Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung nur bei schutzwürdiger Ehe - MTH Rechtsanwälte Köln
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Ausländerrecht
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von: Helmer Tieben

Verwaltungsgericht Berlin, 22.01.2014, Az.: 3 K 334.13 V

Ist man nicht Staatsangehöriger eines Landes, welches sich im Schengenraum befindet oder EU-Mitglied ist, so ist für die Einreise nach Deutschland ein Visum erforderlich. Diese werden zu verschiedenen Zwecken ausgeteilt: Beruf, Ausbildung, Studium, oder auch zur Familienzusammenführung. Ein Visum zum Zweck der Familienzusammenführung ist dann einholbar, wenn man u.a. einen ehelichen Lebenspartner hat, welcher sich rechtmäßig und dauerhaft im Bundesgebiet aufhält. Hierbei reicht es allerdings nicht, einfach eine Ehe mit z.B einem Deutschen Staatsangehörigen einzugehen, viel mehr muss auch eine tatsächliche eheliche Lebensgemeinschaft und ein wahrhaftiger Wille, diese im Bundesgebiet zu führen, bestehen. Bei Zweifel an der Wahrhaftigkeit der ehelichen Lebensgemeinschaft kann ein solches Visum schnell abgelehnt werden.

Remonstration und Klage gegen Ablehnung Visum

Im vorliegenden Fall begehrte ein indischer Staatsangehöriger die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung mit seiner deutschen Ehefrau. Der Antrag wurde abgelehnt, da Zweifel am Willen beider Eheleute bestand eine Lebensgemeinschaft zu führen, und der Antragsteller wohl mit seiner ersten indischen Frau nur eine Scheinscheidung eingegangen war. Nach erhobener Klage urteilte das Verwaltungsgericht Berlin zugunsten des Klägers, da keine tatsächlichen Zweifel an einer gemeinsam gewollten Eheführung und an der Richtigkeit der Scheidung bestanden.

Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:

Indischer Ehemann will zu seiner deutschen Ehefrau ins Bundesgebiet

Der Kläger war indischer Staatsangehöriger und heiratete 1996 eine indische Staatsangehörige, mit welcher er zwei 1997 und 2004 geborene Kinder bekam. Im Juni 2008 wurde die Ehe auf Antrag der Ehefrau des Klägers vom Januar 2007 geschieden.

Im April 2007 reiste der Kläger mit einem polnischen Visum in den Schengenraum ein und begab sich kurz darauf nach Deutschland. Hier stellte er im Juni 2008 einen Asylantrag, der mit Bescheid vom Juli 2008 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Der dagegen gerichtete Eilantrag und die dagegen gerichtete Klage wurden im August und November 2008 abgewiesen. Seit Januar 2009 war der Kläger, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet zunächst wegen fehlender Reisedokumente geduldet worden war, unbekannten Aufenthaltes.

Am 22. März 2011 heiratete der Kläger eine deutsche Staatsangehörige in Dänemark. Am 31. März 2011 beantragte daraufhin der Kläger Ausländerbehörde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung.

Nach zeitgleicher Ehegattenbefragung am 18. April 2011 und durchgeführten Hausermittlungen unter der Meldeanschrift der Eheleute am 28. April 2011, wurde der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet erneut geduldet. Am 4. September 2012 reiste der Kläger zur Durchführung des Visumsverfahrens aus, nachdem die Ausländerbehörde am 3. September 2012 aufgrund des Ergebnisses der Ehegattenbefragung und der Hausermittlungen der Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung vorab zugestimmt hatte.

Deutsche Botschaft beauftragt Vertrauensanwalt mit Überprüfung der Scheidungsurkunde

Am 29. November 2012 beantragte der Kläger bei der Botschaft in Neu-Delhi, Indien die Erteilung eines solchen Visums. Am 6. Dezember 2012 beauftragte daraufhin die Botschaft einen ihrer Vertrauensanwälte mit der Überprüfung der vorgelegten Urkunden des Klägers, insbesondere bezüglich des Urteils über die Scheidung der ersten Ehe des Klägers. Dessen Überprüfung ergab, dass nach übereinstimmenden Angaben mehrerer Nachbarn des Klägers dieser nach seiner Rückkehr aus Deutschland wieder mit seiner ersten Ehefrau im Haus seiner Eltern zusammenlebte. Hierbei war jedoch keiner dieser Personen der Tatsache bewusst, dass der Kläger von dieser geschieden und in Deutschland neu verheiratet war. Als die Eltern und der Bruder des Klägers darauf angesprochen wurde, sagten diese lediglich aus, dass sie diesen Umstand nicht klar in Abrede gestellt hatten. Der Kläger selbst wurde hierzu nicht befragt, da er zu diesem Zeitpunkt gerade in der Botschaft in Neu-Delhi war.

