Verwaltungsgericht Augsburg 28.08.2018 Az.: Au 1 K 17.1602 Archive - MTH Rechtsanwälte Köln
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Tag Archive: Verwaltungsgericht Augsburg 28.08.2018 Az.: Au 1 K 17.1602

  1. Ausländerrecht: Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zum deutschen Sohn

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    Verwaltungsgericht Augsburg, 28.08.2018, Az.: Au 1 K 17.1602

    Ehe und Familie nehmen in Deutschland eine besondere Stellung ein, so stehen sie unter dem besonderen Schutz des Staates. Diese Grundsatznorm ist auch in Art. 6 des Grundgesetzes verankert. Deshalb ist bei der Abschiebung, angeordneten Ausreise, oder Visumsbeantragung auch stets die eheliche und/oder familiäre Situation des Antragstellers zu berücksichtigen. Handelt es sich um eine familiäre Verbundenheit, da ein deutsches minderjähriges Kind in Deutschland wohnt, so muss auch nachgewiesen werden, dass diese Verbundenheit auch tatsächlich besteht und der Ausländer eine tatsächliche Vater- bzw. Mutterrolle für das Kind einnimmt.

    Im vorliegenden Fall hatte ein nigerianischer Staatsangehöriger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu seinem deutschen Sohn begehrt. Dies wurde jedoch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt, da keine innige Beistandsgemeinschaft zwischen Vater und Sohn zu erkennen war. Nach erhobener Klage bestätigte auch das Verwaltungsgericht Augsburg diese Entscheidung, zumal der Kläger auch sonst nicht die nötigen Voraussetzungen erfüllte.

    Sachverhalt: Der Kläger war am 15. November 2010 unter den Alias-Personalien „O.D., geb. 30.10.1991“ nach Deutschland eingereist und stellte am 22. November 2010 einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 16. Mai 2011 wurde der Asylantrag vom BAMF als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Augsburg, jedoch wurde das Verfahren eingestellt. Am 15. September 2011 stellte der Kläger beim Bundesamt einen Wiederaufgreifensantrag, der mit Bescheid vom 12. Juni 2012 abgelehnt wurde. Gegen diese ablehnende Entscheidung erhob der Kläger wiederum Klage beim Verwaltungsgericht Augsburg. Mit Beschluss vom 14. August 2012 stellte das Gericht das Verfahren ein.

    Am 12. Januar 2012 wurde der Kläger durch das Amtsgericht Augsburg wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu 40 Stunden Hilfsdienste verurteilt. Am 22. März 2012 wurde er zudem wegen eines wiederholten Verstoßes gegen eine Aufenthaltsbeschränkung zu 32 Stunden Hilfsdienste verurteilt. Am 5. Juni 2012 wurde er ferner wegen Beleidigung in Tatmehrheit mit gemeinschaftlich versuchter Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu 72 Stunden Hilfsdienste verurteilt. Weiter wurde der Kläger vom Amtsgericht Augsburg mit Urteil vom 6. Dezember 2012 wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass zu 80 Stunden Hilfsdienste verurteilt. Mit Urteil vom 5. September 2013 wurde er wegen Erschleichens von Leistungen in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 5 Euro verurteilt. Aus demselben Grund wurde er vom Amtsgericht Aichach am 29. August 2014 zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 5 Euro verurteilt. Zuletzt wurde der Kläger wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

    Auch nach zahlreichen Aufforderungen durch das Bundesamt legte der Kläger über Jahre hinweg keinen Pass vor und versäumte mehrere Termine zur Vorsprache bei der nigerianischen Botschaft. Seit dem 5. August 2016 erhielt der Kläger keine Duldung mehr, sondern nur noch Grenzübertrittsbescheinigungen.

    Am 2. Juli 2015 wurde der deutsche Sohn des Klägers geboren, für welchen er die Vaterschaft anerkannte. Mit Schreiben vom 4. Juli 2016 legte der Kläger dem Bundesamt einen ab dem 19. Februar 2016 gültigen nigerianischen Reisepass vor, der auf das Geburtsdatum „geb. 12. April 1980“ ausgestellt worden war. Nach Überprüfung durch das Bayerische Landeskriminalamt gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich hierbei um eine Fälschung handelte.

    Am 8. November 2016 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge für seinen deutschen Sohn.

