Bundesverwaltungsgericht, 22.02.2017, Az.: BVerwG 1 C 3.16
Die Ausweisung eines Ausländers dient der Aufenthaltsbeendigung. Für die Ausweisung ist ein überwiegendes Ausweisungsinteresse Voraussetzung. Das Ausweisungsinteresse wiegt gem. § 54 Abs. 1 AufenthG besonders schwer, wenn der Ausländer beispielweise wegen einer oder mehreren vorsätzlichen Straftaten zu einer Freiheiststrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist.
Anerkannte Flüchtlinge sowie Asylberechtigte genießen einen besonderen Ausweisungsschutz – jedoch nicht subsidiär Geschützte. Nach § 53 Abs. 3 AufenthG dürfen Asylberechtigte und Flüchtlinge nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, welche ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die vorliegende Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
Hintergrund und Persönliche Situation des Klägers
Der Kläger ist ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Herkunft, der seit über 20 Jahren in Deutschland lebt. Gemeinsam mit seiner Frau und seinen sieben Kindern führte er in Deutschland ein Leben, nachdem ihm im Jahr 1997 die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 51 Abs. 1 des damaligen Ausländergesetzes aufgrund seines prokurdischen Engagements in der Türkei zuerkannt worden war. Seine Fluchtgründe beruhten auf einer drohenden Verfolgung wegen seiner politischen Aktivitäten, insbesondere aufgrund seines Einsatzes für kurdische Rechte. Daher wurde für ihn ein Abschiebungsverbot verhängt, das sich auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) stützte. Im Jahr 2009 erhielt er eine Niederlassungserlaubnis, die ihm einen unbefristeten Aufenthalt in Deutschland ermöglichte.
Ausweisung aufgrund von Terrorismusvorwürfen
Im Januar 2012 wurde gegen den Kläger eine Ausweisung ausgesprochen, da ihm vorgeworfen wurde, die als terroristisch eingestufte Organisation PKK zu unterstützen. Diese Ausweisung wurde nicht nur durch den bloßen Verdacht ausgelöst, sondern durch umfangreiche Beweise, die seine Unterstützung über mehr als zehn Jahre nachwiesen. Unter anderem war er Vorstandsmitglied in PKK-nahen Vereinen und trat als Redner auf Veranstaltungen auf, die der PKK zugerechnet wurden. Trotz dieser schwerwiegenden Vorwürfe und der damit verbundenen Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wurde eine tatsächliche Abschiebung aufgrund des weiterhin bestehenden Flüchtlingsstatus und des daraus resultierenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht durchgeführt.
Gerichtliche Auseinandersetzung über die Ausweisung
Der Kläger klagte gegen die Ausweisung und die damit verbundenen Auflagen, die seinen Aufenthalt auf die Stadt Mannheim beschränkten und ihn zur regelmäßigen Meldung bei der Polizei verpflichteten. Die Vorinstanzen gaben der Klage teilweise statt, indem sie die Ausländerbehörde verpflichteten, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf acht Jahre zu befristen. Jedoch stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass eine neue Ermessensentscheidung durch die Ausländerbehörde notwendig sei, da die rechtlichen Grundlagen für die Ausweisung sich mittlerweile geändert hatten. Seit dem 1. Januar 2016 gilt ein neues Ausweisungsrecht, das für türkische Staatsangehörige aufgrund der Stillhalteklausel des Assoziationsrechts EWG-Türkei keine Verschlechterung darstellt.
Bundesverwaltungsgericht und Rechtslage
Das Bundesverwaltungsgericht stützte seine Entscheidung auf die Tatsache, dass der Kläger aufgrund seiner langjährigen Unterstützung der PKK eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands darstelle. Es stellte fest, dass ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliege. Trotz der Flüchtlingseigenschaft und der damit verbundenen Schutzrechte sei die Ausweisung verhältnismäßig, da die nationale Sicherheit ein höheres Gut darstelle.
Zwar könne der Kläger aufgrund des Abschiebungsverbots nicht tatsächlich abgeschoben werden, doch führt die Ausweisung automatisch zum Erlöschen seines Aufenthaltstitels. Dies bedeutet, dass ihm bestimmte Rechte entzogen werden können, obwohl er weiterhin als Flüchtling anerkannt ist. Gleichzeitig erlaubt die EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU die Ausweisung von Flüchtlingen, wenn zwingende Gründe der nationalen Sicherheit vorliegen. Der Kläger behält jedoch weiterhin Rechte, die ihm als Flüchtling zustehen, wie das Recht auf Arbeit und Bildung.
Auswirkungen und Weiteres Vorgehen
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis der Ausländerbehörden. Es wird klargestellt, dass trotz des Schutzes, den die EMRK und die EU-Richtlinien bieten, die nationalen Sicherheitsinteressen Vorrang haben können. Das Gericht verpflichtete die Ausländerbehörde, eine neue Ermessensentscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu treffen, was zeigt, dass individuelle Umstände weiterhin Berücksichtigung finden müssen.
Die Meldeauflagen und die räumliche Beschränkung des Aufenthalts des Klägers bleiben bestehen, da diese Maßnahmen laut Gesetz auch gegenüber rechtmäßig in Deutschland lebenden Ausländern aus Gründen der öffentlichen Sicherheit angewendet werden dürfen. Dies ist durch § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gedeckt.
Schlussfolgerung
Der Fall verdeutlicht die komplexe Balance zwischen individuellen Schutzrechten und den Erfordernissen der nationalen Sicherheit. Obwohl dem Kläger aufgrund seiner Flüchtlingseigenschaft bestimmte Rechte zustehen, zeigt die Ausweisung, dass diese Rechte unter bestimmten Umständen eingeschränkt werden können. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts unterstreicht die Bedeutung der Sicherheit für den deutschen Staat und weist gleichzeitig auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung hin, um den rechtlichen Schutz von Flüchtlingen nicht unnötig zu gefährden.
Quelle: Bundesverwaltungsgericht
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