Am 19. März 2013 wiederholte die Ausländerbehörde die Zustimmung zur Erteilung des Visums da sie zwar zunächst davon ausgegangen war, dass die Ehe nur zum Zweck eines Aufenthaltsrecht für den Kläger geschlossen wurde, dies jedoch nach der zeitgleichen Befragung und den durchgeführten Hausermittlungen nicht bestätigt werden konnte. Im Gegenteil, angesichts des Umganges der Eheleute miteinander während der zahlreichen gemeinsamen Vorsprachen ging man davon aus, dass beide eine eheliche Lebensgemeinschaft miteinander führen wollten.

Mit Bescheid vom 3. April 2013 lehnte die Botschaft den Antrag des Klägers ab, da der Verdacht einer Scheinehe bestand.

Nach Ablehnung klagt der Inder auf Erteilung des Visums

Am 20. April 2013 ging die Klage des Klägers ein, in welcher er erläuterte, dass gegen eine Scheinehe der Umstand sprach, dass er und seine Ehefrau in den eineinhalb Jahren zwischen Eheschließung und seiner Rückkehr nach Indien zusammengelebt hatten. Zudem hatte er seine währenddessen erkrankte Frau Tag und Nacht gepflegt. Auch der Ermittlungsbericht der Botschaft entkräftigte diese Ehe nicht. So war der Bericht zum einen anonym, sodass weder die Identität noch die fachliche Eignung des Verfassers für die ihm übertragene Aufgabe überprüft werden konnte. Zum anderen bestanden erhebliche Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des Berichtes. So war die erste Ehefrau des Klägers bei der Befragung in dessen Haus nicht anwesend, sonst hätte man auch die Ehefrau selbst und nicht nur die Eltern des Klägers befragt, welches jedoch nicht geschehen war. Tatsächlich war nämlich die Ehefrau des Bruders des Klägers anwesend gewesen. Zudem hatte der Kläger nach Kenntnisnahme über den Bericht die dort erwähnten Nachbarn kontaktiert. Diese wurden nach eigenen Angaben nicht über den Aufenthaltsort seiner geschiedenen Ehefrau befragt, sondern lediglich über den Wohnort und die Anzahl der Kinder des Klägers. Außerdem hatte eine Befragte angegeben, dass die geschiedene Ehefrau schon seit über einem Jahr nicht mehr beim Kläger zuhause gewesen sei und sie deshalb keine zuverlässige Aussage darüber treffen konnte, ob sie bei ihm lebte. Eine Person, die im Ermittlungsbericht als sein Freund gekennzeichnet wurde, kannte er überhaupt nicht. Eine weitere im Bericht benannte Person kenne er zwar, jedoch wurde dieser nach eigenen Angaben nicht vom Verfasser des Berichtes befragt.

Abgesehen des fraglichen Berichts konnte der Kläger auch die Umstände erklären, welche zu der Schlussfolgerung führten, dass seine geschiedene Ehefrau noch bei ihm lebte. So war diese noch auf seiner Lebensmittelberechtigungskarte („Ration Card“) genannt. Dies war damit zu erklären, dass der Kläger über mehrere Jahre nicht in Indien gewesen und angesichts der erteilten Vorabzustimmung davon ausgegangen war, bald wieder nach Deutschland zurückkehren zu können und deshalb keine aktuelle Ration Card benötigte. Der Verfasser des Berichtes aber hatte auf die Vorlage einer Ration Card bestanden, weshalb ihm seine alte gezeigt wurde, auf der auch noch seine geschiedene Ehefrau aufgeführt war.

