Schwere Pflichtverletzung Arbeitsrecht Archive - MTH Rechtsanwälte Köln
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Tag Archive: Schwere Pflichtverletzung Arbeitsrecht

  1. Arbeitsrecht: Ein Chefarzt, der während der Operation Privatgespräche mit dem Handy führt, muss vor der fristlosen Kündigung abgemahnt werden

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    Bundesarbeitsgericht, 25.10.2012, Az.: 2 AZR 495/11

    Vor einer außerordentlichen Kündigung muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer grundsätzlich zunächst ordnungsgemäß abmahnen (§ 314 Abs. 2 BGB).

    Die Abmahnung kann allerdings insbesondere bei besonders schweren Pflichtverletzungen bzw. bei Störungen im Vertrauensbereich entfallen, wenn der Arbeitnehmer davon ausgehen konnte, dass sein Verhalten nicht gebilligt wird.

    Die Abmahnung kann sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgen. Aus Gründen der Beweissicherung ist eine schriftliche Abmahnung allerdings vorzuziehen.

    In der Abmahnung muss das missbilligte Verhalten genau beschrieben werden, der Arbeitnehmer muss aufgefordert werden, sich zukünftig vertragsgemäß zu verhalten und für den Fall der erneuten Vertragsverletzung muss die arbeitsrechtliche Konsequenz (Kündigung) angedroht werden.

    In dem oben genannten Fall des Bundesarbeitsgerichts hatte sich dieses mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Chefarzt, der während Operationen Privatgespräche mit seinem Handy führte, vor der fristlosen Kündigung abgemahnt werden musste.

    Sachverhalt: Der Kläger war bei der Beklagten seit 2005 als Chefarzt der Abteilung Allgemein- und Viszeralchirurgie beschäftigt.

    In § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags zwischen dem Kläger und der Beklagten vom 18.04.2005 hieß es:

    „Dem Arzt obliegt die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für die medizinische Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine Hygiene verantwortlich …“

    Gem. § 20 Abs. 3 des Vertrags konnte dieser „nach Ablauf der Probezeit … fristlos gemäß § 626 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden“.

    Der Kläger nahm bei Operationen stets neben dem dienstlichen Telefon auch sein privates Handy mit in den Operationssaal.

    Beide Telefone lagen auf dem Ablagetisch. Sowohl hinsichtlich von dienstlichen als auch von privaten Anrufen hatte der Chefarzt das OP-Personal angewiesen, jeden Anruf anzunehmen.

    Die Gespräche führte der Kläger nachfolgend teilweise, während er die OP fortführte, indem ihm das Telefon ans Ohr gehalten wurde; teilweise unterbrach er die Operationen.

    Zu den Anrufen zählten unter Anderem Privatgespräche mit seiner Ehefrau, bspw. über Handwerker. Die Unterbrechungen erfolgten sowohl vor als auch nach dem Schnitt und dauerten mitunter Minuten.

    Die Patienten bemerkten diese Telefonate infolge der Narkose nicht; das OP-Team hingegen bezeichnete die Anrufe als äußerst störend.

    Die Bitte einer Anästhestistin, ein Telefonat zu unterlassen, ignorierte der Chefarzt.

    Mit Schreiben vom 26.09.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger „aus wichtigem Grunde fristlos, hilfsweise zum nächstzulässigen ordentlichen Kündigungstermin“.

    Die Beklagte warf dem Kläger vor, er habe im Operationssaal häufiger Telefonanrufe angenommen oder während laufender Operationen von einem Mitglied des Operationsteams annehmen lassen.

    Mit Schreiben vom 14. und vom 22. Oktober 2008 kündigte die Beklagte erneut fristlos, hilfsweise fristgemäß.

     Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Mit der Revision zum Bundesarbeitsgericht verfolgte die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

    Bundesarbeitsgericht: Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Ansicht der Vorinstanzen und urteilte, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 26. September 2008 aufgelöst worden sei.

    Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar sei, sei in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

    Es habe eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen.

    Dabei ließen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen.

    Zu berücksichtigen seien aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.

    Eine außerordentliche Kündigung komme nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gebe, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar seien.

    Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kämen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht.

    Sie seien dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen.

    Beruhe die Vertragspflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, sei grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden können.

    Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzten deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus.

    Einer solchen bedürfe es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten stünde, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen sei.

    Zwar habe der Kläger seine Vertragspflichten in erheblicher Weise verletzt, indem er sein privates Mobiltelefon im Operationssaal auch zu privat veranlassten Telefonaten genutzt habe. Dies gelte auch angesichts des Umstands, dass die Beklagte Telefonate im Operationssaal keineswegs gänzlich und kategorisch untersagt habe.

    Gleichwohl sei es der Beklagten zuzumuten, den Kläger weiter zu beschäftigen. Angesichts der Umstände des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht.

    Quelle: Bundesarbeitsgericht

    Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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  2. Arbeitsrecht: Arbeitnehmerrechte von Leiharbeitern: Der Equal Pay Grundsatz

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    Arbeitsgericht Herford, 04.05.2011, 2 Ca 144/11

    Gem. § 9 Nr. 2 AÜG sind Vereinbarungen, die für den Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher schlechtere als die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorsehen, unwirksam.

    Somit haben Leiharbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf die gleiche Bezahlung und die gleichen Arbeitsbedingungen wie die Stammbelegschaft in dem Unternehmen des Entleihers.

    § 9 Nr. 2 AÜG sieht aber auch vor, dass der Entleiher (Zeitarbeitsunternehmen) andere Tarifverträge anwenden kann, die die Ungleichbehandlung rechtfertigen können.

    Von dieser Maßnahme haben daher fast alle Zeitarbeitsunternehmen Gebrauch gemacht und oftmals Tarifverträge der Tarifgemeinschaft CGZP für Ihre Arbeitsverträge angewendet.

    Mit Beschluss vom 14.12.2010 zu 1 ABR 19/10 hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt, dass die Tarifgemeinschaft CGZP nicht tariffähig ist.

    Auf Basis dieses Beschlusses gibt es daher bereits mehrere Entscheidungen, die Zeitarbeitsfirmen zur Nachzahlung der Differenzbeträge an die Leiharbeitnehmer verurteilen.

    Ein aktuelles Urteil ist das oben genannte des Arbeitsgerichts Herford.

    Sachverhalt: Die Klägerin war seit dem 20.05.2010 im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten als Helferin beschäftigt. Die Beklagte betreibt eine Personalüberlassungsfirma mit mehr als 600 Mitarbeitern.

    In dem ursprünglichen Arbeitsvertrag war vereinbart:

    Die von dem Mitarbeiter im Rahmen des Arbeitsverhältnisses zu leistenden Arbeitsleistungen und –pflichten werden durch nachfolgende Regelungen, den jeweils gültigen tarifvertraglichen Regelungen zwischen der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP) und dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e. V. (AMP) sowie durch bestehende oder künftige Betriebsvereinbarungen/Betriebsordnungen bzw. durch die Firma P1 P2 bzw. den Kundenbetrieb im Rahmen des Direktionsrechts durch entsprechende Einzelanweisungen bestimmt.

    Am 23.06.2010 trafen die Parteien die folgende Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag:

    Mit Wirkung vom 01.07.2010 ändern sich folgende Vertragsbestandteile:

    § 1 Anwendbare Tarifverträge
    Auf das Arbeitsverhältnis finden die zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e. V. (AMP) einerseits und der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP), der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM), der DHV – Die Berufsgewerkschaft e. V. (DHV), dem Beschäftigungsverband Industrie, Gewerbe, Dienstleistung (BIGD), dem Arbeitnehmerverband land- und ernährungswirtschaftlicher Berufe (ALEB), medsonet. Die Gesundheitsgewerkschaft (medsonet) andererseits abgeschlossenen Tarifverträge, derzeit bestehend aus Manteltarifvertrag, Manteltarifvertrag für die Auszubildenden, Entgeltrahmentarifvertrag, Entgelttarifverträge West und Ost sowie Beschäftigungssicherungstarifvertrag, in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung. …

    Die Beklagte rechnete das Arbeitsverhältnis mit der vertraglich vereinbarten Vergütung von 7,35 € je Arbeitsstunde ab; ab Oktober 2010 erhielt die Klägerin einen Stundenansatz von 7,60 €.

