Mietrecht: Die Eigenbedarfskündigung ist unwirksam, wenn dem Mieter bei Räumung Suizidgefahr droht.
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Zivilrecht
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von: Helmer Tieben

Landgericht München, 23.07.2014, Az.: 14 S 20700/13

Die Kündigung von Wohnraum sowie eine nachfolgende Räumungsklage durch den Vermieter muss nicht bedeuten, dass das Mietverhältnis beendet ist und der Mieter die Wohnung tatsächlich verlassen muss.

Selbst wenn der Vermieter in seiner Kündigung nachvollziehbare Eigenbedarfsgründe gegenüber dem Mieter geltend macht, kann eine Fortsetzung des Mietverhältnisses aufgrund der persönlichen Situation des Mieters gefordert werden.

Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Mieter oder eine andere in der Wohnung lebende Person wegen der Räumung Lebens- oder Gesundheitsgefahr drohen würde, z. B. bei

 

      • Suizidgefahr
      • schwerer Erkrankung
      • fortgeschrittener Schwangerschaft
      • Geburt eines Kindes oder
      • Gebrechlichkeit im hohen Alter.

Kommt das Gericht in derartigen Fällen zu der Überzeugung, dass durch die Räumung eine sittenwidrige Härte, v. a. eine Gefahr für Leib, Leben oder Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) entsteht, so hat es in seiner Entscheidung eine Abwägung des Mieterinteresses am Behalt der Wohnung mit dem Interesse des Vermieters, seine grundrechtlich geschützte Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) durchzusetzen, durchzuführen.

Für wen darf ich Eigenbedarf anmelden?

In dem oben genannten Fall des Landgerichts München hatte dieses über einen besonders pikanten Fall zu entscheiden, in welchem sowohl auf Vermieter- als auch auf Mieterseite persönliche Belastungen wegen gesundheitlicher Probleme geltend gemacht wurden.

Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens

Vermieterin kündigte Wohnung wegen Eigenbedarfs, da sie bei Arztbesuchen in der Wohnung wohnen müsse

Die Beklagten hatten von der Klägerin mit Mietvertrag vom 12.07.2007 eine Wohnung gemietet. Am 26.03.2012 sowie am 29.06.2012 kündigte die Klägerin die Wohnung wegen Eigenbedarf.

Begründet wurde der Eigenbedarf durch die Klägerin damit, dass diese aufgrund einer zuvor erlittenen Krebserkrankung regelmäßig in der Stadt zur Nachsorge untersucht werden müsste. Die Klägerin selbst sei jedoch in Italien wohnhaft, die dafür erforderlichen Hotelaufenthalte würden zu einer deutlichen finanziellen Strapazierung der Klägerin führen. Sie selbst wohne derzeit in einem Haus eines Bekannten in Italien, aus persönlichen Gründen sei sie dort zum Auszug gezwungen.

Mieter widersprachen der Kündigung wegen Depressionen, sowie Posttraumatischer Belastungsstörung

Mit Schreiben vom 12.07.2012 widersprachen die Beklagten der Kündigung und führten aus, dass die Beklagte zu 1) aufgrund diverser Krankheiten – einer chronischen komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, schweren Depressionen sowie Morbus Crohn – nicht in der Lage sei, auszuziehen.

Die Beklagte zu 1) habe in der angemieteten Wohnung ihren Lebensmittelpunkt gefunden und fühle sie dort sehr wohl. Ihr gesundheitlicher Zustand habe sich dort merklich verbessert. Bei einem möglichen Auszug bestünde die Gefahr einer erheblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes.

Amtsgericht folgte Ansicht der Mieter und bestimmte die Fortsetzung des Mietverhältnisses

Nach Beweisaufnahme durch Einvernahme von Zeugen und sachverständiger Begutachtung der Beklagten zu 1) wies das zunächst angerufene Amtsgericht M. die Klage wegen festgestellter Suizidgefahr der Beklagten zu 1) mit Endurteil vom 21.08.2013 ab und sprach zugleich die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit aus.

Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung zum Landgericht München ein.

Urteil des Landgerichts München

Landgericht bestätigte das Urteil des Amtsgerichts

Das Landgericht München folgte der Ansicht des Amtsgerichts und urteilte, dass dieses zu Recht eine Fortsetzung des Mietverhältnis gemäß §§ 574, 574a BGB ausgesprochen habe.

Bei der dabei durchzuführenden Interessenabwägung im Sinne des § 547 Abs. 1 S. 1 BGB hätten vorliegend die Interessen der Beklagten an der Fortsetzung des Mietverhältnis überwogen.

Nach Interessenabwägung würden die Härtegründe der Mieter die Interessen der Vermieterin überwiegen

Für die durch das Gericht vorzunehmende Interessenabwägung seien zunächst die Interessen der Beklagten an der Fortführung des Mietverhältnisses zu ermitteln. Erforderlich sei daher, dass die Vertragsbeendigung für den Mieter eine Härte bedeuten würde, die nicht zu rechtfertigen sei.

