Voraussetzung Niederlassungserlaubnis Archive - MTH Rechtsanwälte Köln
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Tag Archive: Voraussetzung Niederlassungserlaubnis

  1. Ausländerrecht: Zur Anrechnung der Gestattungszeiten bei Erteilung der Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG

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    Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 02.12.2022, Az.: 5 K 4511/21

    Auf den für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs.4 Satz 4 iVm § 35 Abs.1 Satz 2 AufenthG erforderlichen Aufenthalt des Antragstellenden in Deutschland wird im Sinne des § 26 Abs.4 Satz 3 AufenthG die Zeit angerechnet, in der der Antragstellende sich während des Asylverfahrens bereits im Bundesgebiet aufhält.

    In dem vorliegenden Fall hatte der 1998 geborene Kläger, der bereits 2015 nach Deutschland einreiste und einen Asylantrag stellte, aber erst 2018 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt bekam, einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gestellt. Die zuständige Behörde hatte den Antrag abgelehnt und dem Widerspruch des Klägers nicht abgeholfen. Dieser erhob daraufhin am 27.10.2021 Klage vor dem Verwaltungsgericht Hamburg.

    Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens

    Afghanischer Kläger hatte vergeblich unbefristeten Aufenthaltstitel (Niederlassungserlaubnis) beantragt

    Der 1998 in Afghanistan geborene Kläger reiste 2015 in die Bundesrepublik ein und stellte am 16.07.2015 einen Asylantrag. Nachdem am 05.09.2018 ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs.5 AufenthG für Personen aus Afghanistan festgestellt wurde, erhielt der Kläger am 28.09.2018 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs.3 AufenthG. Im September 2019 begann er eine Ausbildung zum KfZ-Mechatroniker, die er zum Zeitpunkt des Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis noch nicht abgeschlossen hatte.

    Ausländerbehörde sah Aufenthaltszeiten und Versicherungsbeiträge als nicht erfüllt an

    Der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs.4 iVm § 9 Abs.2 AufenthG, da er nicht nachweisen könne, dass er mindestens 60 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet habe.

    Er erfülle weiterhin nicht die Voraussetzungen zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs.4 iVm § 35 Abs.1 Satz 2 AufenthG. Durch den Verweis in § 26 Abs.4 Satz 4 AufenthG könne zwar auch eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, wie die des Klägers, als Aufenthaltserlaubnis iSd § 35 Abs.1 Satz 2 Nr.1 AufenthG zugrunde gelegt werden, diese müsse jedoch bereits vor Eintritt in die Volljährigkeit bestanden haben. Der Antragstellende dürfe lediglich bei Ablauf der Frist von fünf Jahren volljährig sein, nicht jedoch bei Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Die gestatteten Aufenthaltszeiten während des laufenden Asylverfahrens, bei dessen Beginn der Kläger noch minderjährig war, seien nicht anzurechnen. Dies ergebe sich aus der Systematischen Stellung der Sätze innerhalb des § 26 Abs.4 AufenthG. Die Anrechnung der Gestattungszeiten ist in Satz 3 geregelt, der Verweis auf § 35 erst in Satz 4. Daraus ergebe sich, dass die Anrechnung nur für die Fälle der Sätze 1 und 2, nicht aber für die Fälle der Verweisung gelte. Auch das Bundesverwaltungsgericht folge in seiner Rechtsprechung dieser Auffassung (BVerwG, Urt. v. 13.9.2011, 1 C 17/10).

    Der Kläger hingegen führte an, die Gestattungszeiten gemäß § 55 Abs.3 AsylG während des seit 2015 laufenden Asylverfahrens seien auf den Aufenthalt anzurechnen und er erfülle daher die Voraussetzung des § 35 Abs.1 Satz 2 Nr.1.

    Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg

    Das Gericht gab der Klage insoweit statt, als dass es den Ablehnungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.10.2021 aufhob und die Behörde verpflichtete, über den Antrag des Klägers unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erneut zu entscheiden. Ein gebundener Anspruch aus § 26 Abs.4 iVm § 9 Abs.2 AufenthG oder aus § 26 Abs.4 iVm § 35 Abs.1 Satz 1 AufenthG bestehe nicht, der Kläger habe jedoch einen Anspruch auf Neubescheidung nach pflichtgemäßem Ermessen aus § 26 Abs.4 iVm § 35 Abs.1 Satz 2 AufenthG.

