Praxisfall Mietrecht: Erbauseinandersetzung, § 566 BGB („Kauf bricht nicht Miete“) und die Grenzen der Eigenbedarfskündigung

Amtsgericht Köln, Urteil vom 09.01.2023 – 203 C 144/22

Wer eine geerbte Mietwohnung im Rahmen einer Erbauseinandersetzung übernimmt, hält sich oft für den „neuen Vermieter“ – mit allen Rechten, einschließlich der Eigenbedarfskündigung. Dieser Fall des Amtsgerichts Köln zeigt, wie trügerisch diese Annahme sein kann: § 566 BGB („Kauf bricht nicht Miete“) hilft hier nicht weiter, und eine geschickte Formulierung in der notariellen Urkunde („Übergang von Nutzungen und Lasten“) ersetzt keine Kündigungsvollmacht. Für Erbengemeinschaften und Mieter ist das ein wichtiges Praxisstück im Mietrecht.

Der Fall in Kürze

Eine 3‑Zimmer‑Wohnung (ca. 81 qm) war 2016 vom Vater des Klägers – als Nießbraucher – an die später beklagten Mieter vermietet worden. Nach dessen Tod 2017 fiel die Vermieterstellung auf die Erbengemeinschaft (Kläger und zwei Schwestern). 2018 regelten die Erben eine Teil‑Erbauseinandersetzung: Die Wohnung wurde dem Kläger zugeteilt; in der Urkunde stand, Besitz, Nutzungen und Lasten gingen auf ihn über, die Mietverhältnisse seien bekannt und würden übernommen.

2019 bat der Kläger die Mieter, die Miete künftig auf sein Konto zu zahlen; Betriebskostenabrechnungen und eine Mieterhöhung kommunizierte er ebenfalls selbst. 2022 sprach er – nur im eigenen Namen – eine Eigenbedarfskündigung aus: Seine 19‑jährige Tochter wolle wegen ihrer Ausbildung nach Köln ziehen. Die Mieter widersprachen. Der Kläger erhob Räumungsklage.

Entscheidung des Gerichts

Das Amtsgericht Köln wies die Klage ab. Ergebnis: Keine Räumung, Kosten trägt der Kläger. Kern: Der Kläger war nicht alleiniger Vermieter und nicht ermächtigt, im eigenen Namen zu kündigen. Weder § 566 BGB noch der vertragliche Besitz‑/Nutzungen‑/Lasten‑Übergang verhalfen der Kündigung zur Wirksamkeit.

Warum das Gericht so entschied (verständlich erklärt)

1) Mehrheit von Vermietern bleibt Mehrheit – auch nach Auseinandersetzung

Mit dem Tod des Nießbrauchers wurden alle Erben gemeinsam Vermieter. Solange die Vertragsparteien nicht einvernehmlich ändern, bleibt es dabei. Eigentumserwerb durch Auseinandersetzung macht den Erwerber nicht automatisch zum alleinigen Vermieter. Für eine Änderung der Vermieterstellung braucht es die Zustimmung aller Beteiligten – inklusive der Mieter.

2) § 566 BGB („Kauf bricht nicht Miete“) passt hier nicht

§ 566 BGB greift bei Veräußerung an einen Dritten. Die Erbauseinandersetzung ist aber keine Veräußerung an Außenstehende, sondern eine interne Verteilung. Außerdem dient § 566 BGB dem Mieterschutz: Der Mieter soll trotz Eigentümerwechsels seinen Besitz behalten. Hier war der Kläger bereits als Miterbe Vermieter – zusätzlicher Schutz ist nicht nötig; eine (analoge) Anwendung würde den Mieter sogar schwächen (weniger Schuldner auf Vermieterseite).

3) „Nutzungen und Lasten“ ≠ Kündigungsrecht

Die in der Urkunde geregelte Zuordnung von Mietzinsansprüchen, Abrechnungen und Risiken betrifft wirtschaftliche Wirkungen. Das ist keine Ermächtigung, Gestaltungsrechte (wie die Wohnungskündigung) im eigenen Namen auszuüben. Für die Kündigung bei mehreren Vermietern gilt: Alle unterschreiben – oder jemand ist ausdrücklich bevollmächtigt bzw. ermächtigt, im eigenen Namen zu kündigen.

