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Ausländerrecht: Stellungnahme des EuGH zum Spracherfordernis beim Ehegattennachzug von türkischen Staatsangehörigen

Europäischer Gerichtshof, 30.04.2014, Az.: C‑138/13

Der Gerichtshof der Europäischen Union ist die zuständige Instanz für die Auslegung des EU-Rechts. Damit soll gewährleistet werden, dass das EU-Recht in allen EU-Mitgliedstaaten auf die gleiche Weise angewendet wird.

Um diese einheitliche Anwendung des Europarechts sicherzustellen, sieht Art. 234 EGV (früher Art. 177 EGV) vor, dass Fragen der Gültigkeit und Auslegung des Europäischen Gemeinschaftsrechts von den Gerichten der Mitgliedsstaaten dem EuGH vorgelegt werden können bzw. müssen.

Für dieses Verfahren stehen dem Gerichtshof der Europäischen Union neun „Generalanwälte“ zur Seite. Deren Aufgabe ist es, öffentlich und in voller Unparteilichkeit zu den Rechtssachen der Gerichte der Mitgliedstaaten Stellung zu beziehen, mit denen sich der Gerichtshof befasst.

In dem oben genannten Verfahren des Europäischen Gerichtshofes wurden diesem zwei Fragen hinsichtlich der Vereinbarkeit des Spracherfordernisses beim Ehegattennachzug von türkischen Staatsangehörigen mit EU-Recht durch das Verwaltungsgericht Berlin vorgelegt.

Sachverhalt des Falls – türkische Ehefrau wollte zu ihrem Mann

Die Klägerin, eine türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Türkei, beantragte ein Visum zum Familiennachzug zu ihrem Ehemann, der ebenfalls türkischer Staatsangehöriger ist und seit 1998 in Deutschland lebt. Ihr Ehemann ist geschäftsführender Mehrheitsgesellschafter einer GmbH und besitzt eine deutsche Niederlassungserlaubnis. Vor ihrer zivilen Eheschließung im Jahr 2007 hatten die Klägerin und ihr Ehemann bereits eine religiöse Ehe geschlossen, aus der vier zwischen 1988 und 1993 geborene Kinder hervorgegangen waren.

Am 18. Januar 2011 beantragte die Klägerin bei der deutschen Botschaft in Ankara ein Visum zum Ehegatten- und Kindernachzug für sich und zwei ihrer Kinder. Sie legte ein Sprachzeugnis des Goethe-Instituts vor, das den erfolgreichen Abschluss eines Sprachtests auf Niveau A1 bescheinigte. Der Test wurde am 28. September 2010 mit der Note „ausreichend“ (62 von 100 Punkten) bestanden, wobei die schriftlichen Leistungen mit 14,11 von 25 möglichen Punkten bewertet wurden. Die Klägerin ist jedoch Analphabetin, und es wurde festgestellt, dass sie im Test wahllos Antworten angekreuzt und drei vorformulierte Sätze auswendig gelernt hatte.

Ablehnung des Visumsantrags wegen fehlender Deutschkenntnisse

Die deutsche Botschaft lehnte den Visumsantrag am 23. März 2011 mit der Begründung ab, dass die Klägerin keine ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse nachweisen könne. Diese Entscheidung focht die Klägerin nicht an, sondern stellte am 26. Juli 2011 einen neuen Antrag auf Erteilung eines Visums nur zum Zweck des Familiennachzugs. Auch dieser Antrag wurde von der Botschaft am 31. Oktober 2011 abgelehnt.

Rechtsmittel und erneute Ablehnung

Nach einer anwaltlichen Remonstration vom 15. November 2011 hob die deutsche Botschaft den ursprünglichen Ablehnungsbescheid zwar auf, erließ jedoch am 24. Januar 2012 einen neuen Ablehnungsbescheid. Die Begründung lautete erneut, dass die Klägerin als Analphabetin nicht über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfüge. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Berlin.

Vorlage an den Europäischen Gerichtshof

Das Verwaltungsgericht Berlin setzte das Verfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor. Erstens wollte das Gericht wissen, ob Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls einer nach Inkrafttreten dieses Protokolls eingeführten Regelung entgegensteht, die den Familiennachzug von türkischen Staatsangehörigen von einem Sprachtest abhängig macht. Zweitens fragte es, ob diese Regelung mit Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86/EG vereinbar ist.

Einschätzung des Generalanwalts

Der Generalanwalt des EuGH argumentierte, dass das Spracherfordernis unverhältnismäßig sei, insbesondere im Hinblick auf das Ziel, Zwangsehen zu bekämpfen. Das Erfordernis könnte die Familienzusammenführung auf unbestimmte Zeit verzögern, da es unabhängig von den individuellen Umständen des Einzelfalls gelte. Der Generalanwalt wies auch die Argumentation der deutschen Regierung zurück, wonach der vorherige Spracherwerb für die Integration besser sei als ein nachträglicher Sprachkurs in Deutschland. Stattdessen betonte er, dass die Teilnahme an Integrationskursen nach der Einreise eine bessere Möglichkeit darstelle, die Integration zu fördern und soziale Ausgrenzung zu verhindern. Durch verpflichtende Integrationskurse könnten nachzugswillige Ehegatten aus ihrem familiären Umfeld heraustreten und Kontakte zur deutschen Gesellschaft knüpfen. Dies würde nicht nur die Integration fördern, sondern auch die Opfer von Zwangsehen stärken, indem sie in regelmäßigen Kontakt mit den Kursleitern und anderen Teilnehmern kommen. Solche Beziehungen könnten helfen, Probleme frühzeitig zu erkennen und Hilfsmaßnahmen einzuleiten.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Der Generalanwalt kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin sich auf die Stillhalteklausel des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls berufen und der Anwendung des deutschen Spracherfordernisses in ihrem Fall entgegenwirken kann. Hinsichtlich der zweiten Frage des Verwaltungsgerichts Berlin schlug der Generalanwalt vor, diese nur zu beantworten, falls der Gerichtshof seiner Auffassung zur ersten Frage nicht folgen sollte. In diesem Fall empfahl er, die Regelung des Spracherfordernisses im Rahmen der Richtlinie 2003/86/EG als unzulässig zu betrachten, da sie keine Ausnahmen für besondere Umstände wie Analphabetismus oder andere persönliche Hindernisse vorsehe.

Der Generalanwalt betonte, dass eine solche Einzelfallprüfung im Kontext des Visumverfahrens notwendig sei. Dabei sollten insbesondere die Interessen minderjähriger Kinder und die persönlichen Umstände des nachzugswilligen Ehegatten berücksichtigt werden. Dazu gehöre auch, ob im Herkunftsland ausreichende Möglichkeiten zum Erwerb der Sprachkenntnisse bestehen, insbesondere unter Berücksichtigung von Kosten und Zugänglichkeit. Ebenso müsse der Gesundheitszustand und die persönliche Situation des Ehegatten, wie etwa Alter, Analphabetismus, Behinderung oder Bildungsgrad, berücksichtigt werden.

Der Generalanwalt schloss damit, dass die rigiden Anforderungen des deutschen Spracherfordernisses unverhältnismäßig seien und den Grundsätzen der europäischen Gesetzgebung widersprächen, insbesondere in Fällen, in denen der Zugang zu Sprachkursen stark eingeschränkt oder aufgrund persönlicher Umstände erschwert ist.

Ablauf und Voraussetzungen Heiratsvisum und Ehegattennachzug

Quelle: Europäischer Gerichtshof

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