Ausländerrecht: Die erfolgreiche Berufung im Ausländerrecht setzt einen Zulassungsgrund voraus. - MTH Rechtsanwälte Köln
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Ausländerrecht
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von: Helmer Tieben

Verwaltungsgerichtshof München, Beschluss v. 02.04.2020, Az.: 10 ZB 19.1552

Wird im Ausländerrecht, welches dem Verwaltungsrecht zugehörig ist, ein negatives Urteil gefällt,  besteht immer noch die Möglichkeit, einen Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen, über welchen das Oberverwaltungsgericht entscheidet.

Im vorliegenden Fall erhob der Kläger einen Antrag auf Zulassung der Berufung, welcher zwar zulässig, aber als unbegründet abgewiesen wurde, da die vom Kläger vorgelegten Zulassungsgründe nicht ausreichend durchgriffen. Es konnten weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) oder Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) festgestellt werden.

Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:

Das Verwaltungsgericht München hatte dem Kläger seinen Anspruch nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (unabhängig vom Aufenthaltszweck) verneint, da ihm nach §11 Abs. 1 AufenthG kein Aufenthaltstitel erteilt werden dürfe und zudem ein Ausweisungsinteresse bei ihm bestand (§5 I Nr. 2 AufenthG).

Am 30. November 2011 erfolgte eine mündliche Verhandlung, in welcher der Kläger seine Klage zurücknahm, woraufhin er mit Bescheid vom 18. Juli 2011, welcher am 30.11.2011 bestandskräftig wurde, ausgewiesen wurde. Der Kläger reiste bisher noch nicht aus, weshalb auch die auf drei Jahren angelegte Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots, welche in Nr. 3 des Bescheids vom 18. Juli 2011 festgelegt wurde, noch nicht ablief.

Anderweitiges ergab sich auch nicht aus der mündlichen Verhandlung des 30. November 2011, in der eine Bewährungsduldung mit einer Bewährungszeit von 5 Jahren vereinbart wurde.

Voraussetzung für diese war zum einen der „Nachweis der Straffreiheit“ (Nr. 1). Die Beklagte hatte die Bewährungsduldung nur unter der Voraussetzung gewährt, alle strafrechtlich relevanten Vorgänge, also auch etwaige offene Strafverfahren oder bislang von den Strafverfolgungsbehörden noch nicht aufgegriffene Taten, zu kennen.

Kläger hatte mehrere strafrechtliche Verurteilungen

Der Kläger jedoch hatte verschwiegen, dass er im Zeitraum vom 30. September 2009 bis 31. März 2011 insgesamt 122 falsche Rechnungen ausgestellt hatte und somit zu Unrecht zwischen 30.000 und 35.000 Euro erworben hatte. Die diesbezüglichen strafrechtlichen Ermittlungen wurden noch während der vereinbarten Bewährungszeit von 5 Jahren am 12. Mai 2014 eingeleitet. Das Strafurteil des Landgerichts Augsburg hingegen, (in dem der Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten auf Grund von Urkundenfälschung in 18 Fällen verurteilt wurde), erfolgte erst am 14. Juni 2017, d.h. nachdem die Bewährungszeit bereits abgelaufen war. Das Verwaltungsgericht München urteilte, dass das nach der Bewährungszeit erteilte Strafurteil diesbezüglich aber keine Rolle spiele. Hiergegen wendete der Kläger nun ein, die Voraussetzung der Nr.1 erfüllt zu haben, da die Straftaten zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Bewährungsduldung vom Verwaltungsgericht noch nicht entdeckt wurden und keine Verpflichtung zur Offenbarung dieser von Seiten des Klägers bestünde. Zudem hatte er nach Abschluss der Vereinbarung der Bewährungsduldung keine weiteren Straftaten begangen.

Eine weitere Voraussetzung für die in der mündlichen Verhandlung des 30. Novembers 2011 vereinbarten Bewährungsduldung war die „Schuldenfreiheit gegenüber der öffentlichen Hand“ (Nr.4).