    Das Gericht folgt insoweit der Auffassung der Behörde, als dass dem Kläger aufgrund der nicht ausreichenden Beiträge zur Rentenversicherung kein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs.4 iVm § 9 Abs.2 AufenthG zustehe.

    Das Verwaltungsgericht sah zumindest die Aufenthaltszeiten als erfüllt an

    Der Kläger erfülle jedoch die Voraussetzungen des § 26 Abs.4 Satz 4 iVm § 35 Abs.1 Satz 2 AufenthG. Insbesondere seien die Gestattungszeiten während des laufenden Asylverfahrens auf den Aufenthalt anzurechnen, sodass die rechtliche Grundlage für die Aufenthaltserlaubnis bereits vor Beginn der Volljährigkeit des Klägers geschaffen war.

    Zu dieser Entscheidung gelangte das Gericht zunächst aufgrund systematischer Erwägungen. Die Verweisung sei nicht etwa in Satz 4, also hinter der Anrechnung der Gestattungszeiten, geregelt, weil diese für die nicht gelten. Vielmehr sei diese Anordnung gewählt worden, um deutlich zu machen, dass die Anrechnung nicht nur in den Fällen der Verweisung gelte, sondern auch für die in Satz 1 und 2 geregelten Fälle. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die Anrechnung der Gestattungszeiten in den Fällen der Verweisung auf § 35 nicht möglich ist, wäre sie in einem anderen Absatz verortet worden.

    Die Anrechnung der Gestattungszeiten sei zudem historisch bedingt. Zweck der Regelung ist es, wie aus der Entwurfsbegründung des § 26 Abs.4 AufenthG (BT-Dr 15/420, S. 80) hervorgeht, minderjährig eingereisten mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen unter den gleichen Bedingungen die Verfestigung des Aufenthalts in Form einer Niederlassungserlaubnis zu ermöglichen, wie Kindern mit einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen. Minderjährige, auf die § 35 AufenthG direkt anwendbar ist, haben in der Regel direkt bei Einreise in die Bundesrepublik eine Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 35 Abs.1 Satz 2 Nr.1, sodass sie gar nicht in die Situation geraten, zwar minderjährig einzureisen, jedoch erst mit Volljährigkeit eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Um eine Gleichbehandlung für Minderjährige mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu ermöglichen, sei es daher unerlässlich, die Gestattungszeiten während des Asylverfahrens anzurechnen.

    Gestattungszeiten seien aus historischen und teleologischen Gesichtspunkten anzurechnen

    Zuletzt seien die Gestattungszeiten auch aus teleologischen Gesichtspunkten anzurechnen. Dem Verweis aus § 26 Abs.4 Satz 4 AufenthG würde faktisch jede Bedeutung genommen, würde eine solche Anrechnung nicht stattfinden. Minderjährige mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen reisten in der Regel ohne Aufenthaltserlaubnis in Deutschland ein und erhielten diese dann stets mit zeitlicher Verzögerung, würden also immer benachteiligt werden. Der Fall des Klägers stelle insofern keine atypische Konstellation dar. Die Benachteiligung soll durch den Verweis jedoch gerade ausgeräumt werden.

    Soweit die Beklagte ausführt, diese Ansicht stehe in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, treffe dies nicht zu. In dem oben genannten Urteil des BVerwG mangelte es an der Voraussetzung des § 35 Abs.1 Satz 2 Nr.1 AufenthG nicht, weil der Kläger vor Erreichen der Volljährigkeit noch nicht über eine Aufenthaltserlaubnis verfügte. Vielmehr mangelte es an der Durchgängigkeit des zumindest gestatteten Aufenthalts in der Bundesrepublik. Nach Abschluss des Asylverfahrens hielt der Kläger sich zeitweilig lediglich geduldet in Deutschland auf. Auf diesen Aspekt stützt das BVerwG seine Entscheidung. So liege es in der dem Verwaltungsgericht Hamburg vorliegenden Klage jedoch gerade nicht. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis des Klägers schloss sich unmittelbar an den gestatteten Aufenthalt im Rahmen des Asylverfahrens an.

