Manchmal fühlt sich Arbeitsrecht an wie ein Spiel mit Karten: Die Abmahnung ist die gelbe Karte, die Kündigung wäre die rote. Dazwischen liegt ein Bereich, in dem Arbeitgeber Bedingungen verändern wollen – die Änderungskündigung. Im Juni 2021 hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in einem Fall entschieden, der genau dieses Spannungsfeld sichtbar macht: Zwei Abmahnungen, der Widerruf einer Zulage, dazu eine außerordentliche Änderungskündigung – und die Frage, was davon am Ende trägt.
Kurz zum Hintergrund: Ein langjähriger Schichtleiter in einem Lagerbetrieb (mehr als 100 Beschäftigte) erhielt am 13. 11. 2019 zwei Abmahnungen: einmal wegen angeblicher Schlechtleistung bei der Bestandsführung von Paletten, einmal wegen einer Gesprächssituation, die den Betriebsfrieden gestört haben soll. Eine Woche später, am 21. 11. 2019, folgte eine außerordentliche Änderungskündigung: sofortige Herabstufung auf eine Helfertätigkeit mit deutlich geringerer Vergütung. Parallel gab es im Arbeitsvertrag eine persönliche Ausgleichszulage (110 € monatlich), die unter einem Widerrufsvorbehalt stand – der Widerruf wurde am 23. 12. 2019 erklärt. Das Arbeitsgericht Köln gab dem Arbeitnehmer weitgehend Recht; das LAG Köln bestätigte das am 16. 06. 2021. Revision? Nicht zugelassen.
Warum ist das spannend – und praktisch relevant? Weil das Urteil wie ein Seismograph zeigt, wo Arbeitgeber bei Abmahnungen, Zulagen und Änderungskündigungen sauber arbeiten müssen und wo Beschäftigte realistische Angriffspunkte haben. Und weil es auf den Kern zielt: Sorgfalt.
Worum es juristisch ging – verständlich erklärt
Abmahnungen: Sie sind nicht bloß ein erhobener Zeigefinger. Abmahnungen dokumentieren einen vorgeworfenen Pflichtverstoß, mahnen zur Abhilfe und drohen Konsequenzen an. Sie sind außerdem häufig die Vorstufe für verhaltensbedingte Kündigungen. Darum müssen sie präzise, richtig und verhältnismäßig sein. Die Beweislast für die Richtigkeit trifft den Arbeitgeber.
Änderungskündigung: Der Arbeitgeber kündigt das bisherige Arbeitsverhältnis und bietet dessen Fortsetzung zu geänderten Bedingungen an (andere Tätigkeit, weniger Geld, anderer Arbeitsort). Außerordentlich – also fristlos – ist das nur in Ausnahmefällen möglich: Die sofortige Änderung muss unabweisbar notwendig sein, und regelmäßig braucht es vorher eine einschlägige Abmahnung.
Widerruf einer Zulage: Vertragsklauseln, die Zulagen „bei zwei Abmahnungen in 18 Monaten“ entziehen, sind nur so stark wie die Abmahnungen selbst. Fallen diese weg, fällt oft auch der Widerrufsgrund. Außerdem müssen Widerrufsvorbehalte inhaltlich fair und transparent sein.
Was das LAG Köln entschieden hat
Das Gericht hat die beiden Abmahnungen aus der Personalakte entfernt:
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Schlechtleistung: Ein Teilvorwurf bezog sich auf eine Kalenderwoche, in der der Arbeitnehmer im Urlaub war. Wenn in einer Abmahnung (auch nur) teilweise unrichtige Tatsachen stehen, kippt sie insgesamt. Genau das passierte hier.
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Betriebsfrieden: Das Gespräch mit einem Kollegen über die Abwehr von arbeitgeberseitigen Kündigungen – noch dazu im Rahmen einer Pause – ist vom Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) gedeckt. Der Arbeitgeber hatte nicht konkret darlegen können, wer was gehört hat und warum das die Autorität nachhaltig untergraben sollte. Bloße Unmutsgefühle reichen nicht.
Konsequenz: Der Widerruf der persönlichen Ausgleichszulage (110 € monatlich) war unwirksam, weil der vertraglich genannte Widerrufsgrund – zwei berechtigte Abmahnungen – nicht vorlag. Das LAG deutete zudem an, dass solche Widerrufsklauseln AGB-rechtlich auf dem Prüfstand stehen können (Stichwort § 308 Nr. 4 BGB), ließ das aber offen – es kam darauf nicht mehr an.
Und die außerordentliche Änderungskündigung? Ebenfalls unwirksam. Für eine fristlose Änderung reicht der bloße Verweis auf „massives Führungsversagen“ nicht. Das Gericht betonte zwei Dinge:
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Abmahnungserfordernis: Bei verhaltensbedingten Vorwürfen ist grundsätzlich eine vorherige Abmahnung nötig. Hier gab es keine einschlägige Abmahnung zum behaupteten Führungsverhalten.
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Zeitliche Einordnung: Die beanstandeten Vorfälle lagen vor den Abmahnungen. Nach dem klärenden Personalgespräch am 14. 11. 2019 war kein neuer Vorfall festgestellt worden. Die außerordentliche Änderung unmittelbar am 21. 11. 2019 war deshalb nicht „unabweisbar notwendig“.
