Bundesverwaltungsgericht, 01.06.2017, Az.: 1 C 16.16
Der § 10 des Staatsangehörigkeitsrechts (Anspruchseinbürgerung) hat die folgenden Voraussetzungen:
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- Fünf Jahre rechtmäßiger gewöhnlicher Inlandsaufenthalt, der grundsätzlich ununterbrochen bestehen muss.
- Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlich demokratischen Grundordnung.
- Besitz eines Aufenthaltsrechts des Einbürgerungsbewerbers (zum Beispiel Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis)
- Der Einbürgerungsbewerber muss in der Lage sein, sich und seine Angehörigen ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu ernähren.
- Straffreiheit des Einbürgerungsbewerbers.
- Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse.
- Kenntnisse der deutschen Gesellschaftsordnung.
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Fraglich ist jedoch, ob ein Einbürgerungsbewerber, der seine Aufenthaltstitel unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen hat, die zeitlichen Voraussetzungen der Einbürgerung erfüllt. Diese Frage wurde in dem hier besprochenen Fall zunächst vom Verwaltungsgericht, im Berufungsverfahren vom Verwaltungsgerichtshof und dann im Rahmen der Revision vom Bundesverwaltungsgericht behandelt.
Hinweis: Fall war noch nach dem StAG vor 2024 beurteilt worden
Hintergrund und Einreise des Klägers
Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste 1997 unter falscher Identität nach Deutschland ein. Er gab an, aus dem Zentralirak zu stammen, und beantragte Asyl. In einem gerichtlichen Verfahren wurde ihm schließlich Flüchtlings- und Abschiebungsschutz gewährt, da das Gericht davon ausging, dass ihm bei einer Rückkehr in den Irak politische Verfolgung und eine erniedrigende Behandlung drohen würden. Das Gericht entschied zudem, dass der Kläger als Kurde nicht auf den Nordirak als Fluchtalternative verwiesen werden könne. Diese Annahmen führten dazu, dass dem Kläger ein Aufenthaltsrecht in Deutschland gewährt wurde.
Im März 2008 erhielt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Zwei Jahre später, im Mai 2010, legte er bei der Ausländerbehörde eine irakische Staatsangehörigkeitsurkunde vor und bat um Berichtigung seiner Personalien, was auch geschah. Damit offenbarte er seine wahre Identität, die bis dahin unbekannt geblieben war.
Einbürgerungsantrag und Ablehnung durch die Behörde
Im Oktober 2012 beantragte der Kläger seine Einbürgerung in Deutschland. In diesem Antrag erklärte er, dass er vor seiner Ausreise aus dem Irak in seinem Geburtsort im Nordirak gelebt und dort im Jahr 2000 geheiratet habe. Auf Anfrage der Einbürgerungsbehörde teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Juni 2013 mit, dass keine Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der asylrechtlichen Begünstigungen vorlägen. Trotz dieser Auskunft lehnte die zuständige Behörde den Einbürgerungsantrag des Klägers am 20. November 2013 ab. Begründet wurde dies damit, dass der Kläger nicht die Voraussetzungen für eine Einbürgerung nach § 10 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) erfülle. Konkret wurde ihm vorgeworfen, dass er aufgrund der Identitätstäuschung nicht seit acht Jahren einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe.
Gerichtliche Auseinandersetzungen: Klage, Berufung und Revision
Der Kläger reichte gegen die Entscheidung Klage beim Verwaltungsgericht ein. Dieses wies die Klage am 14. Januar 2015 ab. Daraufhin legte der Kläger Berufung ein, die jedoch ebenfalls abgewiesen wurde. Der Verwaltungsgerichtshof bestätigte in seinem Urteil vom 20. April 2016 die Entscheidung der ersten Instanz und führte aus, dass der Kläger vor Offenlegung seiner wahren Identität im Jahr 2010 keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründen konnte. Das Gericht argumentierte, dass der Aufenthalt des Klägers bis zu diesem Zeitpunkt auf einer Täuschung beruhte und er daher jederzeit mit einer Ausweisung rechnen musste. Somit sei der Zeitraum vor 2010 nicht auf die geforderten acht Jahre anzurechnen. Der Kläger legte daraufhin Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
Das Bundesverwaltungsgericht entschied nun zugunsten des Klägers und stellte fest, dass die Revision Erfolg habe. Nach Auffassung des Gerichts erfülle der Kläger die Voraussetzungen für eine Einbürgerung nach § 10 StAG, da er seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe. Die gegenteilige Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger vor Offenlegung seiner Identität keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen konnte, verstoße gegen Bundesrecht.
Das Gericht stellte klar, dass für die Prüfung des Einbürgerungsanspruchs die aktuelle Rechtslage maßgeblich sei. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, sofern er die weiteren Voraussetzungen erfüllt und kein Ausschlussgrund vorliegt. Die Hauptfrage im vorliegenden Fall war, ob der Kläger trotz der anfänglichen Identitätstäuschung seit acht Jahren rechtmäßig in Deutschland lebte.
Bewertung des gewöhnlichen Aufenthalts und der Rechtmäßigkeit
Das Bundesverwaltungsgericht verwies darauf, dass der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ im Staatsangehörigkeitsgesetz an die Legaldefinition in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I angelehnt sei. Ein Ausländer hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, wenn er nicht nur vorübergehend, sondern auf unabsehbare Zeit hier lebt. Entscheidend ist dabei, dass er seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat. Diese Prognose erfordert mehr als bloße Anwesenheit und schließt nicht aus, dass der Aufenthalt befristet ist oder die Ausländerbehörde keine Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung ergreift.
Der Aufenthalt des Klägers vor 2010, obwohl auf einer Täuschung beruhend, konnte nach Ansicht des Gerichts als gewöhnlicher Aufenthalt gewertet werden. Eine bloße Angreifbarkeit eines durch Täuschung erlangten Aufenthaltstitels schließt die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht aus. Das Gericht betonte, dass es darauf ankomme, wie die Ausländerbehörde hypothetisch reagiert hätte, wenn sie von der Täuschung gewusst hätte. Diese hypothetische Prognose sollte sicherstellen, dass der Kläger keinen unrechtmäßigen Vorteil aus der Täuschung zieht.
Fazit: Rechtmäßigkeit und Einbürgerungsanspruch
Das Bundesverwaltungsgericht stellte weiter fest, dass der Kläger auch die Voraussetzung der „Rechtmäßigkeit“ seines Aufenthalts erfüllt. Diese Rechtmäßigkeit bezieht sich auf den Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels, der auch dann als rechtmäßig gilt, wenn er durch Täuschung erlangt wurde, solange er nicht aufgehoben oder zurückgenommen wurde. Da die Niederlassungserlaubnis des Klägers im März 2008 erteilt und nicht widerrufen wurde, war sein Aufenthalt rechtmäßig.
Das Gericht hob hervor, dass das Ergebnis nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stehe, wonach die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung als Ausdruck der Selbstbehauptung des Rechts notwendig sei. Es sei nicht zwingend, dass jede durch Täuschung erlangte Rechtsposition rückgängig gemacht werden müsse, solange die Rechtsordnung ihre Wirksamkeit nicht untergraben werde. Letztlich entschied das Gericht, dass der Kläger alle Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllt und somit Anspruch auf Einbürgerung hat.
Quelle: Bundesverwaltungsgericht
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