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Tag Archive: Rechtsanwalt Schwerbehinderung Köln

  1. Arbeitsrecht: Dem Weiterbeschäftigungsanspruch eines Schwerbehinderten steht nicht entgegen, dass dieser nicht mehr alle vertraglich geschuldeten Arbeiten ausführen kann.

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    Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, 20.02.2013, Az.: 8 Sa 512/12

    Die gesundheitliche Beeinträchtigung eines Arbeitnehmers führt nicht zwingend dazu, dass der Beschäftigungsanspruch wegfällt.

    Gem. § 81 Abs. 4 SGB IX ist der Arbeitgeber u. a. nicht nur zur Weiterbeschäftigung, sondern bei Notwendigkeit auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet:

    (4) Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf

    1. Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können,

    2.bevorzugte Berücksichtigung bei innerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Förderung ihres beruflichen Fortkommens,

    3.Erleichterungen im zumutbaren Umfang zur Teilnahme an außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung,

    4.behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr,

    5.Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen

    Diese Verpflichtungen entfallen nur dann, wenn die Beschäftigung für den Arbeitnehmer unzumutbar oder für den Arbeitgeber mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist.

    Gestaltet der Arbeitgeber die Umgebung des Arbeitnehmers nicht entsprechend um und beschäftigt diesen nicht weiter, kann der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Schadensersatzanspruch in Höhe der ihm entgangenen Vergütung nach § 280 Abs. 1 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX haben.

    In dem oben genannten Urteil hatte sich das LAG Rheinland Pfalz mit dem Beschäftigungsanspruch eines einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Arbeitnehmers sowie dem Zahlungsanspruch von Arbeitsvergütung für Zeiten der Nichtbeschäftigung  zu beschäftigen.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:

    Kläger war oftmals krank und einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt

    Der Kläger war seit dem 01.01.1988 bei der beklagten Stadt als Arbeiter im Bauhof beschäftigt. Nach erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten ab dem Jahr 2002 war der Kläger vom 17.01.2011 bis einschließlich 01.04.2012 arbeitsunfähig erkrankt. Zum 10.11.2011 wurde der Kläger rückwirkend einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

    Im März 2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er ab dem 02.04.2012 wieder zur Arbeit erscheinen werde und übermittelte dieser ein ärztliches Attest.

    Laut Attest war der Kläger arbeitsfähig, konnte aber nur leichte bis mittelschwere Arbeiten erledigen

    Dem Inhalt dieses Attest nach war der Kläger ab dem 02.04.2012 wieder arbeitsfähig, wobei er leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten, vorzugsweise in wechselnder Körperhaltung vollschichtig übernehmen konnte, schweres Heben und Tragen sowie Wirbelsäulenzwangshaltungen durch diesen hingegen vermieden werden sollten.

    Daraufhin lehnte die Beklagte die vom Kläger auch persönlich angebotene Arbeitsleistung ab.

    Der Kläger erhob daraufhin Klage beim Arbeitsgericht, die auf tatsächliche Beschäftigung und auf Zahlung von Arbeitsvergütung für die Zeit von April bis einschließlich August 2012 gerichtet war.

    Beklagte lehnte Weiterbeschäftigung ab, Kläger reichte Klage ein

    Im Rahmen des Verfahrens wurde ein fachärztliches arbeitsmedizinisches Gutachten eingeholt. In diesem wurde u. a. festgestellt, dass der Kläger weiterhin in der Lage sei, vollschichtig zu arbeiten.

    Einige bisher ausgeübte Tätigkeiten seien nicht mehr möglich, andere Tätigkeiten hätten mit Arbeitsmodifikationen bzw. anderen Arbeitsmitteln erbracht werden können.

    Auf der Grundlage des Ergebnisses der arbeitsmedizinischen Untersuchung gelangte die Beklagte zu dem Ergebnis, dass der Kläger jährlich lediglich noch in einem Umfang von 371,52 Stunden, entsprechend einem Anteil von 23,56 % einer Vollzeitkraft, eingesetzt werden könne.

    Gegen die abweisende erstinstanzliche Entscheidung legte der Kläger Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland Pfalz ein.

    Berufungsentscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz:

    Landesarbeitsgericht folgt Ansicht des Klägers und verurteilt auf Weiterbeschäftigung

    Das LAG Rheinland Pfalz folgte der Ansicht des Klägers und urteilte, dass die zulässige Berufung in nahezu vollem Umfang auch begründet war.

    Anspruchsgrundlage für den Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers sei § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 81 Abs. 4 Satz 1 Ziff. 1 SGB IX.

    Dem Anspruch des Klägers auf Beschäftigung stünde nach Ansicht des Gerichts nicht entgegen, dass er aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr alle arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten im Bauhof der Beklagten ausüben könne.