    Auf Anfrage des Klägervertreters teilte die Entleiherin mit, dass in ihrer Firma nach Tarifvertrag BdZ/NGG Produktionshelferinnen nach der Tarifgruppe 2 d mit 9,02 € pro Stunde vergütet werden.

    Eine weitere Entleiherin teilte auf entsprechende Anfrage den Stundensatz für 2010 für gewerbliche Mitarbeiter mit 11,60 € mit (Bl. 20 d. A.).
    Aus diesem Tatbestandskomplex heraus machte die Klägerin nach dem Equal-Pay-Prinzip insgesamt 2.457,97 € klageweise geltend für den Zeitraum Mai 2010 bis Januar 2011 vor dem Hintergrund der benannten BAG-Entscheidung vom 14.12.2010.

    Arbeitsgericht Herford: Das Arbeitsgericht Herford folgte der Ansicht der Klägerin in der oben genannten Entscheidung zumindest in Bezug auf den Arbeitslohn.

    Die Klägerin habe gegenüber der Beklagten Anspruch auf Zahlung der Differenzbeträge.

    Die Beklagte als Verleiherin der Klägerin im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung habe nach § 10 Abs. 4 AÜG die Differenz zum Equal-Pay-Lohn nachzuzahlen, da die beklagtenseitig in Bezug genommenen Tarifverträge nichtig seien.

    Das gelte vor dem Hintergrund der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 zu 1 ABR 19/10, da darin festgestellt worden sei, dass die CGZP nicht tariffähig ist.
    Zwar sei richtig, dass in dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 ausdrücklich zur Tariffähigkeit in der Vergangenheit nichts gesagt werde.

    Gleichwohl habe der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 Wirkung für Klageverfahren, die sich auf einen Equal-Pay-Anspruch für die Vergangenheit stützen.
    In der Entscheidung des BAG vom 15.11.2006, 10 AZR 665/05 habe das Bundesarbeitsgericht festgestellt, dass im Verfahren nach § 97 Abs. 5 ArbGG die entsprechende Feststellung der Tariffähigkeit in die Vergangenheit wirken kann.

    Das gelte insbesondere dann, wenn sich keine besonderen Umstände dafür ergeben, die die Tariffähigkeit – entgegen der gerichtlichen Entscheidung – in der Vergangenheit bestätigen würden.

    Wie bei der Entscheidung des BAG vom 15.11.2006 sei auch im vorliegenden Verfahren festzustellen, dass die Parteien derartige Umstände nicht vorgetragen haben.

    Daraus sei unter Anwendung der BAG-Rechtsprechung vom 15.11.2006 zu schließen, dass auch die zuvor abgeschlossenen Tarifverträge mangels anderweitigem Vortrag unwirksam sind.

    Damit war für die Entscheidung des Gerichts zugrunde zu legen, dass die CGZP auch in der Vergangenheit tarifunfähig gewesen ist.
    Denn auch in der Vergangenheit war es der CGZP nicht möglich – mangels der entsprechenden Mächtigkeit – für alle Bereiche branchenübergreifend tarifvertragliche Regelungen zu treffen.

    Die Unwirksamkeit gelte darüber hinaus auch für die in der Zusatzvereinbarung vom 23.06.2010 in Bezug genommenen neuen tarifrechtlichen Regelungen.

    Quelle: Arbeitsgericht Herford

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