Ausländerrecht: Erfolgreiche Klage gegen die Wohnsitzauflage - MTH Rechtsanwälte Köln
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Ausländerrecht
Veröffentlicht:
von: Helmer Tieben

Verwaltungsgericht Aachen, Urteil vom 13.04.2023, Az.: 4 K 2548/22

Die Wohnsitzauflage (Residenzpflicht) kann durch die Behörde erlassen werden und bezieht sich auf die örtliche Beschränkung und bedeutet, dass man einen bestimmten (räumlichen) Bereich nicht verlassen darf.

Die räumliche Beschränkung und ihr werden in den Nebenbestimmungen in der Duldung oder der Aufenthaltsgestattung vermerkt. Sie kann auf Antrag aufgehoben werden.  Gründe dafür sind zum Beispiel familiäre Gründe, berufliche Gründe, die Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses.

In dem hier vorgestellten Fall beantragte der Kläger die Aufhebung der Wohnsitzauflage, als die Behörde dies ablehnte, klagte er.

Sachverhalt des Falles:

Der Kläger war Staatsangehöriger Guineas. Er war im Dezember 2016 in das Bundesgebiet ein und hatte einen Asylantrag gestellt, welcher vom BAMF als unzulässig abgelehnt worden war. Trotz Anordnung der Abschiebung wurde der Kläger nicht nach Italien abgeschoben.

Nach erfolgloser Asylentscheidung erteilte die Bezirksregierung dem Kläger eine Wohnsitzauflage

Mit Bescheid der Bezirksregierung C. vom 26. April 2017 wurde der Kläger der Stadt B. im Kreis A. zugewiesen (Wohnsitzauflage) und verpflichtete ihn gemäß §60 Abs. 1 AsylG, an diesem Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen.

Daraufhin stellte der Kläger bei der Bezirksregierung C. einen „Antrag auf Umverteilung gemäß §§ 50 / 51 Asylgesetz (AsylG) innerhalb NRW“.

Kläger war berufspflichtig und sein Arbeitsweg wurde dadurch erheblich verlängert

Zur Begründung hatte er unter Verweis auf Gehaltsabrechnungen für die Monate August 2021, Oktober 2021 und September 2022 im Wesentlichen angegeben, er habe bis vor ein paar Monaten in B. gewohnt und drei Stunden benötigt, um zur Arbeit zu kommen. Er habe nun eine Wohnung, die es ihm ermögliche, in 30 Minuten pünktlich bei der Arbeit zu sein.

Diesen Antrag lehnte er Beklagte ab und führte dazu im Wesentlichen aus, dass zwar nach ständiger Verwaltungspraxis eine asylrechtliche Neuzuweisung (Umverteilung) an den Ort der Arbeitsstätte erfolgen könne.

Behörde meinte, dem Kläger könne der lange Arbeitsweg zugemutet werden

Im Falle des Klägers könne diesem aber der lange Weg zur Arbeit zugemutet werden, denn sein persönliches Interesse müsse für die Übergangszeit des Asylverfahrens hinter dem öffentlichen Interesse an einer gleichmäßigen Verteilung von Asylbewerbern auf die Städte und Gemeinden zurückstehen.

Hier gegen klagte der Kläger beim Verwaltungsgericht Aachen

Verwaltungsgericht Aachen:

Das Gericht folgte der Ansicht des Klägers und urteilte, dass seine Klage gegen die Wohnsitzauflage Erfolg hat.

Die beanstandete Zuweisungsentscheidung der Bezirksregierung C. vom 26. April 2017 beruhe auf § 50 AsylG. Nach § 50 Abs. 4 Satz 1 AsylG erlasse die zuständige Behörde die Zuweisungsentscheidung. Nach der Rechtsprechung stünde die Entscheidung über die Zuweisung und damit auch über deren Änderung im Rahmen der landesinternen Verteilung von Asylbewerbern im weiten Ermessen der zuständigen Behörde.

