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Tag Archive: Rechtsanwalt Köln Hartz

  1. Mietrecht: Fristlose Kündigung des Mieters bei Zahlungsversäumnis des Jobcenters unwirksam.

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    Landgericht Berlin, 24.07.2014, Az.: 67 S 94/14

    Vom Hartz IV bzw. ALG II Anspruch sind nicht lediglich die Leistung des Arbeitslosengeldes, also die Regelleistung umfasst, sondern ebenso die Kosten der Unterkunft, also der Mietzins und die Heizkosten.

    In einigen Fällen zahlt das Jobcenter den Mietzins direkt an den Leistungsbezieher und dieser leitet den Mietzins dann an den Vermieter weiter. In anderen Fällen leistet das Jobcenter den Mietzins direkt an den Vermieter.

    Wenn das Jobcenter direkt an den Vermieter leistet und aufgrund eines Fehlers die Mietzahlungen durch das Jobcenter unterbleiben, kann es dazu kommen, dass der Vermieter dem Mieter wegen Zahlungsverzuges fristlos kündigt.

    Die Auswirkungen des Ausbleibens einer vom Job-Center für den Mieter an den Vermieter zu erbringende Transferleistung auf den Zahlungsverzug des Mieters sind bislang höchstrichterlich (also vom Bundesgerichtshof) nicht geklärt worden.

    In dem oben genannten Urteilte hatte sich das Landgericht Berlin mit der Frage zu befassen, ob die fristlose Kündigung eines Hartz IV Beziehers wegen Zahlungsverzuges wirksam war, obwohl dieser überhaupt keine Kenntnis davon hatte, dass das Jobcenter monatelang keine Miete an den Vermieter gezahlt hatte.

    Sachverhalt: Streitgegenstand in diesem Fall war die Räumung und Herausgabe einer von der Klägerin an den Beklagten im Jahre 2009 vermieteten 1-Zimmer Wohnung.

    Die vereinbarte Miete betrug bis Januar 2013 378,00 Euro (Nettokaltmiete 280,00 Euro, Heizkostenvorschuss 46,00 Euro, Betriebskostenvorschuss 52,00 Euro) und erhöhte sich ab Februar 2013 auf 460,00 Euro (Nettokaltmiete 280,00 Euro, Heizkostenvorschuss 137,00 Euro, Betriebskostenvorschuss 43,00 Euro).

    Im März 2010 zahlte der Beklagte einen Teilbetrag in Höhe von 143,38 Euro nicht. Das Job-Center B.-M. hatte mit Bescheid vom 30.08.2012 gegenüber dem Beklagten die Übernahme der Mietkosten unter gleichzeitiger Direktanweisung der Miete auf das Konto der Klägerin ab dem 01.10.2012 erklärt.

    Dennoch wurden die Mieten November und Dezember 2012 in Höhe von jeweils 378,00 Euro vom Job-Center bis zum 05.12.2012 nicht gezahlt.

    Daraufhin kündigte die Klägerin das Mietverhältnis mit am 06.12.2012 zugegangenem Schreiben vom 05.12.2012 wegen Mietzinsrückständen von insgesamt 899,38 Euro für die Monate März 2010 sowie November und Dezember 2012.

    Durch das Kündigungsschreiben hatte der Beklagte erstmals von dem angeblichen Zahlungsausfall im November und Dezember 2012 Kenntnis erlangt. Die Klägerin wiederholte die Kündigung in der dem Beklagten am 20.02.2013 zugestellten Klageschrift vom 23.12.2012.

    Am 18.04.2013 erklärte sie eine weitere Kündigung wegen eines auf die Monate Dezember 2012 sowie März und April 2013 angeblich entfallenden Gesamtrückstandes von 528,77 Euro.

    Das zunächst angerufene Amtsgericht hat der von der Klägerin erhobenen Klage Räumungsklage mit der Begründung stattgegeben, das die im Rahmen der Klageschrift erklärte Kündigung begründet gewesen sei.

