Klage im Asylverfahren Archive - MTH Rechtsanwälte Köln
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Tag Archive: Klage im Asylverfahren

  1. Ausländerrecht: Erfolgreiche Untätigkeitsklage von Asylbewerbern wegen fehlender Entscheidung über Asylantrag.

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    Verwaltungsgericht München, 08.02.2016, Az.: 24 K 15.31419

    Zuständig für Entscheidungen im Asylverfahren ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wenn die Bearbeitungszeit des Asylantrages bereits eine erhebliche Zeit in Anspruch genommen hat, stellt sich die Frage, welche Maßnahmen der Asylbewerber vornehmen kann, um zu einer schnelleren Entscheidung zu gelangen. Diese Maßnahmen sind in § 75 VwGO festgelegt, welcher die Untätigkeitsklage regelt:

    § 75 VwGO:

    Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, dass über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

    Der Antrag auf Asyl ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes, so dass § 75 VwGO im Asylverfahren anwendbar ist. Bei der Untätigkeitsklage handelt es sich nicht um eine eigenständige Klageart, sondern um eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage besonderer Art, die bereits dann erhoben werden kann, wenn der Verwaltungsakt noch nicht ergangen ist.

    Gemäß § 75 Satz 2 VwGO kann eine solche Untätigkeitsklage allerdings erst nach Ablauf von drei Monaten seit dem Antrag eingereicht werden, ansonsten ist die Klage unzulässig, es sei denn, dass wegen besonderer Umstände (etwa: besondere Hilfebedürftigkeit, existenzsichernde Sachverhalte, etc.) im Sinne des § 75 Satz 2 2. Halbsatz VwGO eine kürzere Frist geboten ist.

    Behörde ragiert nicht, was kann ich machen

    Beim Asylverfahren muss darüber hinaus beachtet werden, dass der Zeitpunkt ab dem die Dreimonatsfrist zu laufen beginnt, nicht immer die förmliche Stellung des Asylantrags im Bundesgebiet sein muss. Denn in sehr vielen Fällen, sind Asylsuchende zunächst durch Drittstaaten gereist, so dass dann auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem der nach der Dublin III-VO zuständige Mitgliedstaat für das Asylverfahren feststeht. Steht dieser also fest, beginnt die Dreimonatsfrist zu laufen.

    Im Rahmen der Klage kann sich die Behörde dann noch auf zureichende Gründe für die schleppende Antragsbearbeitung berufen. Solche Gründe im Sinne von § 75 Satz 1, 3 VwGO können etwa der Umfang des Falls oder besondere Schwierigkeiten bei der Sachaufklärung sein, nicht aber eine allgemeine Arbeitsüberlastung.

    In dem hier besprochenen Fall ging es um die Zulässigkeit und Begründetheit einer Untätigkeitsklage im Asylverfahren, mit welcher die Kläger (afghanische Asylsuchende) von der Beklagten (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) verlangten, ihr Asylverfahren fortzuführen und binnen einer vom Gericht gesetzten Frist zu entscheiden.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens

    Afghanische Kläger hatten Asyl Ende 2013 beantragt, Ende 2015 noch immer keine Entscheidung

    Die Kläger waren nach eigenen Angaben afghanische Staatsangehörige und hatten im Dezember 2013 einen Asylantrag gestellt. Über diesen Antrag war bis zum Tag der vorliegenden Entscheidung noch nicht entschieden worden.

    Eine Anhörung nach § 25 Asylgesetz hatte im Verwaltungsverfahren ausweislich der vorgelegten Verwaltungsakte noch nicht stattgefunden. Das BAMF hatte kein Dublin-Verfahren eingeleitet; Eurodac-Treffer waren nicht aktenkundig. Eine Bitte des bereits im Verwaltungsverfahren bestellten Rechtsanwalts der Kläger vom Februar 2014 um Mitteilung eines Anhörungstermins war bislang unbeantwortet geblieben.