Sein Bruder wusste nichts von der neuen Ehe, da er mit diesem schon seit mehreren Jahren zerstritten war und daher nur das Nötigste mit ihm besprach, nicht aber Details aus seinem Familienleben austauschte. Seine Mutter wusste zwar von der Eheschließung, aber nicht, dass seine Ehefrau deutlich älter war als er, weil, wie die Beklagte zu Recht angeführt hatte, in der indischen Kultur die Eheschließung mit einer wesentlich älteren Frau unüblich war und er seine Mutter durch diesen Umstand nicht unnötig beunruhigen wollte.

Deutsche Botschaft in Neu Delhi ging von Scheinehe aus

Die Botschaft in Neu-Delhi verteidigte den angefochtenen Bescheid und erklärte, dass für eine nur zum Zwecke des Aufenthalts geschlossene Ehe vor allem die Tatsache sprach, dass der Kläger sich offensichtlich nur zum Schein von seiner ersten Ehefrau scheiden ließ, mit dieser aber nach wie vor eine eheliche Lebensgemeinschaft führte. Der Umfeldermittlung des Vertrauensanwalts der Botschaft zufolge lebte der Kläger wieder mit seiner ersten Ehefrau in seinem Elternhaus zusammen. Die Bestreitungen der Eltern des Klägers schienen mit dem Kläger abgesprochen zu sein. In der indischen Kultur verlässt eine Ehefrau das durch sie bezogene Elternhaus jedoch umgehend, wenn die Scheidung eintritt. Eine neue Hochzeit werde zudem stets, zumindest in der näheren Umgebung, bekannt gemacht. Demzufolge hielt der Kläger die Scheidung von seiner ersten Ehefrau und die neue Hochzeit regelrecht geheim. Nicht einmal sein Bruder wusste davon, was nicht ohne weiteres dadurch erklärbar war, dass der Kläger nicht mit seinem Bruder sprach. Denn dieser tauschte sich doch zumindest mit den anderen Familienmitgliedern aus, und die Mutter hatte doch von der Heirat gewusst, wenngleich sie nicht über den großen Altersunterschied informiert war. Anhand dessen entstand der erhärtende Eindruck einer Scheinehe, da er Kläger wohl nicht zu seiner neuen Frau stand. Auch der Bericht war zuversichtlich, da die Botschaft seit Jahren mit dem Vertrauensanwalt zusammenarbeitete, und dieser dabei stets zuverlässige und inhaltlich korrekte Ermittlungsergebnisse geliefert und kein Interesse daran hatte, einen falschen Bericht zu erstellen.

Im Scheidungsurteil zwischen dem Kläger und seiner ersten Ehefrau wurden zudem weder Regelungen zur Vermögenstrennung und zum Unterhalt noch eine Sorgerechtsentscheidung zu den beiden aus der Ehe hervorgegangenen Kindern getroffen. Dies war ein typisches Merkmal für eine Scheinscheidung, da diese rechtlichen Regelungen für eine neue Eheschließung in Deutschland nicht erforderlich sind. In „echten“ Scheidungsurteilen hingegen sind solche Regelungen stets vorhanden, weil indische Ehefrauen in der Regel von ihren Männern finanziell abhängig sind und daher Unterhaltszahlungen – in der Regel durch eine Pauschalzahlung – beanspruchen, um ihren Lebensunterhalt decken bzw. die Mitgift für eine weitere Heirat aufbringen zu können.

Des Weiteren finde in Indien eine Scheidung nur in Ausnahmefällen statt, da diese in der indischen Gesellschaft mit sozialen Stigmen verbunden sei. Auf Grund der traditionellen Familie des Klägers schien es unüblich und unglaubhaft, dass die Scheidung auf Grund einer bloßen Entfremdung der Eheleute erfolgte.