    Gegen dieses Urteil legte der Beklagte Berufung zum Landgericht Berlin ein.

    Landgericht Berlin: Das Landgericht Berlin folgte der Ansicht des Beklagten und urteilte, dass die Klägerin gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung habe, da das Mietverhältnis durch keine der ausgesprochenen Kündigungen beendet worden sei.

    Die Kündigung vom 05.12.2012 sei sowohl als außerordentliche, als auch als ordentliche Kündigung unwirksam.

    Die Voraussetzungen der §§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a) i. V. m. § 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB oder § 543 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b) BGB würden nicht vorliegen, da der Beklagte mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils weder für zwei aufeinander folgende Termine noch in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstrecken würde, in Höhe eines Betrages in Verzug war, der die Miete für zwei Monate erreichen würde.

    Bei Ausspruch und Zugang der Kündigung vom 05.12.2012 sei die Miete für März 2010 in Höhe eines Teilbetrages von 143,38 Euro offen gewesen. Allein in Höhe dieses Betrages habe sich der Beklagte gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB auch ohne vorherige Mahnung in Zahlungsverzug befunden, da seine Zahlungspflicht vertraglich gemäß § 5 Ziffer 1 des Mietvertrages sowie gesetzlich durch § 556 b Abs. 1 BGB kalendermäßig bestimmt gewesen sei.

    Der Verzug sei insoweit nicht aufgrund des späteren Leistungsbezugs durch das Job-Center entfallen, da der Beklagte ausweislich des zu den Akten gereichten Schreibens des Job-Centers B.-M. vom 21.10.2011 im März 2010 noch keine Transferleistungen bezogen habe.

    Kein zur Kündigung berechtigender Zahlungsverzug habe jedoch hinsichtlich der Mieten für November und Dezember 2012 in Höhe von jeweils 378,00 Euro bestanden. Dies folge allerdings noch nicht daraus, dass der Beklagte in diesem Zeitraum Leistungen durch das Job-Center bezogen habe.

    Zwar sei das Job-Center im Rahmen der von ihm zu leistenden allgemeinen Daseinsvorsorge nicht gemäß § 278 BGB Gehilfe des Mieters bei der Erfüllung seiner mietvertraglichen Zahlungspflichten.

    Die Einschaltung eines Dritten lasse jedoch für den Schuldner das gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB allein von ihm zu tragende Risiko des unverschuldeten Geldmangels nicht entfallen.

    Der Schuldner – und damit auch der Mieter – habe seine Zahlungsunfähigkeit selbst dann zu vertreten, wenn sie von ihm unverschuldet sei.

    Denn nach dem auch für einen Mieter von Wohnraum maßgeblichen Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung, das aus dem geltenden Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht abzuleiten sei, habe jedermann für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen.

    Ob dies für einen Wohnraummieter gegenüber seinem Vermieter selbst dann zu gelten habe, wenn der Vermieter bei Abschluss des Mietvertrages wusste und billigte, dass die Mietzinszahlungen durch das Job-Center erbracht werden würden, bedurfte keiner Entscheidung der Kammer, da sich der Beklagte bei Vertragsschluss noch nicht im Leistungsbezug befunden hatte.

    Hinsichtlich der Mieten für November und Dezember 2010 habe nämlich gleichwohl kein zur Kündigung berechtigender Zahlungsverzug des Beklagten bestanden, weil in seiner Person die Voraussetzungen des § 286 Abs. 4 BGB erfüllt gewesen seien.

    Gemäß § 286 Abs. 4 BGB komme der Schuldner nämlich dann nicht in Zahlungsverzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleiben würde, den er nicht zu vertreten habe. Zu vertreten habe der Mieter gemäß § 276 BGB nur Vorsatz und Fahrlässigkeit.