    Kläger reichten Untätigkeitsklage ein

    Mit Klageschrift vom 23.10.2015, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, hatten die Kläger durch ihren Rechtsanwalt beantragt, die Beklagte zu verpflichten, über den Asylantrag der Kläger vom 11.12.2013 zu entscheiden. Mit gerichtlichem Schreiben vom 08.12.2015 wurde die Beklagte gebeten, sich zum Vorliegen eines Grundes nach § 75 Satz 3 VwGO zu äußern.

    Nachdem eine Rückäußerung seitens des BAMF zum gerichtlichen Schreiben vom 08.12.2015 nicht erfolgt war, teilte das Gericht den Beteiligten mit gerichtlichem Schreiben vom 29.12.2015 mit, dass das Klageverfahren nicht nach § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen sei.

    Urteil des Verwaltungsgerichts München

    Das VG München urteilte nun, dass die Klage zulässig ist und in der Sache Erfolg hat.

    Das Gericht urteilte dabei, dass das Klagebegehren auslegungsbedürftig sei (§ 88 VwGO), weil der Antrag keine explizite Aussage treffen würde, bis wann spätestens die Entscheidung, zu deren Erlass verpflichtet werden soll, zu ergehen haben soll. Im Hinblick auf die Regel des § 75 Satz 2 VwGO hat der Einzelrichter den Antrag dahin ausgelegt, dass beantragt sei, die Beklagte zu verpflichten, über den klägerischen Asylantrag binnen 3 Monaten ab Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die Klage zu entscheiden (vgl. VG Osnabrück, U. v. 14.10.2015 – 5 A 390/15).

    Das Verwaltungsgericht (VG) München sei für die so auszulegende Klage entscheidungsbefugt, insbesondere örtlich zuständig nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, weil die Kläger im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl. § 83 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG) ihren Aufenthalt im Gerichtsbezirk zu nehmen hatten.

    Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG sei für die vorliegend ohne mündliche Verhandlung ergehende gerichtliche Entscheidung, derjenige Zeitpunkt maßgebend, in dem diese gefällt werde. Deshalb seien auch die durch Art. 1 und Art. 15 Abs. 1 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20.10.2015 (BGBl. I S. 1722 – AsylVf-B-G) vorgenommenen und zum 24.10.2015 in Kraft getretenen Änderungen des früheren Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG), das durch das AsylVf-B-G in „Asylgesetz“ (AsylG) umbenannt worden sei, im Rahmen der vorliegenden Entscheidung zu berücksichtigen.

    Die auf Verpflichtung zur bloßen Entscheidung an sich (nicht auf Verpflichtung zur Einräumung bestimmter inhaltlicher Positionen) gerichtete Untätigkeitsklage sei vorliegend zulässig.

    Dass die Klage lediglich auf eine Verpflichtung zur Entscheidung an sich, nicht aber auf Verpflichtung zur Einräumung einer bestimmten (in der Sache begehrten) Position gerichtet sei, führt vorliegend weder nach § 75 VwGO noch nach § 44a VwGO zur Unzulässigkeit dieser Klage.

    Nicht geklärt werden müsse dabei, ob § 75 VwGO i. V. m. § 44a VwGO allgemein eine auf bloße Verwaltungsentscheidung an sich (nicht auf Verpflichtung zur Einräumung bestimmter inhaltlicher Positionen) gerichtete Verpflichtungsklage ermögliche oder ob § 75 VwGO vielmehr regelmäßig einen konkreten Antrag auf Verpflichtung zu einer bestimmten inhaltlichen Sachentscheidung verlange.

    Gericht urteilt, dass auch für Asylbewerber eine Untätigkeitsklage möglich sei

    Denn aus unionsrechtlichen Gründen sei jedenfalls im Anwendungsbereich der Asylverfahrensrichtlinie Asylbewerbern eine auf bloße Verwaltungsentscheidung an sich gerichtete Untätigkeitsklage möglich. Entscheidend sei, dass sowohl Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2005/85/EG (Asylverfahrensrichtlinie alte Fassung – AsylVf-RL a. F.) als auch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie neue Fassung – AsylVf-RL n. F.), die auf nach dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge anzuwenden sei (vgl. Art. 52 AsylVf-RL n. F.), den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf eine behördliche Entscheidung nach einer persönlichen Anhörung und anschließend einen Anspruch auf dessen gerichtliche Überprüfung einräumen würde (vgl. hierzu überzeugend bereits VG Osnabrück, U. v. 14.10.2015 – 5 A 390/15). Dabei könne eine Anhörung durch ein Gericht in der mündlichen Verhandlung die in Art. 13 Abs. 1 AsylVf-RL a. F. und in Art. 15 Abs. 1 AsylVf-RL n. F. vorgesehenen Anforderungen an die persönliche Anhörung nicht stets wahren.