Nebenbei wischte das LAG auch die Idee vom Tisch, man könne eine unwirksame fristlose Änderungskündigung elegant in eine ordentliche Version „umdeuten“ – dafür gibt es im System der Änderungskündigung keine Abkürzung.
Fünf Kernaussagen, die man mitnehmen sollte
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Abmahnungen müssen sitzen. Unklare, pauschale oder teilweise falsche Vorwürfe tragen gar nichts – sie sind vollständig zu entfernen.
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Meinungsfreiheit zählt auch im Betrieb. Wer sich sachlich über arbeitsrechtliche Schritte austauscht, greift nicht automatisch den Betriebsfrieden an.
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Zulagen-Widerruf braucht eine solide Grundlage. Koppelt der Vertrag den Widerruf an Abmahnungen, müssen diese rechtmäßig sein; sonst fällt der Widerruf.
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Fristlose Änderungskündigung ist die Ausnahme. Ohne einschlägige Vorwarnung (Abmahnung) und ohne akute Notwendigkeit scheitert sie.
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Dokumentation schlägt Bauchgefühl. Wer etwas behauptet, muss es konkret belegen: wer, wann, was, worin der Pflichtverstoß bestehen soll.
Praxisleitfaden: So wenden Sie das Urteil an
Für Beschäftigte
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Gelbe Karte prüfen: Stimmt der Sachverhalt der Abmahnung in jedem Detail? Wenn nicht, schriftlich die Entfernung verlangen (mit kurzer Begründung) und eine Gegendarstellung zur Personalakte geben.
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Konkrete Belege sammeln: Dienstpläne, Urlaubslisten, E-Mails, Namen von Zeug:innen – alles, was Datum und Inhalt festnagelt.
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Änderungskündigung nicht übereilt unterschreiben: Man kann ein Änderungsangebot unter Vorbehalt annehmen und rechtlich prüfen lassen. So bleibt das Einkommen gesichert, während man die Wirksamkeit klärt.
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Zulagen im Blick behalten: Wird eine Zulage widerrufen, prüfen, ob der Vertrag wirklich diese Konstellation erfasst – und ob die behaupteten Abmahnungen überhaupt tragen.
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Gelassen, aber bestimmt bleiben: Das Urteil zeigt: Sorgfalt setzt sich durch. Wer strukturiert argumentiert, hat gute Karten.
Für Arbeitgeber und HR
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Abmahnungen „handwerklich“ sauber verfassen: Konkrete Pflicht, konkrete Situation, Datum, Uhrzeit, beteiligte Personen, Belege. Keine Mischabmahnungen mit streitigen und klaren Punkten in einem Atemzug.
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Betriebsfrieden nicht als generelle Floskel nutzen: Darlegen, wer etwas wie wahrgenommen hat und warum das den Betrieb wirklich beeinträchtigt.
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Vor Kündigung abmahnen: Bei steuerbarem Verhalten ist eine Abmahnung fast immer Pflicht. Erst warnen, dann – wenn nötig – kündigen.
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Zulagenklauseln juristisch prüfen: Widerrufsrechte transparent, angemessen und rechtsfest formulieren; pauschale „zwei Abmahnungen = Widerruf“-Mechaniken sind riskant.
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On-the-record arbeiten: Gesprächsnotizen, Anhörungen, Follow-ups – gute Dokumentation spart später viel Streit.
Ein Bild, das hängen bleibt
Stellen Sie sich das Arbeitsverhältnis wie eine Hängebrücke vor. Abmahnungen sind die Tragseile: Sie spannen den Bogen zwischen „Fehler passiert“ und „Konsequenz droht“. Sind die Seile ausgefranst – also ungenau, überzogen oder teilweise falsch – kann man keine schwere Last darüber schicken. Eine fristlose Änderungskündigung ist aber genau das: schwere Last. Das LAG Köln sagt im Ergebnis: Repariert erst die Seile (präzise Abmahnung), bevor ihr Lasten darüber führt (Änderungskündigung). Sonst bricht die Brücke.
Warum dieses Urteil Hoffnung macht
Weil es Balance schafft. Es schützt Beschäftigte vor vorschnellen, schlecht belegten Maßnahmen – und gibt Arbeitgebern gleichzeitig eine klare Anleitung, wie es richtig geht. Arbeitsrecht ist kein Presslufthammer, sondern ein Schweizer Taschenmesser: Wer das passende Werkzeug wählt und sorgfältig ansetzt, erreicht stabile Lösungen – ohne Kollateralschäden. Das gilt auch für Arbeitsrecht in Köln.
Für die Praxis heißt das: Präzision zahlt sich aus. Wer Aussagen belegt, sauber abmahnt und erst dann zu härteren Mitteln greift, besteht vor Gericht. Und wer als Beschäftigter ruhig, aber bestimmt widerspricht, hat realistische Chancen, unberechtigte Einträge aus der Personalakte zu löschen und finanzielle Einbußen abzuwehren.
Am Ende steht ein schlichtes Prinzip: Fairness braucht Sorgfalt. Genau das hat das LAG Köln am 16. Juni 2021 (Az. 11 Sa 735/20) noch einmal deutlich gemacht – und damit beiden Seiten die Richtung gewiesen.
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