Ausländerrecht: Der dreijährige Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist auch für das Kind eines eingebürgerten Ausländers für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erforderlich
Rechtsanwalt Tieben

Rechtsanwalt Helmer Tieben
Beratung unter:
Tel.: 0221 - 80187670

Ausländerrecht
Veröffentlicht:
Aktualisiert am:
von: Helmer Tieben

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 05.08.2015, Az.: 10 B 15.429

Gemäß § 28 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen, dem minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen und dem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Sie ist abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 zu erteilen. Sie soll in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 erteilt werden. Sie kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen erteilt werden, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird.

Nach dem Absatz 2 des § 28 AufenthG ist dem Ausländer in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsinteresse besteht und er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. § 9 Absatz 2 Satz 2 bis 5 gilt entsprechend. Im Übrigen wird die Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht.

Nach § 9 Abs. 2 AufenthG ist einem Ausländer  die Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er seit fünf Jahren die Aufenthaltserlaubnis besitzt, sein Lebensunterhalt gesichert ist und er mindestens 60 Monate Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet hat oder Aufwendungen für einen Anspruch auf vergleichbare Leistungen einer Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung oder eines Versicherungsunternehmens nachweist, Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unter Berücksichtigung der Schwere oder der Art des Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder der vom Ausländer ausgehenden Gefahr unter Berücksichtigung der Dauer des bisherigen Aufenthalts und dem Bestehen von Bindungen im Bundesgebiet nicht entgegenstehen, ihm die Beschäftigung erlaubt ist, sofern er Arbeitnehmer ist, er im Besitz der sonstigen für eine dauernde Ausübung seiner Erwerbstätigkeit erforderlichen Erlaubnisse ist, er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt, er über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt und er über ausreichenden Wohnraum für sich und seine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen verfügt.

Im nachstehenden Urteil stellt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof klar, dass die Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 1 Aufent  eine solche nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG meine. § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG enthalte zwar keine ausdrückliche Regelung darüber, zu welchem Zweck die Aufenthaltserlaubnis dem Ausländer erteilt worden sein muss, aus dem Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang, der Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ergebe sich jedoch, dass es sich hierbei um eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu Deutschen i.S.d. § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG handeln müsse.

Zudem stellt das Gericht klar, dass es für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 9 Abs.2 AufenthG nicht  genüge, dass derjenige Ausländer, der mit einem deutschen Familienangehörigen künftig in familiärer Lebensgemeinschaft leben werde, die erforderliche Integration mit ziemlicher Sicherheit noch erlangen werde. Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG  erfordere einen fünfjährigen gesicherten, rechtmäßigen Aufenthalt, weil erst dann von einer Verwurzelung des Ausländers in die hiesigen Lebensverhältnisse auszugehen sei.

Sachverhalt: Der am 29. Mai 2002 in Prizren geborene Kläger ist kosovarischer Staatsangehöriger und reiste am 21. Mai 2008 im Wege des Familiennachzugs zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester zu seinem hier lebenden Vater ein, der zum damaligen Zeitpunkt im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war. Er erhielt zunächst eine bis 28. Mai 2010 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 3 AufenthG, welche am 9. Dezember 2009 durch die Ausländerbehörde nach § 32 Abs. 3 AufenthG bis zum 29. Mai 2018 verlängert wurde. Daraufhin beantragte der Kläger am 5. Dezember 2013 eine Niederlassungserlaubnis und führte § 9 AufenthG als Rechtsgrundlage an.

Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 14. Februar 2014 ab und führte dazu aus, dass § 9 Abs. 2 AufenthG im Hinblick auf die Spezialregelung des § 35 AufenthG auf Niederlassungserlaubnisse für Kinder, die eine Aufenthaltserlaubnis nach dem 6. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes besitzen, keine Anwendung finde. Darüber hinaus erfülle der Kläger die Erteilungsvoraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 AufenthG nicht und auch § 9 Abs. 1 Satz 3 AufenthG sei nicht erfüllt.

Ein gleichlautender Bescheid erging gegenüber seiner Schwester (Klägerin des Ausgangsverfahrens). Am 14. April 2014 wurde der Vater des Klägers eingebürgert.

Gegen diese Bescheide erhoben der Kläger und seine Schwester Klage und beantragten, den Beklagten zu verpflichten, ihnen Niederlassungserlaubnisse zu erteilen, woraufhin das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg die Bescheide mit Urteil vom 17. September 2014 aufhob und den Beklagten verpflichtete, den Klägern Niederlassungserlaubnisse zu erteilen.