    Die übrigen Voraussetzungen der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lägen vor, weshalb das Gericht die Beklagte zur Neubescheidung des Antrags nach pflichtgemäßem Ermessen verurteilt hat. Diesbezüglich führt das Gericht aus, das Ermessen sei gemäß des oben ausgeführten Zwecks der Ermächtigung auszuüben. Der Kläger „übererfülle“ die das Ermessen eröffnenden Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsnorm und insbesondere die zu seinen Gunsten sprechenden Aspekte seien zu berücksichtigen.

    Quelle: VG Hamburg

    Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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  2. Die Niederlassungserlaubnis für Fachkräfte und Inhaber der Blauen Karte EU

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    Artikel wurde aktualisiert im November 2023 aufgrund der Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie (EU) 2021/1883 durch den deutschen Gesetzgeber

    Mit dem im März 2020 in Kraft getretenen Fachkräfteeinwanderungsgesetz und der im November 2023 erfolgten Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie (EU) 2021/1883 hat der Gesetzgeber zahlreiche Neuregelungen in Bezug auf die Erwerbsmigration geschaffen.

    Als „Fachkraft“ zählen laut Gesetz folgende Personen:

        • Fachkräfte mit Berufsausbildung (§ 18a AufenthG)
        • Fachkräfte mit akademischer Ausbildung (§ 18b AufenthG)
        • Forscher (§ 18d AufenthG)
        • Blaue Karte EU (§ 18g AufenthG)

    Zu den Neuregelungen zählen insbesondere auch die Niederlassungserlaubnis für Fachkräfte nach § 18c AufenthG:

    Niederlassungserlaubnis für Fachkräfte

    Fachkräfte, die einen Aufenthaltstitel zum Zwecke der Erwerbsmigration nach den §§ 18a (Fachkraft mit Berufsausbildung), 18b (Fachkraft mit akademischer Ausbildung), 18d (Forscher)  sowie  18g (Blaue Karte EU) AufenthG erhalten haben, können gem. § 18c AufenthG unter bestimmten privilegierten Voraussetzungen eine Niederlassungserlaubnis beantragen.

    Die Beantragung der Niederlassungserlaubnis ist demnach möglich, wenn die Fachkraft

    1. seit 4 Jahren im Besitz eines Aufenthaltstitels nach den §§ 18a, 18b, 18d oder §18g ist,
    2. einen Arbeitsplatz hat, der nach den Voraussetzungen der §§ 18a, 18b, 18d oder §18g auch von ihr besetzt werden darf,
    3. mindestens 48 Monate Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet hat oder Aufwendungen für einen Anspruch auf vergleichbare Leistungen einer Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung oder eines Versicherungsunternehmens nachweist
    4. über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt (entspricht dem B1 Zertifikat) und
    5. über einen gesicherten Lebensunterhalt verfügt,

    keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,

    über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt,

    über ausreichenden Wohnraum für sich und ihre Familienangehörigen verfügt

    Niederlassungserlaubnis bei der Blauen Karte EU

    Einem Ausländer, der Inhaber einer Blauen Karte EU ist, ist gemäß § 18c Abs. 2 AufenthG eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er

        • seit 33 Monaten eine Beschäftigung nach § 18g AufenthG ausgeübt hat,
        • 33 Monate in die Rentenversicherung eingezahlt hat,
        • über einfache Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt (entspricht dem A1 Zertifikat)

    (Sofern der Ausländer sogar über ausreichende Sprachkenntnisse (entspricht dem B1 Zertifikat) verfügt, verkürzt sich die Zeit von 33 Monate auf 21 Monate).