    Im Schwerbehindertenrecht schließe nämlich die Unfähigkeit zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeit einen Beschäftigungsanspruch nicht aus.

    Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX hätten Schwerbehinderte und diesen gleichgestellte behinderte Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln könnten.

    Könne der schwerbehinderte Arbeitnehmer die im Vertrag vereinbarte Arbeit wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen, so führe dies nicht ohne weiteres zum Wegfall des Beschäftigungsanspruchs.

    Trotz eingeschränkter Arbeitsmöglichkeiten habe der Kläger Weiterbeschäftigungsanspruch

    Um eine behinderungsgerechte Beschäftigung zu ermöglichen, sei der Arbeitgeber nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet.

    Ferner hätten schwerbehinderte Menschen einen Anspruch auf Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen. Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beschäftigung entfalle allerdings nur, wenn diese dem Arbeitnehmer unzumutbar oder eine solche nur mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden sei, § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX.

    Bei Anwendung dieser Grundsätze sei davon auszugehen, dass der Beklagten eine Beschäftigung des Klägers als Arbeiter im Bauhof in Vollzeit möglich und zumutbar sei, obwohl dieser aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sei, sämtliche dort anfallenden Tätigkeiten auszuüben.

    Die Möglichkeit einer Vollzeitbeschäftigung des Klägers ergebe sich aus den Feststellungen der Arbeitsmedizinerin und deren Ausführungen in der von ihr erstellten Tätigkeitsauflistung.

    Die von der Beklagten vorgenommene Berechnung der für den Kläger noch möglichen Jahres-Arbeitszeit erweise sich als unzutreffend. Diesbezüglich sei es zum einen fehlerhaft, die dem Kläger noch möglichen und eingeschränkt möglichen Tätigkeiten im Hinblick auf die Anzahl der im Bauhof beschäftigten Arbeitnehmer nur mit einem Fünftel in Ansatz zu bringen.

    Arbeitgeber sei zur Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet

    Der Arbeitgeber sei nämlich nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX gerade auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet, um dem schwerbehinderten Arbeitnehmer eine behinderungsgerechte Beschäftigung zu ermöglichen.

    Er habe daher, soweit erforderlich, leichtere Arbeiten in einem größeren zeitlichen Umfang dem schwerbehinderten Arbeitnehmer zuzuweisen als den anderen Beschäftigten.

    Eine Aufteilung der bei einer bestimmten Tätigkeit anfallenden Arbeitszeit auf mehrere Arbeitnehmer komme nur dann in Betracht, wenn diese Tätigkeit nur von mehreren Arbeitnehmern zusammen ausgeübt werden könne.

    Darüber hinaus sei es fehlerhaft, diejenigen Arbeiten, die der Kläger nach Feststellung der Arbeitsmedizinerin „eingeschränkt“ erbringen könne, über die vorgenommene Fünftelung hinaus in zeitmäßiger Hinsicht auch noch um weitere 50 % zu kürzen.

    Tatsachen, aus denen sich ergeben könnte, dass erforderliche Modifikationen für die Beklagte unzumutbar, bzw. dass die Ausstattung des Arbeitsplatzes des Klägers mit den betreffenden technischen Mitteln mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden sei, habe die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht vorgetragen.

    Auch die Zahlungsklage sei bis auch einen geringen Teilbetrag in Höhe von 83,33 Euro brutto begründet. Dem Kläger stünde ein Anspruch auf Zahlung der Vergütung für den Zeitraum 02.04.2012 bis 31.12.2012 abzüglich der in diesem Zeitraum erhaltenen Sozialleistungen zu.

    Der Anspruch ergebe sich allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges. Da der Kläger krankheitsbedingt nicht in der Lage sei, alle vertraglich geschuldeten Leistungen zu erbringen, könne der Arbeitgeber nicht mit der Annahme der Dienste in Verzug geraten.

    Versäume es der Arbeitgeber schuldhaft, die behinderungsgerechte Beschäftigung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Arbeitnehmer nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 – 5 SGB IX zu ermöglichen, habe der Arbeitnehmer vielmehr einen Schadensersatzanspruch in Höhe der ihm entgangenen Vergütung nach § 280 Abs. 1 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX. Dies sei hier der Fall.

    Quelle: LAG Reinland-Pfalz

    Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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  2. Arbeitsrecht: Die Kündigungsschutzklage und die Anfechtung des Zustimmungsbescheides des Integrationsamtes

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    Bundesarbeitsgericht, 23.5.2013, 2 AZR 991/11

    Gegen die Kündigung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber kann Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingereicht werden.

    Damit die Kündigung nicht bestandskräftig wird, muss die Kündigungsschutzklage allerdings gem. § 4 KSchG  innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer beim zuständigen Arbeitsgericht eingereicht werden.