Für eine Scheinehe sprach auch der Altersunterschied von 33 Jahren

Ferner sprach für eine Scheinehe des Klägers und seiner Frau auch der enorme Altersunterschied von 33 Jahren, welcher im Angesicht der indischen Kultur unüblich und deshalb auf eine Ehe zum Zwecke des Aufenthalts schließen ließ. Angesichts der täglichen und nächtlichen Pflege des Klägers seiner kranken Frau konnte keine eheliche Lebensgemeinschaft bejaht werden, da diese sich nicht automatisch aus dem Verhältnis zwischen einem Pfleger und einem Patienten herleitete. Die Pflegebedürftigkeit der Ehefrau stellte im Gegenteil ein wirkliches eheliches Verhältnis gerade infrage, da es sich bei der Beziehung zwischen den Eheleuten um ein reines Pflegeverhältnis zu handeln schien, welches auch beruflich ausgeübt werden konnte. Voraussetzung für eine eheliche Lebensgemeinschaft ist jedoch eine über eine gewöhnliche Freundschaft oder ein Arbeitsverhältnis hinausgehende Beziehung der Ehegatten. Auch die vorgetragene Kennenlerngeschichte, nämlich dass der Kläger seine Frau, welche gegenüber seiner Schwester wohnte, zufällig auf der Straße getroffen hatte, erschien unglaubwürdig. Hier war vielmehr davon auszugehen, dass die Ehe über die Schwester des Klägers aus rein aufenthaltsrechtlichen Gründen vermittelt wurde.

Zuletzt sprach auch die ausländerrechtliche Vorgeschichte des Klägers sowie gewisse Umstände der Ehefrau für eine Ehe, welche zum Zweck des Aufenthaltsrechts geschlossen wurde. Ersterer war mit einem polnischen Touristenvisum in den Schengenraum eingereist, um im Bundesgebiet Asyl zu beantragen. Seine jetzige Ehefrau hatte bereits 1989 einen türkischen Staatsangehörigen geheiratet. Auf Grund des ebenfalls erheblichen Altersunterschiedes der Eheleute von 27 Jahren und der recht kurzen Ehedauer von fünf Jahren hatte es sich hierbei wahrscheinlich auch um eine Scheinehe gehandelt.

Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 2. Dezember 2013 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Dieser hatte die Ehefrau bei der mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2014 zum Zustandekommen und zur Ausgestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem Kläger befragt.

Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin:

Verwaltungsgericht sieht Ablehnung als rechtswidrig an

Der Einzelrichter befand die zulässige Klage als begründet. Der Bescheid der Botschaft in Neu-Delhi vom 3. April 2013, welcher die Erteilung des begehrten Visums zur Familienzusammenführung mit der Frau des Klägers ablehnte, war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten, da er einen Anspruch auf Erteilung eines solchen Visums hatte (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Erteilung des Visums ist § 6 Abs. 3 S. 1 und 2 i.V.m. den §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG. Danach wird dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, ein Visum zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet erteilt. Diese Voraussetzungen waren erfüllt.

Die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) wird gem. § 27 Abs. 1 AufenthG zwar ausdrücklich nur zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt. Allein die Tatsache, dass Kläger und Ehefrau miteinander in die Ehe eingegangen waren, reichte dazu nicht aus. Denn der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG greift nur entsprechend § 27 Abs. 1 AufenthG durch, welcher das Recht auf Familiennachzug nur zur tatsächlichen Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet gewährleistet. Voraussetzung ist hierfür eine Verbundenheit zwischen den Eheleuten, d.h. den Willen beider Eheleute, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen und zu führen. Eine Ehe, die lediglich zu dem Zweck geschlossen wurde, dem nachzugswilligen Ausländer zu einem ihm sonst verwehrten Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu verhelfen, hat demgegenüber kein ein Aufenthaltsrecht auslösendes Gewicht. Der Wille, im Bundesgebiet eine eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen und zu führen, der bei beiden Ehegatten vorhanden sein muss, ist eine innere Tatsache, auf deren Existenz nur durch äußere Anzeichen geschlossen werden kann (Beschluss des OVG Berlin vom 27. Mai 2002, OVG 8 M 24.01, AuAS 2003, 4). Dieser Wille gehört zu den günstigen Umständen für den Ausländer, welche er, soweit nicht bereits bekannt, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise beizubringen hat (§ 82 Abs. 2 S. 1 AufenthG). Der Umfang der Darlegungslast des Ausländers richtet sich dabei nach den jeweiligen individuellen Verhältnissen. Je mehr sich die individuelle Gestaltung einer ehelichen Lebensgemeinschaft nach dem äußeren Erscheinungsbild vom Regelfall entfernt, umso mehr bedarf es im Zweifelsfall zusätzlicher Darlegungen, um die Annahme zu rechtfertigen, dass die Beziehung der Ehegatten den inhaltlichen Kriterien entspricht, wie sie für den Herstellungswillen typisch sind (Hessischer VGH, Beschluss vom 14. Januar 2002, 12 TG 724/01, InfAuslR 2002, 426).