Zwar scheide § 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Rechtsgrundlage aus, weil die Kläger das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten, allerdings bestehe einen Anspruch auf Erteilung von Niederlassungserlaubnissen nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Denn die Kläger seien seit drei Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG und es sei nicht Voraussetzung, dass sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG seien. Daher genüge der Besitz der Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 3 AufenthG.

Dass der Vater der Kläger im Zeitpunkt des Familiennachzugs zunächst noch ausländischer Staatsangehöriger gewesen sei, sei unschädlich, da er durch die Einbürgerung zu einem deutschen Staatsangehörigen geworden sei und bereits im Zeitpunkt des Familiennachzugs alle Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt habe. Nach allgemeiner Lebenserfahrung bestärke und beschleunige der enge Kontakt und der Einfluss des Deutschen die Integration, sodass Anlass für die Vermutung bestehe, dass ein Ausländer, der zu einem Deutschen nachziehe, um in einer familiären Lebensgemeinschaft mit diesem zu leben, sich schneller integriere. Dies sei unabhängig von dem rein formalen Status der deutschen Staatsangehörigkeit und an die tatsächlichen Umstände der individuell familiären Lebensgemeinschaft geknüpft.

Daher sei im Rahmen des § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht zwingend erforderlich, dass derjenige, zu dem ein Familiennachzug erfolgt sei, von Beginn des dreijährigen Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis und des gemeinsamen Zusammenlebens im Bundesgebiet an die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, sondern es genüge, wenn er die deutsche Staatsangehörigkeit bis zum Zeitpunkt der Erteilung der Niederlassungserlaubnis erworben habe und das betroffene Familienmitglied bereits seit mindestens drei Jahren des gemeinsamen Zusammenlebens alle Einbürgerungsvoraussetzungen erfülle.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens habe zudem einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Der Kläger würde die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 AufenthG nicht erfüllen, er habe weder einen Integrationskurs erfolgreich absolviert noch könne er einen Schulabschluss vorweisen, weswegen er keinen solchen Anspruch habe.

Ausreichend sei zwar, wenn der Ausländer die Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet durch einen Schulabschluss nachweisen könne. Da der Kläger aber derzeit die 6. Klasse einer Mittelschule besuche und die Thematiken wie Demokratie in Deutschland, politische Prozesse sowie politisches Engagement erst in der 7. und 8. Jahrgangsstufe besprochen würden, sei dies nicht von ihm nachgewiesen. Dass der Kläger diese Grundkenntnisse der Gesellschafts- und Rechtsordnung der Bundesrepublik auf andere Weise erlernt habe, habe er nicht vorgebracht.

Der Beklagte beantragte, die Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 17. September 2014 lediglich insoweit zuzulassen, als er verpflichtet worden war, dem Kläger eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen und brachte vor, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG habe, weil er nicht seit drei Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG gewesen sei. § 28 Abs. 2 AufenthG regele jedoch nur eine besondere Form der Verlängerung der Erlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG. Nach dem früheren § 23 AuslG sei eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AuslG solange befristet zu verlängern gewesen, wie die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbestanden habe und die Voraussetzungen für die unbefristete Verlängerung noch nicht vorgelegen hätten. Denn die Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis für einen nachzugsberechtigten Familienangehörigen nach § 24 i.V.m. § 23 Abs. 2 Satz 2 AuslG, der heute die Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG entspreche, setze somit die vorherige Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AuslG voraus. Der Beklagte argumentierte, dass bereits die Gesetzessystematik gegen die Ausdehnung des § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG auf Familienangehörige mit einer zu anderen Zwecken als zum Familiennachzug gemäß § 28 Abs. 1 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis spreche und die Begrenzung des § 28 Abs. 2 AufenthG auf die Fälle des § 28 Abs. 1 AufenthG dem Sinn und Zweck der Fristverkürzung entspreche, denn es gelte die Annahme, dass die Integration durch das Zusammenleben mit einem Deutschen begünstigt und beschleunigt werde. Daher sei in Nr. 28.2.3 Satz 3 AufenthG – VwV geregelt, dass Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis zu anderen Zwecken als der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit Deutschen nicht berücksichtigt werden könnten. Die Auffassung des VG Augsburgs sei unzutreffend. Denn diese Ansicht widerspreche dem Gesetzeswortlaut, dem Willen des Gesetzgebers und dem Normzweck. Auch aus anderem Rechtsgrund ergebe sich kein Anspruch des Klägers.

Der Beklagte beantragte, in Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 17. September 2014 die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragte, die Berufung zurückzuweisen.

