Ausländerrecht: Der dreijährige Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist auch für das Kind eines eingebürgerten Ausländers für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erforderlich

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 05.08.2015, Az.: 10 B 15.429

Gemäß § 28 AufenthG erhält der ausländische Ehegatte, das minderjährige ledige Kind eines Deutschen sowie der Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge eine Aufenthaltserlaubnis, sofern der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. In bestimmten Fällen wird diese Erlaubnis abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 erteilt. Eine Niederlassungserlaubnis wird in der Regel nach drei Jahren erteilt, sofern die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht und ausreichende Deutschkenntnisse vorliegen.

§ 9 Abs. 2 AufenthG regelt, dass einem Ausländer nach fünf Jahren Aufenthaltserlaubnis eine Niederlassungserlaubnis erteilt wird, wenn der Lebensunterhalt gesichert ist, 60 Monate Beiträge zur Rentenversicherung geleistet wurden, keine Sicherheitsbedenken bestehen, ausreichende Sprachkenntnisse und Wohnraum vorhanden sind. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellte klar, dass die Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG eine solche nach § 28 Abs. 1 Satz 1 sein muss. Zudem reicht es für die Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 nicht aus, dass eine Integration erst zukünftig wahrscheinlich ist; ein fünfjähriger gesicherter Aufenthalt ist erforderlich.

1. Einleitung und Hintergrund des Falls

Der Kläger, ein kosovarischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2008 im Rahmen des Familiennachzugs mit seiner Mutter und Schwester zu seinem in Deutschland lebenden Vater ein. Der Vater war im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Der Kläger erhielt zunächst eine Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 3 AufenthG, die bis 2018 verlängert wurde. Im Dezember 2013 beantragte der Kläger eine Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG. Die zuständige Behörde lehnte diesen Antrag im Februar 2014 ab, da § 9 Abs. 2 AufenthG für den Kläger nicht anwendbar sei und die Voraussetzungen nicht erfüllt seien.

2. Klage und Erstinstanzliches Urteil

Der Kläger und seine Schwester erhoben Klage gegen die Ablehnungsbescheide und forderten die Erteilung der Niederlassungserlaubnis. Das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg gab der Klage im September 2014 statt. Es entschied, dass § 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht greife, da die Kläger das 16. Lebensjahr nicht vollendet hätten. Ein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis bestünde jedoch nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Es sei ausreichend, dass die Kläger im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 3 AufenthG seien und der Vater der Kläger mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe.

3. Berufung des Beklagten

Der Beklagte legte Berufung gegen das Urteil ein und argumentierte, dass der Kläger keinen Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG habe, da diese nur bei einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG anwendbar sei. Der Beklagte verwies darauf, dass § 28 Abs. 2 AufenthG eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für Familienangehörige von Deutschen regele, während der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Zweck besessen habe. Die Gesetzessystematik und die Intention des Gesetzgebers sprächen gegen eine Ausdehnung dieser Vorschrift auf Fälle wie den des Klägers.

4. Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof urteilte, dass die Berufung teilweise Erfolg habe und die Klage des Klägers abzuweisen sei. Die Ablehnung des Antrags auf Niederlassungserlaubnis sei rechtmäßig. Der Kläger habe weder einen Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG noch nach § 9 Abs. 2 AufenthG. Es sei entscheidend, dass die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt worden sein müsse, um eine Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu erhalten. Der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und der Zweck der Regelung stützen diese Auslegung.

5. Gesetzessystematik und Begründung

Der Gerichtshof stellte klar, dass § 28 AufenthG als lex specialis den Familiennachzug zu Deutschen regele und gegenüber allgemeinen Vorschriften Vorrang habe. § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sei nur anwendbar, wenn die Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu Deutschen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt worden sei. Die gesetzgeberische Intention, wie sie auch im früheren § 23 AuslG zum Ausdruck kam, habe nicht vorgesehen, dass Aufenthaltserlaubnisse zu anderen Zwecken die Grundlage für eine Niederlassungserlaubnis bilden könnten. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich eine Privilegierung für Familienangehörige von Deutschen geschaffen, die an die spezifischen Anforderungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gebunden sei.

6. Fazit und Abweisung der Klage

Der Kläger erfüllte weder die Voraussetzungen für eine Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG noch nach § 9 Abs. 2 AufenthG. Da der Kläger das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, schied § 35 AufenthG als Anspruchsgrundlage aus. Außerdem konnte er die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung nicht nachweisen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof änderte das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg entsprechend ab und wies die Klage des Klägers ab.

Quelle: Bayrischer Verwaltungsgerichtshof

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