    Mit Schreiben vom 11. Juli 2017 teilte die Mutter des Sohnes des Klägers dem Bundesamt mit, dass der Kläger seinen Sohn einmal die Woche für eine Stunde sah. Kindererziehung, Betreuung und Versorgung übernahm sie jedoch allein zusammen mit ihrem Verlobten, den der Sohn auch als Vater betrachtete. Vom Kläger erhielt sie keine finanzielle Unterstützung.

    Nach der Anhörung lehnte die Beklagte, das Bundesamt, den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG (Familiennachzug zu einem minderjährigen deutschen Kind) mit Bescheid vom 18. September 2017 ab. Die Ablehnung erfolgte deshalb, weil nach Angaben der Mutter des Sohnes des Klägers keine innige Beistandsgemeinschaft zwischen Vater und Sohn zu erkennen war. Zudem wurde die Mutter des gemeinsamen Kindes nicht bei der Versorgung, Erziehung, oder auf finanzielle Weise unterstützt. Des Weiteren lag beim Kläger ein Ausweisungsinteresse vor. Dieser war während seinen sechs Jahren Aufenthalt in Deutschland mehrfach in nicht unerheblichem Maße strafrechtlich belangt worden. Bereits bei seiner Asylantragstellung hatte er falsche Angaben zu seiner Person gemacht. Erst mit der Geburt des deutschen Kindes und der eventuellen Aussicht auf eine Aufenthaltsverfestigung hatte er seine wahre Identität offengelegt.

    Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 23. Oktober 2017 Klage. Hierbei führte der Kläger aus, dass er die falschen Angaben bei seinen Personalien von sich aus korrigiert, seine tatsächliche Identität mitgeteilt und einen ordnungsgemäßen Nationalpass vorgelegt hatte. Bei bestehenden Ausweisungsinteressen gebot § 53 Abs. 2 AufenthG zudem, die Umstände des Einzelfalls eingehend zu bewerten. Beim Kläger lagen schwerwiegende Interessen im Sinne des Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK vor. Von Geburt an hatte dieser ein enges Verhältnis zu seinem Kind, auch wenn die Kindsmutter das alleinige Sorgerecht hatte. Seinen Sohn besuchte er regelmäßig, derzeit einmal wöchentlich für mehrere Stunden. Der Kontakt war nur deshalb nicht stärker, da ihn die Kindsmutter restriktiv handhabte. Auch den Kindesunterhalt zahlte er nur deswegen nicht, weil er keine Arbeitserlaubnis besaß, jedoch hing er sehr an seinem Sohn. Außerdem bewegten sich die strafrechtlichen Auffälligkeiten im unteren Bereich. Zumindest waren sie nicht so schwerwiegend, dass sie die überragenden grundrechtlichen Interessen des Klägers an der Aufrechterhaltung und Wahrung seiner Grundrechte auf Erhalt des Kontakts zu seinem Sohn überwögen. Die Belange des Sohnes mussten auch berücksichtigt werden.

    Am 28. August 2018 fand eine mündliche Verhandlung statt.

    Verwaltungsgericht Augsburg: Die zulässige Klage wurde als unbegründet abgewiesen. Mit der Klage hatte der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu seinem deutschen Sohn begehrt. Nach Auffassung des VG Augsburg jedoch hatte dieser keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, insbesondere nicht nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG (Familiennachzug für das Elternteil eines minderjährigen deutschen Kindes), noch nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG (Familiennachzug für ein nicht personensorgeberechtigtes Elternteil eines minderjährigen Deutschen Kindes).

    Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis stand die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 AufenthG entgegen. Hiernach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Durch die Titelerteilungssperren des § 10 Abs. 3 AufenthG soll im Interesse einer effektiven Steuerung und Begrenzung der Einwanderung die missbräuchliche Stellung von Asylanträgen sanktioniert und der Anreiz für die Schaffung von Bleiberechten nach negativem Abschluss eines Asylverfahrens reduziert werden. So greift diese Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG zwar dann nicht, wenn ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht. Dabei muss es sich jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts um einen strikten Rechtsanspruch handeln, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Konkret bedeutet dies, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein müssen und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat. Hierfür genügt weder eine Soll- noch eine Ermessensvorschrift, selbst wenn im Einzelfall ein atypischer Fall vorliegt oder das Ermessen „auf Null“ reduziert ist (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 27). Im vorliegenden Fall stand dem Kläger kein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu.

