Bundesverwaltungsgericht, 25.03.2015, Az.: BVerwG 1 C 19.14
Seit 1963 gibt es zwischen der Europäischen Union und der Türkei ein Abkommen, welches türkischen Staatsangehörigen wegen des angestrebten EU-Beitritts der Türkei zahlreiche Rechte zusichert.
Danach darf sich insbesondere das Aufenthalts- und Beschäftigungsrecht für türkische Migranten nicht gegenüber dem Stand von 1980 verschlechtern.
Trotz dieser weitergehenden Rechte ist es allerdings auch türkischen Staatsangehörigen verwehrt, ohne aufenthaltsrechtliche Konsequenzen das Bundesgebiet für längere Zeit zu verlassen.
Grund dafür ist, dass dann, wenn das Bundesgebiet durch einen türkischen Staatsangehörigen längere Zeit verlassen wird, dies als Indizwirkung für die rechtsvernichtende Verlagerung des Lebensmittelpunkts gilt.
In dem oben genannten Urteil hatte sich das Bundesverwaltungsgericht damit zu beschäftigen, ob die Ausländerbehörde einem Türken das Aufenthaltsrecht zu Recht versagt hatte, weil dieser das Bundesgebiet zuvor für eineinhalb Jahre verlassen hatte, um bei seiner Familie in der Türkei zu sein.
Hintergrund der Klägerin
Die 1984 geborene Klägerin, eine türkische Staatsangehörige, reiste im Jahr 2005 im Rahmen des Ehegattennachzugs zu ihrem ebenfalls türkischen Ehemann in die Bundesrepublik Deutschland ein. Im selben Jahr erhielt sie erstmals eine Aufenthaltserlaubnis und wurde gleichzeitig zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet. Dieser Kurs sollte ihre Integration in die deutsche Gesellschaft fördern, insbesondere durch den Erwerb von Sprachkenntnissen und einem Verständnis der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung.
Unterbrechung des Integrationskurses
Wegen einer Schwangerschaft brach die Klägerin den Integrationskurs vorzeitig ab. Auch nach der Geburt ihres Kindes nahm sie den Kurs nicht wieder auf. Ihre Begründung lautete, dass sie ihr Kind betreuen müsse und es zudem eine schlechte Verkehrsanbindung zum Kursort gebe. In der Folgezeit gab sie an, aufgrund einer erneuten Schwangerschaft und den damit verbundenen Beschwerden nicht am Kurs teilnehmen zu können.
Aufenthaltserlaubnis und Antrag auf Niederlassungserlaubnis
Im Februar 2010 erhielt die Klägerin eine weitere Aufenthaltserlaubnis, die bis Februar 2012 befristet war und die Zusatzbestimmung „Erwerbstätigkeit gestattet“ enthielt. Im Jahr 2012 stellte die Klägerin einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Diese Erlaubnis würde ihr einen unbefristeten Aufenthalt in Deutschland ermöglichen. Die Ausländerbehörde lehnte diesen Antrag jedoch mit Bescheid vom 12. November 2012 ab, da die Klägerin weder ausreichende Deutschkenntnisse noch Grundkenntnisse der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung vorweisen konnte.
Gerichtliche Auseinandersetzungen
Die Klägerin erhob Klage gegen die Ablehnung der Niederlassungserlaubnis. Das Verwaltungsgericht wies ihre Klage ab. Auch die Berufung vor dem Verwaltungsgerichtshof blieb erfolglos. Die Klägerin legte daraufhin Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein, das sich mit der Frage auseinandersetzte, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erfüllt seien und ob die Klägerin möglicherweise aufgrund eines Härtefalls von diesen Voraussetzungen befreit werden könne.
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs und wies die Revision der Klägerin zurück. Es entschied, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz (§ 9 Abs. 2 und § 28 Abs. 2 AufenthG) habe, da sie die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache sowie Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung nicht nachgewiesen habe. Eine Befreiung von der Teilnahme am Integrationskurs aufgrund eines Härtefalls komme ebenfalls nicht in Betracht, da die von der Klägerin vorgebrachten Gründe keinen Härtefall darstellten.
Assoziationsrechtliche Argumente
Die Klägerin versuchte außerdem, sich auf das assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbot (Art. 13 ARB 1/80) zu berufen, das neue Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt verbietet. Das Gericht stellte jedoch fest, dass die Klägerin bereits aufgrund ihrer Rechtsstellung als Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers ein assoziationsrechtliches Daueraufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 habe. Dieses Recht gewährleiste ihr eine Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG, die ihr einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt ermögliche. Die strengeren Anforderungen an die Niederlassungserlaubnis hätten daher keine Auswirkungen auf ihren Arbeitsmarktzugang. Die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 greife in diesem Fall nicht.
Quelle: Bundesverwaltungsgericht
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