    Außerdem muss der Ausländer folgende Voraussetzungen erfüllen:

        • Der Lebensunterhalt muss gesichert sein,
        • Es darf keine Gefahr für öffentliche Sicherheit und Ordnung bestehen,
        • Der Ausländer muss über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung,
        • Er muss über ausreichend Wohnraum für sich und ggf. seine Familie verfügen

    Arten Blaue Karte EU

    Besonderheiten für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis bei Absolventen und hoch qualifizierten Fachkräften

    Bei erfolgreichem Abschluss eines Studiums oder einer Berufsausbildung in Deutschland verkürzt sich die erforderliche Dauer des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis auf zwei Jahre. Zudem müssen auch nur einen Zeitraum von 24 Monaten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet worden sein.

    Hoch qualifizierten Fachkräften kann gem. § 18c Abs. 3 AufenthG auch dann eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn sie nicht alle der zuvor genannten Voraussetzungen erfüllen. Hierfür müssen sie jedoch insbesondere nachweisen, dass sie sich ohne Probleme in die deutschen Lebensverhältnisse und Gesellschaft integrieren werden und ihr Lebensunterhalt gesichert ist

    Als Hochqualifizierte Fachkräfte gelten gem. § 18c Abs. 3 S. 1 und 2 AufenthG beispielweise Wissenschaftler mit besonderen fachlichen Kenntnissen oder Lehrpersonen bzw. wissenschaftliche Mitarbeiter in herausgehobenen Funktionen. Die Beispielaufzählung ist insofern nicht abschließend.

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  3. Ausländerrecht: Für die Erteilung einer Niederlassungs­erlaubnis sind auch für türkische Staatsangehörige einfache Deutschkenntnisse erforderlich

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    Verwaltungsgericht Münster, 21.07.2014, Az.: 8 K 2769/13

    Begehrt ein in Deutschland lebender Ausländer die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, muss er gem. § 9 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG unter Anderem nachweisen, dass er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.

    Von diesen sprachlichen Voraussetzungen kann gem. § 9 Abs. 2 Satz 3, 4 AufenthG nur wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder einer Behinderung des Ausländers oder zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte abgesehen werden.

    Ein Härtefall liegt etwa dann vor, wenn der Ausländer trotz verstärkter Bemühungen die sprachlichen Anforderungen unverschuldet nicht erfüllen kann.

    Des Weiteren kann eine Härte vorliegen, wenn eine körperliche, geistige oder seelische Erkrankung oder Behinderung die Erfüllung der Voraussetzungen zwar nicht unmöglich macht, aber dauerhaft wesentlich erschwert (vgl. Nr. 9.2.2.2.2 AufenthG-VwV).

    In dem oben genannten Urteil des Verwaltungsgerichts Münster hatte dieses darüber zu entscheiden, ob eine seit langer Zeit in Deutschland lebende Türkin wegen diverser Krankheiten von dem Spracherfordernis des § 9 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG befreit war.

    Sachverhalt: Bei der Klägerin handelte es sich um eine im Jahre 1960 geborene türkische Staatsangehörige. Sie war im Jahre 1992 mit einem Visum zur Familienzusammenführung zu ihrem türkischen Ehemann nach Deutschland eingereist.

    Am 11.01.1993 war ihr eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden, die in der Folgezeit regelmäßig verlängert wurde. Am 14.03.2013 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.

    Der Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit, es sei beabsichtigt, den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis abzulehnen, da die Klägerin nicht über die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfüge.

    Mit Schreiben vom 06.05.2013 machte die Klägerin daraufhin geltend, dass ihr Gesundheitszustand erheblich reduziert sei. Aufgrund einer Tumorerkrankung habe sie sich am 28..11.2012 einer komplizierten Operation unterziehen müssen und für den Herbst des Jahres 2013 sei eine weitere Operation geplant. Auch sei sie psychisch erheblich erkrankt.

    Aufgrund dieser Beeinträchtigungen würden die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes nach § 9 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vorliegen. Danach sei von den Voraussetzungen der ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache zwingend abzusehen, wenn der Ausländer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit nicht in der Lage sei, die Voraussetzungen zu erfüllen.

