Mietrecht: Nur Vermieterinteressen bei der Interessenabwägung im Rahmen der Verwertungskündigung maßgeblich
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Zivilrecht
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von: Helmer Tieben

Bundesgerichtshof, 27.09.2017, Az.: VIII ZR 243/16

Nach § 573 Abs. 1 BGB kann ein Vermieter ein Mietverhältnis nur ordentlich kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung hat. Aufgrund der sozialen Bedeutung der Wohnung für den Mieter als Lebensmittelpunkt ist daher ein Interesse von Gewicht notwendig. Jedoch darf diese Voraussetzung nicht dazu führen, dass in die Substanz des Eigentums des Vermieters, demnach in die Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis eingriffen wird. § 573 Abs. 1 BGB enthält eine beispielhafte Aufzählung von Gründen, bei denen ein besonderes Interesse des Vermieters anzunehmen ist. So ist in Nr. 1 die Kündigung wegen einer schuldhaften Pflichtverletzung des Mieters angeführt, in Nr. 2 die Eigenbedarfskündigung und in Nr. 3 die Verwertungskündigung. Letztere regelt die Realisierung der wirtschaftlichen Verwertung eines in der Mietsache innewohnenden Wertes. Sie umfasst den Abriss und Neubau, aber auch den Umbau und Verkauf der Mietsache.

In dem nachstehenden Urteil geht es um eine Räumungsklage und um die Frage, ob auf dem Wege der Interessenabwägung bei der Verwertungskündigung neben den Mieter- und Vermieterinteressen auch die Interessen von Dritten zu berücksichtigen sind.

Sachverhalt: Die Parteien streiten über die Herausgabe und Räumung der streitgegenständlichen Wohnung. Die Beklagten schlossen am 01.12.2012 mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin einen Mietvertrag über eine ca. 190 m² große Wohnung in einem Wohn- und Geschäftsgebäude. Die monatliche Nettomiete beträgt 850,00 EUR. Andere Räumlichkeiten des Hauses waren an eine Ärztin und einen Apotheker verpachtet. Im Jahr 2015 erwarb die Klägerin das Grundstück und wurde Vermieterin der Beklagten. Darüber hinaus ist die Klägerin Eigentümerin des Nachbargrundstücks, welches an die S. GmbH & Co. KG verpachtet ist, die dort ein Modegeschäft betreibt.

Die Klägerin kündigte mit Schreiben vom 29.06.2015 das Mietverhältnis nach § 573 Abs. 1 Nr. 3 BGB ordentlich zum 30.09.2015. Als Begründung führt sie aus, dass das Gebäude abgerissen werden solle, damit neue Gewerberäume zur Erweiterung des Modegeschäfts der S. GmbH & Co.KG erfolgen könne. Nur durch dieses Vorgehen sei eine wirtschaftliche Verwertung möglich, insbesondere da hierdurch ein deutlich höherer Ertrag zu erwirtschaften sei, als bei Fortführung der bisherigen Mietverhältnisse. Bei Fortsetzung des Mietverhältnisses sei die Klägerin an einem Abriss gehindert, was einen erheblichen Nachteil darstelle.

Im Weiteren sprach die Klägerin wegen verschiedener angeblicher Vertragsverletzungen die Kündigung aus.

Die Klage ist auf Räumung und Herausgabe gerichtet und hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Beklagte nunmehr die Abweisung der Klage.

Bundesgerichtshof: Die Revision ist zulässig und hat Erfolg. Das Berufungsgericht (LG Waldshut-Tiengen – 2 S 7/16) hat in seinen Entscheidungsgründen ausgeführt, dass der Klägerin einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung nach §§ 546 Abs. 1, 985 BGB habe. Die ausgesprochene Kündigung habe das Mietverhältnis gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB wirksam beendet.

Die von der Klägerin gewünscht wirtschaftliche Verwertung beruhe auf vernünftigen und nachvollziehbaren Erwägungen. Im Zuge der Interessenabwägung käme man zu dem Ergebnis, dass die Nachteile die bei Fortbestand des Mietverhältnisses entstehen würden, höher zu gewichten seien, als das Bestandsinteresse der Beklagten. Hierbei seien neben den Belangen der Klägerin auch die der S. GmbH & Co.KG zu berücksichtigen, da aufgrund der Geschäftsführerposition der Klägerin eine persönliche Verflechtung bestünde. Daher müsse die zukünftige Existenzfrage, die aufgrund der Erweiterung entstünde, mitberücksichtigt werden. Bei Fortbestand des Mietverhältnisses sei hier auch ein erheblicher Nachteil zu sehen.