Kläger hatte darüber hinaus Steuerschulden in Höhe von EUR 200.000

Das Landgericht Augsburg stellte mit dem Strafurteil vom 14. Juni 2017 fest, dass der Kläger Steuerschulden in Höhe von 200.000 Euro hatte. Das Verwaltungsgericht München urteilte somit, dass ebenfalls ein Versagungsgrund gemäß §5 Abs.1 Nr. 2 AufenthG bestünde. Demnach darf kein Ausweisungsinteresse bestehen. Durch die Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten aber läge jedoch ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG vor. Da er Wiederholungstäter sei, bestehe auch die Gefahr, erneut straffällig zu werden und sich weitere Geldquellen mit strafrechtlicher Relevanz zu erschließen. Gegen seine Ehefrau und ihn sei derzeit ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche anhängig. Ein atypischer Ausnahmefall, der ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung gebieten würde, liege nicht vor. Der familiären Situation des Klägers (Ehefrau und vier minderjährige Kinder) sei mit seiner Duldung nach § 60a AufenthG auch mit Blick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK hinreichend Rechnung getragen worden.

Hierzu wendete der Kläger gegen das Verwaltungsgericht ein, dass ihm über die Steuerschulden in Höhe von 200.000 Euro nichts bekannt gewesen war da der Fiskus bisher nicht an ihn herangetreten war und keine aussagekräftigen Unterlagen diesbezüglich vorhanden lägen.

Urteil des Verwaltungsgerichtshofs München

Das VGH München urteilte nun, dass die Klage zwar zulässig, aber nicht begründet gewesen sei.

Berufungsgericht sah keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils

Um eine Berufung zuzulassen müssen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen. Dies ist der Fall, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33).

Das Verwaltungsgerichtshof München jedoch urteilte, dass dies nicht der Fall gewesen sei da die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes tragende Annahme, dass der begehrten Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis infolge der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 18. Juli 2011 die Titelerteilungssperre gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG entgegenstünde,  durch den Kläger nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wurde. Zum einen hatte der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 30. November 2011 lediglich erklärt: „Die Beklagte ist bereit, gegen Klagerücknahme und unter folgenden weiteren Voraussetzungen dem Kläger für die Dauer von fünf Jahren wiederholt (auf jeweils ein Jahr) Bewährungsduldungen, die ihm zugleich die Erwerbstätigkeit gestatten, zu erteilen: … (Es folgen die Voraussetzungen Nr. 1. bis 4., deren Vorliegen der Kläger jeweils vor Verlängerung der Duldung erbracht haben muss).“ Eine (weitergehende) Regelung bzw. Zusicherung bezüglich der Ausweisungsverfügung und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist dagegen ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 30. November 2011 nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut dieser Erklärung nicht erfolgt. Dass VGH München erklärte weiter, selbst wenn man die Prozesserklärung der Beklagten vom 30. November 2011 jedoch entsprechend §§ 133, 157 BGB auch dahingehend verstehen wollte, dass sie unter den in der Erklärung genannten vier Voraussetzungen nach Ablauf der Bewährungszeit von fünf Jahren auch nicht mehr an ihrer Ausweisungsverfügung festhalten bzw. diese dem Kläger nicht mehr entgegenhalten werde, ergäbe sich nicht der vom Kläger behauptete Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Das VGH München bekräftigte somit die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger weder die Voraussetzung der Nr.1 „Nachweis der Straffreiheit (Vorsatzstraftaten)“ noch der Nr. 4. „Nachweis der Schuldfreiheit gegenüber der öffentlichen Hand“ erfüllt habe.

