Rechtsanwalt Köln Schwerbehindertenrecht Archive - MTH Rechtsanwälte Köln
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Tag Archive: Rechtsanwalt Köln Schwerbehindertenrecht

  1. Arbeitsrecht: Dem Weiterbeschäftigungsanspruch eines Schwerbehinderten steht nicht entgegen, dass dieser nicht mehr alle vertraglich geschuldeten Arbeiten ausführen kann.

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    Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, 20.02.2013, Az.: 8 Sa 512/12

    Die gesundheitliche Beeinträchtigung eines Arbeitnehmers führt nicht zwingend dazu, dass der Beschäftigungsanspruch wegfällt.

    Gem. § 81 Abs. 4 SGB IX ist der Arbeitgeber u. a. nicht nur zur Weiterbeschäftigung, sondern bei Notwendigkeit auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet:

    (4) Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf

    1. Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können,

    2.bevorzugte Berücksichtigung bei innerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Förderung ihres beruflichen Fortkommens,

    3.Erleichterungen im zumutbaren Umfang zur Teilnahme an außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung,

    4.behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr,

    5.Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen

    Diese Verpflichtungen entfallen nur dann, wenn die Beschäftigung für den Arbeitnehmer unzumutbar oder für den Arbeitgeber mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist.

    Gestaltet der Arbeitgeber die Umgebung des Arbeitnehmers nicht entsprechend um und beschäftigt diesen nicht weiter, kann der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Schadensersatzanspruch in Höhe der ihm entgangenen Vergütung nach § 280 Abs. 1 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX haben.

    In dem oben genannten Urteil hatte sich das LAG Rheinland Pfalz mit dem Beschäftigungsanspruch eines einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Arbeitnehmers sowie dem Zahlungsanspruch von Arbeitsvergütung für Zeiten der Nichtbeschäftigung  zu beschäftigen.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:

    Kläger war oftmals krank und einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt

    Der Kläger war seit dem 01.01.1988 bei der beklagten Stadt als Arbeiter im Bauhof beschäftigt. Nach erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten ab dem Jahr 2002 war der Kläger vom 17.01.2011 bis einschließlich 01.04.2012 arbeitsunfähig erkrankt. Zum 10.11.2011 wurde der Kläger rückwirkend einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

    Im März 2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er ab dem 02.04.2012 wieder zur Arbeit erscheinen werde und übermittelte dieser ein ärztliches Attest.

    Laut Attest war der Kläger arbeitsfähig, konnte aber nur leichte bis mittelschwere Arbeiten erledigen

    Dem Inhalt dieses Attest nach war der Kläger ab dem 02.04.2012 wieder arbeitsfähig, wobei er leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten, vorzugsweise in wechselnder Körperhaltung vollschichtig übernehmen konnte, schweres Heben und Tragen sowie Wirbelsäulenzwangshaltungen durch diesen hingegen vermieden werden sollten.

    Daraufhin lehnte die Beklagte die vom Kläger auch persönlich angebotene Arbeitsleistung ab.

    Der Kläger erhob daraufhin Klage beim Arbeitsgericht, die auf tatsächliche Beschäftigung und auf Zahlung von Arbeitsvergütung für die Zeit von April bis einschließlich August 2012 gerichtet war.

    Beklagte lehnte Weiterbeschäftigung ab, Kläger reichte Klage ein

    Im Rahmen des Verfahrens wurde ein fachärztliches arbeitsmedizinisches Gutachten eingeholt. In diesem wurde u. a. festgestellt, dass der Kläger weiterhin in der Lage sei, vollschichtig zu arbeiten.

    Einige bisher ausgeübte Tätigkeiten seien nicht mehr möglich, andere Tätigkeiten hätten mit Arbeitsmodifikationen bzw. anderen Arbeitsmitteln erbracht werden können.

    Auf der Grundlage des Ergebnisses der arbeitsmedizinischen Untersuchung gelangte die Beklagte zu dem Ergebnis, dass der Kläger jährlich lediglich noch in einem Umfang von 371,52 Stunden, entsprechend einem Anteil von 23,56 % einer Vollzeitkraft, eingesetzt werden könne.

    Gegen die abweisende erstinstanzliche Entscheidung legte der Kläger Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland Pfalz ein.

    Berufungsentscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz:

    Landesarbeitsgericht folgt Ansicht des Klägers und verurteilt auf Weiterbeschäftigung

    Das LAG Rheinland Pfalz folgte der Ansicht des Klägers und urteilte, dass die zulässige Berufung in nahezu vollem Umfang auch begründet war.

    Anspruchsgrundlage für den Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers sei § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 81 Abs. 4 Satz 1 Ziff. 1 SGB IX.

    Dem Anspruch des Klägers auf Beschäftigung stünde nach Ansicht des Gerichts nicht entgegen, dass er aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr alle arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten im Bauhof der Beklagten ausüben könne.

    Im Schwerbehindertenrecht schließe nämlich die Unfähigkeit zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeit einen Beschäftigungsanspruch nicht aus.

    Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX hätten Schwerbehinderte und diesen gleichgestellte behinderte Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln könnten.

    Könne der schwerbehinderte Arbeitnehmer die im Vertrag vereinbarte Arbeit wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen, so führe dies nicht ohne weiteres zum Wegfall des Beschäftigungsanspruchs.

    Trotz eingeschränkter Arbeitsmöglichkeiten habe der Kläger Weiterbeschäftigungsanspruch

    Um eine behinderungsgerechte Beschäftigung zu ermöglichen, sei der Arbeitgeber nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet.

    Ferner hätten schwerbehinderte Menschen einen Anspruch auf Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen. Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beschäftigung entfalle allerdings nur, wenn diese dem Arbeitnehmer unzumutbar oder eine solche nur mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden sei, § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX.

    Bei Anwendung dieser Grundsätze sei davon auszugehen, dass der Beklagten eine Beschäftigung des Klägers als Arbeiter im Bauhof in Vollzeit möglich und zumutbar sei, obwohl dieser aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sei, sämtliche dort anfallenden Tätigkeiten auszuüben.

    Die Möglichkeit einer Vollzeitbeschäftigung des Klägers ergebe sich aus den Feststellungen der Arbeitsmedizinerin und deren Ausführungen in der von ihr erstellten Tätigkeitsauflistung.

    Die von der Beklagten vorgenommene Berechnung der für den Kläger noch möglichen Jahres-Arbeitszeit erweise sich als unzutreffend. Diesbezüglich sei es zum einen fehlerhaft, die dem Kläger noch möglichen und eingeschränkt möglichen Tätigkeiten im Hinblick auf die Anzahl der im Bauhof beschäftigten Arbeitnehmer nur mit einem Fünftel in Ansatz zu bringen.

    Arbeitgeber sei zur Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet

    Der Arbeitgeber sei nämlich nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX gerade auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet, um dem schwerbehinderten Arbeitnehmer eine behinderungsgerechte Beschäftigung zu ermöglichen.

    Er habe daher, soweit erforderlich, leichtere Arbeiten in einem größeren zeitlichen Umfang dem schwerbehinderten Arbeitnehmer zuzuweisen als den anderen Beschäftigten.

    Eine Aufteilung der bei einer bestimmten Tätigkeit anfallenden Arbeitszeit auf mehrere Arbeitnehmer komme nur dann in Betracht, wenn diese Tätigkeit nur von mehreren Arbeitnehmern zusammen ausgeübt werden könne.

    Darüber hinaus sei es fehlerhaft, diejenigen Arbeiten, die der Kläger nach Feststellung der Arbeitsmedizinerin „eingeschränkt“ erbringen könne, über die vorgenommene Fünftelung hinaus in zeitmäßiger Hinsicht auch noch um weitere 50 % zu kürzen.

    Tatsachen, aus denen sich ergeben könnte, dass erforderliche Modifikationen für die Beklagte unzumutbar, bzw. dass die Ausstattung des Arbeitsplatzes des Klägers mit den betreffenden technischen Mitteln mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden sei, habe die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht vorgetragen.

    Auch die Zahlungsklage sei bis auch einen geringen Teilbetrag in Höhe von 83,33 Euro brutto begründet. Dem Kläger stünde ein Anspruch auf Zahlung der Vergütung für den Zeitraum 02.04.2012 bis 31.12.2012 abzüglich der in diesem Zeitraum erhaltenen Sozialleistungen zu.

