Wohnraummiete: Rechtsmissbräuchlichkeit einer Eigenbedarfskündigung mangels Angebots einer freiwerdenden Alternativwohnung
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Zivilrecht
Veröffentlicht:
von: Helmer Tieben

Landgericht Berlin, 16.04.2015, Az.: 67  S 14/15

 Der Vermieter kann gemäß § 573 Abs. 1 BGB ein Mietverhältnis nur ordentlich kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ist dabei ausgeschlossen. Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat, der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt oder der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde. § 573 Abs. 1 Nr.2 BGB eröffnet dem Vermieter damit die Möglichkeit bei bestehendem Eigenbedarf das Mietverhältnis aufzukündigen.

Das Amtsgericht Berlin stellt im nachstehenden Urteil klar, dass sich der Vermieter jedoch auf eine von ihm ausgesprochene Eigenbedarfskündigung wegen Verstoßes gegen die Grundsätze von Treu und Glauben nicht berufen kann, wenn er der Pflicht zum Angebot einer freistehenden Alternativwohnung zuwider gehandelt hat, selbst wenn der Mieter nach Ausspruch einer zeitlich nachfolgenden Eigenbedarfskündigung die Anmietung der nunmehr angebotenen Alternativwohnung ablehnt. Die Treuwidrigkeit sei allenfalls dann zu verneinen, wenn der Mieter zu keinem Zeitpunkt Interesse daran hatte, die Alternativwohnung anzumieten.

Zudem geht es auf eine im Schriftsatznachlass erneut ausgesprochene Kündigung ein. Relevant hierfür war § 533 ZPO. Dieser bestimmt, dass Klageänderung, Aufrechnungserklärung und Widerklage nur zulässig sind, wenn der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und diese auf Tatsachen gestützt werden können, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 zugrunde zu legen hat.

Folglich hat das Berufungsgericht eine in einem gemäß § 283 ZPO nachgelassenen erstinstanzlichen Schriftsatz erklärte neuerliche Kündigung gemäß § 533 Nr. 2 ZPO nur zu berücksichtigen, wenn sie auf einer mit einer zuvor in den Rechtsstreit eingeführten Kündigung kongruenten Tatsachengrundlage beruht.

Dies ist nach Ausführungen des Gerichts jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die erste Kündigung auf die Schaffung eines Zweitwohnsitzes gestützt, die Kündigung im nachgelassenen Schriftsatz dann aber von der Verlagerung des Lebensmittelpunktes in die streitgegenständliche Wohnung spreche.

Darin liege ein neuer Klagegrund, der nicht nach § 529 ZPO ohnehin zu Grunde zu legen sei.

Sachverhalt: Die Beklagten mieteten seit dem 15. September 1998 von einem Rechtsvorgänger der Kläger die streitgegenständliche Wohnung.

Am 23. November 2012 kündigten die Kläger die Wohnung wegen Eigenbedarfs. Obwohl eine unter der streitgegenständlichen gelegene Wohnung mit zwei Zimmern und Wohnküche zu diesem Zeitpunkt leer stand, boten die Kläger diese den Beklagten nicht zur Anmietung an. Das zunächst angerufene Amtsgericht hat die Klage auf Räumung und Herausgabe abgewiesen. Es hat eine in dem nachgelassenen Schriftsatz der Kläger vom 10. November 2014 erklärte neuerliche Eigenbedarfskündigung nicht berücksichtigt.

Gegen dieses den Klägern am 3. Dezember 2014 zugestellte Urteil haben sie am 5. Januar 2015 Berufung eingelegt. Die Frist zur Berufungsbegründung wurde auf Antrag bis zum 24. Februar 2015 verlängert. Am 9. 2.2015 ging der Begründungsschriftsatz der Kläger ein.

Darin trugen sie vor, dass entgegen der Auffassung des Amtsgerichts eine Verletzung der Anbietpflicht nicht vorliege, denn die Beklagten hätten außergerichtlich mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2014 erklärt, kein Interesse an der Anmietung der freien Wohnung zu haben.

Die Kläger beantragten, das erstinstanzliche Urteil dahingehend abzuändern, die Beklagten zu verurteilen, die von ihnen genutzten Wohnräume bestehend aus drei Zimmern, einer Küche, einem Korridor, einer Toilette mit Bad sowie einer Dachterrasse und einem Kellerraum an die Kläger in geräumten Zustand herauszugeben.

Die Beklagten beantragten, die Berufung zurückzuweisen. Sie waren der Meinung, dass sich aus ihrer Mitteilung vom 15. Dezember 2014 nicht entnehmen lasse, sie hätten die angebotene Wohnung “seit jeher” nicht anmieten wollen.

Landgericht Berlin: Das Landgericht Berlin urteilte, dass die Berufung keinen Erfolg habe, denn die Kläger hätten keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung aus den §§ 985, 546 Abs. 1 BGB. Das Mietverhältnis bestehe fort, es sei nicht durch die Kündigung vom 23. November 2012 beendet worden.

Unerheblich sei, ob der Eigenbedarf der Kläger im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB tatsächlich bestanden habe, denn jedenfalls hätten die Kläger die Pflicht zur Anbietung freien Alternativwohnraums rechtsmissbräuchlich verletzt.

