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Ausländerrecht: Anspruch auf Familiennachzug zum deutschen Kind kann auch bei mißbräuchlicher Vaterschaftsanerkennung bestehen.

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, 23.08.2012, Az.: 18 A 537/11

Zum 01.07.1998 wurde das neue Kindschaftsrechtsreformgesetz eingeführt, in welchem festgelegt wurde, dass die gemeinsame elterliche Sorge und der enge Kontakt zu beiden Elternteilen für das gesunde Aufwachsen eines Kindes erforderlich sind. Dadurch hat sich auch die aufenthaltsrechtliche Situation für binationale Paare mit gemeinsamen Kindern entscheidend verändert.

Dabei unterscheidet das Aufenthaltsgesetz eindeutig zwischen dem Recht des sorgeberechtigten ausländischen Elternteils auf Familiennachzug (§ 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG) und dem Recht des nichtsorgeberechtigten ausländischen Elternteils auf Familiennachzug (§ 28 Abs. 1 S. 4 AufenthG).

Während der ausländische sorgeberechtigte Elternteil eines deutschen Kindes nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG einen Anspruch auf die Einreise und Aufenthalt hat, steht dem nichtsorgeberechtigten Elternteil nach § 28 Abs. 1 S. 4 AufenthG nur einen Ermessensanspruch zu, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird. Der Begriff der familiären Gemeinschaft ist dabei identisch mit dem der familiären Lebensgemeinschaft.

Somit bringt das Innehaben des Sorgerechts für das Kind eine aufenthaltsrechtliche Privilegierung mit sich.

In dem hier besprochenen Fall des OVG NRW hatte dieses darüber zu entscheiden, ob der ausländischen Mutter eines deutschen Kindes eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG zu erteilen war, obwohl die Vaterschaftsanerkennung durch den deutschen Vater nur deswegen erfolgt war, um der ausländischen Mutter ein Aufenthaltsrecht zu ermöglichen.

Hintergrund und Einreise der sierra-leonischen Klägerin

Die Klägerin stammt aus Sierra Leone und war von Geburt an sierra-leonische Staatsangehörige. Im Jahr 1999 reiste sie nach eigenen Angaben ohne gültige Personalpapiere in die Bundesrepublik Deutschland ein. Aufgrund fehlender Ausweisdokumente geriet sie Ende September 1999 in Abschiebehaft. Während dieser Haftzeit leitete sie ein Asylverfahren ein, das jedoch erfolglos blieb. Nach ihrer Entlassung aus der Abschiebehaft im April 2000 wurde der Aufenthalt der Klägerin in Deutschland aufgrund der weiterhin fehlenden Personaldokumente lediglich geduldet.

Geburt des Kindes und Vaterschaftsanerkennung durch Deutschen

Am 8. August 2002 legte die Klägerin der Ausländerbehörde eine Bescheinigung über ihre Schwangerschaft vor. Auf Nachfrage der Behörde, wer der Vater des Kindes sei, gab die Klägerin an, dass es sich möglicherweise um einen deutschen Staatsangehörigen handeln könnte, ohne jedoch konkrete Angaben zu machen. Am 14. Oktober 2002 erkannte der deutsche Staatsangehörige U. I. Q. vor dem Amt für Kinder, Jugendliche und Familien der Stadt N. die Vaterschaft für das ungeborene Kind der Klägerin an. Diese Anerkennung erfolgte formell korrekt nach den Vorgaben des § 1595 BGB. Die Klägerin stimmte der Vaterschaftsanerkennung ausdrücklich zu. Noch am selben Tag gaben die Klägerin und Herr Q. eine Erklärung über die gemeinsame elterliche Sorge ab. Wenige Monate später wurde das Kind geboren.

Antrag auf Aufenthaltserlaubnis und Ermittlungen der Ausländerbehörde

Am 4. August 2003, einige Monate nach der Geburt ihres Kindes, beantragte die Klägerin beim Beklagten, der zuständigen Ausländerbehörde, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Sie legte hierzu ihren Reisepass vor, der von der Republik Sierra Leone am 3. März 2003 ausgestellt worden war. Kurz darauf, am 6. November 2003, erstattete die Ausländerbehörde Strafanzeige gegen Herrn Q. und die Klägerin. Die Behörde verdächtigte Herrn Q., die Vaterschaft nur anerkannt zu haben, um der Klägerin eine Aufenthaltsgenehmigung zu verschaffen. Man vermutete, dass Herr Q., ein einschlägig vorbestrafter Betäubungsmittelkonsument, für die Anerkennung der Vaterschaft bezahlt worden war. Die Behörde ging davon aus, dass die Klägerin und Herr Q. in dieser Angelegenheit einvernehmlich handelten.

