesen sei, als ihm im Jahre 2010 ein Nationalpass ausgestellt worden sei. Daran habe sich nichts geändert. Die nach all dem begründeten Zweifel daran, dass sich der Kläger in ausreichender und zumutbarer Weise um die Ausstellung eines Passes bemüht habe, gingen daher zu seinen Lasten

    Unbeschadet dessen sei für den Senat nicht zu erkennen, womit sich vorliegend die von § 25b AufenthG vorausgesetzte nachhaltige Integration des Klägers in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland begründen ließe. Der Kläger erfüllte die regelhaft vorausgesetzte eigenverantwortliche Sicherung seines Lebensunterhalts nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG seit vielen Jahren nicht. Soweit dies – inzwischen – auf dem Umstand beruhe, dass ihm die Erwerbstätigkeit mangels Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung nicht mehr gestattet werde, müsse er sich dies entgegenhalten lassen

    Und selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass der Kläger den Ausschlusstatbestand des § 25b Abs. 2 Nr. 1 3. Alt. AufenthG nicht erfüllen würde, wäre sein bisheriges Verhalten bei der Passbeschaffung zu berücksichtigen. Dies zum einen bei der Anwendung des § 25b AufenthG als Sollvorschrift (a) und zum anderen im Rahmen der Prüfung des Vorliegens der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, von der im Ermessenwege abgesehen werden kann. In der Ausgestaltung des § 25b Abs. 1 AufenthG als Sollregelung seien atypische Fälle angelegt. Die Vorschrift setze eine gelungene Integration voraus, die – regelhaft – durch die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen umschrieben werde. Gleichwohl bedürfe es einer Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls. Die damit erforderliche Bewertung sei in der Normstruktur auch im Rahmen der Rechtsfolgenregelung als Sollbestimmung angelegt (vgl. Göbel-Zimmermann/Eichhorn/Beichel-Benedetti, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 2018, S. 237 Rn. 893, m.w.N.). Eine „Sperrwirkung“ des Ausschlusstatbestandes im Falle früherer Verweigerung von Mitwirkungshandlungen lasse sich danach nicht begründen. Mit den ausdrücklich benannten Integrationsforderungen und Versagungsgründen hatbeder Gesetzgeber den Maßstab für den Regelfall vorgegeben, Ausnahmen seien in der Rechtsfolgenregelung zu verorten (Göbel-Zimmermann/Eichhorn/Beichel-Benedetti, a.a.O., S. 240 Rn. 903). Davon ausgehend lasse sich angesichts des bisherigen Verhaltens des Klägers eine gelungene Integration nicht erkennen

    Und schließlich sei nicht zu erkennen, dass die Beklagte im konkreten Fall von der Erfüllung der Passpflicht als Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG im Ermessenswege nach Absatz 3 Satz 2 der Vorschrift hätte absehen müssen

    Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg

    Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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  3. Ausländerrecht: Ausländische Ehegatten von Deutschen können zum Integrationskurs verpflichtet werden.

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    Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße, 09.12.2010, Aktenzeichen 2 K 870/10

    Gerade in den letzten Jahren wurde leidenschaftlich über die Integration von Ausländern in die deutsche Gesellschaft diskutiert. Zur Verbesserung der Integration hier lebender Ausländer haben die Bundesregierung, die Bundesländer, die kommunalen Spitzenverbände und verschiedene zivile Organisationen am 14.07.2006 den nationalen Integrationsplan beschlossen.

    Ziel des nationalen Integrationsplanes ist die Verbesserung der Integrationskurse, Förderung der deutschen Sprache, Sicherung der Bildung und Ausbildung, Förderung der Gleichberechtigung, etc.

    Gerade die Integrationskurse werden dabei von allen Beteiligten als das Mittel der ersten Wahl angesehen.

    Gem. § 43 Abs. 2 AufenthG ist es Ziel des Integrationskurses, den Ausländern die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland erfolgreich zu vermitteln. Ausländer sollen dadurch mit den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet so weit vertraut werden, dass sie ohne die Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbständig handeln können.

    Gem. § 44 Abs. 1 AufenthG hat Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs derjenige Ausländer, der sich dauerhaft im Bundesgebiet aufhält, wenn ihm erstmals eine Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken (§§ 18, 21), zum Zweck des Familiennachzugs (§§ 28, 29, 30, 32, 36), aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 1 oder Abs. 2, als langfristig Aufenthaltsberechtigter nach § 38a oder ein Aufenthaltstitel nach § 23 Abs. 2 erteilt wurde.

    Um die Integration weiter voranzubringen, können Ausländer bei Verweigerung der Teilnahme aber auch verpflichtet werden, an einem Integrationskurs teilzunehmen.

    § 44a Abs. 1 AufenthG führt insofern aus, dass ein Ausländer dann zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet ist, wenn er nach § 44 einen Anspruch auf Teilnahme hat und sich nicht zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann oder zum Zeitpunkt der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 23 Abs. 2, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 30 nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt oder Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bezieht und die Teilnahme am Integrationskurs in einer Eingliederungsvereinbarung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch vorgesehen ist oder er in besonderer Weise integrationsbedürftig ist und die Ausländerbehörde ihn zur Teilnahme am Integrationskurs auffordert.

    Am 09.12.2010 hatte nun das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße darüber zu entscheiden, ob eine aus dem Kosovo stammende Ehegattin eines Deutschen zum Integrationskurs verpflichtet werden kann, obwohl Sie dafür eine längere Anreise sowie die Betreuung ihrer Kinder zu organisieren hatte.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:

    Kosovarische Klägerin wurde durch die Ausländerbehörde zum Integrationskurs verpflichtet

    Die aus dem Kosovo stammende Klägerin lebte seit etwa vier Jahren im Rhein-Pfalz-Kreis und war mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Darüber hinaus hatte sie zwei Kleinkinder, welche beide im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit waren.

    Aufgrund der mangelnden Deutschkenntnisse der Klägerin verpflichtete die Beklagte (Rhein-Pfalz-Kreis) die Klägerin zur Teilnahme an einem Integrationskurs mit der Begründung, dass sie als Mutter zweier deutscher Kinder Vorbildfunktion habe und somit zumindest einfache Deutschkenntnisse erlangen müsste.

    Klägerin verweigert Teilnahme wegen ihrer Kinder und fehlendem Integrationsbedarfes

    Hiergegen erhob die Klägerin Klage mit der Begründung, dass ihre Kinder zweisprachig erzogen würden und die deutsche Sprache durch den Vater vermittelt werde. Darüber hinaus könne sie nur an einem Integrationskurs mit Kinderbetreuung teilnehmen, welcher in der näheren Umgebung ihres Wohnortes jedoch nicht angeboten werde.

    Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße:

    Verwaltungsgericht sieht hingegen besonderen Integrationsbedarf, da sie Vorbild für die Kinder sei

    Das Verwaltungsgericht folgte der Begründung der Klägerin nicht. Nach Ansicht des Gerichts sei die Klägerin besonders integrationsbedürftig, da sie als Hauptbezugsperson für die Kinder besondere Verantwortung für deren Erziehung und künftige Schulausbildung trage. Die Teilnahme an einem Kurs sei insofern zumutbar, um Sprachbarrieren zu vermeiden und abzubauen. Ein weiteres Zuwarten und damit eine weitere Integrationsverzögerung könne ansonsten auch zu konkreten Nachteilen für die Integration ihrer Kinder führen.

    Quelle: Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße

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