Richtig sei, dass der wegen Eigenbedarfs berechtigt kündigende Vermieter dem Mieter eine andere, ihm zur Verfügung stehende vergleichbare Wohnung während der Kündigungsfrist zur Anmietung anzubieten habe, sofern sich die Wohnung im selben Haus oder in derselben Wohnanlage befinde.

Käme der Vermieter dieser Pflicht nicht nach, sei die ausgesprochene Kündigung wegen des Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam.

Zwar sei die Entscheidung des Vermieters, welche Wohnung er zum Eigenbedarf nutzen wolle zu respektieren, es müsse jedoch berücksichtigt werden, dass die Kündigung von Wohnraum in die Lebensführung eines Mieters besonders stark eingreife. Daher sei der Vermieter verpflichtet, den Eingriff mit ihm zur Verfügung stehenden Mittel abzumildern.

Folglich sei eine Eigenbedarfskündigung dann rechtsmissbräuchlich, wenn der Vermieter dem Mieter eine vergleichbare andere Wohnung im selben Anwesen oder in derselben Wohnanlage anbieten könne, dies aber unterlasse, obwohl er die Wohnung erneut vermieten wolle.

Die Alternativwohnung habe unstreitig frei gestanden. Die Argumentation der Kläger, die Wohnungen seien nicht vergleichbar greife nicht. Die Wohnungen würden sich nicht nur hinsichtlich der Fläche ähnelnd, sondern auch die Zahl der Zimmer sei im Wesentlichen gleich. Die Wohnküche sei nicht anders als ein sonstiges Zimmer zu behandeln.

Überdies sei es Sache des betroffenen Mieters, ob er sich ergebende Nachteile gegenüber der bisherigen Wohnung hinnehmen wolle.

Auf diese Pflichtverletzung könnten sich die Beklagten auch berufen, obwohl der Beklagte zu 2) im Zusammenhang mit der Schriftsatzkündigung vom 10. November 2014 die Anmietung der entsprechenden Wohnung ausdrücklich abgelehnt habe.

Es sei unerheblich, ob die Verletzung auch dann noch zur Unwirksamkeit der Kündigung führe, wenn die Beklagten  von vornherein nicht bzw. niemals die Absicht gehabt hätten, die nicht angebotene Wohnung zu beziehen.  In der Ablehnung vom 15. Dezember 2014 sei dazu nämlich nicht Stellung genommen worden. Es heiße lediglich:  “Unser Mandant hat kein Interesse … und möchte die Wohnung nicht anmieten.”

In der mündlichen Verhandlung hätten die Beklagten geäußert, dass die Anmietung in der Rückschau jedenfalls nicht ausgeschlossen gewesen sei. Zweifel an dieser Aussage habe die Kammer nicht. Sie sei nachvollziehbar. Die  Verhältnisse bei der Ablehnung vom 15. Dezember 2014, insbesondere wegen des inzwischen ausgetragenen Rechtsstreits, seien andere als zur Zeit der Kündigung vom 23. November 2012.

Entscheidend sei, ob der Mieter die freie Wohnung in der Kündigungsfrist nicht angemietet hätte und nicht, ob die Ablehnung einer angebotenen Wohnung nach Ablauf der Kündigungsfrist oder auf eine neue Kündigung hin ergangen sei.

Die Schriftsatzkündigung vom 10. November 2014 sei von der Kammer aus prozessualen Gründen nicht zu berücksichtigen gewesen. Die Berufungsbegründung gehe auf diese Kündigung nicht mehr ein. Ausführungen im Sinne von § 520 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 4 ZPO ließen sich in der Kündigung auch nicht finden.

Zudem sei die nachgeschobene Kündigung wegen § 296a ZPO nicht zu berücksichtigen gewesen, denn der Schriftsatznachlass am Schluss der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2014 gemäß § 283 ZPO habe sich nur auf eine Erwiderung zum Schriftsatz der Beklagten vom 13. Oktober 2014 bezogen.

Diese Kündigung sei ein neuer eigenständiger Klagegrund, da sie ausdrücklich auf eine Veränderung der Bedürfnisse der Kläger gestützt werde.

Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO kam nicht in Betracht, da allein die Nachreichung erheblicher Angriffsmittel die Wiedereröffnung nicht rechtfertige.

Auch in der zweiten Instanz sei die Kündigung  nicht gemäß § 533 ZPO zuzulassen. Es liege eine Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO vor. Zwar sei diese sachdienlich, jedoch fehle es an den Voraussetzungen des § 533 Nr. 2 ZPO.

Die Umstände, auf die die neue Kündigung gestützt werde, seien in der Berufung nicht “ohnehin nach § 529 [ZPO] zugrunde zu legen”. Die Kündigung vom 23. November 2012 werde mit der Schaffung eines Zweitwohnsitzes für ihre in Berlin entfalteten geschäftlichen Tätigkeiten begründet, wogegen die prozessual nachgeschobene Schriftsatzkündigung stattdessen auf eine gänzliche Verlagerung des Lebensmittelpunktes der Kläger nach Berlin abstelle.

Daher fehle es an der für die Bejahung des § 533 Nr. 2 ZPO erforderlichen Kongruenz der zu beurteilenden Tatsachengrundlagen. Auf die neu vorgetragenen tatsächlichen Umstände komme es für die Beurteilung der Kündigung vom 23. November 2012 nicht an.

Quelle: Landgericht Berlin

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