Ausländerrecht: Aufenthaltserlaubnis wegen nachhaltiger Integration ist bei Vereitelung der Ausreise zu versagen.
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Ausländerrecht
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von: Helmer Tieben

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluß vom 9.4.2019, Az.: 11 S 2868/18

In § 25b AufenthG ist geregelt, dass Menschen mit einer Duldung, die sich seit längerer Zeit in Deutschland aufhalten, unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie sich nachhaltig in die hiesigen Gesellschafts- und Lebensverhältnisse integriert haben.

Die in § 25b AufenthG genannten Voraussetzungen sind:

– der Ausländer muss seit mindestens acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem minderjährigen ledigen Kind in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben

– der Ausländer muss sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügen,

– der Ausländer muss seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichern oder bei der Betrachtung der bisherigen Schul-, Ausbildungs-, Einkommens- sowie der familiären Lebenssituation ist zu erwarten, dass er seinen Lebensunterhalt im Sinne von § 2 Absatz 3 sichern wird, wobei der Bezug von Wohngeld unschädlich ist,

– der Ausländer muss über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt und

– bei Kindern im schulpflichtigen Alter deren tatsächlichen Schulbesuch nachweisen.

Selbst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis allerdings dann zu versagen, wenn der Ausländer die Aufenthaltsbeendigung durch vorsätzlich falsche Angaben, durch Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit oder Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen verhindert oder verzögert hat.

In dem hier besprochenen Fall war der Antrag des Ausländers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG abgelehnt worden, weil die Ausländerbehörde davon ausgegangen war, dass der aus Kamerun stammende Kläger nicht alles ihm Zumutbare getan habe, um das Ausreisehindernis des fehlenden Rückreisedokuments zu beseitigen.  Dieser Ansicht hatte sich das zunächst angerufene Verwaltungsgericht angeschlossen und die Klage des Klägers abgewiesen. Hiergegen richtete sich die Berufung des Klägers zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Der VGH Baden-Württemberg entschied nun, dass der Antrag auf Zulassung der Berufung zwar zulässig, jedoch unbegründet sei. Die Berufung sei nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) würden dann vorliegen, wenn unter Berücksichtigung der vom Antragsteller dargelegten Gesichtspunkte (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedürfe, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich sei (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10.03.2004 – 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838; vom 15.12.2003 – 7 AV 2.03 -, NVwZ 2004, 744; vom 12.11.2002 – 7 AV 4.02 -, juris; vom 11.11.2002 – 7 AV 3.02 -, DVBl. 2003, 401 und vom 14.06.2002 – 7 AV 1.02 -, DVBl. 2002, 1556).

Mit anderen Worten: Sie seien immer schon dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.07.2013 – 1 BvR 3057/11 -, BVerfGE 134, 106 <118 Rn. 36>; Beschluss vom 08.12.2009 – 2 BvR 758/07 -, BVerfGE 125, 104 <140>; Beschluss vom 03.03.2004 – 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77). Dabei sei davon auszugehen, dass das Zulassungsverfahren das Berufungsverfahren nicht vorwegnehmen solle (BVerfG, a.a.O., BVerfGE 134, 106 <119 Rn. 40>, es sei denn, es lasse sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen, das Verwaltungsgericht habe die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden und die angestrebte Berufung werde deshalb keinen Erfolg haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2004, a.a.O.), sofern nicht seinerseits andere Gründe wiederum auf einen anderen Zulassungsgrund hinführen würden (vgl. hierzu Stuhlfauth, in: Bader u.a., VwGO, 7. Aufl. (2018), § 124 Rn. 22). Dabei seien auch nach Erlass der angegriffenen Entscheidung und bis zum Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) neu eingetretene Tatsachen sowie erhebliche Änderungen des maßgeblichen Rechts zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14.06.2002 und vom 15.12.2003, jew. a.a.O.; Stuhlfauth, a.a.O., § 124 Rn. 26 ff.)

Zur Darlegung ernstlicher Zweifel sei eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung erforderlich. Der Streitstoff müsse dabei unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil gesichtet, rechtlich durchdrungen und aufbereitet werden; erforderlich sei eine fallbezogene Begründung, die dem Berufungsgericht eine Beurteilung der Zulassungsfrage ohne weitere eigene aufwendige Ermittlungen ermöglichen würde. Das Maß der zu leistenden Substantiierung könne dabei von der jeweiligen Begründungsdichte und dem Begründungsaufwand der Entscheidung abhängig sein

Gemessen hieran, zeige der Kläger mit seiner Antragsbegründung keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils auf.

Er berufe sich darauf, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht den Versagungsgrund des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG angenommen habe. Er, der Kläger, habe jedoch auf die Nichtausstellung eines Reisepasses durch die Botschaft Kameruns keinen Einfluss, da die Botschaft das Ergebnis der Klageverfahren habe abwarten wolle (Mitteilung des Regierungspräsidiums an das Verwaltungsgericht vom 21.02.2018)

Mit diesem Vorbringen würden die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts dazu, dass der Kläger (auch aktuell) nicht alles ihm Zumutbare tue, um das Ausreisehindernis des fehlenden Rückreisedokuments zu beseitigen, nicht erfolgreich in Zweifel gezogen. Denn ausweislich der verwaltungsgerichtlichen Akten in diesem (12 K 5834/17), wie auch in den vorangegangenen Verfahren (9 K 2394/14 und 11 S 1562/16), habe der Kläger zu keinem Zeitpunkt substantiiert dargelegt, sich um die Ausstellung eines Ausweispapiers in ausreichender und zumutbarer Weise bemüht zu haben