    So erfüllte er nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Demnach ist dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das deutsche Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Der Kläger aber übte schon nicht die Personensorge für seinen deutschen Sohn aus. Zwischen Kläger und Sohn bestand keine tragfähige und ernsthafte familiäre Beziehung im Sinne einer Beistandsgemeinschaft, sodass diese gegen eine Ausreise sprechen könnte. Das Sorgerecht nach § 1626 BGB übte allein die Mutter aus. Nach ihren glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung traf sie alle wesentlichen, den gemeinsamen Sohn betreffenden Entscheidungen, wie z.B. im Rahmen von Arztbesuchen oder bezüglich des Kindergartens, allein. Auch für die Erziehung und Versorgung war nur sie sie verantwortlich. Bei solchen Entscheidungen bezog sie den Kläger auch nicht ein. Dieser sehe den Sohn ausschließlich einmal die Woche für wenige Stunden und verbringe die Zeit mit ihm zumeist auf dem Spielplatz und beim Fußballspielen. Somit war zwar eine gemeinschaftliche Beziehung zwischen Kläger und Sohn anzunehmen, jedoch erreichte sie nicht das erforderliche Maß einer Beistandsgemeinschaft, welche für § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG notwendig ist, sondern qualifizierte sich eher als eine reine Begegnungsgemeinschaft.

    Ist der ausländische Elternteil aber nicht sorgeberechtigt, kann ihm nur im Wege des Ermessens eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, falls die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird (§ 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Daher bestand kein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, sodass die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 AufenthG durchgriff.

    Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis stand zudem die Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entgegen, nach welcher der Kläger mit dem erforderlichen Visum zum Daueraufenthalt in die Bundesrepublik eingereist sein muss. Der Kläger aber reiste ohne Visum in das Bundesgebiet ein und hatte ein Asylverfahren erfolglos betrieben.

    Von der Nachholung des Visumverfahrens konnte vorliegend auch nicht gemäß § 39 AufenthV abgesehen werden. So konnte der Kläger die Aufenthaltserlaubnis nicht nach der Regelung des § 39 Nr. 5 AufenthV im Bundesgebiet einholen. Demzufolge kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er aufgrund einer Eheschließung oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Der Kläger aber war nicht im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG. Seit dem 5. August 2016 erhielt er diese nicht mehr, sondern ausschließlich Grenzübertrittsbescheinigungen.

    Des Weiteren war von der Visumpflicht auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abzusehen. Demnach muss diese Pflicht nicht erfüllt werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.

    Der Kläger hatte nicht die Voraussetzung der Einreise „mit dem erforderlichen Visum“ erfüllt. Von dieser konnte nur nach Ermessensausübung abgesehen werden, da der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hatte (§ 5 Abs. 2 Satz 1 und 2 AufenthG). Die Entscheidung über die Erteilung des Aufenthaltstitels beruhte daher auf einer Ermessensentscheidung der Beklagten. Ein Rechtsanspruch im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG setzt jedoch einen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels voraus, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und bei dem alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein müssen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 10). Daher war von der Beklagten keine Ermessensentscheidung zu treffen und der Kläger erfüllte nicht die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

    Des Weiteren war die Nachholung des Visumverfahrens im Falle des Klägers auch nicht unzumutbar (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG). Es waren keine Umstände erkennbar, die eine (vorübergehende) Ausreise nach Nigeria, seinem Heimatland, unzumutbar erscheinen ließen. Die Nachholung des Visumverfahrens war ihm vor allem auch unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK zumutbar.

    Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG besagt, dass der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat. Deshalb hat auch die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dieser Bindungen zu gewichten. Jedoch ist es mit Art. 6 GG grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Das Visumverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu überprüfen. Hierbei wird jedoch auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt, indem unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Einzelfall erlaubt ist, von dem grundsätzlichen Erfordernis einer Einreise mit dem erforderlichen Visum abzusehen. Der Zeitablauf, welcher mit dem Visumsverfahren einhergeht, ist dabei von demjenigen, der die Einreise nach Deutschland begehrt, hinzunehmen (BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn. 13 f. m.w.N.). Dies ist damit zu erklären, dass ein vor der Einreise durchgeführtes Visumsverfahren wichtigen öffentlichen Interessen dient, da (in Fällen wie diesen) dadurch bereits die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug geprüft werden können. Somit kann die Einreise von denjenigen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, frühzeitig verhindert werden (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 10 CS 12.2679 – juris Rn. 35).

