Ausländerrecht: Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 104 Abs. 13 S. 1 AufenthG

Bundesverfassungsgericht, 11.10.2017, Az.: 2 BvR 1758/17

Nach § 4 Abs. 1 ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Durch die Regelung des § 104 Abs. 13 AufenthG wurde mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) als Teil des sogenannten „Asylpakets II“ der Familiennachzug zu Personen, denen subsidiären Schutz zuerkannt wurde, bis zum 16. März 2018 ausgesetzt.

Die Regelung des Familiennachzugs zu anerkannten Flüchtlingen blieb unverändert. In diesem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht begehrten die Beschwerdeführer die vorläufige Erteilung von Visa zum Familiennachzug zu einem minderjährigen subsidiär Schutzberechtigten (Beschwerdeführer zu 1.), hilfsweise die Erteilung von Visa aus humanitären Gründen

Einführung und Hintergrund

Der vorliegende Fall betrifft eine Verfassungsbeschwerde, die von einer syrischen Familie gegen die Ablehnung des Familiennachzugs eingereicht wurde. Der Fall steht im Kontext der aktuellen Asyl- und Migrationspolitik Deutschlands und wirft Fragen über den Schutz von Familien, die im Rahmen des subsidiären Schutzes auseinandergerissen wurden, auf. Insbesondere beleuchtet der Fall die verfassungsrechtlichen Implikationen des § 104 Abs. 13 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), der den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten einschränkt.

Sachverhalt und rechtlicher Rahmen

Die Beschwerdeführer bestehen aus einem jungen Syrer, der 2015 als unbegleiteter Minderjähriger nach Deutschland kam und subsidiären Schutz erhielt, sowie dessen in Syrien verbliebener Familie. Der Sohn, der zu diesem Zeitpunkt minderjährig war, stellte einen Asylantrag, der ihm im August 2016 subsidiären Schutz zusprach. Seine Eltern und Geschwister, die in Damaskus verblieben waren, konnten trotz der Bemühungen keinen positiven Bescheid für ihre Visumsanträge erwirken und wandten sich daher an das Verwaltungsgericht, um vorläufigen Rechtsschutz zu erhalten. Sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Oberverwaltungsgericht lehnten den Antrag ab, unter anderem mit der Begründung, dass der Anspruch auf Familiennachzug kraft Gesetzes ausgeschlossen sei.

Argumentation der Beschwerdeführer

Die Beschwerdeführer argumentieren, dass die Regelung des § 104 Abs. 13 AufenthG verfassungswidrig sei, da sie gegen Art. 3 Abs. 1 (Gleichbehandlungsgrundsatz) und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (Schutz von Ehe und Familie) verstoße. Darüber hinaus beriefen sie sich auf die Bestimmungen der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie und die UN-Kinderrechtskonvention. Sie betonten die besondere Schutzbedürftigkeit der Familie angesichts der humanitären Lage in Syrien und argumentierten, dass die Verweigerung des Familiennachzugs eine unverhältnismäßige Belastung darstelle.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Es stellte klar, dass eine einstweilige Anordnung nur unter strengen Voraussetzungen erlassen werden könne, insbesondere zur Abwehr schwerer Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt. Im vorliegenden Fall sah das Gericht jedoch keinen ausreichenden Grund, der eine solche Anordnung rechtfertigen würde. Es verwies auf die gesetzliche Regelung des § 104 Abs. 13 AufenthG, die explizit den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ausschließt, sowie auf die Tatsache, dass der Antrag nicht ausreichend begründet war.

Verfassungsrechtliche Erwägungen

Das Bundesverfassungsgericht betonte die Bedeutung der Gewaltenteilung und die Notwendigkeit, gesetzliche Regelungen zu respektieren. Es wies darauf hin, dass eine Aussetzung der gesetzlichen Regelung durch eine einstweilige Anordnung nur in Ausnahmefällen in Betracht komme. Ein solcher Ausnahmefall läge vor, wenn eine verfassungswidrige Regelung festgestellt würde. Da dies im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben sei und keine besondere Schutzbedürftigkeit der Beschwerdeführer vorgetragen wurde, entschied das Gericht, dass die Interessen der Beschwerdeführer nicht schwer genug wögen, um eine einstweilige Anordnung zu rechtfertigen.

Abwägung der Folgen

Bei der Abwägung der Folgen einer möglichen einstweiligen Anordnung kam das Bundesverfassungsgericht zu dem Schluss, dass die Risiken einer solchen Anordnung die möglichen Vorteile überwiegen würden. Wäre der Antrag stattgegeben worden, wären vollendete Tatsachen geschaffen worden, die nicht mehr rückgängig zu machen wären. Außerdem hätte dies weitreichende Folgen für ähnliche Fälle von Familiennachzug, was de facto zu einer Aussetzung der geltenden gesetzlichen Regelung geführt hätte. Diese Konsequenz würde dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gewaltenteilung widersprechen und wäre nur in besonders gewichtigen Fällen zulässig, die hier jedoch nicht vorlägen.

Schlussfolgerung

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts verdeutlicht die strengen Voraussetzungen, unter denen eine einstweilige Anordnung erlassen werden kann, insbesondere im Zusammenhang mit der Aussetzung gesetzlicher Regelungen. Im vorliegenden Fall sah das Gericht keine ausreichende Grundlage für eine solche Anordnung, da die verfassungsrechtlichen Bedenken der Beschwerdeführer als nicht schwerwiegend genug bewertet wurden. Der Fall zeigt zudem die schwierigen rechtlichen und humanitären Herausforderungen, die mit dem Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten verbunden sind, und unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Abwägung zwischen individuellen Schutzinteressen und der Einhaltung gesetzlicher Regelungen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht

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