    Denn einerseits würden Art. 13 Abs. 1 und 2 AsylVf-RL a. F. wie auch Art. 15 Abs. 1 und 2 AsylVf-RL n. F. vorsehen, dass die persönliche Anhörung vor der Verwaltung regelmäßig ohne die Anwesenheit von Familienangehörigen und unter Bedingungen stattfindet, die eine angemessene Vertraulichkeit gewährleisten, während der Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG – i. V. m. § 55 VwGO) Ausnahmen gemäß § 171a ff. GVG (i. V. m. § 55 VwGO) nur unter engeren Voraussetzungen zulassen würde (vgl. hierzu überzeugend bereits VG Osnabrück, U. v. 14.10.2015 – 5 A 390/15 – juris Rn. 50-53).

    Dieser Vergleich des unionsrechtlich vorgesehenen Verfahrensanspruchs eines Asylbewerbers einerseits mit der Ausgestaltung des nationalen verwaltungsprozessualen Verfahrensrechts andererseits spreche dafür, dass ein Asylbewerber jedenfalls nicht verpflichtet sei, seine Untätigkeitsklage (gegen seinen Willen) auf bestimmte inhaltliche Rechtspositionen zu richten, deren Spruchreifmachung eine entsprechende Anhörung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung durch das Gericht erforderlich machen könne, sondern (zur Wahrung seiner unionsrechtlichen Verfahrensrechte im Asyl-Verwaltungsverfahren) seine Untätigkeitsklage auch auf eine bloße Verpflichtung zur Entscheidung an sich richten kann.

    Es sei auch nicht ersichtlich, dass sich an der unionsrechtlich bedingten Möglichkeit einer nur auf Entscheidung (nicht auf bestimmte inhaltliche Positionen) gerichteten Untätigkeitsklage vorliegend etwas im Hinblick auf § 71a AsylG ändern würde. § 71a AsylG könne dabei von vornherein nur einschlägig sein, wenn (abgesehen von der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland nach den Vorgaben insbesondere der Dublin-Verordnungen) tatbestandlich i. S. v. § 71a Abs. 1 AsylG ein „erfolgloser Abschluss“ eines in einem anderen Dublin-Staat durchgeführten Asylverfahrens vorliegen würde. In Fällen, in denen ein derartiger „erfolgloser Abschluss“ nicht gegeben (und die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland anzunehmen) sei, sei deshalb auch der in Deutschland gestellte Asylantrag nicht als „Zweitantrag“ i. S. v. § 71a AsylG, sondern als „Asylerstantrag“ vom BAMF zu behandeln (vgl. BayVGH, U. v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069, 13a B 15.50070, 13a B 15.50071 – Rn. 25, BeckRS 2016, 41335). Vorliegend würde aus dem vom BAMF vorgelegten Aktenmaterial nicht ansatzweise hervorgehen, dass die Klager überhaupt Kontakt zu anderen sicheren Drittstaaten i. S. v. § 71a Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG (i. V. m. § 26a Abs. 2 AsylG i. V. m. Anlage I zum AsylG) gehabt haben könnten.