    Der Kläger war dafür verantwortlich, die Ausreise möglichst familienverträglich zu gestalten. Da er und sein Sohn nur eine Begegnungsgemeinschaft führten, war eine kurzzeitige Ausreise beiden zumutbar. Auch befand sich der Kläger in derselben Situation wie andere Familienangehörige auch, die ordnungsgemäß das Visumverfahren vom Ausland aus durchführen. Zudem konnte er durch Absprache mit den zuständigen Behörden Ausreisezeitpunkt und -modalitäten so gestalten, dass so gering wie mögliche familiäre Belastungen eintreten würden. Zumal hatte auch die Beklagte versichert, dass sie im Falle einer Ausreise des Klägers im Visumverfahren zeitnah entscheiden würde.

    Im Übrigen wäre auch, wenn eine tatsächliche familiäre Lebensgemeinschaft bestanden hätte, nicht automatisch von der Visumerfordernis abzusehen, da diese im Ermessen der Behörde stand (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Von einer Ermessensreduzierung auf Null war hier nicht auszugehen. In die Entscheidung der Ausländerbehörde kann als Erwägung einfließen, ob im konkreten Fall das Nachholen des Visumverfahrens mit dem dahinter stehenden Grundgedanken vereinbar ist oder umgekehrt, ob ohne Schaden für das Prinzip von ihm abgewichen werden kann. Die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug stellt auch keine bloße Förmlichkeit dar. Das Visumverfahren ist vielmehr von elementarer Bedeutung als Steuerungsinstrument für die Zuwanderung in das Bundesgebiet und dient somit einem gewichtigen ausländerpolitischen Interesse der Bundesrepublik (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 -juris Rn. 11 mit Verweis auf BVerwG, U.v. 16.11.2010 – 1 C 17.09 -BVerwGE 138, 122). Die Beklagte hatte hierbei das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens stärker gewichtet als die privaten Interessen des Klägers an der Einholung des Aufenthaltstitels vom Inland aus. Diese Gewichtung war auch nachvollziehbar gewesen.

    Des Weiteren stand auch das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). So wurde der Kläger innerhalb weniger Jahren Aufenthalt in Deutschland mehrfach und in kurzen Abständen strafrechtlich verurteilt. Da solch eine große Anzahl an Verurteilungen vorlag, bestand beim Kläger ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 i.V.m. § 53 Abs. 1 AufenthG. Liegt ein Ausweisungsinteresse vor, so kann die Aufenthaltserlaubnis regelmäßig nicht erteilt werden (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Deshalb bestand auch so schon kein zwingender Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug und die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 AufenthG konnte durchgreifen.

    Ferner stand dem Kläger auch kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu. Demzufolge kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.

    Der Kläger befand sich im Bundesgebiet, ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen und war demnach im Sinne von § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Der Kläger war außerdem ein bestandskräftig abgelehnter Asylbewerber, welchem nach der Vorlage seines Reisepasses auch keine Duldung mehr erteilt wurde. Seitdem hielt er sich nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weshalb der Antrag vom 8. November 2016 keine Fiktionswirkung entfalten konnte.

    Jedoch standen der Ausreise keine rechtlichen oder tatsächlichen Gründe entgegen. Rechtliche Unmöglichkeit liegt unter anderem auch dann vor, wenn der Ausreise Gründe entgegenstehen, welche diese als unzumutbar erscheinen lassen (Bergmann/-Röcker in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 25 Rn.105).

    Art. 6 GG i.V.m. Art. 8 EMRK können als solche Gründe nicht herangezogen werden, da es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie grundsätzlich vereinbar ist, einen Ausländer auf die Einholung des erforderlichen Visums zur Familienzusammenführung zu verweisen. Auch stand das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumsverfahren über der Trennung zwischen Sohn und Kläger. Zudem ist nach der Rechtsprechung eine solche Trennung auf Grund eines Visumsverfahren zumutbar, vor allem wenn die Trennung nicht unverhältnismäßig lange andauert und nicht deutlich größer als die übliche Verfahrensdauer ist (BayVGH, B.v. 2.2.2010 – 10 ZB 09.2155 – juris Rn. 10). Im Falle des Klägers gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass eine längere Trennung eintreten würde, zumal er sein Verfahren nach Absprache mit der Ausländerbehörde so vorbereiten konnte, dass die Trennung so kurz wie möglich anhalten würde. Die Ausreise war somit zumutbar.

    Auch die Beantragung für die Erteilung einer Duldung nach § 60a AufenthG könnte hier nicht weiterhelfen, da die Ausreise des Klägers nicht rechtlich unmöglich war. Für ein tatsächliches Ausreisehindernis bestanden ebenfalls keine Anhaltspunkte.

    Quelle: Verwaltungsgericht Augsburg

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