Arbeitsrecht: Frage nach der Schwerbehinderung bei bestehendem Arbeitsverhältnis nicht grundsätzlich unzulässig
Rechtsanwalt Tieben

Rechtsanwalt Helmer Tieben
Beratung unter:
Tel.: 0221 - 80187670

Arbeitsrecht
Veröffentlicht:
Aktualisiert am:
von: Helmer Tieben

Landesarbeitsgericht Hamm, 30.06.2010, Az.: 2 Sa 49/10

Das Arbeitsverhältnis von schwerbehinderten und diesen gleichgestellten Menschen ist in Deutschland besonders geschützt.

Dementsprechend groß ist das Interesse der Arbeitgeber vor oder während des Arbeitsverhältnisses Informationen über das Vorliegen einer Behinderung bei dem Arbeitnehmer zu bekommen.

Grundsätzlich ist der Schwerbehinderte im Vorstellungsgespräch nicht verpflichtet, für ihn ungünstige Umstände von sich aus mitzuteilen.

Nur dann, wenn der Behinderte erkennt, dass er aufgrund der Behinderung die zukünftige Arbeit nicht ordnungsgemäß leisten kann oder in seiner Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist, hat dieser eine Offenbarungspflicht im Vorstellungsgespräch.

Ist dies nicht der Fall oder wird nach einer tätigkeitsneutralen Behinderung gefragt, hat der Behinderte das Recht zur Lüge, da diese Fragen unter das Benachteiligungsverbot gemäß §§ 1, 7 AGG fallen.

AGG_GeschuetzteRechtsgueter

In manchen Situationen kann sogar ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG in Betracht kommen, wenn der materielle Schadensausgleich nicht bereits ausreichend ist.

Anders liegt der Fall jedoch bei einem bereits bestehenden Arbeitsverhältnis.

Die Frage des Arbeitgebers nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderung ist hier nicht grundsätzlich unzulässig.

Insbesondere dann, wenn sich der Arbeitgeber im Hinblick auf bevorstehende Kündigungen über die Anwendbarkeit der Kündigungsschutzvorschriften zugunsten des schwerbehinderten Arbeitnehmers informieren will, kann die Frage zulässig sein.

Das LAG Hamm hatte in der oben genannten Entscheidung nun darüber zu entscheiden, ob ein schwerbehinderter Arbeitnehmer sich auf die fehlende Zustimmung des Integrationsamtes berufen konnte, obwohl er auf Nachfrage des Arbeitgebers das Bestehen einer Schwerbehinderung verneint hatte.

Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens

Der Kläger wurde durch den Beklagten aufgrund von Insolvenz betriebsbedingt gekündigt.

Schwerbehinderter Arbeitnehmer macht vor Gericht die fehlende Zustimmung des Integrationsamtes geltend

Da der Kläger eine amtlich festgestellte Schwerbehinderung von 60 aufwies, war dieser der Ansicht, dass die Kündigung aufgrund der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 85 SGB IX unwirksam war.

Um Fehler bei der sozialen Auswahl zu vermeiden, hatte der Beklagte allen Mitarbeitern während des Insolvenzeröffnungsverfahrens einen Fragebogen vorgelegt, in dem Informationen über den Familienstand, die Anzahl der unterhaltspflichtigen Kinder und die Schwerbehinderung abgefragt wurden.

Im Vorstellungsgespräch hatte der Kläger die Frage nach Schwerbehinderung verneint

Die Frage nach der Schwerbehinderung hatte der Kläger verneint.

Der Beklagte vertrat den Standpunkt, dass sich der Kläger nicht auf den Schwerbehindertenschutz berufen könne, weil er die zuvor an ihn gestellte Frage unzutreffend beantwortet habe.

Urteil des LAG Hamm

Das LAG Hamm folgte der Ansicht des Beklagten. Zwar bedurfte die vom Kläger angegriffene Kündigung des Beklagten an sich gemäß § 85 SGB IX der Zustimmung des Integrationsamtes.

Kläger konnte sich wegen der Lüge im Vorstellungsgespräch nicht auf Kündigungsschutz berufen

Auf den besonderen Kündigungsschutz gemäß § 85 SGB IX habe sich der Kläger vorliegend aber nicht berufen können, weil er die zuvor an ihn gerichtete Frage nach seiner Schwerbehinderteneigenschaft wahrheitswidrig verneint hatte.

Aus dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens sei es ihm gemäß § 242 BGB somit verwehrt gewesen, sich auf die fehlende Zustimmung des Integrationsamtes zu berufen.

Frage nicht grundsätzlich unzulässig

Denn die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft sei in einem bestehenden Arbeitsverhältnis nicht grundsätzlich unzulässig.

Denn diese falle nicht unter das Benachteiligungsverbot gemäß §§ 1, 7 AGG, wenn sie dazu dient, dem Arbeitgeber die Prüfung über das Eingreifen kündigungsrechtlicher Schutzbestimmungen zu Gunsten des schwerbehinderten Menschen zu ermöglichen.

Quelle: Landesarbeitsgericht Hamm

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

Wenn Sie rechtliche Beratung benötigen, rufen Sie uns unverbindlich unter der Rufnummer 0221 – 80187670 an oder schicken uns eine Email an info@mth-partner.de

Rechtsanwälte in Köln beraten bundesweit im Arbeitsrecht

Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, wurden wir uns freuen, wenn Sie den Beitrag verlinken oder in einem sozialen Netzwerk teilen.

Ein Kommentar

  • Leave a comment