Bayrischer Verwaltungsgerichtshof 23.01.2017 Az.: 5 B 16.1007 Archive - MTH Rechtsanwälte Köln
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Tag Archive: Bayrischer Verwaltungsgerichtshof 23.01.2017 Az.: 5 B 16.1007

  1. Ausländerrecht: Trotz Maßregelung der Besserung und Sicherung kann die Einbürgerung möglich sein

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    Ausländerrecht: Trotz Maßregelung der Besserung und Sicherung Einbürgerung möglich

    Bayrischer Verwaltungsgerichtshof, 23.01.2017, Az.: 5 B 16.1007

    Nach § 10 Abs. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn die in den Nummern 1 bis 7 genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

    Hierbei ist zu beachten, dass in § 10 StAG festgelegten Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen. Nur bei Vorliegen aller Merkmale hat der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung der Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund. Bei der Voraussetzung der Straffreiheit ist die Unbeachtlichkeitsgrenze des § 12a Abs. 1 S. 1 StAG zu berücksichtigen, wonach unter anderem nach Nr. 2 Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen bei der Einbürgerung außer Betracht bleiben. Ebenso können Maßregelungen zur Sicherung und Besserung unberücksichtigt bleiben.

    Der Kläger begehrt durch die nachstehende Entscheidung die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund. Das dem Sachverhalt zugrundeliegende Problem ist die Frage um die Berücksichtigung von Bagatellverurteilungen im Rahmen der Ermessensausübung der Behörde.

    Sachverhalt: Der Kläger ist brasilianischer Staatsangehöriger und begehrt nunmehr die Einbürgerung in den deutschen Staatenverband. Der Kläger reiste im September 2002 mit Visum zum Studium in das Bundesgebiet ein und legte im Juli 2004 sein Tanzdiplom ab. In der Zeit von 2004 bis 2009 tanze er für das Ballett. Im Februar 2009 erhielt er eine Niederlassungserlaubnis und eröffnete im Februar 2010 ein Café. Nunmehr studiert er an einer privaten Hochschule, ist Betreiber eines Onlinehandels mit Geschenkartikeln und arbeitet in Teilzeit bei einer Beratung, wobei einer bei einer Warmmiete von 750,00 EUR, 2000 EUR monatlich verdient.

    Im August 2011 beantragte der Kläger seine Einbürgerung unter gleichzeitiger Bereitschaft seine bisherige Staatsbürgerschaft aufzugeben. Im April 2012 fuhr der Kläger unter Marihuana-Einfluss in Berlin Auto, weswegen er daraufhin mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 30.07.2012 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß §§ 316 Abs. 1 und 2, 69, 69a StGB zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt, ihm die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen, der Führerschein eingezogen und entschieden wurde, dass ihm vor Ablauf von zehn Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden dürfe.

    Diese Verurteilung verschwieg der Kläger bei seiner Einbürgerungserklärung vom Dezember 2012 und September 2013, weswegen er am 16.06.2014 wegen Erschleichen einer Einbürgerung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt wurde. Laut Auskunft des Bundesamts für Justiz vom 07.08.2014 werden die Eintragungen – künftige Straffreiheit vorausgesetzt – am 16. Juni 2019 tilgungsreif; bezüglich der ersten Verurteilung hätte die Frist im Juli 2017 geendet.

    Die Beklagte lehnte daraufhin den Einbürgerungsantrag am 18.08.2015 ab und verwies im Wesentlichen auf § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StAG. Die summierten Geldstrafen blieben zwar gemäß § 12a Abs. 1 S. 2, S. 1 Nr. 2 StAG außer Betracht und seien insofern nicht einbürgerungsschädlich. Die zwar abgelaufene, aber noch nicht getilgte Maßnahme der Besserung und Sicherung gemäß § 61 Nr. 5 StGB erfordere aber eine Einzelfallentscheidung, ob die Maßregel außer Betracht bleiben könne. Hierüber werde nach Ermessen entschieden; im Ergebnis überwiege das öffentliche Interesse.

    Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger im September 2015 Klage und beantragte die Beklagte zu verpflichten, ihn einzubürgern unter Hinweis auf die Verletzung der Verhältnismäßigkeit. Das Verwaltungsgericht wies die Klage am 20.01.2016 ab und führte in seiner Begründung aus, dass die Beklagte ohne Ermessensfehler und verhältnismäßig entschieden habe. Die Verurteilungen würden zwar wegen des Bagatellcharakters außer Betracht bleiben, jedoch gelte dies nicht für die angeordnete Maßregelung zur Besserung und Sicherung. Nach dem Wortlaut des § 12a Abs. 1 Satz 4 StAG, der Gesetzessystematik, dem Normzweck und dem gesetzgeberischen Willen habe die Behörde eine Einzelfallentscheidung über die Berücksichtigung der Maßregel zu treffen. Der Ermessensspielraum der Beklagten sei nicht ausnahmsweise auf Null reduziert. Auch wenn die strafrechtlichen Verurteilungen unterhalb der Bagatellgrenze des § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 StAG lägen, habe der Kläger zwei Straftatbestände verwirklicht, die als solche nicht dem Bereich der Bagatellkriminalität zuzurechnen seien. Der Kläger habe seine Fahrerlaubnis auch nicht im unmittelbaren Anschluss an den Ablauf der Wiedererteilungssperre wiedererlangt, sondern erst ein Jahr später nach einer Drogentherapie. Überdies sei eine der beiden Verurteilungen im Zusammenhang mit dem Einbürgerungsbegehren erfolgt. Außerdem sei der Kläger für seine private Lebensführung, etwa aus beruflichen Gründen, nicht unabdingbar auf die Einbürgerung angewiesen. Sonstige Ermessensfehler lägen gerade noch nicht vor. Auch wenn der Kläger die Fahrerlaubnis im Mai 2014 wiedererlangt habe, habe die Beklagte auf die Tilgungsreife der Straftaten im Jahr 2019 abstellen dürfen.

    Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein.

    Bayrischer Verwaltungsgerichtshof: Der bayrischer Verwaltungsgerichtshof urteilte nun, dass die Berufung zulässig und begründet sei. Das Verwaltungsgericht München habe die Verpflichtungsklage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger habe einen Anspruch darauf, dass ihn die Beklagte – unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit – in den deutschen Staatenverband einbürgere.

    Nach Lage der Akten seien die Voraussetzungen des § 10 StAG mit Ausnahme des Nr. 5 zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gegeben gewesen. Streitgegenstand des Verfahrens sei gewesen, ob die Straffreiheit nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG ebenfalls erfüllt sei. Nach Überzeugung des Senats sei die Straffreiheit gegeben, da die strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers wegen ihres Bagatellcharakters nach § 12a Abs. 1 StAG zwingend außer Betracht bleibe. Außerdem unberücksichtigt bleibe die im Strafbefehl angeordnete unselbständige Maßregel der Besserung und Sicherung, ohne dass hierbei eine gesonderte behördliche Ermessensentscheidung erforderlich oder auch nur möglich wäre. Die unselbständige angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers ist von vorneherein als irrelevant anzusehen und dürfe daher nicht bei der Einbürgerung berücksichtigt werden.

    Nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StAG sei ein Ausländer einzubürgern, wenn er weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregelung der Besserung und Sicherung angeordnet worden sei. Die erste Alternative knüpfe an die Strafe an und verlange daher eine Schuldfähigkeit, wohingegen die zweite Alternative an die Schuldunfähigkeit des Beschuldigten anknüpfe. Die zweite Variante berücksichtige somit nur derartige Maßregelungen, die isoliert aufgrund der Schuldunfähigkeit verhängt worden seien. Im vorliegenden Fall sei jedoch die Maßregelung zusätzlich zu einer strafrechtlichen Verurteilung gegen den schuldfähigen Kläger verhängt worden. Mithin unterfalle diese Konstellation nicht dem Gesetzeswortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG.

    Nach der strafmaßbezogenen Bagatellgrenze des § 12a Abs. 1 S.1 StAG blieben bei der Einbürgerung Verurteilungen innerhalb eines bestimmten Strafrahmens außer Betracht. Hierbei seien die zwei gegen den Kläger verhängten und nach § 12a Abs. 1 S. 2 StAG zu addierenden Geldstrafen von insgesamt 90 Tagessätzen zu berücksichtigen, die jedoch gemäß § 12a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StAG unmittelbar kraft Gesetzes einbürgerungsunschädlich seien. Hieran ändere auch nicht der § 12a Abs. 1 S. 4 StAG, der zwar nicht unmittelbar auf die Schuldunfähigkeit abstelle, aber die Rückausnahme zu § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StAG darstelle, sodass hierüber die Schuldunfähigkeit zu beachten sei. Insofern stelle die Ausformung und Ergänzung des § 12a StAG keine Verschärfung des Unbescholtenheitserfordernisses des § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StAG dar.