    Unabhängig davon sei zu sehen, dass gemäß § 71a Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG die Ermittlung des Inhalts einer ablehnenden Entscheidung des anderen sicheren Drittstaates (deren Kenntnis für die Prüfung von § 51 VwVfG i. V. m. § 71a Abs. 1 AsylG unverzichtbar sei) dem BAMF obliegen würde und gegenüber Dublin-Staaten allein das BAMF gemäß Art. 34 Abs. 3 der Verordnung (EU) 604/2013 (Dublin-III-VO; zuvor: Art. 21 Abs. 3 der Verordnung (EG) 343/2003 – Dublin-II-VO) i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung zur Neufassung der Asylzuständigkeitsbestimmungen (AsylZBV) für die Zusammenarbeit mit dem anderen Dublin-Staat und damit insbesondere für den Datenaustausch über das sog. DubliNet (vgl. hierzu Art. 19 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 – Dublin-Durchführungs-Verordnung [Dublin-DV]) zuständig sei.

    Dies und der Umstand, dass gleichzeitig die Übermittlung der inhaltlichen Daten aus dem Asylverfahren des anderen EU-Mitgliedstaates an das BAMF der Zustimmung des jeweiligen Antragstellers bedürfe (Art. 34 Abs. 3 Satz 4 Dublin-III-VO), also auch insoweit eine subjektiv-rechtliche Steuerungsmöglichkeit der Asylbewerber bestünde, würden dafür sprechen, auch insoweit eine auf eine bloße Verpflichtung zur Entscheidung (nicht auf bestimmte inhaltliche Positionen) gerichtete Untätigkeitsklage aus unionsrechtlichen Gründen (jedenfalls angesichts der besagten ausschließlichen BAMF-Kompetenzen innerhalb des Dublin-Systems) für zulässig zu halten.

    Vor diesem Hintergrund stünde auch § 44a VwGO einer auf bloße Entscheidung gerichteten Untätigkeitsklage im Anwendungsbereich der Art. 13 Abs. 1 AsylVf-RL a. F. und Art. 15 Abs. 1 AsylVf-RL n. F. nicht entgegen, zumal die Klage vorliegend nicht auf eine bloße Verfahrenshandlung (wie etwa auf eine Mitteilung des BAMF gemäß § 24 Abs. 4 AsylG) gerichtet sei, sondern auf eine Verpflichtung zu einer (das Verwaltungsverfahren abschließenden) „Entscheidung“.

    Klage wurde zulässigerweise nach Ablauf der Mindestfrist von 3 Monaten erhoben worden

    Die Klage sei nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 75 Satz 2 VwGO zulässigerweise erhoben worden.

    Auch im Bereich des Asylrechts gelte als Zulässigkeitsvoraussetzung die Wahrung der dreimonatigen Frist des § 75 Satz 2 VwGO, und zwar im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht (bei Entscheidung ohne mündliche Verhandlung der gerichtlichen Entscheidung), nicht notwendiger Weise aber bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl. Dolde/Porsch in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 29. EL Oktober 2015, § 75 Rn. 6 m. w. N.; BVerwG, U. v. 24.2.1994 – 5 C 24/92 – BVerwGE 95,149).

    Die in § 24 Abs. 4 AsylG genannte sechsmonatige Frist würde sich demgegenüber nicht auf die Frage der Sachurteilsvoraussetzungen in einem gerichtlichen Verfahren beziehen, sondern nur auf die Frage eines Mitteilungsanspruchs gegenüber dem BAMF innerhalb des Verwaltungsverfahrens. Hierfür spreche schon der Wortlaut des § 24 Abs. 4 AsylG, der auf die Thematik einer Untätigkeitsklage nicht explizit eingehen würde. Auch die systematische Stellung des § 24 Abs. 4 AsylG würde dagegen sprechen, dieser Vorschrift eine Sachurteilsvoraussetzung für ein gerichtliches Verfahren zu entnehmen. Denn das Asylgesetz treffe Sonderregelungen für das gerichtliche Verfahren in einem gesonderten Abschnitt (Abschnitt 9. Gerichtsverfahren; §§ 74-83b AsylG); in den §§ 74-83b AsylG sei aber eine Modifizierung der Sachurteilsvoraussetzungen der Untätigkeitsklage ebenso wenig vorgesehen wie in § 24 Abs. 4 AsylG. Schließlich liege auch der Asylverfahrensrichtlinie (und zwar sowohl der AsylVf-RL a. F. als auch der AsylVf-RL n. F.) eine strikte Trennung von Verwaltungsverfahren (Kapitel III) und gerichtlichem Verfahren (Kapitel V) zugrunde (vgl. überzeugend VG Osnabrück, U. v. 14.10.2015 – 5 A 390/15 – juris Rn. 52).

