Wenn der Eigenbedarf nur auf dem Papier existiert
Eine Eigenbedarfskündigung ist für viele Mieter ein Schock – oft bedeutet sie Stress, Wohnungssuche, höhere Miete und erhebliche Umzugskosten. Doch was, wenn sich am Ende herausstellt, dass der Eigenbedarf nur ein Vorwand war? Genau das war Thema in einem Urteil des Amtsgerichts Köln (Az. 203 C 200/20), das Mieterstärkt und Vermieter mahnt, mit dem Kündigungsrecht sorgfältig umzugehen.
Der Fall: Kündigung wegen angeblichem Eigenbedarf
Die Klägerin wohnte seit Jahren in einer Mietwohnung in Köln. Vermieter waren zwei Personen, die der Klägerin im Juli 2018 wegen Eigenbedarfs kündigten. Die Begründung: Die Wohnung werde für den Enkel benötigt, der nach Abschluss seiner Ausbildung „auf eigenen Beinen stehen“ wolle. Praktisch: Die Wohnung liegt gleich in der Nähe der Wohnung der Großeltern – ideal also, um im Alltag Unterstützung leisten zu können.
Die Mieterin akzeptierte die Kündigung und fand zügig eine neue Wohnung. Diese war kleiner, unrenoviert – und teurer. Umzug, doppelte Miete im Februar, neue Möbel und Renovierung schlugen mit mehreren Tausend Euro zu Buche. Doch dann kam die Überraschung: Kurz nach dem Auszug entdeckte die Klägerin eine Anzeige bei ImmobilienScout24 – für genau dieselbe Wohnung, nun aber deutlich teurer angeboten.
Noch kurioser: Eine zweite Anzeige erschien im Mai 2019. Die angeblich dringend für den Enkel benötigte Wohnung wurde also offensichtlich wieder auf dem freien Markt angeboten. Für die Klägerin war klar: Der Eigenbedarf war nur vorgeschoben.
Das Urteil: Schadensersatz in voller Höhe
Das Amtsgericht Köln gab der Mieterin recht und verurteilte die Vermieter zur Zahlung von 5.200,02 Euro Schadensersatz. Die Begründung ist deutlich:
Ein Vermieter, der ohne tatsächlich bestehenden Eigenbedarf kündigt, verletzt seine mietvertraglichen Pflichten und haftet für daraus entstehende Schäden.
Kernpunkt war hier, dass der angebliche Nutzungswunsch des Enkels nicht konkret und gefestigt war. Es gab keine klare Einzugsplanung, keine Mietabsprachen, und die späteren Inserate für WG-Mitbewohner oder gar die komplette Wohnung widersprachen dem angeblichen Eigenbedarf.
Das Gericht bewertete den Vortrag der Vermieter als widersprüchlich und lebensfremd. Es reiche nicht aus, wenn ein Enkel „vielleicht“ einziehen möchte – es müsse ein ernstzunehmender, zeitnah umsetzbarer Nutzungswille bestehen. Dieser sei hier nicht erkennbar gewesen.
Warum ist das Urteil wichtig?
Das Urteil ist ein starkes Signal an Vermieter: Wer eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ausspricht, muss diesen auch wirklich haben und konkret nachweisen können. Bloße Absichten oder unsichere Planungen reichen nicht. Und wenn sich der Eigenbedarf nachträglich erledigt, muss der Vermieter das dem Mieter mitteilen, solange das Mietverhältnis noch läuft.
Für Mieter bedeutet das: Nicht jede Eigenbedarfskündigung ist in Stein gemeißelt. Wer Zweifel an der Ernsthaftigkeit hat – besonders wenn die Wohnung später weitervermietet wird – sollte anwaltliche Hilfe suchen. Oft bestehen Ansprüche auf Schadensersatz.
Was bedeutet das konkret für Mieter und Vermieter?
Für Mieter:
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Dokumentieren Sie alles: Kündigungsschreiben, eigene Umzugskosten, Mieterhöhungen usw.
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Beobachten Sie die Entwicklung: Wird die Wohnung nach Ihrem Auszug wieder frei angeboten?
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Lassen Sie sich beraten: Ein Mieterverein oder Fachanwalt kann helfen, Schadensersatzansprüche durchzusetzen.
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Keine falsche Scheu: Wenn der Eigenbedarf nicht umgesetzt wird, haben Sie gute Karten vor Gericht.
Für Vermieter:
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Eigenbedarf muss echt und konkret sein: Eine vage Absicht oder Reservierung reicht nicht aus.
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Planung und Kommunikation sind Pflicht: Klären Sie mit dem zukünftigen Bewohner alles ab, bevor Sie kündigen.
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Transparenz gegenüber dem Mieter: Wenn sich Pläne ändern, muss das dem Mieter mitgeteilt werden – sonst drohen hohe Kosten.
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Finger weg von Vorratskündigungen: Wer nur „vorsorglich“ kündigt, riskiert eine Klage.
Fazit: Eigenbedarf ist kein Blankoscheck
Das Urteil des Amtsgerichts Köln macht klar: Das Recht zur Eigenbedarfskündigung darf nicht leichtfertig oder taktisch eingesetzt werden. Es ist an klare Voraussetzungen geknüpft – und wird das Vertrauen des Mieters missbraucht, droht eine empfindliche Haftung.
Gerade in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt ist diese Rechtsprechung ein wichtiges Signal: Mieterschutz endet nicht mit der Kündigung.
FAQs: Häufig gestellte Fragen zum Thema „Eigenbedarf & Schadensersatz“
Wann darf ein Vermieter Eigenbedarf anmelden?
Ein Vermieter darf Eigenbedarf geltend machen, wenn er die Wohnung für sich, enge Angehörige oder Haushaltsangehörige konkret und zeitnah benötigt. Reine Absichtserklärungen oder langfristige Planungen reichen nicht aus.
Was tun, wenn man vermutet, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben ist?
Beobachten Sie die Nutzung der Wohnung nach dem Auszug genau. Wird sie weitervermietet oder inseriert, kann das ein Hinweis auf vorgetäuschten Eigenbedarf sein. Dokumentieren Sie alles und ziehen Sie rechtliche Beratung hinzu.
Kann ich Schadensersatz fordern, wenn der Eigenbedarf sich als falsch herausstellt?
Ja. Wenn Sie aufgrund einer Eigenbedarfskündigung ausziehen und sich später herausstellt, dass der Eigenbedarf nicht bestand oder wieder entfiel, haben Sie Anspruch auf Ersatz Ihrer Umzugskosten, Renovierung, doppelter Miete oder höherer Folgemiete (§§ 280, 241 BGB).
Wie konkret muss der Eigenbedarf bei Kündigung sein?
Der sogenannte „Nutzungswille“ muss greifbar und geplant sein – also etwa mit abgesprochenen Mietbedingungen, Umzugstermin oder Familienplanung. Ein unverbindliches „vielleicht irgendwann“ genügt nicht.
Welche Konsequenzen drohen Vermietern bei vorgetäuschtem Eigenbedarf?
Neben dem Imageschaden drohen erhebliche finanzielle Folgen: Schadensersatzforderungen, Anwalts- und Gerichtskosten – und möglicherweise eine Rückabwicklung der Kündigung, wenn der Fall früh genug auffliegt.
Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.
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