Im Weiteren müsse sich die Klägerin auch nicht darauf verweisen lassen, dass eine Erweiterung auf andere Weise möglich wäre. Denn die Erweiterung des Geschäfts durch die Verwendung des streitgegenständlichen Grundstücks stelle eine gut zu realisierende Möglichkeit dar, während die anderen Varianten mit wesentlich größeren Schwierigkeiten und Kosten verbunden seien.

Letztlich müsse sich die Klägerin ebenso nicht entgegenhalten lassen, dass sie das Anwesen aufgrund längerfristig bestehender Pachtverhältnisse derzeit ohnehin nicht abreißen könne. Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei bereits fraglich, ob die Kausalität zwischen der Fortsetzung des Mietverhältnisses und der Verhinderung der Verwertung überhaupt dadurch ausgeschlossen werden könne, dass auch andere Pachtverhältnisse, die ebenfalls gekündigt seien oder gekündigt werden sollen, weitere Hindernisse darstellen würden.

Hiergegen spreche, dass ansonsten die Kündigung wegen wirtschaftlicher Verwertung bei größeren Einheiten erheblich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich werde. Auf jeden Fall sei vorliegend gegen die Pächterin der Arztpraxis zwischenzeitlich ein Räumungsurteil ergangen, so dass in dem Gebäude kein längerfristiges Pachtverhältnis mehr bestehe, welches einem Abriss entgegenstehen könne.

Diese Beurteilung des Berufungsgerichts halte nach Ansicht des Revisionsgerichts einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei das Mietverhältnis nicht durch die Kündigung vom 29.06.2015 beendet worden. Die Einschätzung, dass die von der Klägerin vorgetragenen Gründe eine Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB rechtfertigen würden, sei in mehrfacher Hinsicht mit Rechtsfehlern behaftet.

Zunächst gehe das Berufungsgericht richtigerweise davon aus, dass der geplante Abriss des Gebäudes, um ein Objekt mit Gewerberäumen zur Erweiterung des benachbarten Modegeschäfts zu errichten und auf diese Weise höhere Pachteinnahmen zu erzielen, eine angemessene wirtschaftliche Verwertung darstelle und von vernünftigen und nachvollziehbaren Erwägungen getragen sei. Jedoch seien nach Ansicht des BGHs bei Fortbestand des Mietverhältnisses keine erheblichen Nachteile zu erwarten.

Der Kündigungsgrund nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB setze einerseits voraus, dass der Vermieter durch das bestehende Wohnraummietverhältnis an einer wirtschaftlichen Verwertung „des Grundstücks“, also an einer Realisierung des diesem innewohnenden materiellen Werts, gehindert sei (vgl. BGH – VIII ZR 188/03). Eine wirtschaftliche Verwertung liege anderseits auch dann vor, wenn das Gebäude mit der Mietwohnung zunächst abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werde, der dann veräußert – oder wie vorliegend – vermietet beziehungsweise verpachtet werden soll (vgl. BGH – VIII ZR 8/08).

Die von der Klägerin geplante wirtschaftliche Verwertung sei auch angemessen. Sie sei, wie das Berufungsgericht insoweit rechtsfehlerfrei und von der Revision unangegriffen festgestellt habe, von vernünftigen, nachvollziehbaren Erwägungen getragen.

Ebenso handele es sich nicht um eine reine unzulässige Vorratskündigung. Es könne davon ausgegangen werden, dass die Klägerin an der alsbaldigen Umsetzung ihrer im Kündigungsschreiben genannten Pläne interessiert sei. Insbesondere habe sich die Klägerin nach dem Erwerb des Grundstücks im Jahr 2015 im darauffolgenden Jahr um die Beendigung der bestehenden Pachtverhältnisse durch Kündigung oder einvernehmliche Aufhebung bemüht und das Mietverhältnis mit den Beklagten am 29.06.2015 unter Hinweis auf eine schon vorliegende Abrissgenehmigung und die bereits laufenden Vorbereitungen der Bauantragsunterlagen gekündigt.

Jedoch sei die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Klägerin bei Fortbestand des Mietverhältnisses erhebliche Nachteile entstünden rechtsfehlerhaft.