    Dabei seien die unionsrechtlichen Vorschriften, deren Umsetzung § 24 Abs. 4 AsylG dienen würde (vgl. Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Buchst. b AsylVf-RL a. F. und Art. 31 Abs. 6 Buchst. b AsylVf-RL n. F.), jeweils in dem das Verwaltungsverfahren betreffenden Kapitel III (Art. 23 ff. AsylVf-RL a. F.; Art. 31 ff. AsylVf-RL n. F.) angesiedelt, nicht aber in dem gerichtliche Rechtsbehelfe betreffenden Kapitel V (Art. 39 AsylVf-RL a. F.; Art. 46 AsylVf-RL n. F.).

    Ob die Beklagte mit „zureichendem Grund“ noch nicht entschieden habe, sei dabei keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Spruchreife als Teil der Begründetheit (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO) – bei Vorliegen eines „zureichenden Grundes“ sei die Klage gleichwohl zulässig (Dolde/Porsch in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 29. EL Oktober 2015, § 75 Rn. 7 m. w. N.; BVerwG, U. v. 22.5.1987 – 4 C 30/86 – NVwZ 1987, 969).

    Die zulässige Untätigkeitsklage sei auch begründet. Die Kläger hätten gegen die Bekl. einen Anspruch, binnen derjenigen Frist über den Asylantrag zu entscheiden, die dem auszulegenden Klagebegehren (s.o.) entsprechen würde (§ 113 Abs. 5 VwGO).

    Die Sache sei spruchreif i. S.v. § 113 Abs. 5 VwGO – insbesondere sei eine Aussetzung des Klageverfahrens nach § 75 Satz 3 VwGO nicht angezeigt.

    BAMF hatte keine ausreichenden Gründe vorgetragen, warum immer noch keine Entscheidung vorlag

    Nachdem die Beklagte keine nähere Begründung dafür vorgetragen habe, dass das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen worden sei, sei die Sache im Hinblick auf den Streitgegenstand (Verpflichtung zur Entscheidung binnen der antragsgegenständlichen Frist) spruchreif i. S. v. § 113 Abs. 5 VwGO. Insbesondere sei im Hinblick auf § 24 Abs. 4 AsylG ein weiteres Zuwarten nicht angezeigt, nachdem der dort genannte 6-monatige Zeitraum im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) deutlich überschritten sei.

    Unabhängig vom fehlenden Vortrag der Beklagten zur Frage eines „zureichenden Grundes“ für die bislang ausstehende Entscheidung über den Asylantrag sei ein derartiger Grund aber auch nicht ersichtlich. Der Einzelrichter schließe sich insoweit den Ausführungen in dem bereits im gerichtlichen Anhörungsschreiben vom 22.01.2016 benannten Urteil des VG Osnabrück vom 14.10.2015 – 5 A 390/15 an. Es sei auch nicht ersichtlich, dass sich an der Spruchreife des Falles etwas im Hinblick auf § 71a AsylG ändern würde. Wie gezeigt, sei weder von der Beklagten vorgetragen noch aus dem von der Beklagten vorgelegten Aktenmaterial mit hinreichender Deutlichkeit ersichtlich, dass es vorliegend überhaupt zu einem Asylverfahren in einem anderen sicheren Drittstaat, geschweige denn zu einem erfolglosen „Abschluss“ eines solchen Asylverfahrens gekommen sei. Selbst wenn eine solche Konstellation vorliegen sollte, wäre es aber nach § 71a Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG Sache des BAMF gewesen, entsprechende weitere Ermittlungen zu veranlassen, was jedoch ausweislich des vom BAMF vorgelegten Aktenmaterials bislang nicht geschehen sei.