    Dennoch lehnte der Beklagte die Erteilung der Niederlassungserlaubnis mit Ordnungsverfügung vom 23.08.2013 mit der Begründung ab, dass die Klägerin keine aussagekräftigen ärztlichen Gutachten eingereicht habe, wonach sie gegenwärtig und auch zukünftig gesundheitlich nicht in der Lage sein werde, sich die erforderlichen Sprachkenntnisse anzueignen.

    Gegen diese Entscheidung reichte die Klägerin am 11.09.2013 Klage zum VG Münster ein und argumentierte unter Anderem, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH ) vom 10.07.2014 (C-138/13) auch hier anwendbar sei. In diesem Urteil habe der EuGH entschieden, dass die deutschen ausländerrechtlichen Vorschriften gegen das Recht auf Freizügigkeit und Familienzusammenführung verstoßen würden, soweit dem Ehegatten eines im Inland rechtmäßig wohnenden türkischen Staatsangehörigen ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzugs nur erteilt werde, wenn einfache Kenntnisse der deutschen Sprache nachgewiesen seien.

    Verwaltungsgericht Münster: In dem oben genannten Urteil entschied das VG Münster nun, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis habe, da sie die sprachlichen Integrationsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG nicht erfülle.

    Die für die Klägerin anwendbare Übergangsvorschrift des § 104 Abs. 2 AufenthG verlange, dass sie sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen könne. Dazu sei die Klägerin nicht in der Lage. Bei einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde am 12.03.2014 habe die Klägerin einfache, an sie gerichtete Fragen nicht verstehen können.

    Von der Voraussetzung der ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache sei auch nicht nach § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG abzusehen. Nach dieser Regelung müssten die sprachlichen Integrationsvoraussetzungen nicht erfüllt werden, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen könne. Ein solcher Fall liege hier nicht vor. Die vorliegenden ärztlichen Atteste würden zwar belegen, dass die Klägerin an diversen Krankheiten leide und vorübergehend stationär behandelt worden sei. Es sei aber in keiner Weise ersichtlich, dass die Klägerin dauerhaft außerstande wäre, das Spracherfordernis zu erfüllen.

    Auch sei das Erfordernis der ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG mit Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen der früheren EWG und der Türkei (Zusatzprotokoll) vereinbar.

    § 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls enthalte eine sogenannte Stillhalteklausel, nach der die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen werden.

    Nach dem Urteil des EUGH vom 10.07.2014 (C 138/13) stünde Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls einer Regelung des nationalen Rechts entgegen, wonach Ehegatten von in einem Mitgliedsstaat wohnenden türkischen Staatsangehörigen, wenn sie zum Zwecke der Familienzusammenführung in das Hoheitsgebiet dieses Staates einreisen wollen, vor der Einreise nachweisen müssen, dass sie einfache Kenntnisse der Amtssprache dieses Mitgliedsstaat erworben haben. Diese Entscheidung des EUGH sei auf den vorliegenden Fall allerdings nicht zu übertragen.

    Die Stillhalteklausel des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls verleihe einem türkischen Staatsangehörigen kein eigenständiges Aufenthaltsrecht, sondern verbiete (neue) Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs,

    Das Spracherfordernis des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenhtG stelle aber keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit i. S. d. Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls dar, denn dadurch werde das Recht, in jedem Ort in einem Mitgliedsstaat der EU Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, nicht tangiert.

    Quelle: Verwaltungsgericht Münster

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  4. Ausländerrecht: Niederlassungserlaubnis muss einem Ausländer auch ohne vollständige Lebensunterhaltsdeckung gewährt werden

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    Bundesverwaltungsgericht, 16.08.2011, Az.: 1 C 12.10

    § 28 Aufenthaltsgesetz regelt den Familiennachzug zu Deutschen. Gemäß § 28 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz ist dem Ausländer in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsgrund vorliegt und er sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Im Übrigen wird die Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht.

    28.2.1 der Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 28 AufenthG legt dazu fest, dass die Erteilung der Niederlassungserlaubnis zu versagen ist, wenn ein Regelversagungsgrund nach § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegt.

    Nach § 5 Abs. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass
    – der Lebensunterhalt gesichert ist,
    – die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
    – kein Ausweisungsgrund vorliegt,
    – soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
    – die Passpflicht erfüllt wird.