    Vorliegend habe der Beklagte aber weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt, da er sich sowohl im November als auch im Dezember 2012 in einem unvermeidbaren Tatsachenirrtum über das Bestehen seiner Mietschuld befunden habe.

    Auch durch die Kündigung vom 05.12.2012 sei das Mietverhältnis vorliegend nicht beendet worden.

    Denn ein wichtiger Grund für eine fristlose Beendigung des Mietverhältnisses sei gemäß § 543 Abs. 1 BGB nur dann gegeben, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden könne (§ 543 Abs. 1 Satz 2 BGB).

    Daran würde es hier fehlen, da der Klägerin die Fortsetzung des Mietverhältnisses noch zumutbar gewesen sei.

    Auch die in der Klageschrift vom 23.12.2012 erklärte – und ebenfalls auf die in der vorgerichtlichen Kündigung genannten Zahlungsrückstände gestützte – weitere Kündigung sei unwirksam. Der Klägerin habe ein Grund zum Ausspruch einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung auch am 23.12.2013 nicht zugestanden.

    Bei Ausspruch dieser Kündigung habe sich der Beklagte lediglich mit einem Teilbetrag von 143,38 Euro der Miete für März 2010 in Zahlungsverzug befunden. Dieser aber habe weder eine außerordentliche noch eine ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses rechtfertigen können.

    Auch die Kündigung vom 18.04.2013 habe nicht zu einer Beendigung des Mietverhältnisses geführt, da der Klägerin auch insoweit weder ein Grund zur fristlosen noch zur fristgerechten Kündigung des Mietverhältnisses zur Seite gestanden hätte.

    Quelle: Landgericht Berlin

    Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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  2. Sozialrecht: Ausländer aus Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben nicht grundsätzlich Anspruch auf Sozialleistungen (Hartz 4) in Deutschland

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    Europäischer Gerichtshof, 11.11.2014, Rechtssache C 333/13

    Wir haben an dieser Stelle bereits mehrfach über die gesetzlichen Regelungen berichtet, welche den Sozialleistungsbezug von Ausländern zum Gegenstand haben. Damit sind solche Ausländer gemeint, welche sich mit einem deutschen Aufenthaltstitel (z. B. Visum, Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis) in Deutschland befinden.

    Noch kontroverser wird allerdings die Frage diskutiert, ob auch Staatsangehörige anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union das Recht haben, Sozialleistungen vom deutschen Staat zu beziehen.

    Gerade in Bezug auf Leistungen des SGB II (Hartz 4) gibt es dafür mit § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II eigentlich eine klare Regelung.

    Gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II sind nämlich

    – solche Ausländerinnen und Ausländer sowie ihre Familienangehörigen nicht leistungsberechtigt, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,

    – sowie Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen nicht leistungsberechtigt, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.

    Ob diese Regelungen allerdings mit dem geltenden EU-Recht konform sind, war bislang noch nicht festgestellt worden. In der oben genannten Rechtssache war diese Frage daher dem Europäischen Gerichtshof in einem sogenannten Vorabentscheidungsverfahren vorgelegt worden.

    Sachverhalt: Die Klägerin in diesem Rechtsstreit ist rumänische Staatsangehörige, welche seit mehreren Jahren mit ihrem in Deutschland geborenen minderjährigen Sohn bei ihrer Schwester in Leipzig leben.

    Sie und ihr Sohn beziehen bereits Kindergeld i. H. v. EUR 184 und Unterhaltsvorschuss i. H. v. EUR 133. Während ihrer Zeit in Deutschland arbeitete die Klägerin nicht und zeigte auch keine Bemühungen, eine Arbeit zu finden. Auch in Rumänien war die Klägerin nicht erwerbstätig gewesen.

    Um weitere Leistungen zu erhalten, stellte die Klägerin beim zuständigen Jobcenter in Leipzig Antrag auf Leistungen nach dem SGB II (Hartz 4). Das Jobcenter verweigerte die Leistungen allerdings unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II.

