Arbeitsrecht: Belegschaft fordert Kündigung eines Arbeitnehmers, Druckkündigung hat keinen Erfolg.

LAG Niedersachsen (10. Kammer), Urteil vom 13.05.2025  10 SLa 687/24

Der Sachverhalt:

Der Kläger, seit über zwei Jahrzehnten im Unternehmen der Beklagten beschäftigt, sieht sich als Opfer eines eskalierenden Arbeitskonfliktes. Der schwerbehinderte Kläger sah sich zunehmend Streitigkeiten mit seinen Kollegen am Arbeitsplatz ausgesetzt. Er verweist auf wiederholte Schikanen am Arbeitsplatz: manipulierte Tastaturen, verklebte Schlösser, sogar vergammeltes Obst auf seinem Schreibtisch. Auf der anderen Seite wurde dem Kläger durch die Belegschaft vorgeworfen, dass Arbeitsverhältnis mit ihm sei, unzumutbar und das Arbeitsklima gefährdet. Schließlich kam es zu einer Unterschriftensammlung in der 18 Mitarbeiter darunter ein Azubi des Beklagten mit einer Eigenkündigung drohten, sollte der Kläger nicht umgehend entlassen werden. Nachdem der Beklagte den Betriebsrat und das Integrationsamt gehört hatte, kündigte er außerordentlich. Zur Begründung führt er aus, die Unterschriftensammlung sowie weitere zahlreiche Versetzungsanträge würden zeigen, dass der Betriebsfrieden massiv gefährdet sei. Der Kläger wehrte sich umgehend und beantragte festzustellen, dass die Kündigung unwirksam ist sowie seine Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Verfahrens. In der ersten Instanz bekam der Kläger vor dem Arbeitsgericht recht. Der Beklagte legte daraufhin Berufung vor dem LAG Niedersachsen ein.

Die Entscheidung des LAG:

Das Gericht gab dem Kläger Recht – Die Kündigung ist unwirksam.

Im Wesentlichen hatte die Kammer sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es sich im vorliegenden Fall um eine „gerechtfertigte Druckkündigung“ handelte. Die Richterinnen und Richter in Niedersachsen sahen diese Voraussetzungen als nicht gegeben und stellten fest, der Arbeitgeber hätte sich vielmehr schützend vor den Arbeitnehmer stellen müssen. Auch abgesehen von der Drucksituation vermochte das Gericht keinen wichtigen Grund im Sinne des §626 I BGB zu erkennen der die Kündigung hätte rechtfertigen können.

Begründung:

Eine sogenannte „Druckkündigung“ liegt dann vor, wenn Dritte unter Androhung von Nachteilen für den Arbeitgeber von diesem die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers verlangen. Dabei sind insbesondere zwei Fallgruppen zu unterscheiden. Zum einen jene Fälle bei denen das Verlangen des Dritten gegenüber dem Arbeitgeber objektiv gerechtfertigt ist. In diesen Fällen liegt es im Ermessen des Arbeitgebers, ob er eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung ausspricht. Jedoch sah das Gericht die Voraussetzungen dieser Fallgruppe nicht als gegeben an. Somit bleibt eine „Druckkündigung“ zwar weiterhin möglich, jedoch nur unter erschwerten Voraussetzungen für den Arbeitgeber. Die Kammer betonte hinsichtlich dessen, der Arbeitgeber dürfe dem Verlangen der Belegschaft dann nicht mehr so einfach nachkommen. Im Urteil heißt es diesbezüglich wörtlich: „Er hat sich aufgrund seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer zu stellen und alles Zumutbare zu versuchen, um die Belegschaft von ihrer Drohung abzubringen. Nur wenn daraufhin trotzdem ein Verhalten in Aussicht gestellt wird, z.B. Streik oder Massenkündigung, und dadurch schwere wirtschaftliche Schäden für den Arbeitgeber drohen, kann die Kündigung gerechtfertigt sein.“ Die Richterinnen und Richter kritisierten konkret, dass die Beklagte es unterließ sich schützend vor den Kläger zu stellen. Zum anderen war im vorliegenden Fall mitnichten davon auszugehen, dass der Arbeitgeber selbs mit schweren Nachteilen rechnete, denn die Beklagte bot seinerseits dem Kläger auch nach Kenntnis der neuen Entwicklungen ein Mediationsverfahren an „um Lösungsansätze zur Besserung für alle Beteiligten herbeizuführen.“ Somit hatte das Vorbringen der Beklagten es handele sich um eine Druckkündigung keinen Erfolg.

Fazit und Praxishinweise:

Ein Urteil aus dem mehrere Schlüssen gezogen werden können. Für Arbeitgeber ist die Situation einer „Druckkündigung“ sei sie gerechtfertigt oder nicht, nie angenehm. Gleichwohl muss beachtet werden welches Verhalten rechtliche Konsequenzen haben kann. Beachtenswert ist, insbesondere die Frage danach, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich derart schwerwiegende Fehler leistet, dass das Verlangen der Belegschaft als objektiv gerechtfertigt erscheint. Ist dies der Fall kann durch Arbeitgeberseite eine Ermessensentscheidung getroffen werden. Hier wird deutlich, der Arbeitgeber muss nicht selbst gerade stehen für die Fehler oder „Inkompatibilität“ eines Arbeitnehmers, sollten ihm deswegen wirtschaftliche Nachteile drohen, etwa wegen angedrohten Eigenkündigungen. Andersherum sollten die Drohungen „ungerechtfertigt“ sein, kommt dem Arbeitgeber eine Schutzpflicht zu. Es wird nicht nur erwartet, sondern es ist vielmehr sogar rechtlich geboten, dass der Arbeitgeber sich in diesen Fällen schützend vor den Arbeitnehmer stellt und zunächst alles unternimmt, um die Belegschaft von ihrer Drohung abzubringen. Tut er dies nicht und spricht frühzeitig eine Kündigung aus, kann diese wie das Urteil zeigt, keinen Bestand haben. Von einem Arbeitgeber wird in der Situation erwartet, dass er zunächst versucht den Betriebsfrieden zu retten oder wieder herzustellen. Erst wenn schwere Wirtschaftliche Nachteile drohen und die bereits unternommenen Anstrengungen keinen Erfolg versprechen, kann der Arbeitgeber die Kündigung aussprechen und damit dem Verlangen der Belegschaft folgen.

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Helmer Tieben

Ich bin Helmer Tieben, LL.M. (International Tax), Rechtsanwalt und seit 2005 bei der Rechtsanwaltskammer Köln zugelassen. Ich bin auf Mietrecht, Arbeitsrecht, Migrationsrecht und Digitalrecht spezialisiert und betreue sowohl lokale als auch internationale Mandanten. Mit einem Masterabschluss der University of Melbourne und langjähriger Erfahrung in führenden Kanzleien biete ich klare und effektive Rechtslösungen. Sie können mich auch über
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