Diese Voraussetzungen bestehen auch nach der Änderung des Aufenthaltsgesetzes durch das Gesetz vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970; neugefasste Bekanntmachung vom 25. April 2008, BGBl. I S. 162). Denn dieses Gesetz dient der Umsetzung u.a. der Richtlinie 2002/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung. Diese Richtlinie wurde „zum Schutz der Familie und zur Wahrung und Herstellung des Familienlebens“ erlassen und will die Familienzusammenführung als „eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Familienleben möglich ist“, fördern. Der in diesem Zusammenhang geschaffene ausdrückliche Ausschlussgrund in § 27 Abs. 1 a AufenthG (vgl. Amtliche Begründung, BT-Drs. 16/5065, S. 170), wonach ein Familiennachzug nicht zugelassen wird, wenn feststeht, dass die Ehe ausschließlich zur Begründung eines Aufenthaltsrechts geschlossen wurde, ändert nichts daran, dass die Voraussetzungen für den begehrten Familiennachzug positiv festgestellt werden müssen. Diese sind nicht schon dann zu bejahen, wenn offen ist, ob solch eine Ehe vorliegt. Dieser Ausschlussgrund tritt vielmehr neben die Möglichkeit, das Visum wegen Nichtvorliegens der Erteilungsvoraussetzungen zu verneinen. Denn die Familiennachzugsrichtlinie regelt in ihrem Art. 16 Abs. 2, dass eine Familienzusammenführung „auch“ abgelehnt werden kann, wenn nur die Erlangung eines Aufenthaltstitels beabsichtigt ist (vgl. hierzu bereits Urteil der Kammer vom 30. August 2007, VG 3 V 62.06, sowie Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 29. Januar 2009, OVG 2 B 11.08, m.w.N.).

Gericht war überzeugt, dass die Ehegatten eine schutzwürdige Ehe beabsichtigen

Ausgehend davon jedoch hatte das Gericht die nach § 108 Abs. 1 VwGO erforderliche Überzeugung erlangt, dass sowohl der Kläger als auch seine Ehefrau den Willen besaßen, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne von § 27 Abs. 1 AufenthG im Bundesgebiet herzustellen.

Dies ergab sich bereits aus der am 18. April 2011 durchgeführten zeitgleichen Befragung der Eheleute von der Ausländerbehörde. Hierbei konnten die Eheleute detailliertes Wissen über die Person und das Leben des jeweils anderen vorweisen, woraus sich ein gegenseitiges Interesse der Eheleute ergab und welche die Behauptung, dass es sich hierbei um eine rein zum Zwecke des Aufenthaltsrechts geschlossene Ehe handelte, entkräftete. Der Kläger zum Beispiel kannte das Geburtsdatum seiner Frau, Name und Wohnort ihrer Eltern, ihren beruflichen Werdegang (Ausbildung als Verkäuferin in der Bäckerei und Ausübung dieses Berufes) und die Höhe ihrer Rente. Weiter wusste er von den zwei bereits vorgegangen Ehen seiner Frau und kannte auch die Namen der zwei Ex-Männer. Die Ehefrau selbst konnte ebenfalls Geburtsdatum und Geschwister des Klägers angeben und wusste auch, dass er bereits einmal verheiratet war.

Zudem konnten die beiden Eheleute zu dem Zeitpunkt bereits übereinstimmende und damit glaubhafte Angaben zum gemeinsamen Alltag machen, die ebenfalls Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit ihrer Absicht zulassen, eine schützenswerte eheliche Lebensgemeinschaft miteinander zu führen. So gaben beide übereinstimmend an, dass ihr gemeinsames Lieblingsessen Schnitzel war und auch, dass es dieses Gericht am Tag zuvor zum gemeinsamen Abendessen gegeben hatte, sowie dass sie abwechselnd (bei Penny) einkauften, aber in der Regel die Frau kochte. Weiter gaben beide Eheleute an, dass sie eine gemeinsame Freundin namens Ingrid hätten und dass ihre letzte gemeinsame Unternehmung in dem Lokal der Schwester des Klägers stattgefunden hatte. Übereinstimmend waren auch die Angaben der Eheleute zu den Geschenken, die sie sich anlässlich ihrer Geburtstage machten, sowie zu der Kleidung, die sie anlässlich der Hochzeit trugen. Des Weiteren führten die Eheleute, wie es die durchgeführte Hausermittlung am 28. April 2011 ergab, jedenfalls in der Zeit nach der Hochzeit einen offenbar über eine reine Zweckgemeinschaft hinausgehenden gemeinsamen Haushalt.