    Der Anspruch ergebe sich allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges. Da der Kläger krankheitsbedingt nicht in der Lage sei, alle vertraglich geschuldeten Leistungen zu erbringen, könne der Arbeitgeber nicht mit der Annahme der Dienste in Verzug geraten.

    Versäume es der Arbeitgeber schuldhaft, die behinderungsgerechte Beschäftigung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Arbeitnehmer nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 – 5 SGB IX zu ermöglichen, habe der Arbeitnehmer vielmehr einen Schadensersatzanspruch in Höhe der ihm entgangenen Vergütung nach § 280 Abs. 1 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX. Dies sei hier der Fall.

    Quelle: LAG Reinland-Pfalz

    Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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  2. Sozialrecht: Zum Anspruch eines Lehrers auf Gleichstellung mit behinderten Menschen nach dem SGB IX

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    Hessisches Landessozialgericht, 16.07.2013, Az.: L 6 AL 116/12

    Menschen, die einen Behinderungsgrad von weniger als 50% aber von mindestens 30% haben, können gem. § 2 Abs. 3 SGB IX schwerbehinderten Menschen durch die Agentur für Arbeit gleichgestellt werden.

    Sinn und Zweck dieser Gleichstellung ist es, die behinderungsbedingten Nachteile dieser Menschen auszugleichen, welche diese bei der Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz haben.

    Gem. § 68 Abs. 2 S. 2 SGB IX hat der Bescheid der Agentur für Arbeit dabei konstitutive Wirkung, so dass der Status der Schwerbehinderung erst durch den Erlass des Bescheides begründet wird.

    Die behördliche Gleichstellung wirkt auf den Tag des Antragseingangs zurück kann befristet werden.

    In dem oben genannten Urteil des Hessischen Landessozialgerichts hatte dieses darüber zu entscheiden, ob die Bundesagentur für Arbeit verpflichtet ist, einen Lehrer mit einem Behinderungsgrad von 30% schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist, damit dieser den Status Beamter auf Lebenszeit bekommen kann.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:

    Ein an Multipler Sklerose erkrankter Lehrer beantragte die Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten

    Der 1976 geborene Kläger war an Multipler Sklerose erkrankt. Seit 2007 war er als Studienrat im Rahmen eines Beamtenverhältnisses auf Probe bei einer Beruflichen Schule tätig.

    Durch Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales vom 04.02.2011 wurde bei dem Kläger ein Grad der Behinderung von 30 bei Berücksichtigung einer Multiplen Sklerose festgestellt.

    Seit dem Ende der bis zum Maximalzeitraum verlängerten Probezeit am 21. Oktober 2012 war er als Berufsschullehrer im Angestelltenverhältnis beschäftigt.

    In ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit wurde er nicht übernommen, weil eine vorzeitige Dienstunfähigkeit nicht ausgeschlossen werden konnte.

    Am 14.02.2011 beantragte der Kläger daher die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen, da im Falle der Gleichstellung bereits bei einer prognostizierten Dienstfähigkeit von lediglich fünf Jahren der Status Beamter auf Lebenszeit erteilt werden kann.

    Bundesagentur für Arbeit lehnt den Gleichstellungsantrag ab

    Die für die Gleichstellung zuständige Bundesagentur für Arbeit lehnte den Antrag jedoch mit der Begründung ab, dass aufgrund des unbefristeten Angestelltenvertrages sein Arbeitsplatz nicht gefährdet sei.

    Gegen diese Entscheidung der Agentur für Arbeit richtete der Kläger zunächst das Widerspruchsverfahren und nach dem ergangenen negativen Widerspruchsbescheid eine Klage zum Sozialgericht Kassel.

    Das Sozialgericht Kassel folgte der Ansicht des Klägers, hob den Bescheid der Agentur für Arbeit auf und verpflichtet diese, den Kläger schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.

    Gegen diese Entscheidung legte die Agentur für Arbeit Berufung zum Landessozialgericht ein.

    Berufungsurteil des Hessischen Landessozialgerichts:

    Auch das Hessische Landessozialgericht folgte der Ansicht des Lehrers

    Nach Ansicht der Richter sei hinsichtlich des geeigneten Arbeitsplatzes auf die Tätigkeit als Lehrer im Beamtenverhältnis abzustellen.

    Ein diskriminierungsfreier Zustand sei nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch eine Tätigkeit – die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt werde – in irgendeiner Weise (nämlich im Angestelltenverhältnis) ausüben könne.