    Die fehlende Entscheidung des BAMF über den Asylantrag der Kläger sei rechtswidrig und verletzte das subjektive Recht der Kläger aus Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 AsylVf-RL a. F. (vgl. auch Art. 31 Abs. 2 der AsylVf-RL n. F.).

    Dabei betrage die dem BAMF vorliegend noch zur Verfügung stehende angemessene Frist für die Entscheidung 3 Monate ab Rechtskraft des vorliegenden Urteils.

    Ausgangspunkt sei dabei aus Sicht des deutschen Rechts die Wertung des § 75 Satz 2 VwGO einerseits und des § 24 Abs. 4 AsylG andererseits. Dabei finde sich der in § 24 Abs. 4 AsylG benannte 6-monatige Mindestzeitraum auch in Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 AsylVf-RL a. F. wieder (die AsylVf-RL a. F. ist vorliegend einschlägig gemäß Art. 52 Abs. 1 AsylVf-RL n. F.). Zwar werde in Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Buchst. b Satz 2 AsylVf-RL a. F. noch explizit festgehalten, dass eine Unterrichtung des Asylbewerbers über den zeitlichen Rahmen des Verwaltungsverfahrens keine Verpflichtung des Mitgliedstaates gegenüber dem Asylbewerber begründen würde. All dies sei aber andererseits auch vor dem Hintergrund der generellen Vorgabe in Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 AsylVf-RL a. F. zu sehen, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen müssten, dass Asylverfahren unbeschadet einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge „so rasch wie möglich“ zum Abschluss gebracht werden. Auch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen möglichen Gründe für eine Verfahrensverzögerung und des den Mitgliedstaaten eingeräumten Spielraums bei der Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens sei deshalb stets auch das Interesse des Asylbewerbers daran zu sehen, eine Verwaltungsentscheidung (mit welchem Ergebnis auch immer) zu erhalten. Nachdem der Vollzug des unionsrechtlich geprägten Asylrechts durch die Mitgliedstaaten dem Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte unterfallen würde (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union – GRCh), sei Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 AsylVf-RL a. F. dabei auch als Ausprägung des Art. 41 Abs. 1 GRCh und des dort unter anderem angesprochenen Grundsatzes zu sehen, Angelegenheiten jeder Person „innerhalb einer angemessenen Frist“ zu behandeln.

    Vor diesem Hintergrund würde sich der vorliegende Fall zunächst dadurch auszeichnen, dass in dem nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt seit der Stellung des Asylantrags mehr als 25 Monate verstrichen seien. Eine Anhörung nach § 25 AsylG (zuvor: AsylVfG) habe bislang nicht stattgefunden. Zwar lasse sich aufgrund dieses Umstandes nicht sicher beurteilen, inwieweit über eine Anhörung hinaus eine weitere Sachaufklärung erforderlich werden könnte, um eine behördliche Entscheidung zu treffen. Andererseits habe die Beklagte keine hinreichend substantiierte Begründung dafür vorgetragen, dass innerhalb von 25 Monaten seit Asylantragstellung noch keine Anhörung nach § 25 AsylG erfolgt sei. Es könne dabei vorliegend dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Durchführung eines Dublin-Verfahrens durch das BAMF dafür sprechen könne, dem BAMF eine längere Entscheidungsfrist einzuräumen, wenn sich erst nach längerer Zeit herausstellen sollte, dass die Bundesrepublik Deutschland für die Prüfung des Asylantrags zuständig sei oder zuständig geworden sei – denn ein Dublin-Verfahren sei vom BAMF vorliegend schon nicht eingeleitet worden. Dies und der Umstand, dass seit der Asylantragstellung deutlich mehr als 12 Monate (also mehr als das Doppelte des in § 24 Abs. 4 AsylG genannten 6-monatigen Zeitraums) verstrichen seien, führe im Hinblick auf das von Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 AsylVf-RL a. F. geschützte Interesse der Kl. an einer raschen Entscheidung dazu, dass dem BAMF ab Rechtskraft der vorliegenden Entscheidung noch 3 Monate zur Verfügung stehen, um über den Asylantrag der Kläger in der Sache zu entscheiden.

    Quelle: Verwaltungsgericht München

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