Anhand dieser Umstände und des Umgangs der Eheleute miteinander bei deren gemeinsamen Vorsprachen in der Ausländerbehörde kam bereits die dort zuständige Sachbearbeiterin zu dem Ergebnis, dass „eine Scheinehe hier definitiv nicht vorliege“, weshalb die Ausländerbehörde der Erteilung des begehrten Visums am 3. September 2012 vorab zustimmte und diese Zustimmung auf Nachfrage der Botschaft am 19. März 2013 nochmals bekräftigte.

Das Verhalten der Ehefrau in der mündlichen Gerichtsverhandlung war positiv

Dass es sich hierbei zudem nicht um eine Scheinehe handelte, ergab sich auch aus dem Ergebnis der informatorischen Befragung der Ehefrau während der mündlichen Verhandlung. Hier wiederholte und vertiefte die Ehegattin ihre Angaben, welche sie bereits bei der Befragung durch die Ausländerbehörde gemacht hatte, und woraus sich ihre eigene aber auch die Ernsthaftigkeit der Eheführungsabsicht des Klägers ergab.

Hierbei erläuterte die Ehefrau die gemeinsame Kennenlerngeschichte. Nachdem die beiden bereits einmal von der Schwester des Klägers vorgestellt wurden, hatte er sie auf der Straße stehend angesprochen, und zu einer Tasse Kaffee eingeladen. Auf Grund von Einsamkeit und Anziehung zum Kläger hin und war sie dieser Einladung nachgegangen. Bei diesem ersten Kaffeetrinken hatten sie sich u.a. darüber unterhalten, dass der Kläger im Moment noch keiner Arbeit nachgehen konnte, weil er nicht über eine Arbeitserlaubnis verfügte. Danach hatten sie sich, vor allem auf die Initiative des Klägers hin, fast jeden zweiten Tag gesehen und waren zusammen spazieren gegangen oder hätten beispielsweise zusammen mit der Schwester des Klägers in deren Wohnung einen Film angeschaut. Den Zeitpunkt dieses ersten Kennenlernens konnte die Beigeladene zwar nicht spontan wiedergeben, so aber doch in Bezug auf den kurze Zeit später folgenden Heiratsantrag des Klägers rekonstruieren.

Diese ausführliche Schilderung ließ darauf schließen, dass die Ehefrau diesem Beziehungsbeginn derartiges Gewicht beimaß, dass sie auch noch Jahre später dazu in der Lage war, hinreichend detaillierte, nachvollziehbare, und in sich widerspruchsfreie und damit glaubhafte Angaben zu machen. Im Falle einer Scheinehe war dies für gewöhnlich nicht der Fall.

Gleichsam verhielt es sich bei der Schilderung des Heiratsantrages. Die Beigeladene erklärte insoweit wiederum hinreichend detailliert sowie emotional geprägt und daher glaubhaft. So hatte sie, nachdem der Kläger um ihre Hand geboten hatte, erwidert, dass er sich doch lieber eine junge Frau suchen sollte. Vor allem auf Grund dieses anfänglichen Einwandes der Ehefrau, welcher nicht auf Nachfrage des Gerichts geschildert wurde, ging das Gericht von der Glaubhaftigkeit auch dieser Schilderung aus, da ein solcher „Bruch“ umgekehrt bei der Wiedergabe eines nicht tatsächlich erlebten, sondern lediglich konstruierten und daher in der Regel bemüht widerspruchsfreien Geschehens nicht zu erwarten wäre.