4) Keine stillschweigende Vertragsänderung

Dass die Mieter an den Kläger überwiesen, Betriebskostenabrechnungen entgegennahmen und einer Mieterhöhung zustimmten, bedeutet nicht, dass sie damit einer Wechsel des Vermieters zugestimmt hätten. Aus ihrer Sicht erfüllten sie schlicht ihre Pflichten – mehr nicht.

Was bedeutet das für Sie? Praktische Konsequenzen & Tipps

Für Erben/Vermieter in der Erbengemeinschaft

  • Planen Sie die Vermieterrolle sauber: Wenn eine Person künftig allein handeln soll, braucht es klare Vereinbarungen – Vollmacht zur Vertretung aller Vermieter oder eine Ermächtigung zur Kündigung im eigenen Namen. Diese Ermächtigung sollte ausdrücklich (und am besten notariell) formuliert sein und alle mietrechtlichen Gestaltungsrechte umfassen (Kündigung, Mieterhöhung, Modernisierungsankündigung).

  • Auseinandersetzung ≠ Parteientscheidung: Die Erbauseinandersetzung regelt das Innenverhältnis der Erben und die dingliche Zuordnung. Die Schuldverhältnisse mit Mietern bleiben davon unberührt, solange Mieter nicht zustimmen.

  • Form der Kündigung: Bei Mehrheit von Vermietern müssen alle die Eigenbedarfskündigung unterschreiben oder die Vollmacht/Ermächtigung muss klar erkennbar im Schreiben ausgewiesen sein (z. B. „i. V. für…“ bzw. Hinweis auf Ermächtigung zur Kündigung im eigenen Namen).

  • Dokumentation ist alles: Legen Sie Vollmachten/Ermächtigungen dem Kündigungsschreiben in Kopie bei und benennen Sie sie im Text. Das verhindert Streit um die Aktivlegitimation.

Für Mieter

  • Prüfen Sie die Absenderseite: Steht nur eine Person als Kündigender da, obwohl Sie wissen, dass ursprünglich eine Erbengemeinschaft Vermieter war? Nachfragen und um Vollmacht/Ermächtigung bitten.

  • Zahlungsweg ist kein Einverständnis: Die Umstellung des Mietzahlungskontos oder die Kommunikation über Betriebskosten macht den Adressaten nicht automatisch zum alleinigen Vermieter.

  • Widerspruchsmöglichkeiten nutzen: Bei einer Eigenbedarfskündigung bestehen Schutzrechte (z. B. Härtefall nach § 574 BGB). Fristen beachten und anwaltlichen Rat einholen.

Für Notare und Hausverwaltungen

  • Gestalten statt hoffen: Ergänzen Sie Auseinandersetzungsurkunden um eine präzise Ermächtigungsklausel für den Erwerber, die Gestaltungsrechte ausdrücklich nennt. Vermerken Sie, dass § 566 BGB im Auseinandersetzungsfall nicht automatisch greift.

  • Informationsfluss sichern: Mieter über Veränderungen transparent informieren – wer ist Eigentümer, wer ist Vermieter, wer ist bevollmächtigt?

Fazit

Der Kölner Fall ist ein Weckruf: Eigentum und Vermieterstellung sind im Mietrecht nicht deckungsgleich. Wer nach einer Erbauseinandersetzung handeln will, muss Vollmacht oder Ermächtigung in der Hand haben – sonst scheitert die Eigenbedarfskündigung bereits an der Form. Für Mieter heißt das umgekehrt: Genau hinschauen, wer kündigt und mit welcher Legitimation. Der Leitsatz, den man mitnehmen sollte: „§ 566 BGB hilft im Auseinandersetzungsfall nicht – und ‚Nutzungen und Lasten‘ ersetzen keine Kündigungsbefugnis.“

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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Bild von Helmer Tieben

Helmer Tieben

Ich bin Helmer Tieben, LL.M. (International Tax), Rechtsanwalt und seit 2005 bei der Rechtsanwaltskammer Köln zugelassen. Ich bin auf Mietrecht, Arbeitsrecht, Migrationsrecht und Digitalrecht spezialisiert und betreue sowohl lokale als auch internationale Mandanten. Mit einem Masterabschluss der University of Melbourne und langjähriger Erfahrung in führenden Kanzleien biete ich klare und effektive Rechtslösungen.

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