    Auch im Hinblick auf systematisch-teleologische Argumente ergebe sich keine andere Auslegung. Das Strafrecht sei ein Schuldstrafrecht, weswegen der deutsche Gesetzgeber die Konsequenz eines zweispurigen Systems von Strafen (§§ 38 ff. StGB) und Maßregeln (§§ 61 ff. StGB) gezogen habe. Strafe sei eine repressive Übelzufügung als Reaktion auf rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten (BVerfG – 2 BvR 2029/01). Die Grundlage für ihre Zumessung sei nach § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB die Schuld des Täters (vgl. BVerwG – 5 C 33.05). Maßregeln der Besserung und Sicherung würden demgegenüber ohne Rücksicht auf die Schuldfähigkeit des Täters insbesondere der Individualprävention, also der Verhinderung zukünftiger, vom Täter zu erwartender, erheblicher rechtswidriger Taten dienen. Sie könnten gegenüber schuldfähigen Tätern im Strafurteil zusätzlich angeordnet werden (vgl. § 267 Abs. 6 StPO). Hierzu würde insbesondere die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 61 Nr. 5 StGB gehören, deren Anordnung bei dem vom Kläger verwirklichten Vergehen der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB als Regelfall vorgesehen sei. Insoweit erlasse der Strafrichter für die Strafe und die Maßregel ein einheitliches Urteil, das – etwa hinsichtlich der Tilgungsfristen (vgl. § 46 BZRG) – einem identischen Schicksal folgt. Gegenüber schuldunfähigen Tätern könnten hingegen Maßregeln nach § 71 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StGB selbständig bzw. isoliert angeordnet werden.

    Dieses Prinzip wende der Gesetzgeber auch im Rahmen des Staatangehörigengesetzes an. Daher entfalte die Entziehung der Fahrerlaubnis als Annexantrag bei einem schuldfähigen Täter keine einbürgerungsrechtliche Relevanz. Für eine Hineinrechnung der Maßregel in die strafmaßabhängige Bagatellgrenze fehle es bereits an einem entsprechenden Umrechnungsfaktor in § 12a StAG. Nur wenn eine strafrechtliche Verurteilung mangels Schuldfähigkeit des Täters ausscheide, komme es einbürgerungsrechtlich auf eine einzelfallbezogene Würdigung der angeordneten Maßregel bzw. der darin zum Ausdruck kommenden Gefährdungsprognose an. Da diese – mangels Strafmaßbezugs – keinen vergleichbar klaren Rechtsfolgenausspruch wie ein Strafurteil enthalte, siehe der Gesetzgeber in § 12a Abs. 1 S. 4 StAG konsequenterweise eine Einzelfallbetrachtung im Wege einer behördlichen Ermessensentscheidung vor.

    Im Hinblick auf die vorgenannten Ausführungen würden die Gesetzessystematik und Normzweck für eine klare Auslegung auf der „ersten Stufe“ dahingehend sprechen, dass unselbständige Maßregeln gegenüber Schuldfähigen von vornherein einbürgerungsrechtlich irrelevant seien und nicht erst auf der „zweiten Stufe“, im Rahmen einer nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbaren Ermessensentscheidung, außer Betracht bleiben könnten. Eine andere Beurteilung insbesondere aufgrund eines Erst-Recht-Schlusses zu Lasten des Einbürgerungsbewerbers sei nicht nachvollziehbar.

    Hieran ändere auch nichts der Wille des Gesetzgebers, da dieser in sich widersprüchlich sei. Vor allem, da sich aus der späteren Gesetzesbegründung des Gesetzesentwurfs des Bundestages nichts Eindeutiges herleiten lasse. Andererseits bestätige der vom Bundestag abgelehnte Gesetzesentwurf des Bundesrates die getätigte Auslegung.

    Vor dem Hintergrund der Auslegung und der damit einhergehenden Nichtberücksichtigung der Maßregelung komme es auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur ordnungsgemäßen Ermessenausübung der Beklagten nicht mehr an. Jedoch führt das Gericht dennoch aus, dass es Bedenken gegen die Ausübung des Ermessens der Beklagten hege. Die Anwendungshinweise Bayern zum Staatangehörigkeitsgesetz und den darin enthaltenen Kriterien sprächen nur für den Kläger und nicht gegen diesen. Insbesondere sei bei der Trunkenheitsfahrt niemand verletzt worden, er habe seinen Führerschein wiedererlangt und er habe eine positive Sozialprognose.

    Insgesamt sei daher die Berufung begründet. Der Kläger habe einen Anspruch auf Einbürgerung.

    Quelle: Verwaltungsgericht Hannover

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