Selbst wenn man – aufgrund des sich aus seiner ausländerrechtlichen Vorgeschichte ergebenden Migrationsinteresses des Klägers sowie der kurzen Zeit zwischen dem ersten Kennenlernen und den von ihm ausgehenden Heiratsantrag – davon ausgehen würde, dass dieser zu diesem Zeitpunkt lediglich deshalb die Ehe mit der Beigeladenen einzugehen beabsichtigte, um ein Aufenthaltsrecht für das Bundesgebiet zu erhalten, stünde diesem Eindruck jedenfalls entgegen, dass er nach diesem Zeitpunkt offenbar bereits eine

Selbst bei der Annahme, dass der Kläger zu dem Zeitpunkt einen Heiratsantrag nur zum Zwecke des Aufenthaltsrechts gestellt hatte, stand dem die Tatsache entgegen, dass die beiden Eheleute zu dem Zeitpunkt bereits eine seit mehreren Monaten andauernde Lebensgemeinschaft führten. So sprach sowohl die durchgeführte Hausermittlung dafür als auch die Angaben der Ehefrau zum gemeinsamen Zusammenleben mit dem Kläger vor und nach der Eheschließung, welche hinreichend detailliert, von ausreichend emotionaler Prägung und damit sowohl glaubhaft als auch überzeugend waren, was die Ernsthaftigkeit der Eheführungsabsichten der Eheleute betraf. So kochten sie gemeinsam, schauten mit einem Glas Wein in der Hand Fernsehen, der Kläger half in ihrem Haushalt mit putzen. Außerdem hatten sie viel Zeit mit der Familie des Klägers verbracht und gingen im Sommer zusammen spazieren und manchmal shoppen. So hatten sie auch gemeinsam ein Ehebett gekauft.

Eheleute konnten nachweisen, dass sie regen Kontakt haben

Auch der Eheführungswillen des Klägers war daran zu erkennen, dass die Eheleute trotz bereits langer räumlicher Trennung nach wie vor in einem regen Austausch miteinander standen, aus welchem sich wiederum ihr andauerndes gegenseitiges Interesse aneinander ergab. So telefonierten sie alle zwei Tage miteinander, wobei der Kläger sich um ihre Gesundheit sorgte, da sie auf Grund des Visumsverfahren unter viel Stress stand. Momentan half der Kläger manchmal in der Schneiderei seiner Mutter in Indien aus, da sein Vater ein Kleidergeschäft hatte, von dem die Familie ihren Lebensunterhalt bestreite. Auch mit den Kindern des Klägers telefonierte die Ehefrau und konnte Details aus den Gesprächen wiedergeben, wie der Wunsch des Sohnes, in Deutschland studieren zu wollen.

Zudem konnte die Ehefrau unter Bezug auf konkrete Gegebenheiten sowie Charaktermerkmale und damit nachvollziehbar angeben, was jeweils der Grund für die Eheleute war, miteinander die Ehe einzugehen und diese nach wie vor miteinander führen zu wollen. So hatte sie die Fürsorge des Klägers geschätzt, welche vor allem während ihrer Krankheit zum Ausdruck kam. Der Kläger schätzte an ihr, dass sie ihn nicht unter Druck setzte, wie es seine erste Ehefrau getan hatte. Anhand dessen konnten die Einwände der Beklagten den offenbaren Willen beider Eheleute, eine schützenswerte eheliche Lebensgemeinschaft zu führen zu wollen, nicht bestreiten.

Zwar oblag es dem Kläger, Beweise für seine Eheführungsabsichten vorzulegen, jedoch hatte die Ehefrau die Darlegungs- und Beweislast für Umstände, welche Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Absicht begründen. Vor allem aber konnte die Beklagte nicht ausreichend darlegen, dass der Kläger trotz der Scheidung von seiner ersten Ehefrau nach wie vor eine Lebensgemeinschaft mit dieser führte und einen „schleichenden Familiennachzug“ plante. So hatte die Beklagte die Einwände des Klägers bezüglich des Ermittlungsberichts ihres Vertrauensanwaltes pauschal abgelehnt und sich nicht mit diesen auseinandergesetzt. Doch auch wenn man davon ausging, dass der Vertrauensanwalt der Botschaft kein Interesse daran haben konnte, wissentlich einen falschen Ermittlungsbericht zu erstellen, war dessen konkrete Aussagekraft doch nur sehr gering und konnte den gewonnen positiven Eindruck der Eheleute nicht entkräften. Denn es war nicht ersichtlich, auf welchen Tatsachen die maßgeblichen Aussagen der Nachbarn beruhten, dass der Kläger und seine erste Ehefrau zusammenlebten, so dass sich die Glaubhaftigkeit dieser Aussagen kaum beurteilen ließ.