Zeitgleich wurde die Klägerin von der Ausländerbehörde schriftlich aufgefordert, sich zu den Zweifeln an der Echtheit der Vaterschaftsanerkennung zu äußern. Die Behörde wies darauf hin, dass sie den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ablehnen würde, sollte die Klägerin keinen Vaterschaftstest durchführen lassen.

Gutachten des Landeskriminalamtes und strafrechtliche Verurteilung

Im Zuge des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens gegen die Klägerin und Herrn Q. wurde ein Gutachten des Landeskriminalamtes eingeholt, das am 1. September 2004 zu dem Ergebnis kam, dass Herr Q. nicht der biologische Vater des Kindes sei. Daraufhin wurden die Klägerin und Herr Q. strafrechtlich belangt. Das Amtsgericht N. verurteilte die Klägerin wegen eines Verstoßes gegen das Ausländergesetz zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 Euro. Herr Q. wurde in zwei Fällen wegen eines Verstoßes gegen das Ausländergesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Trotz dieser Verurteilungen wurde der Klägerin weiterhin eine Duldung ihres Aufenthalts gewährt.

Weitere Anträge und Ablehnung durch die Ausländerbehörde

Im Januar 2009 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Sie begründete diesen mit ihrer Mutterrolle für ein deutsches Kind. Im Dezember 2009 beantragte sie zudem, die Aufenthaltserlaubnis rückwirkend ab dem 22. Januar 2003 zu erteilen, also ab dem Zeitpunkt, zu dem das Kind geboren wurde. Nach einer erneuten Anhörung der Klägerin lehnte die Ausländerbehörde den Antrag am 15. Juni 2010 endgültig ab. Die Behörde erkannte zwar an, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG vorlägen, und das Kind durch die wirksame Vaterschaftsanerkennung die deutsche Staatsangehörigkeit besäße. Jedoch führte sie an, dass der Ausschlusstatbestand des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG zur Anwendung komme. Die Behörde argumentierte, dass das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Herrn Q. und dem Kind ausschließlich zu dem Zweck begründet worden sei, der Klägerin den Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Somit läge eine missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung vor.

Die Ausländerbehörde führte weiter aus, dass eine rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht möglich sei, da dies nur bei rechtzeitiger Antragstellung erfolgen könne. Auch nach der alten Rechtslage gemäß § 17 Abs. 5 AuslG 1990 habe kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestanden.

Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen

Die Klägerin legte gegen die ablehnende Entscheidung der Ausländerbehörde Klage beim Verwaltungsgericht ein, das die Klage jedoch abwies. Daraufhin legte die Klägerin Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen ein. Das OVG urteilte, dass die Klägerin einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG habe. Das Gericht stellte fest, dass das Kind der Klägerin aufgrund der formell wirksamen Vaterschaftsanerkennung durch Herrn Q. die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe. Da das Kind minderjährig, ledig und in Deutschland wohnhaft sei, habe die Klägerin als sorgeberechtigte Mutter einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Das Gericht stellte ferner fest, dass der Ausschlusstatbestand des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG hier nicht zur Anwendung kommen könne. Zwar lasse der Wortlaut der Vorschrift eine Erstreckung auf missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen zu, doch widerspreche eine solche Auslegung dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Nach Ansicht des OVG sollte das Problem missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen nicht über das Aufenthaltsrecht, sondern über das zivilrechtliche Anfechtungsrecht gelöst werden. Die Ausländerbehörde hätte daher anstelle der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis eine Anfechtungsklage gegen die Vaterschaft einleiten müssen. Da dies nicht geschehen sei, sei die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

Das OVG entschied schließlich, dass alle weiteren Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG vorlägen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG sei die Aufenthaltserlaubnis abweichend von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts zu erteilen, wenn die Klägerin als sorgeberechtigter Elternteil eines minderjährigen deutschen Kindes im Bundesgebiet lebe.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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