§ 3 Abs. 1 AufenthG statuiere die Passpflicht, die zu den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG gehöre. Diese Pflicht werde durch die Mitwirkungsverpflichtungen nach § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bei der Beschaffung des Identitätspapiers flankiert. Ein ausreisepflichtiger Ausländer habe daher alle zur Erfüllung seiner Ausreisepflicht erforderlichen Maßnahmen, und damit auch die zur Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapiers, grundsätzlich ohne besondere Aufforderung durch die Ausländerbehörde unverzüglich einzuleiten. Zweifel in Bezug auf die Unmöglichkeit einer Passbeschaffung würden zu Lasten des Ausländers gehen, weil er generell und damit insbesondere auch – wie hier – im Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für die ausschließlich seinem Einflussbereich unterliegenden, ihm günstigen Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig sei und dies auch in Ansehung einer für ihn möglicherweise schwierigen Beweissituation gelte (OVG NRW, Beschlüsse vom 18.09.2006 – 18 A 2388/06 -, BeckRS 2006, 26479, vom 05.06.2008 – 18 E 471/08 -, juris, und vom 21.08.2014 – 18 A 1668/12 -, BeckRS 2014, 119408)

Etwas Anderes gelte hier nicht, weil § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG als Versagungsnorm ausgestaltet sei. Denn die Vorschrift knüpfe an die allgemeinen Obliegenheiten und Mitwirkungspflichten des Ausländers an, die ausschließlich dessen Einflussbereich unterliegen würden und der Behörde regelmäßig nicht bekannt sein könnten. Dass der Ausländer diesen Pflichten in ausreichender und zumutbarer Weise nachzukommen versucht habe, hatbe er daher zunächst darzulegen und gegebenenfalls zu belegen. Erst wenn er die aufgezeigten (üblichen) Mitwirkungshandlungen und Obliegenheiten erfüllt habe, trage die Ausländerbehörde die Darlegungs- und Beweislast dafür, welche konkreten weiteren und nicht von vornherein aussichtslosen Mitwirkungshandlungen der Betroffene zur Beseitigung des Ausreisehindernisses noch unternehmen könne (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.09.2006, a.a.O., m.w.N.)

Davon ausgehend fehle es im Fall des Klägers auch mit Blick auf das Zulassungsvorbringen an jeder nachvollziehbaren und damit bewertbaren Darlegung seiner konkreten Bemühungen um die Ausstellung eines Passes oder Passersatzpapieres, und dies durchgängig seit dem Verfahren im Jahre 2014 (vgl. hierzu den Beschluss des Senats vom 22.09.2016 im Verfahren 11 S 1562/16) bis heute. Es liege davon ausgehend für den Senat auf der Hand, dass das Entscheidungsverhalten der Botschaft Kameruns auf Umständen beruhen könne, die der Kläger beeinflussen könnte, wenn er es denn wollte. Der Senat habe schon in seinem Beschluss vom 22. September 2016 darauf hingewiesen, dass ein konkreter Vortrag zu Bemühungen des Klägers um die Ausstellung eines Passes umso mehr erforderlich gewesen sei, als ihm im Jahre 2010 ein Nationalpass ausgestellt worden sei. Daran habe sich nichts geändert. Die nach all dem begründeten Zweifel daran, dass sich der Kläger in ausreichender und zumutbarer Weise um die Ausstellung eines Passes bemüht habe, gingen daher zu seinen Lasten

Unbeschadet dessen sei für den Senat nicht zu erkennen, womit sich vorliegend die von § 25b AufenthG vorausgesetzte nachhaltige Integration des Klägers in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland begründen ließe. Der Kläger erfüllte die regelhaft vorausgesetzte eigenverantwortliche Sicherung seines Lebensunterhalts nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG seit vielen Jahren nicht. Soweit dies – inzwischen – auf dem Umstand beruhe, dass ihm die Erwerbstätigkeit mangels Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung nicht mehr gestattet werde, müsse er sich dies entgegenhalten lassen

Und selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass der Kläger den Ausschlusstatbestand des § 25b Abs. 2 Nr. 1 3. Alt. AufenthG nicht erfüllen würde, wäre sein bisheriges Verhalten bei der Passbeschaffung zu berücksichtigen. Dies zum einen bei der Anwendung des § 25b AufenthG als Sollvorschrift (a) und zum anderen im Rahmen der Prüfung des Vorliegens der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, von der im Ermessenwege abgesehen werden kann. In der Ausgestaltung des § 25b Abs. 1 AufenthG als Sollregelung seien atypische Fälle angelegt. Die Vorschrift setze eine gelungene Integration voraus, die – regelhaft – durch die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen umschrieben werde. Gleichwohl bedürfe es einer Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls. Die damit erforderliche Bewertung sei in der Normstruktur auch im Rahmen der Rechtsfolgenregelung als Sollbestimmung angelegt (vgl. Göbel-Zimmermann/Eichhorn/Beichel-Benedetti, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 2018, S. 237 Rn. 893, m.w.N.). Eine „Sperrwirkung“ des Ausschlusstatbestandes im Falle früherer Verweigerung von Mitwirkungshandlungen lasse sich danach nicht begründen. Mit den ausdrücklich benannten Integrationsforderungen und Versagungsgründen hatbeder Gesetzgeber den Maßstab für den Regelfall vorgegeben, Ausnahmen seien in der Rechtsfolgenregelung zu verorten (Göbel-Zimmermann/Eichhorn/Beichel-Benedetti, a.a.O., S. 240 Rn. 903). Davon ausgehend lasse sich angesichts des bisherigen Verhaltens des Klägers eine gelungene Integration nicht erkennen

Und schließlich sei nicht zu erkennen, dass die Beklagte im konkreten Fall von der Erfüllung der Passpflicht als Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG im Ermessenswege nach Absatz 3 Satz 2 der Vorschrift hätte absehen müssen

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg

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