Er folgte der Auffassung des Gerichts wonach eine Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 3 AufenthG ausreichend sei und brachte vor, § 23 AuslG könne nicht mit § 28 AufenthG verglichen werden, da § 23 AuslG nur die befristete Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis regle, während § 28 Abs. 2 AufenthG die Rechtsgrundlage für eine Niederlassungserlaubnis, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, schaffe. Zu welchem Zweck die Aufenthaltserlaubnis ursprünglich erteilt worden sei, spiele keine Rolle innerhalb des § 24 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG. Andernfalls hätte der Gesetzgeber die Vorschrift entsprechend formulieren müssen. Dazu ausführend hielt der Kläger weiterhin an der Begründung des VG Augsburg fest und trug darüber hinaus vor, es widerspreche der Intention des Gesetzgebers, das Kind eines Stammberechtigten, der nach langen Jahren seine Einbürgerung erfolgreich bewerkstelligt habe, durch Verweigerung der Niederlassungserlaubnis zu bestrafen, obwohl unstreitig das familiäre Zusammenleben und die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof:  Der Bayrische Verwaltungsgerichtshof urteilte, dass die Berufung teilweise Erfolg habe.

In teilweiser Abänderung der Nr. I des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 17. September 2014 werde die Klage des Klägers abgewiesen, denn der Bescheid des Beklagten vom 14. Februar 2014, mit dem der Antrag des Klägers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vom 5. Dezember 2013 abgelehnt worden war, sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger habe weder einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG noch aus § 9 Abs. 2 AufenthG. § 28 AufenthG regele den Familiennachzug zu Deutschen und einem ausländischen minderjährigen Kind eines Deutschen sei die Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Damit hatte der Kläger seit Einbürgerung seines Vaters am 14. April 2014 einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG.

Gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sei dem Ausländer in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sei, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbestehe, kein Ausweisungsgrund vorliege und er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfüge.

Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, weil die Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG eine solche nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sein müsse. § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG enthalte zwar keine ausdrückliche Regelung darüber, zu welchem Zweck die Aufenthaltserlaubnis dem Ausländer erteilt worden sein muss, aus dem Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang, der Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ergebe sich jedoch, dass es sich hierbei um eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu Deutschen i.S.d. § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG handeln müsse.

Schon der Wortlaut des § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lasse den Rückschluss darauf zu, dass die Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zum Familiennachzug zu einem Deutschen erteilt worden sein müsse. Denn neben dem dreijährigen Besitz setze die Vorschrift voraus, dass die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbestehe. Dies bedeute, dass in dem Zeitraum, in dem der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besessen habe, auch schon eine familiäre Lebensgemeinschaft mit einem Deutschen bestanden haben müsse.

Werde jedoch einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, um mit einem Deutschen in familiärer Lebensgemeinschaft zu leben, so erfolge dies grundsätzlich nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Als lex specialis gehe die Vorschrift, die eine Reihe von Privilegierungen enthalte,  für den Familiennachzug zu Deutschen der Vorschriften über die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zum Familiennachzug zu Ausländern vor.

Die Stellung im Gesetz des § 28 AufenthG und die amtliche Überschrift spreche dafür, dass § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG den dreijährigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG voraussetze.

Eine Aufenthaltserlaubnis werde zu im Gesetz festgelegten Aufenthaltszwecken erteilt (§ 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). In jedem einzelnen Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes sei in der Überschrift der Aufenthaltszweck für den in dem betreffenden Abschnitt geregelten Aufenthaltstitel genannt.

Die allgemeinen Vorschriften, die für alle Aufenthaltstitel gelten, befinden sich in Kapitel 2 Abschnitt 1. Darin seien auch die Erteilungsvoraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis geregelt (§ 9 Abs. 2 AufenthG). § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG differenziere bei dem hier erforderlichen fünfjährigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nicht, zu welchem Zweck die Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei. Daneben fänden sich aber besondere Regelungen über die Erteilung von Niederlassungserlaubnissen.

So treffen § 26 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG Sonderregelungen für Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG bzw. dem 5. Abschnitt des AufenthG seien. Eine weitere Sonderregelung finde sich in § 35 Abs. 1 AufenthG für minderjährige Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach dem 6. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes sind. Diesen Bestimmungen sei  gemeinsam, dass sie am Ende des jeweiligen Abschnittes des Aufenthaltsgesetzes, der den Aufenthaltszweck bestimmt stehen und somit für die in diesem Abschnitt geregelten Arten von Aufenthaltserlaubnissen gelten. Anders bei § 28 Abs. 2 AufenthG. Sie sei nämlich Bestandteil der (Sonder-)Vorschrift, die ausschließlich den Zweck dieser Aufenthaltserlaubnis, nämlich den Familiennachzug zu Deutschen, regeln würde. Daher bezöge sich die Vorschrift nur auf die in § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG geregelten Aufenthaltserlaubnisse zum Familiennachzug zu Deutschen und nicht etwa für alle im Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes angeführten Familiennachzugsvorschriften.

Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätige dies. In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung finde sich zu § 28 AufenthG bezüglich der Absätze 1 und 2 der Hinweis, dass diese Vorschrift weitgehend § 23 AuslG 1990 entspreche, welcher die Erteilung von befristeten Aufenthaltserlaubnisse an ausländische Familienangehörige Deutscher regelte und daher gleichbedeutend mit dem  § 28 Abs. 1 AufenthG sei. § 24 Abs. 1 AuslG 1990 enthielt die Bestimmung zur Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und zwar unabhängig davon, zu welchem Zweck die ursprüngliche Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war. Eine entsprechende Regelung fand  sich in § 25 Abs. 3 AuslG 1990. Folglich sei für die Auslegung des § 28 Abs. 2 AufenthG auf die gesetzgeberische Intention beim Erlass von § 25 Abs. 3 1990 AuslG abzustellen. Zwar treffe die Gesetzesbegründung selbst keine Aussage, allerdings ergebe sich aus der Formulierung des § 25 Abs. 3 AuslG 1990, dass die dem Ehegatten eines Deutschen erteilte Aufenthaltserlaubnis in der Regel nach drei Jahren unbefristet zu verlängern sei, dass es sich hierbei um eine Aufenthaltserlaubnis handeln müsse, die dem Ausländer zur Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen erteilt worden sei.

Dies entspreche auch Nr. 25.3.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz.  Danach beginne die erforderliche dreijährige Frist mit der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 nach der Eheschließung mit dem Deutschen oder, soweit der Ausländer im Besitz einer anderen Aufenthaltserlaubnis ist, zu dem Zeitpunkt, in dem er die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 erfüllt habe. Erteilte Aufenthaltserlaubnisse aus anderen Gründen seien nur nach § 24 AuslG 1990 zu berücksichtigen. Das Gericht stellt also klar, dass die Bestimmung des § 25 Abs. 3 AuslG 1990 in die Regelung des § 28 Abs. 2 AufenthG übernommen worden sei. Es sei nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber von seiner bisherigen Auffassung  bei Neuregelung des unbefristeten Aufenthaltsrechts der Ehegatten/Familienangehörigen von Deutschen abweichen wollte, dass es sich bei der Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 25 Abs. 3 Satz 1 AuslG 1990 um eine solche nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 handeln müsse.

Eine entsprechende Sonderregelung für den Familiennachzug zu deutschen Staatsangehörigen finde sich im AuslG 1990 nicht. Mit § 28 Abs. 2 AufenthG sei erstmals eine Privilegierungsregelung für nahe Familienangehörige deutscher Staatsangehöriger geschaffen worden. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber minderjährige Kinder über die Verkürzung der Frist für den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis hinaus dergestalt privilegieren wollte, dass auch der dreijährige Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, die nicht zum Zweck des Familiennachzugs zu Deutschen erteilt worden sei, für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ausreiche.

Gerade weil beim Ehegattennachzug weiter erforderlich sein solle, dass die Aufenthaltserlaubnis zum Nachzug zu einem Deutschen erteilt worden sei.

Die teleologische Auslegung  ergebe ebenfalls, dass die in § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG genannte Aufenthaltserlaubnis eine solche nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG sei. Mit § 28 AufenthG habe der  Gesetzgeber im Bereich des Familiennachzugs eine Sonderregelung für Familienangehörige deutscher Staatsangehöriger getroffen. Dabei gingen sowohl die Gesetzesbegründungen zu § 23 AuslG 1990  als auch die zu § 28 AufenthG davon aus, dass zu berücksichtigen sei,  dass Deutschen das Grundrecht auf Freizügigkeit im Bundesgebiet zustehe und ihr Interesse an der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet besonders geschützt sei. Deshalb sei den ausländischen Ehegatten und minderjährigen ledigen Kindern von Deutschen sowie ausländischen Elternteilen minderjähriger Deutscher ohne weitere Voraussetzungen ein Anspruch auf Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zu gewähren.

