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Ausländerrecht: Zur Rechtmäßigkeit der Auslieferung einer rumänischen Straftäterin an Rumänien

Oberlandesgericht Hamm, 10.09.2013, Az.: 2 Ausl 95/11

Die Auslieferung von ausländischen Staatsangehörigen an andere Länder zur Strafvollstreckung ist in Deutschland nicht nur nach den einfachen Gesetzen, sondern ebenso nach der Verfassung und nach dem auch in Deutschland geltenden Völkerrecht zu beurteilen.

Die Rolle des Völkerrechts ist dabei in Artikel 25 Grundgesetz festgelegt:

Gemäß Artikel 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes nämlich Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen damit den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.

Art. 25 GG ist daher besonderer Ausdruck der Offenheit des Grundgesetzes gegenüber dem Völkerrecht, indem es den Regeln des Völkergewohnheitsrechts und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen „Zwischenrang“ zwischen den Gesetzen und der Verfassung in der nationalen Rechtsordnung verleiht.

In dem oben genannten Urteil des Oberlandesgerichts Hamm hatte dieses darüber zu entscheiden, ob die Auslieferung einer in Rumänien straffällig gewordenen Frau an Rumänien gegen die Verfassung und das Völkerrecht verstoßen würde.

Hintergrund: Verurteilung der Verfolgten in Rumänien

Im Jahr 2004 wurde die Verfolgte in Abwesenheit durch ein rumänisches Amtsgericht wegen mehrerer Betrugstaten verurteilt, die sie in den Jahren 1999 und 2000 begangen haben soll. Diese Verurteilung umfasste zusätzlich sechs frühere strafrechtliche Verurteilungen. Das Gericht verhängte eine Freiheitsstrafe von insgesamt 5 Jahren und 9 Monaten. Nach der Verurteilung waren noch 3 Jahre und 6 Monate der Strafe zu vollstrecken.

Leben in Deutschland: Integration und neuer Lebensmittelpunkt

Seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2010 lebt die Verfolgte mit ihrem Kind und ihrem Lebensgefährten in Bochum. Sie ist gelernte Schneiderin, war jedoch zuletzt als Reinigungskraft tätig. Während ihres Aufenthalts in Deutschland ist sie strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Ihre Integration in die deutsche Gesellschaft und ihr familiäres Umfeld sprechen für eine stabile Lebenssituation, die durch eine mögliche Auslieferung erheblich beeinträchtigt würde.

Der Auslieferungsantrag Rumäniens und die Einwände der Verfolgten

Im Jahr 2010 stellte Rumänien einen Auslieferungsantrag, um die Vollstreckung der verbleibenden Haftstrafe in Rumänien zu ermöglichen. Die Verfolgte erhob jedoch Einwände gegen diesen Antrag. Infolge dieser Einwände forderte das Oberlandesgericht (OLG) Hamm von den rumänischen Behörden mehrfach detaillierte Informationen zu den abgeurteilten Taten, dem zugrunde liegenden Strafverfahren, den Haftbedingungen während der Untersuchungshaft und den gegenwärtigen Haftbedingungen in Rumänien an. Trotz wiederholter Anfragen blieben einige wesentliche Fragen unbeantwortet.

Prüfung und Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm

Nach eingehender Prüfung des Falles erklärte das OLG Hamm die beantragte Auslieferung der Verfolgten für unzulässig. Die Entscheidung beruhte auf den geltenden rechtlichen Vorgaben, nach denen eine Auslieferung nur dann unzulässig ist, wenn sie gegen völkerrechtlich verbindliche Mindeststandards oder gegen unabdingbare verfassungsrechtliche Grundsätze der deutschen öffentlichen Ordnung verstößt.

Das Gericht sah in diesem Fall einen solchen Verstoß als gegeben an, da die Auslieferung der Verfolgten den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen würde. Dieser Grundsatz verlangt, dass die staatlichen Maßnahmen, insbesondere solche mit gravierenden Eingriffen in die persönlichen Rechte, in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Zweck stehen.

Verhältnismäßigkeit und die besonderen Umstände des Falls

Das OLG Hamm stützte seine Entscheidung auf die Gesamtumstände des Falls, die eine Auslieferung als unverhältnismäßig erscheinen ließen. Ein wesentlicher Faktor war die lange Zeitspanne seit den abgeurteilten Taten, die zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits 12 bis 16 Jahre zurücklagen. Diese Zeitspanne wurde zusätzlich durch das über zwei Jahre andauernde Auslieferungsverfahren verlängert. Darüber hinaus war ein Teil der verhängten Strafe bereits durch die Untersuchungshaft in Rumänien vollstreckt worden.

Die Verfolgte gab an, dass sie durch die Untersuchungshaft in Rumänien traumatisiert wurde und noch immer unter den psychischen Folgen leidet. Diese Angaben wurden von den rumänischen Behörden nicht widerlegt. Auch die lange Dauer des Auslieferungsverfahrens stellte eine erhebliche Belastung für die Verfolgte dar. Vor diesem Hintergrund erschien es dem Gericht unverhältnismäßig, die Verfolgte zur Verbüßung der restlichen Strafe nach Rumänien auszuliefern.

Ungeklärte Fragen und Rechtsunsicherheiten

Ein weiterer entscheidender Punkt war die Unklarheit darüber, ob die Verfolgte bei den früheren Verurteilungen ausreichend rechtliches Gehör erhalten hatte. Aus den von den rumänischen Behörden übersandten schriftlichen Gerichtsentscheidungen ging hervor, dass die Verfolgte in Abwesenheit verurteilt worden war. Allerdings teilten die rumänischen Gerichte zusätzlich mit, dass die Verfolgte bei zwei der Verurteilungen nach ordnungsgemäßer Ladung anwesend gewesen sei. Dieser Widerspruch wurde bisher nicht zufriedenstellend erklärt.

Darüber hinaus wies das OLG Hamm darauf hin, dass bei der letzten Verurteilung der Verfolgten eine frühere Verurteilung mit einer zu hohen Strafe in die Gesamtstrafenbildung einbezogen worden war. Dies führte zu einer fehlerhaften Bildung der Gesamtstrafe, was ebenfalls gegen die Rechtmäßigkeit der Auslieferung sprach.

Schließlich wurden auch Fragen zu den Haftbedingungen in Rumänien und den konkreten Auswirkungen der Untersuchungshaft auf die Verfolgte nicht hinreichend beantwortet. Die übermittelten Informationen der rumänischen Behörden waren unvollständig und ließen wesentliche Aspekte offen. Angesichts dieser ungeklärten Fragen und der bestehenden Rechtsunsicherheiten entschied das Oberlandesgericht Hamm, dass die Auslieferung der Verfolgten unzulässig sei.

Schlussfolgerung: Auslieferung als unverhältnismäßig

Das OLG Hamm kam zu dem Ergebnis, dass eine Auslieferung der Verfolgten nach Rumänien nicht mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen vereinbar wäre. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme war durch die lange Zeitspanne seit den abgeurteilten Taten, die psychischen Belastungen der Verfolgten, die ungeklärten rechtlichen Fragen sowie die unzureichenden Informationen zu den Haftbedingungen nicht gegeben. Aus diesen Gründen wurde die beantragte Auslieferung als unzulässig erklärt.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm

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