Arbeitsrecht: Die alkoholsuchtbedingte Arbeitsunfähigkeit führt nicht zum Ausschluss des Entgeltfortzahlungsanspruches.
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Arbeitsrecht
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von: Helmer Tieben

Bundesarbeitsgericht, 18.03.2015, Az.: 10 AZR 99/14

Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) hat ein von Krankheit betroffener Arbeitnehmer einen Anspruch auf bis zu sechs Wochen Lohnfortzahlung. Nach diesem Zeitraum tritt die Krankenkasse ein.

Grundsätzlich besteht dieser Anspruch des Arbeitnehmers unabhängig von der Ursache seiner Krankheit. In bestimmten Fällen kann der Anspruch allerdings ausgeschlossen sein, wenn die Krankheit selbst verschuldet ist (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG).

Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn sich ein Berufskraftfahrer bei der Arbeit nicht anschnallt und deswegen arbeitsunfähig erkrankt.

In dem hier besprochenen Urteil des Bundesarbeitsgerichts hatte dieses darüber zu entscheiden, ob ein alkoholkranker Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit wegen einer Alkoholvergiftung nach mehrfachem stationärem Entzug selbst verschuldet i. S. d. Entgeltfortzahlungsgesetzes hatte.

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall klagte eine gesetzliche Krankenkasse gegen die Arbeitgeberin eines alkoholabhängigen Arbeitnehmers, Herrn L. Dieser war seit 2007 bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt und aufgrund seiner Alkoholerkrankung mehrfach arbeitsunfähig. Am 23.11.2011 wurde Herr L. mit einer Alkoholvergiftung (4,9 Promille) ins Krankenhaus eingeliefert, woraufhin er für über zehn Monate arbeitsunfähig blieb. Zuvor hatte er bereits zwei Entzugstherapien durchlaufen, war aber immer wieder rückfällig geworden. In der Zeit vom 29.11.2011 bis zum 30.12.2011 zahlte die Krankenkasse Herrn L. Krankengeld in Höhe von 1.303,36 Euro und verlangte diese Summe von der Arbeitgeberin zurück. Die Klägerin argumentierte, dass Herr L. kein Verschulden an seinem Alkoholrückfall trage, sodass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestünde. Die Arbeitgeberin sah dies anders und führte den Rückfall auf ein Verschulden des Arbeitnehmers zurück.

Urteil der Vorinstanzen

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht gaben der Klage der Krankenkasse statt. Beide Gerichte sahen keinen ausreichenden Nachweis eines Verschuldens des Arbeitnehmers an seinem Rückfall. Die Beklagte wurde zur Zahlung des geforderten Betrags verurteilt. Daraufhin legte die Arbeitgeberin Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein, um die Entscheidung überprüfen zu lassen.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Urteile der Vorinstanzen und entschied, dass die Beklagte zur Zahlung verpflichtet sei. Die Alkoholerkrankung des Arbeitnehmers wurde als Krankheit anerkannt. Nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse könne bei einer Alkoholsucht nicht von einem Verschulden des Arbeitnehmers im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts ausgegangen werden. Auch bei einem Rückfall nach einer Therapie könne nicht automatisch auf ein Verschulden geschlossen werden. Studien zeigten eine Abstinenzrate von 40 bis 50 %, was bedeute, dass Rückfälle nach Therapien keine Seltenheit seien. Im Zweifelsfall sei ein medizinisches Gutachten einzuholen, um die Frage nach einem möglichen Verschulden zu klären.

Schlussfolgerung

Im konkreten Fall ergab ein sozialmedizinisches Gutachten, dass Herr L. aufgrund seiner chronischen Alkoholsucht und des daraus resultierenden „Suchtdrucks“ kein Verschulden an seinem Rückfall trug. Daher lag kein Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes vor. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts stärkte somit die Rechte von alkoholabhängigen Arbeitnehmern, indem es den Arbeitgebern die Beweislast für ein Verschulden bei Rückfällen auferlegte. Die Beklagte musste die geforderte Summe zahlen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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