Unter einer Härte seien dabei alle Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art zu verstehen, die in Folge der Vertragsbeendigung auftreten könnten.

Dabei müsse der Eintritt der Nachteile nicht mit absoluter Sicherheit feststehen, es genüge vielmehr, wenn solche Nachteile mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien.

Obwohl der Anwendungsbereich des § 574 BGB sich nicht nur auf den Mieter, sondern auch auf Familie oder andere Angehörige seines Haushaltes erstrecken würde, bedürfe es dieser Erweiterung nicht, weil die Nachteile im vorliegenden Fall die Beklagte zu 1) als Mieterin unmittelbar treffen würden.

Vorliegend sei als Härtegrund die gesundheitlichen Einschränkungen der Beklagten zu 1) zu berücksichtigen. Eine Räumungsunfähigkeit aufgrund einer Krankheit sei als Härtegrund im Rahmen des § 574 BGB zu berücksichtigen, ungeachtet des Umstandes, ob es sich um körperliche, geistige oder seelische Erkrankungen handele.

In diesen Fällen liege eine Räumungsunfähigkeit vor, wenn der Mieter aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht in der Lage sei, eine Ersatzwohnung zu finden und dort hin umzuziehen oder wenn der Gesundheitszustand oder die allgemeine Lebenssituation des Mieters durch den Umzug erheblich verschlechtert werden würde.

Aufgrund der Feststellung des Amtsgerichts M., an welches sich das Berufungsgericht vorliegend gebunden sehe, stünde fest, dass die Beklagte zu 1) im Falle des Wohnungsverlustes von der akuten Gefahr der Begehung eines Suizids bedroht sei.

Dies ergebe sich für das Amtsgericht M. aus dem Sachverständigengutachten des Herrn Sachverständigen D. Der Sachverständige komme zu dem Ergebnis, dass bei der Beklagten zu 1) eine posttraumatische Belastungsstörung mit Chronifizierung in Form einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, eine rezidivierende depressive Störung, welche sich gegenwärtig in einer mittelgradigen Episode befindet, eine Essstörung sowie eine differenzialdiagnostische zu erwägende emotionale instabile Persönlichkeitsstörung vom Typ Borderline vorliege.

Der Sachverständige fasse diese vorliegende Diagnose als „schwer psychisch krank“ zusammen. Der Sachverständige habe diese Erkrankung im Hinblick auf die Bedeutung der Wohnung für die Beklagte zu 1) zudem dahingehend eingeordnet, dass die Wohnsituation für die Beklagte zu 1) ganz elementar sei.

Die Beklagte zu 1) würde Stabilität und Sicherheit weder in einer Partnerschaft oder in einer Beziehung zu einem Kind finden, auch eine befriedigende berufliche Situation läge für diese nicht.

Auf Seiten der Klägerin dürften nur die Gründe Berücksichtigung finden, welche in dem Kündigungsschreiben angegeben seien, eine Ausnahme sei nur dann zu machen, wenn diese Gründe erst nach Absenden des Kündigungsschreibens entstanden seien, § 574 Abs. 3 BGB.

Bei der Interessenabwägung des § 574 BGB sei das Bestandsinteresse des Mieters mit dem Erlangungsinteresse des Vermieters in Beziehung zu setzen. Dabei sei zu fragen, welche Auswirkung eine Vertragsbeendigung für den Mieter haben würde und wie sich eine Vertragsfortsetzung auf den Vermieter auswirken würde.

Bei dieser Interessenabwägung seien die Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen. Als grundgesetzlich geschützte Position stelle sich somit einerseits das Eigentumsrecht des Vermieters an der Erlangung seines Eigentums, andererseits aber auch das Bestandsinteresse der Mieters sowie, wie im vorliegenden Fall, der grundgesetzlich geschützte Bereich des Lebens und der Gesundheit des Mieters dar.

Die Interessen des Mieters an der Erhaltung seiner Gesundheit hätten somit im allgemeinen Vorrang vor allgemeinen Finanzinteressen des Vermieters.

Auch sei von Seiten des Amtsgerichtes die Fortführung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit ebenfalls zu Recht ausgesprochen worden. Gemäß § 574 a Abs. 2 S. 2 BGB sei eine Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit auszusprechen, wenn ungewiss sei, wann voraussichtlich die Umstände wegfallen, aufgrund derer die Beendigung des Mietverhältnis für den Mieter eine Härte darstellen würde.

Trotz ihrer systematischen Stellung gelte diese Vorschrift auch für den Anspruch aus § 574 a Abs. 1 BGB. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen in der Anhörung, in welcher er geäußert habe, dass er hinsichtlich einer Verbesserung von Jahren ausginge, da der bisherige Fortschritt der Beklagten zu 1) ebenfalls in Jahren erzielt wurde, sei ein bestimmter Zeitraum, innerhalb derer eine Räumungsfähigkeit der Beklagten zu 1) erzielt werden könne, nicht festzustellen.

Quelle: Landgericht München

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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