    Da sich die Klägerin mit dieser Entscheidung nicht zufrieden geben wollte, klagte sie vor dem Sozialgericht Leipzig. Das Sozialgericht Leipzig folgte zwar der Ansicht des Jobcenters, gab aber zu Bedenken, dass eventuell EU-rechtliche Bestimmungen der Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II entgegen stehen könnten und legte diese Frage Art. 234 EGV dem Europäischen Gerichtshof daher zur Vorabentscheidung vor.

    Vor der endgültigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes befasste sich der Generalanwalt Melchior Wathelet mit der Fragestellung. In seinen Schlussanträgen vom 20.05.2014 kam der Generalanwalt zu der Ansicht, dass Rechtsvorschriften, die Leistungen der Grundsicherung solchen Personen verweigern, die weit davon entfernt sind, sich in den Arbeitsmarkt integrieren zu wollen, und einzig und allein mit dem Ziel nach Deutschland kommen, Nutzen aus dem deutschen Sozialhilfesystem zu ziehen, im Einklang mit dem Willen des Unionsgesetzgebers stünden.

    Denn mit derartigen Rechtsvorschriften könne verhindert werden, dass Personen, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen würden, ohne sich integrieren zu wollen, zu eine Belastung für das Sozialhilfesystem werden.

    Da die Schlussanträge des Generalanwalts für den Europäischen Gerichtshof allerdings nicht bindend sind, sondern nur einen Entscheidungsvorschlag darstellen, bildet die heutige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes die endgültige Vorabentscheidung.

    Europäischer Gerichtshof: Der Europäische Gerichtshof hat nun entschieden, dass Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten eine Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats hinsichtlich des Zugangs zu bestimmten Sozialleistungen (wie den deutschen Leistungen der Grundsicherung) nur verlangen könnten, wenn ihr Aufenthalt die Voraussetzungen der „Unionsbürgerrichtlinie“ erfülle.

    Insofern sei der Aufnahmemitgliedstaat nach der Richtlinie nicht verpflichtet, während der ersten drei Monate des Aufenthalts Sozialhilfe zu gewähren.

    Bei einer Aufenthaltsdauer von mehr als drei Monaten, aber weniger als fünf Jahren (wie im vorliegenden Fall), mache die Richtlinie das Aufenthaltsrecht u. a. davon abhängig, dass nicht erwerbstätige Personen über ausreichende eigene Existenzmittel verfügen.

    Damit solle verhindert werden, dass nicht erwerbstätige Unionsbürger das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch nehmen würden.

    Somit müsse ein Mitgliedstaat die Möglichkeit haben, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen würden, in den Genuss der Sozialhilfe eines Mitgliedstaats zu kommen, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel für die Beanspruchung eines Aufenthaltsrechts verfügen würden, Sozialleistungen versagen zu können; insoweit sei jeder Einzelfall zu prüfen, ohne die beantragten Sozialleistungen zu berücksichtigen.

    Die Unionsbürgerrichtlinie und die Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit stünden somit einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen“ ausschließe, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie zustünde.

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  3. Sozialrecht: Keine starre Prüfung der Angemessenheit von Unterkunftskosten bei SGB II Bezug

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    Bundessozialgericht, 16.04.2013, Az.: B 14 AS 28/12 R

    Zu den im Rahmen des Arbeitslosengeldes II zu erbringenden Leistungen gehören auch solche für die Unterkunft und Heizung, die in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden, soweit sie angemessen sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II).

    Die Angemessenheit einer Wohnung wird durch die sogenannte Produkttheorie geprüft. Zur Prüfung der Angemessenheit zum Beispiel der Wohnung wird dabei das Produkt aus den folgenden Faktoren bestimmt:

    angemessene Wohnungsgröße x Nettoquadratmeterpreis (Kaltmiete)

    Die Kosten für die Unterkunft sind demzufolge dann angemessen, wenn sie das Produkt aus der angemessenen Wohnungsgröße in Quadratmetern und dem maximal angemessenen Mietzins je Quadratmeter nicht übersteigen.