    Aufenthaltstitel_nach_dem_AufenthaltsG

    Insbesondere die Voraussetzung der Sicherung des Lebensunterhaltes führt oftmals zur Versagung der Erteilung der Niederlassungserlaubnis, wenn Antragsteller öffentliche Mittel in Anspruch nehmen.

    Gem. § 2 Abs. 3 AufenthG ist der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann.

    Dabei bleiben das Kindergeld, der Kinderzuschlag und das Erziehungsgeld oder Elterngeld sowie öffentliche Mittel außer Betracht, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen.

    In der oben genannten Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht nun festgestellt, dass einer Ausländerin die Niederlassungserlaubnis auch dann erteilt werden muss, wenn sie aus ihren Einkünften zwar den eigenen Lebensunterhalt sichern kann, das Einkommen aber nicht vollständig den Unterhaltsbedarf ihrer Kinder abdeckt.

    Sachverhalt des Gerichtsverfahrens

    Die Klägerin war eine iranische Staatsangehörige, die 1996 zum Zweck der Familienzusammenführung zu ihrem damaligen Ehemann nach Deutschland eingereist war. Die Aufenthaltserlaubnis musste von dieser jährlich verlängert werden.

    Seit 1999 war die Klägerin von ihrem Ehemann getrennt, lebte aber zusammen mit ihren beiden minderjährigen Kindern zusammen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen.

    Klägerin bezog neben Einkommen ergänzend ALG II

    Neben ihren Einkünften als Küchenhelferin in einem Kindergarten bezog die Klägerin ergänzend Arbeitslosengeld II.

    Im Jahre 2009 lehnte die Stadt Frankfurt am Main den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis mangels Sicherung des Lebensunterhalts der familiären Bedarfsgemeinschaft ab.

    Der Hessische Verwaltungsgerichtshof verpflichtet Ausländerbehörde zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis

    Der Hessische Verwaltungsgerichtshof verpflichtete die Beklagte zur Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Hiergegen richtete die Beklagte ihre Revision beim Bundesverwaltungsgericht.

    Urteil des Bundesverwaltungsgericht:

    Auch das Bundesverwaltungsgericht sieht Anspruch der Klägerin auf Niederlassungserlaubnis

    Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus familiären Gründen nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG voraussetzt.

    Danach muss grundsätzlich der Lebensunterhalt der in einer Bedarfsgemeinschaft zusammenlebenden Kernfamilie – hier bestehend aus der Klägerin und ihren beiden minderjährigen Kindern – gesichert sein.

    Die Voraussetzung muss aber nur in der Regel vorliegen.

    Besteht eine Bedarfslücke wegen deutscher Familienangehöriger ist Ausnahme von der Lebensunterhaltssicherung zu machen

    Eine Ausnahme sei dann anzunehmen, wenn der Antragsteller seinen eigenen Lebensbedarf sichern kann und eine Bedarfslücke durch deutsche Familienangehörige – hier die minderjährigen Kinder – entstehe.

    Das Regelungsziel des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG werde in solchen Fällen nicht verfehlt, weil die Erteilung der Niederlassungserlaubnis an die Klägerin keine zusätzliche Belastung öffentlicher Haushalte bewirke.

    Es trete keine Verfestigung des Aufenthalts ausländischer Familienangehöriger ein, deren Lebensunterhalt nicht gesichert sei.

    Das Aufenthaltsrecht der unterhaltsbedürftigen deutschen Kinder im Land ihrer Staatsangehörigkeit könne nicht weiter verfestigt werden.

    Dasselbe dürfte dann gelten, wenn der antragstellende Ausländer nicht in der Lage ist, für seinen deutschen Ehepartner zu sorgen.

    Bei einer fehlenden Lebensunterhaltsdeckung ist nämlich ebenso zu beachten, dass es nicht zu einer Diskriminierung des Ausländers wegen der Ehe kommen darf, so dass ihm die Unterhaltsleistungen an seinen deutschen Ehepartner nicht entgegengehalten werden dürfen.

    Quelle: Bundesverwaltungsgericht

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