Nach der Rechtsprechung des Senats sei die Beurteilung der Frage, ob dem Eigentümer durch den Fortbestand eines Mietvertrags ein erheblicher Nachteil entsteht, vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) und damit des grundsätzlichen Bestandsinteresses des Mieters, in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu verbleiben, vorzunehmen. Das Eigentum gewähre dem Vermieter vor diesem Hintergrund hingegen keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeit, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen würden. Denn auch das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung sei Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und deshalb grundgesetzlich geschützt. Folglich begründe nicht bereits jeder aus dem Fortbestand des Mietverhältnisses dem Vermieter erwachsende wirtschaftliche Nachteil einen Anspruch des Vermieters auf Räumung der Mietwohnung (vgl. BGH – VIII ZR 45/16).

Anderseits dürfe die dem Vermieter entstehenden Nachteile jedoch auch keinen Umfang annehmen, welcher die Nachteile weit übersteigen, die dem Mieter im Falle des Verlustes der Wohnung erwachsen würden. Daher sei im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall vorzunehmen.

Das Berufungsgericht habe darauf abgestellt, dass sich die Klägerin mit der beabsichtigten Verwertung langfristig die Pachteinnahmen aus allen in ihrem Eigentum stehenden Grundstücken „sichere“ und es sich bei der Erweiterung des Modegeschäftes um eine „existentielle Frage“ handele. Tatsächliche Umstände seien jedoch weder festgestellt noch vorgetragen worden. Es seien keine Feststellungen darüber getroffen worden, inwieweit bei dem jetzigen „Ist-Zustand“ konkrete Nachteile für die Klägerin eintreten würden. Die pauschale Betrachtungsweise des Berufungsgerichts habe zu Folge, dass jede Einschränkung der freien Verfügung des Eigentümers über sein Wohneigentum einen erheblichen Nachteil darstelle. Dies sei mit der Interessenabwägung jedoch nicht vereinbar. Hierfür seien konkrete wirtschaftliche Nachteile erforderlich.

Im Weiteren seien die Belange der S. GmbH & Co.KG im Zuge der Verwertungskündigung nicht zu berücksichtigen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 573 Abs. 2 Nr. BGB sei nur das Interesse des Vermieters maßgeblich und nicht inwieweit Belange Dritter beeinträchtigt seien. Mithin seien nur solche Nachteile zu berücksichtigen, die dem Vermieter ansich entstünden.

Darüber hinaus habe das Berufungsgericht übersehen, dass gemäß § 573 Abs. 3 S. 1 BGB bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung nur die Gründe berücksichtigt werden können, die innerhalb des Kündigungsschreibens angegeben würden. Die Interessen der Schwestergesellschaft an einer Sicherung ihrer Existenzgrundlage seien aber in dem Kündigungsschreiben gerade nicht aufgeführt worden. Vielmehr sei darin als Kündigungsgrund lediglich angegeben, die Klägerin wolle durch den geplanten Neubau höhere Pachteinnahmen erzielen; insoweit handele es sich jedoch um einen anderen Kündigungsgrund als die später geltend gemachte Sicherung der Existenzgrundlage des von der Schwestergesellschaft betriebenen Modegeschäfts.

Das streitgegenständliche Berufungsurteil erweise sich auch aus anderen Gründen nicht als richtig (§ 561 ZPO).

Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung der Klägerin sei die von ihr erklärte Kündigung auch nicht durch die Generalklausel des § 573 Abs. 1 BGB begründet. Eine Kündigung nach der Generalklausel komme nur in Betracht, wenn die für die Kündigung maßgeblichen Gründe ebenso schwer wiegen wie die in § 573 Abs. 2 BGB beispielhaft aufgeführten Kündigungsgründe. Die Frage, ob insoweit die wirtschaftlichen Interessen einer von der Vermietergesellschaft verschiedenen, aber mit ihr verflochtenen „Schwestergesellschaft“ ein berechtigtes Interesse von einem solchen Gewicht überhaupt begründen können ist bereits fraglich. Die Frage bedürfe vorliegend jedoch keiner Beantwortung, da die Kündigungserklärung vom 29.06.2015 nicht auf gewichtige Interessen der Schwestergesellschaft gestützt worden sei.

Aufgrund der vorgenannten Ausführungen könne das Berufungsurteil keinen Bestand haben und sei daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 BGB).

Quelle: Bundesgerichtshof

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