    Wenn die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den angemessenen Umfang dennoch übersteigen, sind sie als Bedarf solange zu berücksichtigen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

    In dem oben genannten Fall hatte das Bundessozialgericht darüber zu entscheiden, ob das beklagte Jobcenter die den angemessenen Bedarf übersteigenden Kosten für Unterkunft und Heizung zu erbringen hatte.

    Sachverhalt:  Die im Jahr 1982 geborene Klägerin zu 1 und ihr am 2002 geborener Sohn, der Kläger zu 2, bei dem ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G, H, RF, Gl festgestellt worden waren, bewohnten in der strittigen Zeit eine 2,5 Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 60,99 m² in K.

    Pro Monat betrug die Grundmiete 322 Euro, hinzu kamen Vorauszahlungen für sonstige Nebenkosten von 22 Euro, Kaltwasser von 53 Euro, Heiz- und Warmwasserkosten von 80 Euro, die zum 1.11.2008 für Kaltwasser auf 61 Euro, Heiz- und Warmwasserkosten auf 92 Euro erhöht wurden (monatliche Aufwendungen insgesamt 477 bzw 497 Euro).

    Das beklagte Jobcenter teilte den Klägern in seinem Bescheid vom 20.02.2006 mit, dass Ihre Kosten unangemessen hoch seien und Ihnen insgesamt somit nur 405 Euro zustünden. Von Juli bis September 2006 leistet der Beklagte entsprechend diesem Bescheid.

    Von Juli 2007 bis Ende April 2008 lebte eine weitere Person (im Folgenden G) ebenfalls in der Wohnung, ohne mit den Klägern eine Bedarfsgemeinschaft zu bilden, und der Leistungsberechnung wurden dadurch die vollen, auf die Anteile der Kläger entfallenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zugrunde gelegt.

    Für Oktober 2008 bis März 2009 bewilligte der Beklagte monatliche Leistungen von 405 Euro für Unterkunft und Heizung an die Kläger. Nach der Anzeige der Vorauszahlungserhöhung zum 01.11.2008, lehnte der Beklagte mit weiterem Bescheid eine Übernahme der erhöhten Vorauszahlung ab.

    Nachdem G zum 01.12.2008 wieder in die Wohnung eingezogen war, berücksichtigte der Beklagte ab diesem Zeitpunkt wieder anteilig die vollen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung der Kläger. Für Oktober und November 2008 verblieb es jedoch bei den bewilligten Beiträgen. Für die Monate August und September  2009 legte der Beklagte diese Berechnung ebenfalls zugrunde.

    Durch das zunächst angerufene Sozialgericht wurde der Beklagte verurteilt, weitere Leistungen für die Kosten der Unterkunft zu zahlen. Die Heizkosten sollten demnach nur zu einem Teil übernommen werden. Mit ihrer Sprungrevision verfolgen die Kläger ihr Begehren vor dem Bundessozialgericht weiter.

    Bundessozialgericht: Das BSG folgte der Ansicht der Kläger zumindest teilweise und urteilte, dass die Beklagte zu weiteren Leistungen für Unterkunft und Heizung zu verurteilen sei.

    Rechtsgrundlage für den Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung seien § 19 Abs. 1 i. V. m.  § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 22 Abs. 1, § 28 SGB II.

    Die Klägerin zu 1 und der Kläger zu 2, der seine Bedarfe nicht aus eigenem Einkommen decken könne, hätten eine Bedarfsgemeinschaft gebildet (§ 7 Abs. 3 Nr. 1, 4 SGB II).

    Für den Oktober 2008 sei der Beklagte zu verurteilen, den Klägern weitere Leistungen in Höhe von 17,50 Euro für Oktober 2008 zu zahlen. Dieser Betrag folge aus ihren tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung von 477 Euro abzüglich der vom Beklagten bewilligten 405 Euro und den vom SG zugesprochenen weiteren 44,37 Euro sowie den Kosten der Warmwasserbereitung von 10,13 Euro.