Auch die Aussage einer Nachbarin, sie habe die Ehefrau im Hause des Klägers angetroffen, ließ nicht unbedingt auf ein Zusammenleben der beiden schließen. So war es möglich, dass diese oft zu Besuch kam, um die gemeinsamen bei ihm lebenden Kinder zu sehen. Diese mangelnde Aussagekraft des Berichtes räumte im Übrigen auch die Beklagte selbst mittelbar ein, indem sie ausführte, dass die Nachbarn (nur) „davon ausgehen“, dass die geschiedene Ehefrau des Klägers noch immer im Haus seiner Eltern wohne, diesen Umstand also lediglich geschlussfolgert haben. Den Umstand, dass seine geschiedene Ehefrau noch auf der vorgelegten „Ration Card“ genannt wurde, hatte der Kläger nachvollziehbar erklärt.

Auch die Tatsache, dass der Bruder des Klägers nichts von seiner neuen Heirat wusste, konnte letzterer aufgrund der Zerstrittenheit der beiden ausreichend erläutern. Auch wenn der Bruder durch die Heirat von seiner Mutter erfahren haben sollte, so hieße dies nicht, dass der Kläger seine erneute Eheschließung vor seinem Bruder verheimlichen wollte, wie es die Beklagte schlussfolgerte. Dies war auch nicht durch die Angaben der Nachbarn nicht zu schlossfolgern, welche laut dem Ermittlungsbericht nichts über eine erneuet Heirat wussten. Dies ließ sich auch damit erklären, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch mit einer kurzfristigen Rückkehr ins Bundesgebiet rechnete und es daher nicht für erforderlich hielt, sämtliche Nachbarn von diesen Umständen zu unterrichten. Umso mehr war dies plausibel, da eine Eheschließung mit einer deutlich älteren Frau in Indien eher unüblich sei und der Kläger bzw. dessen Familie in Indien- da er selbst beabsichtigte, kurzfristig nach Deutschland zurückzukehren – vielen Nachfragen ausgesetzt worden wäre, welches der Kläger vermeiden wollte. Daher erschien auch nachvollziehbar, dass der Kläger seine Mutter nicht über das Alter seiner neuen Ehefrau informiert hatte.

Gegenansicht der Botschaft beruhe nur auf Vermutungen

So beschränkten sich die Einwendungen der Beklagten darauf, dass das Scheidungsurteil, anders als bei „echten“ Scheidungsurteilen, nur unzureichend geregelt worden war, eine Scheidung in Indien nur in absoluten Ausnahmefällen erfolgte, der große Altersunterscheid zwischen den Eheleuten auf eine Scheinehe deutete, und die Schwester des Klägers die Ehe wohl gegen eine Geldzahlung des Klägers an seine Frau vermittelt hatte, da aus den vorangegangenen Ehen der Frau auch erging, dass es sich um Scheinehen handelte. In letzterem Punkt aber handelte es sich nur um Vermutungen, da die Beklagte keine konkreten Anhaltspunkte hatte, die dies hätten belegen können. Auch legte sie keine Vorlagen „echter“ Scheidungsurteile vor, wodurch ein Vergleich hätte, möglich sein können.

Schließlich zeigte die Äußerung des Prozessvertreters der Beklagten, dass die Pflegbedürftigkeit der Ehefrau ein wirkliches eheliches Verhältnis infrage stelle, dass er offenbar nur zu einer schematischen Beurteilung ehelicher Lebensgemeinschaften aufgrund von ihm angenommener „Regelfälle“ in der Lage war, ohne die Existenz daneben bestehender Ausnahmefälle ausreichend zu berücksichtigen. Denn gerade in Beziehungen, in denen einer der Partner pflegebedürftig ist oder wird, kann sich die Bereitschaft des anderen zeigen, in für eine eheliche Lebensgemeinschaft typischer Weise füreinander einzustehen.

Nach den Feststellungen der Botschaft und der Ausländerbehörde sowie angesichts der täglichen Telefonate, verfügte der Kläger auch über die nach § 28 Abs. 1 S. 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Sprachkenntnisse.

Quelle: Verwaltungsgericht Berlin

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