Nach Ansicht des Gerichts hatte Kläger den Nachweis der Straffreiheit nicht erbracht

Der Kläger habe den Nachweis der Straffreiheit nicht erbracht, da er mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 14. Juni 2017, welches ab dem 22.06.2017 rechtskräftig wurde, wegen Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten (ausgesetzt zur Bewährung mit einer Bewährungszeit von vier Jahren) verurteilt wurde. Unabhängig von der Frage, ob der Kläger im Zeitpunkt der Vereinbarung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 30. November 2011 bereits auf diese damals noch nicht angeklagten Straftaten (Urkundenfälschungen) wegen ihrer möglichen Relevanz für eine Bewährungsduldung hätte hinweisen müssen sei letztlich entscheidend gewesen, dass der Kläger nach dem Zeitpunkt der Vereinbarung erneut wegen Vorsatzstraftaten verurteilt wurde. Unerheblich sei in dem Sinne auch, dass der Kläger die Straftaten noch vor der mündlichen Verhandlung vom 30. November 2011 und den entsprechenden Prozesserklärungen der Parteien begangen hatte. Das VGH urteilte, dass das Verwaltungsgericht zu Recht darauf verwiesen habe, dass es bei einer „Bewährungsduldung“, bei der die Behörde unter bestimmten Voraussetzungen für einen festgelegten Zeitraum den Vollzug der Aufenthaltsbeendigung, welche mit einer Ausweisung verbunden ist, aussetzt um den Betroffenen die Gelegenheit der Bewährung und damit einer Grundlage für einen weiteren (legalen) Aufenthalt zu ermöglichen, für die Voraussetzung der „Straffreiheit“ ausschlaggebend sei, dass nicht weitere Ausweisungsgründe bzw. -interessen (s. § 54 AufenthG) vorliegen oder entstehen. Auf Grund des Strafurteils des Landgerichts Augsburgs vom 14. Juni 2017 aber sei genau dies der Fall gewesen.

Laut dem VGH München sei auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die nach Nr. 4 vorbringende Voraussetzung der „Nachweis der Schuldfreiheit gegenüber der öffentlichen Hand“ nicht vorliege, nicht rechtlich zu beanstanden gewesen sei. Der Einwand des Klägers, von im Strafurteil vom 14. Juni 2017 angeführten Steuerschulden in Höhe von 200.000 Euro sei ihm „nichts bekannt“ und der Fiskus sei bis jetzt nicht an ihn „herangetreten“, weshalb er diese Schulden „bestreite“, verkennt seine in dieser Voraussetzung festgelegte Nachweispflicht.

Auch bestand hinsichtlich der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine Titelerteilungssperre

Da in diesem Fall bereits die Titelerteilungssperre gemäß §11 Abs. 1 AuenthG durchgriff, kam es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob das durch die strafrechtliche Verurteilung vom 14. Juni 2017 indizierte Ausweisungsinteresse (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG) auch aktuell noch bestand und ob gegebenenfalls ein atypischer Fall vorliege, der eine Ausnahme von dieser Regelerteilungsvoraussetzung (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) gebieten würde.

Ein weiterer Grund, um eine Berufung zuzulassen ist die der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2019 – 10 ZB 18.1768 – Rn. 11; B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris Rn. 10; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72).

Zulassungsvorbringen des Klägers war nicht ausreichend

Diesen Anforderungen genügte das Zulassungsvorbringen, der Frage der Bindungswirkung einer Vereinbarung bezüglich Straffreiheit in der vorliegenden Fallkonstellation komme mangels obergerichtlicher Entscheidungen grundsätzliche Bedeutung zu, nicht. Schon die Formulierung der Frage zielte auf die einzelfallbezogene Auslegung einer Prozesserklärung ab. Ein weitergehender Klärungsbedarf wurde nicht aufgezeigt.

Auch den Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) genügte die Zulassungsbegründung nicht. Diese erfordert, dass ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender Rechts- oder Tatsachensatz bezeichnet wird, mit dem die Vorinstanz von einem in der Rechtsprechung eines übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift abgewichen ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Die divergierenden Sätze sind einander so gegenüberzustellen, dass die Abweichung erkennbar wird (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 22.3.2019 – 10 ZB 18.2598 – juris Rn. 18; B.v. 18.4.2019 – 10 ZB 18.2660 – juris Rn. 9 m.w.N.). Daran fehlte es hier.

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