Diese Privilegierung setze sich bei der Erteilung der Niederlassungserlaubnis bzw. der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis insoweit fort, als der nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG bzw. § 24 Abs. 1 Nr. 1 AuslG1990 erforderliche Besitz einer Aufenthaltserlaubnis seit fünf Jahren bei Familienangehörigen von deutschen Staatsangehörigen auf drei Jahre reduziert werde. Denn man gehe davon aus, dass durch die familiäre Lebensgemeinschaft mit einem Deutschen eine positive Integrationsprognose antizipiert und die soziale und wirtschaftliche Integration daher zu einem früheren Zeitpunkt als nach den Regelvoraussetzungen nach § 9 AufenthG angenommen werden könne. Somit gehe der Gesetzgeber davon aus, dass bei Ausländern, die mit Deutschen zusammenleben, bereits nach drei Jahren eine hinreichende Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse erreicht sei, die bei Ausländern, die mit ausländischen Staatsangehörigen zusammenleben, erst nach fünf Jahren und den zusätzlich in § 9 Abs. 2 Satz 1 AufentG angeführten Erteilungsvoraussetzungen erreicht werde.

Dies sei damit zu rechtfertigten, dass es dem Ausländer allein durch das Zusammenleben mit einem Deutschen leichter möglich sei, die deutsche Sprache zu erlernen und im gesellschaftlichen und beruflichen Leben zu Recht zu kommen und eine Rückkehr des Ausländers in sein Heimatland während der Dauer der familiären Lebensgemeinschaft unwahrscheinlich sei. Damit werde die Integration des Ausländers gewährleistet.

Die Auffassung des Erstgerichts teile der Senat nicht. Es genüge nicht, dass derjenige Ausländer, der mit einem deutschen Familienangehörigen künftig in familiärer Lebensgemeinschaft leben werde, die erforderliche Integration mit ziemlicher Sicherheit noch erlangen werde. Dies entspreche nicht der Intension des Gesetzgebers. Denn sonst könne ein Ausländer dessen Familienangehöriger erst kurz vor der Entscheidung über den Antrag auf Niederlassungserlaubnis die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt habe und der im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu diesem Familienangehörigen war, eine Niederlassungserlaubnis erlangen. Dies obwohl er nicht drei Jahre mit einem deutschen Staatsangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt habe.

Dass die erforderliche Integration erlangt werde, könne nicht gesichert werden, wenn sich der Ausländer nach Erteilung der Niederlassungserlaubnis von seinem deutschen Ehepartner trenne. Dies könne aber nur bedeuten, dass der Gesetzgeber davon ausgehe, dass nach einem dreijährigen Zusammenleben mit einem deutschen Staatsangehörigen eine soziale und wirtschaftliche Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik erfolgt sei. Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG  erfordere einen fünfjährigen gesicherten, rechtmäßigen Aufenthalt, weil erst dann von einer Verwurzelung des Ausländers in die hiesigen Lebensverhältnisse auszugehen sei.

Alleine  die Einbürgerungsvoraussetzungen zu erfüllen, genüge nicht.  Es fehle nämlich bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Einbürgerungsberechtigte endgültig aus seiner ursprünglichen Staatsangehörigkeit entlassen worden sei, an dem finalen Element, dass das Zusammenleben der Familienangehörigen auf einen endgültigen Verbleib in Deutschland ausgerichtet werde.

Da der Kläger das 16. Lebensjahr nicht vollendet habe, scheide § 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Anspruchsgrundlage aus. Auch aus § 9 Abs. 2 AufenthG ergebe sich kein Anspruch. Zwar sei § 9 AufenthG neben § 35 AufenthG für minderjährige Ausländer anwendbar. Der Kläger habe aber nicht die erforderlichen Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik. Weder habe der Kläger dies durch den bundeseinheitlichen Test zum Orientierungskurs nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 Integrationsverordnung nachgewiesen noch den Nachweis erbracht, einen Abschluss an einer deutschen Hauptschule oder einen vergleichbaren oder höheren Schulabschluss einer deutschen allgemeinbildenden Schule erreicht zu haben. Anderweitige Kenntniserlangung habe der Kläger nicht vorgetragen.

Ein Ausnahmefall des § 9 Abs. 2 Satz 3 bis 6 AufenthG liege nicht vor, denn der Kläger leide weder an einer Behinderung, noch handele es sich bei ihm um einen Härtefall, dem es unter Berücksichtigung von Alter und Bildungsstand nicht zuzumuten sei, die erforderlichen Kenntnisse in dem ausreichenden Maß zu erwerben.

Daher sei unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Quelle: Bayrischer Verwaltungsgerichtshof

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

Wenn Sie rechtliche Beratung benötigen, rufen Sie uns unverbindlich unter der Rufnummer 0221 – 80187670 an oder schicken uns eine Email an info@mth-partner.de

Rechtsanwälte in Köln beraten und vertreten Mandanten bundesweit im Ausländerrecht

Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, wurden wir uns freuen, wenn Sie den Beitrag verlinken oder in einem sozialen Netzwerk teilen.

No Comments Yet.

Leave a comment