    Nach Ablauf der Frist wird die Kündigung bestandskräftig und kann nicht mehr angegriffen werden. Das bedeutet, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der Kündigungsfrist unwiderruflich beendet ist.

    Wenn einem schwerbehinderten Arbeitnehmer gekündigt werden soll, muss der Arbeitgeber zusätzlich auch noch die Zustimmung des Integrationsamtes einholen.

    Auch diese Zustimmung kann durch den Arbeitnehmer angegriffen werden. Zunächst kann der behinderte Arbeitnehmer Widerspruch einlegen. Ändert die Behörde die Entscheidung nicht ab (Abhilfe), entscheidet der jeweilige Widerspruchsausschuss über den Widerspruch.

    Wenn auch der Widerspruchsausschuss gegen den Arbeitnehmer entscheidet, kann der Arbeitnehmer gegen die Entscheidung Klage beim Verwaltungsgericht einreichen.

    Somit kommt es bei solchen zweistufigen Entscheidungen zu einer Aufspaltung des Rechtsweges. Über einen solchen Fall hatte das Bundesarbeitsgericht in dem oben genannten Urteil zu entscheiden.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:

    Kläger war als Elektriker bei dem Beklagten beschäftigt und zu 60% schwerbehindert

    Der Kläger war bei dem Beklagten seit 1992 als Elektriker beschäftigt. Er war als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt und ebenfalls Mitglied des für das Dezernat „Kultur/Umwelt” gewählten Personalrats.

    Im April 2008 erschien in der örtlichen Presse ein Artikel, welcher dem Chef der Abteilung, in welcher der Kläger beschäftigt war, eine ausgeprägte Selbstbedienungsmentalität attestierte, weil für diesen persönlich in der Schreinerei des Betriebes Gartenmöbel gefertigt worden sein sollen.

    Kläger hatte Informationen für einen für den Chef negativen Zeitungsartikel geliefert

    In dem Artikel wurde der Kläger als Informant persönlich mit Namen benannt. Auf Befragen des Beklagten räumte der Kläger auch ein, sich gegenüber dem recherchierenden Journalisten entsprechend geäußert zu haben.

    Im Mai 2008 beantragte der Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung des Klägers. Diese Zustimmung wurde dem Beklagten mit Bescheid des Integrationsamtes vom 06.06.2008 erteilt.

    Am selben Tag kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nach Zustimmung von Personalrat und Gesamtpersonalrat außerordentlich fristlos.

    Nachdem der Kläger fristlos gekündigt wurde, reichte er Kündigungsschutzklage ein

    Gegen diese Kündigung erhob der Kläger fristgemäß Kündigungsschutzklage und legte gegen den Zustimmungsbescheid des Integrationsamts gleichzeitig Widerspruch ein.

    Der Widerspruch gegen den Zustimmungsbescheid wurde vom Widerspruchsausschuss zurückgewiesen, hiergegen erhob der Kläger wiederum Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht.

    Mit Urteil vom 24.06.2010 hob das Verwaltungsgericht den Zustimmungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheid auf. Hiergegen hatte das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen.

    Hinsichtlich der Kündigung argumentierte der Kläger vor dem Arbeitsgericht, dass seine Auskünfte gegenüber der Presse der Wahrheit entsprochen hätten, da in der Schreinerei jahrelang mit Kenntnis und Billigung des Leiters Möbel für Privatzwecke gebaut und verkauft worden seien.

    Auch habe der Leiter durch Mitarbeiter des Beklagten die Privatwohnungen von Angehörigen renovieren lassen. Im Übrigen habe es nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts an einem wirksamen Zustimmungsbescheid des Integrationsamts gefehlt.

    Arbeitsgericht wies die Klage ab, Landesarbeitsgericht gab der Klage statt

    Das zunächst angerufene Arbeitsgericht wies die Klage ab, das nachfolgend angerufene Landesarbeitsgericht setzte den Rechtsstreit mit Blick auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren zunächst aus.

    Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts führte es das Verfahren fort und gab der Klage statt.

    Hiergegen legte der Beklagte Revision zum Bundesarbeitsgericht ein.

    Mit rechtskräftigem Urteil vom 28.01.2013 hatte das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des Zustimmungsbescheides des Integrationsamtes abgeändert und die Anfechtungsklage abgewiesen.

    Urteil des Bundesarbeitsgerichts:

    Bundesarbeitsgericht entschied im Sinne des Arbeitgebers

    Das BAG folgte der Ansicht des Beklagten und stellte fest, dass das mit der Berufung befasste Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen die außerordentliche Kündigung nicht als unwirksam hätte ansehen dürfen.