    Zudem verwiesen die Richter auf die hessischen Integrationsrichtlinien, nach denen bei der Einstellung behinderter Menschen großzügig zu verfahren sei.

    Insbesondere sei die körperliche Eignung anzunehmen, wenn von einer mindestens 5-jährigen Dienstfähigkeit ausgegangen werden könne.

    Quelle: Hessisches Landessozialgericht

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  3. Sozialrecht: Mehrfach behinderte Frau hat Anspruch auf Anschaffung und Umbau eines PKW im Rahmen der Eingliederungshilfe

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    Landessozialgericht Baden-Württemberg, 26.09.2012, Az.: L 2 SO 1378/11

    Gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII können Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.

    Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können ebenfalls Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten.

    Gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

    Die Leistungen der Eingliederungshilfe lassen sich somit in folgende Bereiche aufteilen:

    – Leistungen der Eingliederungshilfe an Menschen mit körperlich/geistiger Behinderung

    – Leistungen der Eingliederungshilfe an Menschen mit psychisch/seelischer Behinderung

    – Leistungen der Eingliederungshilfe an suchtkranke Menschen

    – Leistungen der Eingliederungshilfe ohne Differenzierung nach Behinderungsarten

    In dem oben genannten Fall des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ging es um die Frage, ob der beklagte Landkreis einer mehrfach geistig und körperlich behinderten Frau einen PKW finanzieren musste, welchen die Mutter der Frau zu deren Beförderung benutzen wollte.

    Sachverhalt: Die im Jahre 1988 geborene Klägerin war mehrfach geistig und körperlich schwer behindert.

    Aufgrund ihrer Behinderungen konnte die Klägerin weder sprechen noch sehen und litt unter einer therapieresistenten Epilepsie. Die Klägerin litt ebenfalls unter einer starken Skoliose, die ihr normales Sitzen in nicht für sie angepassten Vorrichtungen unmöglich machte.

    Aufgrund ihrer Krankheit hatte die Klägerin kein relevantes Einkommen und Vermögen, sondern erhielt Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII sowie der Landesblindenhilfe.

    Nachdem die Klägerin zeitweise in einem Heim und in einem Wohnheim untergebracht war, lebte sie seit nunmehr 10 Jahren bei ihrer Mutter und wurde von dieser alleine zuhause gepflegt.

    Die Busse des öffentlichen Nahverkehrs in der Heimatstadt der Klägerin waren nicht behindertengerecht ausgestattet und konnten von der Klägerin nicht genutzt werden.

    Die Klägerin besuchte bis Sommer 2012 eine Schule für geistig und mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche, zu der sie mit einem Schulbus gefahren wurde.

    Während der über das ganze Jahr verteilten 15 Wochen Ferien fuhr der Schulbus nicht, weshalb die Klägerin die von der Schule in den Ferien angebotene Tagesbetreuung nur eingeschränkt wahrnehmen konnte.

    Im Januar 2006 beantragte die Klägerin, vertreten durch ihre Mutter, bei dem als Sozialhilfeträger zuständigen Landkreis Hilfe zur Anschaffung und zum behindertengerechten Umbau eines Kraftfahrzeugs einschließlich der Kosten für eine Klimaanlage und Standheizung.

    Dies lehnte der beklagte Landkreis mit der Begründung ab, dass der vorgebrachte Wunsch nach Teilhabe am sozialen Leben keine Notwendigkeit für die ständige Benutzung eines KFZ impliziere.

    Aufgabe der Sozialhilfe sei es nicht, einen sozialen Mindeststandard zu gewährleisten. Auch nichtbehinderte Menschen, die über kein KFZ verfügen würden, müssten den Kontakt zu Verwandten und Bekannten eben auf andere Weise aufrecht erhalten, z.B. indem sie sich besuchen ließen.

    Der Transport zur Schule werde vom Schülerbeförderungsdienst sicher gestellt; für Arztbesuche sei die gesetzliche Krankenversicherung zuständig

    Sofern der Klägerin die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich oder nicht zumutbar sei, sei sie auf den Beförderungsdienst für Schwerbehinderte des Landkreises zu verweisen.

    Dadurch werde neben der Bedarfsdeckung auch sichergestellt, dass der Familie kein Vorteil erwachse und nur der konkrete Bedarf des anspruchsberechtigten behinderten Menschen befriedigt werde.