    Die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger für die Unterkunft und Heizung im Oktober 2008 seien der Berechnung ihrer Leistungen zugrunde zu legen, weil G erst Ende April 2008 – also keine sechs Monate vorher – aus der gemeinsamen und von den Klägern weiterhin bewohnten Wohnung ausgezogen sei.

    Die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, nach der unangemessene Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung als Bedarf solange – in der Regel jedoch längstens für sechs Monate – zu berücksichtigen seien, wie es nicht möglich oder nicht zuzumuten sei, die Aufwendungen zu senken, greife auch bei Änderungen in der Bewohnerzahl, wie z. B dem Auszug eines Mitbewohners. Die Regelung solle bezwecken, dass eine leistungsberechtigte Person nicht sofort z. B bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit gezwungen sei, ihre bisherige Wohnung aufzugeben.

    Die 6-Monatsfrist sei jedoch kein starrer Zeitraum, vielmehr seien Abweichungen nach oben und nach unten zulässig. Dies sei dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmen. Gründe für ein Abweichen seien vorliegend jedoch weder von Amts wegen zu erkennen, noch von einem Beteiligten geltend gemacht worden.

    Aus den oben genannten Gründen sei die Beklagte verpflichtet, für August und September 2009 den Klägern weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von jeweils 7 Euro monatlich zu zahlen, da G zum 1.05.2009 wieder ausgezogen sei.

    Die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II richte sich nach dem jeweils abstrakt angemessene Bedarf, der nach der sog. Produkttheorie bestimmt wird.

    Demnach sei zunächst die angemessene Wohnungsgröße zu bestimmen. Alsdann sei der maßgebliche örtliche Vergleichsraum festzulegen und unter Berücksichtigung des angemessenen einfachen Wohnungsstandards festzustellen, welche Nettokaltmiete pro m² Wohnfläche für die angemessene Wohnungsgröße auf dem Wohnungsmarkt des maßgeblichen Vergleichsraums zu zahlen sei.

    Zu der so ermittelten Nettokaltmiete seien noch die kalten Betriebskosten hinzuzurechnen. Könne kein abstrakt angemessener Bedarf für die Unterkunft ermittelt werden, seien die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, gedeckelt im Sinne einer Angemessenheitsgrenze nach oben für die Zeit vor dem 1.1.2009 durch die Tabellenwerte der rechten Spalte zu § 8 WoGG a. F. plus einem Sicherheitszuschlag von 10 %.

    Demzufolge betrage die abstrakt angemessene Wohnungsgröße für die Kläger 60 m². Diese sei weder wegen der Alleinerziehung der Klägerin zu 1 noch wegen der Behinderung des Klägers zu 2 zu erhöhen. Der abstrakt angemessene Unterkunftsbedarf der Kläger sei nach § 8 WoGG und einem Sicherheitszuschlag von 10 %  mit 379,50 Euro zutreffend ermittelt worden.

    Angesichts des Alters des Klägers zu 2 von sechs Jahren im strittigen November 2008 und seiner schweren Behinderung sowie der Alleinerziehung der Klägerin zu 1 seien hierzu jedoch Feststellungen notwendig. Gegen die konkrete Angemessenheit des niedrigeren, abstrakt angemessenen Unterkunftsbedarfs und die Zumutbarkeit von Kostensenkungsmaßnahmen könnten Gründe sprechen, die auch einem Umzug entgegenstünden wie Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, Rücksichtnahme auf schulpflichtige Kinder, Alleinerziehung. Solche Gründe sein vorliegend gegeben und müssen im Hinblick auf die konkrete Angemessenheit näher geprüft werden.