Gericht urteilte, dass die Behörde humanitäre oder andere Gründe berücksichtigen müsse

Eine einfachgesetzliche Bindung des Entscheidungsspielraums der Behörde enthalte lediglich § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG, wonach die Behörde bei der Zuweisung die Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG oder sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht berücksichtigen müsse.

Bei Krankheit, Alter, Gebrechlichkeit etc. können familiäre Gründe berücksichtigt werden

Im Falle der Aufhebung der Wohnsitzzuweisung müsse ein Ausnahmefall vorliegen. Besondere Gründe, die zu einem Anspruch auf Umverteilung führen können, würden z. B. vorliegen, wenn die betreffenden Personen aufgrund von Krankheit, Schwangerschaft, Alter, Gebrechlichkeit oder sonstiger Defizite auf die Lebenshilfe anderer angewiesen seien und damit in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis stünden. Die familiäre Beziehung müsse in diesem Fall ein ähnliches Gewicht aufweisen, wie das Verhältnis zwischen Ehegatten oder zwischen Eltern und minderjährigen Kindern, und es müsse Lebenshilfe in erheblichem Umfang erbracht werden.

Daneben habe der Gesetzgeber bei der Neufassung der Vorschrift zum 1. Januar 2015 in der Gesetzesbegründung festgehalten, dass zu den erheblichen persönlichen Gründen, die zu einem Anspruch auf Umverteilung führen können, z. B. auch besonderer Schutzbedarf, eine konkret bestehende Ausbildungsmöglichkeit oder eine konkrete Möglichkeit der Erwerbstätigkeit zählen.

Insofern habe der Kläger ein Recht darauf, dass die Wohnsitzzuweisung aufgehoben werde. Die behördliche Aufhebung der Wohnsitzauflage erfolge als Rücknahme auf Grundlage des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW. Dieser kommt auch zur Anwendung, wenn ein ursprünglich rechtmäßiger belastender Dauerverwaltungsakt – wie hier (dazu sogleich) – im Zuge einer Veränderung der ihm zugrunde liegenden Umstände rechtswidrig werde.

Weil der Kläger nun einen gut bezahlten sicheren Job habe, sei die Wohnsitzauflage rechtswidrig geworden

Die Wohnsitzauflage sei nach ihrem Erlass rechtswidrig geworden, da die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AsylG nicht mehr vorliegen würden. Nach dieser Vorschrift werde ein Ausländer, der – wie der Kläger – nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, und dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist (§ 2 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG -), verpflichtet, an dem in der Verteilentscheidung genannten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen (Wohnsitzauflage).

Der Kläger habe dargelegt, dass sein Lebensunterhalt i. S. d. § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert sei. Dies ist nach dieser Vorschrift der Fall, wenn der Ausländer seinen Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten könne

Diesen Bedarf könne der Kläger durch die durch ihn ausgeübte Erwerbstätigkeit aktuell und voraussichtlich auch in Zukunft decken. Dabei sei von den Grundsätzen der §§ 82 ff. SGB XII auszugehen, die wegen § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG vorliegend Anwendung finden würden.

Die Wohnsitzauflage stelle – auch wenn sich der Kläger nicht unmittelbar auf die durch Art. 11 Abs. 1 GG nur Deutschen vorbehaltene Freizügigkeit im Bundesgebiet berufen könne – eine nicht unerhebliche Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) in Form eines Dauerverwaltungsakts dar. Im konkreten Fall des Klägers trete erschwerend hinzu, dass sie durch ihre Dauer eine erheblich überdurchschnittliche Belastung darstelle. Der Kläger sei bereits Ende des Jahres 2016 eingereist, die Wohnsitzauflage bestünde seit April 2017. Entgegen der üblichen Verfahrenslaufzeiten beim Bundesamt liege eine Entscheidung über seinen Asylantrag weiterhin nicht vor.

Im Ergebnis war die Wohnsitzauflage aufzuheben.

Quelle: Verwaltungsgericht Aachen

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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