    Denn die Hilfe dürfe unmittelbar nur dem Menschen mit Behinderung zugute kommen.

    Die gegen diese ablehnende Entscheidung eingereichte Klage beim Sozialgericht Freiburg hatte Erfolg. Gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg reichte der Beklagte Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg ein.

    Landessozialgericht Baden-Württemberg: Das LSG Baden-Württemberg folgte der Ansicht des Beklagten ebenfalls nicht, sondern urteilte, dass die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 53 ff. SGB XII in Verbindung mit §§ 8, 9 Eingliederungshilfe – Verordnung in Form einer Hilfe zur Anschaffung und zum behindertengerechten Umbau eines Kraftfahrzeugs habe.

    Die Entscheidung des Beklagten sei schon deswegen ermessensfehlerhaft, weil sich der Beklagte zur Erfüllung des Anspruchs Dritter bediene und die Klägerin auf die Inanspruchnahme von Behindertenfahrdiensten verweise.

    Auch habe der Beklagte behauptet, dass die Fahrdienste in ausreichender Zahl zur Verfügung stünden, obwohl der Beklagte nach eigenen Angaben noch im Erörterungstermin am 12.7.2012 nicht gewusst habe, für wie viele berechtigte Personen wie viele Fahrzeuge zur Verfügung stünden.

    Der beklagte Landkreis habe den Sachverhalt zum Zeitpunkt der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen also nicht ausreichend beurteilen können.

    Auch sei der Beklagte von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen, wenn er die ablehnende Entscheidung damit begründet habe, dass es nicht Aufgabe der Sozialhilfe sei, einen sozialen Mindeststandard zu gewährleisten.

    Welcher Bedarf anerkannt wird, beurteilt sich nach dem Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe, eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern (§ 53 Abs. 3 SGB XII).

    Ziel der Eingliederungshilfe sei es, dem behinderten Menschen auch die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben und den Kontakt zu seiner sozialen Umwelt zu erhalten.

    Somit sei es für die Anschaffung eines Fahrzeugs keine Voraussetzung, dass die Klägerin ständig, praktisch zwingend täglich auf das Fahrzeug angewiesen sei.

    Auch sei die Leistungsgewährung nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Fahrzeug durch die Mutter der Klägerin geführt werde und der Familie der Klägerin durch die Anschaffung des Fahrzeugs mittelbar ein Vorteil erwachse.

    Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg

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  4. Kindergeld: Kindergeld für ein erwerbstätiges behindertes volljähriges Kind

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    Bundesfinanzhof, 15.03.2012, Az.: III R 29/09

    Kindergeld erhält jeder, der seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat und der ein Kind in seinem Haushalt aufzieht und das Sorgerecht für dieses Kind innehält.

    Die Sozialleistung Kindergeld knüpft somit nicht an die Staatsbürgerschaft an, sondern nur an den gewöhnlichen Aufenthalt bzw. den Wohnsitz an, so dass Ausländer ebenfalls kindergeldberechtigt sind. Dies ist Ausfluss des Sozialstaatsprinzips des deutschen Grundgesetzes.

    Das Kindergeld wird dabei nicht an das Kind bezahlt, sondern als Finanzhilfe an die Erziehungsberechtigten. Wenn die Eltern getrennt leben, wird das Kindergeld nicht aufgeteilt, sondern nur ein Elternteil erhält die Sozialleistung. Dies ist normalerweise derjenige, in dessen Haushalt der Lebensmittelpunkt des Kindes liegt.

    Normalerweise wird Kindergeld nur bis zum 18. Lebensjahr gewährt. Es kann aber bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres weiter gezahlt werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

    Diese Voraussetzungen sind in § 32 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes niedergelegt. Danach kann für volljährige Kinder bis zum 27. Lebensjahr ebenfalls Kindergeld gewährt werden,

    –          wenn das Kind nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitssuchender gemeldet ist,

    –          wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird

    –          wenn das Kind eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen kann oder

    –          wenn das Kind ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr ableistet.

