Bundesverwaltungsgericht, 22.03.2012, Az.: BVerwG 1 C 3.11
Zwischen 1991 und 2004 nahmen sämtliche Bundesländer jüdische Zuwanderer aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion auf.
Entscheidungsbefugt hinsichtlich der Aufnahme waren in diesem Zeitraum die jeweiligen Ministerpräsidenten auf Basis des sogenannten Kontingentflüchtlingsgesetzes (Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge – HumHAG).
Mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes verlor das HumHAG am 1. Januar 2005 jedoch seine Gültigkeit. Seitdem müssen jüdische Zuwanderer ihre Einreise nach Deutschland auf Grundlage des Aufenthaltsgesetzes beantragen.
Seit dem Außerkrafttreten des HumHAG haben die zuvor eingewanderten jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion daher auch nicht mehr die Rechtsstellung eines Kontingentflüchtlings.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte nun in der hier dargestellten Entscheidung darüber zu befinden, ob hinsichtlich jüdischer Emigranten mit dem Verlust des Status als Kontingentflüchtling auch das Abschiebungsverbot gemäß Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bzw. dessen Umsetzung in § 60 Abs. 1 AufenthG nicht mehr gilt.
Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention enthält das Verbot, einen Flüchtling im Sinne des Art. 1 der Konvention:
„auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“
Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens
Der Kläger war russischer Staatsangehöriger und als jüdischer Emigrant in die BRD gekommen.
Der Kläger war ein 46-jähriger russischer Staatsangehöriger, der 1997 als jüdischer Emigrant aus der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland aufgenommen worden war.
Im Dezember 2003 wurde der Kläger wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Die Strafkammer ging von einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit aufgrund einer psychischen Erkrankung aus.
Wegen Mordes wollte die Ausländerbehörde den Kläger abschieben
Die beklagte Ausländerbehörde wies den Kläger im Februar 2006 aus und drohte ihm die Abschiebung in die Russische Föderation an.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wies die gegen die Ausweisung gerichtete Klage ab.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof hob Abschiebungsandrohung auf
Die Abschiebungsandrohung hob er auf, da jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion aufgrund eines Beschlusses der Regierungschefs des Bundes und der Länder vom 9. Januar 1991 die Rechtsstellung von Kontingentflüchtlingen gemäß § 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge – Kontingentflüchtlingsgesetz – genießen würden.
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
Das Bundesverwaltungsgericht sah hingegen keinen Abschiebungsschutz nach Art. 33 GFK.
Diese Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hob das Bundesverwaltungsgericht nun auf.
Dabei ließ der Senat offen, ob die dem Kläger durch die Aufnahme im Jahr 1997 vermittelte Rechtsstellung in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes das Abschiebungsverbot des Art. 33 GFK bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG umfasst habe.
Denn jedenfalls mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes zum 1. Januar 2005 habe der Gesetzgeber die Rechte dieser Personengruppe neu geregelt.
Nach dem nunmehr geltenden § 23 Abs. 2 AufenthG könne das Bundesministerium des Innern zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anordnen, Ausländern aus bestimmten Staaten oder bestimmten Ausländergruppen eine Aufnahmezusage zu erteilen. Diesen werde nach der Einreise ein humanitärer Aufenthaltstitel erteilt; Abschiebungsschutz nach Art. 33 GFK bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG würden sie allerdings nicht genießen.
Aus den Übergangsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes ergebe sich, dass die Neuregelung auch die zukünftige Rechtsstellung der vor dem 1. Januar 2005 aufgenommenen jüdischen Emigranten abschließend ausformen solle.
Auch aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes bestünden keine Bedenken
Auch aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes bestünden keine Bedenken, da die Betroffenen ein Daueraufenthaltsrecht besäßen und ihnen die Möglichkeit verbleibe, bei Furcht vor Verfolgung einen Asylantrag zu stellen.
Die Annahme des Berufungsgerichts, aufgrund der Herzerkrankung würde das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zugunsten des Klägers eingreifen, verstoße ebenfalls gegen Bundesrecht.
Sie verfehle die Maßstäbe, die bei der Prognose des künftigen Krankheitsverlaufs und der Erreichbarkeit der notwendigen medizinischen Behandlung anzulegen seien.
Quelle: Bundesverwaltungsgericht
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