    Quelle: Bundessozialgericht

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  4. Sozialrecht: Eine Urlaubsabgeltung stellt kein anrechenbares Einkommen i. S. d. § 11 SGB II dar.

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    Sozialgericht Düsseldorf, 18.10.2012, Az.: S 10 AS 87/09

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    Um ALG II (Hartz 4) zu beziehen, muss der Anspruchsteller hilfebedürftig i. S. d. § 9 Abs. 1 SGB II sein. § 9 Abs. 1 SGB II bestimmt dazu:

    Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

    Im Umkehrschluss muss jeder Bezieher von ALG II eigene Einkünfte oder eigenes Vermögen einsetzen, wenn es um die Prüfung der Hilfebedürftigkeit geht.

    Was im Einzelfall zu berücksichtigendes Einkommen bzw. was zu berücksichtigendes Vermögen ist, ist in § 11 SGB II bzw. in § 12 SGB II geregelt.

    Gem. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen als Einkommen beim ALG II Anspruch zu berücksichtigen.

    Auf das ALG II angerechnet werden somit z. B. Einnahmen aus

    – nicht selbstständiger Arbeit,
    – selbstständiger Arbeit (der erwirtschaftete Überschuss),
    – Gewerbebetrieb oder
    – Vermietung und Verpachtung

    Hinsichtlich des anzurechnenden Vermögens bestimmt § 12 SGB II, dass als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen sind.

    In der oben genannten Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf hatte das Gericht darüber zu entscheiden, ob eine einmalige Zahlung zur Urlaubsabgeltung des ehemaligen Arbeitgebers der Bedürftigen ebenfalls anzurechnendes Einkommen i. S. d. SGB II war.

    Sachverhalt: Der 59-jährigen Klägerin hatte bei Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses noch ein Resturlaubsanspruch zugestanden, welcher schließlich durch eine so genannte Urlaubsabgeltung in Höhe von ca. 400,00 € brutto (ca. 300,00 € netto) ausgezahlt wurde.

    Das Jobcenter Solingen war der Ansicht, dass dieser Betrag anrechenbares Einkommen i. S. d. § 11 SGB II war und rechnete diesen Betrag als Einkommen mindernd auf das der Klägerin und ihrem Ehemann bewilligte Arbeitslosengeld II an.

    Gegen diese Anrechnung klagte die Klägerin beim Sozialgericht Düsseldorf.

    Sozialgericht Düsseldorf: Das Sozialgericht Düsseldorf schloss sich der Ansicht der Klägerin an und verurteilte das Jobcenter zu einer Auszahlung des angerechneten Betrags.

    Als Begründung führte das Gericht aus, dass es sich bei der gezahlten Urlaubsabgeltung um eine zweckbestimmte Einnahme handele, die nach den Bestimmungen des SGB II nicht als Einkommen anzurechnen sei.

    Die Urlaubsabgeltung diene vielmehr einem anderen Zweck als das Arbeitslosengeld II.

    Während nämlich Letzteres als staatliche Existenzsicherung den Lebensunterhalt des Begünstigten gewährleisten solle, diene die Urlaubsabgeltung allein dazu, den (vormaligen) Arbeitnehmer für die aus betrieblichen Gründen entgangenen Urlaubsfreuden zu entschädigen.

    Die Urlaubsabgeltung sei daher mit einer Entschädigungszahlung zu vergleichen, die den Empfänger
    finanziell in die Lage versetzen solle, die verpasste Erholungsphase durch anderweitige Aktivitäten (Restaurantbesuche, Wellness oder Ähnliches) nachzuholen.

    Um diesen Zweck nicht zu unterlaufen, sei die Urlaubsabgeltung nicht auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen.

    Quelle: Sozialgericht Düsseldorf

    Hinweis: Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das beklagte Jobcenter hat Berufung zum Landesozialgericht eingelegt.

    Die Entwicklung der Rechtsprechung in Bezug auf Urlaubsabgeltungsansprüche bleibt abzuwarten.

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