    Gemäß § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG kann für ein volljähriges Kind ebenfalls Kindergeld beansprucht werden, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung nicht in der Lage ist, durch eigene Erwerbstätigkeit oder durch andere Einkünfte und Bezüge seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

    In dem oben genannten Urteil des Bundesfinanzhofes hatte sich dieser mit der Frage zu beschäftigen, ob für ein volljähriges behindertes Kind auch Kindergeld gezahlt werden muss, obwohl das Kind einer Erwerbstätigkeit nachgeht, aus dieser Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt aber nicht bestreiten kann.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens

    Nach Abschluss der Ausbildung arbeitete das gehörlose Kind als Köchin

    Das seit seiner Geburt gehörlose Kind der Klägerin besuchte zunächst eine Gehörlosenschule und erlernte anschließend in einem Bildungswerk für Hör- und Sprachgeschädigte den Beruf der Beiköchin. Beiköche arbeiten nach Anleitung und unter Aufsicht erfahrener Köche und werden üblicherweise in Großküchen von Krankenhäusern, Altenheimen und ähnlichen Einrichtungen eingesetzt.

    Mit dem Ausbildungsgehalt konnte das Kind seinen Lebensunterhalt nicht sicherstellen

    Das Kind war nach Abschluss seiner Ausbildung zunächst als Köchin tätig. Nach einer Phase der Arbeitslosigkeit fand es dann eine Anstellung als Küchenhilfe in einer Fleischerei. Trotz der jeweiligen Erwerbstätigkeit war es nicht in der Lage, mit den hieraus erzielten Einkünften seinen gesamten Lebensbedarf zu decken.

    Da die Auszahlung des Kindergeldes verweigert wurde, klagte die Erziehungsberechtigte zunächst vor dem zuständigen Finanzgericht.

    Finanzgericht urteilte, dass der klagenden Mutter kein Geld zustünde, da die Behinderung für den Lohn nicht ursächlich sei

    Das Finanzgericht entschied, dass der Klägerin kein Kindergeld zusteht. Gemäß § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG setze die steuerliche Berücksichtigung eines behinderten Kindes voraus, dass das Kind wegen seiner Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.

    Da ihr Kind einer Erwerbstätigkeit nachgehe, sei es in der Lage, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Dass der Verdienst des Kindes nicht ausreiche, um den gesamten Lebensbedarf zu decken, sei insofern unbeachtlich, da dies nicht an der Behinderung liege, sondern an den geringen Löhnen, die im Beruf der Beiköchin gezahlt würden.

    Urteil des Bundesfinanzhofes

    BFH sah Behinderung doch als ursächlich an

    Der BFH folgte der Ansicht des Finanzgerichtes nicht.  Es sei primär die Frage zu stellen, warum ein Kind, das arbeitet, von seiner Hände Arbeit dennoch nicht leben könne. Das könne auf unterschiedlichsten Gründen beruhen. So könne das allgemeine Lohnniveau so niedrig liegen, dass auch ein nicht behinderter Mensch nicht in der Lage sei, mit einer Vollzeittätigkeit seinen Lebensunterhalt zu decken (z.B. prekäres Arbeitsverhältnis).

    In diesem Fall könne das Kind steuerlich nicht berücksichtigt werden, weil nicht die Behinderung, sondern die schlechte Arbeitsmarktsituation ursächlich dafür sei, dass das Geld zum Leben nicht reiche.

    Wegen der Behinderung könne das Kind nur im Niedriglohnsektor eine Arbeit finden

    Es könne aber auch so sein, dass das Kind von vornherein in Folge seiner Behinderung in der Berufswahl dermaßen eingeschränkt sei, dass ihm nur eine behinderungsspezifische Ausbildung mit späteren ungünstigen Beschäftigungsmöglichkeiten offen stünde.

    Wenn man wegen seiner Behinderung überhaupt nur im Niedriglohnsektor eine bezahlte Arbeit finde, dann sei die Behinderung die eigentliche Ursache für die Unfähigkeit, sich selbst zu unterhalten.

    Nichts anderes gelte, so der BFH weiter, wenn das Kind wegen seiner Behinderung in seiner Leistungsfähigkeit derart eingeschränkt sei, dass es von vornherein nur einer Teilzeitbeschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen könne.

    Welche Ursache letztendlich für die Unfähigkeit des Kindes, sich selbst zu unterhalten, verantwortlich sei, habe das Finanzgericht als Tatsachengericht festzustellen. Der BFH wies die Rechtssache daher an das FG zurück.

    Quelle: Bundesfinanzhof

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