    So habe das Landesarbeitsgericht angenommen, die Kündigung sei unwirksam, weil im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung eine wirksame Zustimmung des Integrationsamts nicht (mehr) vorgelegen habe. Nach Ansicht des LAG stünde dem nicht entgegen, dass die den Zustimmungsbescheid aufhebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch nicht rechtskräftig gewesen sei, den die Entscheidung habe die Wirkung des Bescheids jedenfalls zunächst beseitigt. Auch sei dem Kläger nach Ansicht des LAG eine Fortdauer der Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits wegen des im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatzes nicht zumutbar gewesen. Der Beklagte sei nach Ansicht des LAG für den Fall eines ihm günstigen Ausgangs des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens durch die Möglichkeit der Restitutionsklage hinreichend geschützt.

    Der Begründung des Landesarbeitsgerichts folgte das Bundesarbeitsgericht nicht:

    Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ergebe bereits deshalb eine Rechtsverletzung i. S. v. § 561 ZPO, weil aufgrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichts inzwischen rechtskräftig feststünde, dass das Integrationsamt der Kündigung zustimmen durfte. Der Klage könne deshalb jedenfalls mittlerweile nicht (mehr) mit der Begründung stattgegeben werden, ein wirksamer Zustimmungsbescheid habe nicht vorgelegen.

    Zwar seien neue Tatsachen in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Abweichendes gelte jedoch, wenn andernfalls ein Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegeben wäre. Das Revisionsgericht dürfe insofern nicht sehenden Auges ein Urteil erlassen, das alsbald durch eine Restitutionsklage wieder beseitigt würde.

    Nach Ansicht des BAG erweise sich die Entscheidung des LAG aber auch ungeachtet dieses nach Abschluss des Berufungsverfahrens eingetretenen Umstands als rechtsfehlerhaft.

    Gemäß § 85 SGB IX bedürfe die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts.

    Dies gelte nach § 91 Abs. 1 SGB IX uneingeschränkt auch für die außerordentliche Kündigung. Eine ohne wirksame Zustimmung ausgesprochene Kündigung sei nach § 134 BGB nichtig.

    Die notwendige Zustimmung des Integrationsamtes habe bereits bei Kündigung vorgelegen

    Im Streitfall habe das Integrationsamt die erforderliche Zustimmung vor Abgabe der Kündigungserklärung erteilt. Dem Beklagten sei damit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger gestattet gewesen.

    Diese Wirkung des Zustimmungsbescheids sei entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht – auch nicht vorübergehend – dadurch entfallen, dass das Verwaltungsgericht den Bescheid aufgehoben habe.

    Zu Recht sei das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Arbeitsgerichte bezogen auf die Wirksamkeit der Zustimmung an die Entscheidungen von Verwaltung und Verwaltungsgerichten gebunden seien, da das Gesetz für den Fall der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen eine Aufspaltung des Rechtswegs vorsehe.

    Rechtsfehlerhaft habe das Landesarbeitsgericht aber angenommen, dass auch die noch nicht rechtskräftige Aufhebung des Zustimmungsbescheids des Integrationsamts durch ein Verwaltungsgericht im arbeitsgerichtlichen Verfahren Bindungswirkung entfalte.

    Denn gemäß § 88 Abs. 4 SGB IX hätten Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamts keine aufschiebende Wirkung. Dies würde bedeuten, dass die durch das Integrationsamt einmal erteilte Zustimmung zur Kündigung – vorbehaltlich ihrer Nichtigkeit – so lange Wirksamkeit entfalte, wie sie nicht rechtskräftig aufgehoben sei.

    Für die Berechtigung des Arbeitgebers, auf der Grundlage des Zustimmungsbescheids die Kündigung zunächst zu erklären, sei es folglich ohne Bedeutung, ob die Zustimmung vom Widerspruchsausschuss oder einem Gericht aufgehoben werde, solange die betreffende Entscheidung nicht bestands- bzw. rechtskräftig sei.

    Somit habe das Landesarbeitsgericht nach Ansicht des BAG nicht geprüft, ob ein wichtiger Grund für die Kündigung gegeben war und daher verwies das BAG die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück.

    Quelle: Bundesarbeitsgericht

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  3. Arbeitsrecht: Besondere Kündigungserfordernisse bei einem schwerbehinderten Arbeitnehmer in der Elternzeit

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    Bundesarbeitsgericht, 24.11.2011, Az.: 2 AZR 429/10

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    Wir haben an dieser Stelle schon des Öfteren über Rechtsfragen in Bezug auf die arbeitsrechtliche Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern berichtet:

    Sonderkündigungsrecht bei schwerbehinderten Arbeitnehmern.

    Frage nach der Schwerbehinderung bei bestehendem Arbeitsverhältnis nicht grundsätzlich unzulässig.

    Grundsätzlich genießen schwerbehinderte sowie diesen gleichgestellte Menschen in Deutschland besonderen Kündigungsschutz.

    (mehr …)