Verwaltungsgericht Münster, 21.07.2014, Az.: 8 K 2769/13
Begehrt ein in Deutschland lebender Ausländer die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, muss er gem. § 9 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG unter Anderem nachweisen, dass er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.
Von diesen sprachlichen Voraussetzungen kann gem. § 9 Abs. 2 Satz 3, 4 AufenthG nur wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder einer Behinderung des Ausländers oder zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte abgesehen werden.
Ein Härtefall liegt etwa dann vor, wenn der Ausländer trotz verstärkter Bemühungen die sprachlichen Anforderungen unverschuldet nicht erfüllen kann.
Des Weiteren kann eine Härte vorliegen, wenn eine körperliche, geistige oder seelische Erkrankung oder Behinderung die Erfüllung der Voraussetzungen zwar nicht unmöglich macht, aber dauerhaft wesentlich erschwert (vgl. Nr. 9.2.2.2.2 AufenthG-VwV).
In dem oben genannten Urteil des Verwaltungsgerichts Münster hatte dieses darüber zu entscheiden, ob eine seit langer Zeit in Deutschland lebende Türkin wegen diverser Krankheiten von dem Spracherfordernis des § 9 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG befreit war.
Einleitung: Hintergrund der Klägerin
Die Klägerin, eine 1960 geborene türkische Staatsangehörige, kam im Jahr 1992 nach Deutschland. Der Grund für ihre Einreise war die Familienzusammenführung mit ihrem bereits in Deutschland lebenden Ehemann. Sie erhielt am 11. Januar 1993 eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die in den folgenden Jahren regelmäßig verlängert wurde. Die Klägerin lebte somit über zwei Jahrzehnte in Deutschland, bevor sie im März 2013 die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis beantragte. Diese Erlaubnis hätte ihr ein unbefristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland verschafft. Die Niederlassungserlaubnis stellt eine besondere Form des Aufenthaltstitels dar, der in Deutschland für Drittstaatsangehörige erhältlich ist, sofern sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, darunter insbesondere ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache.
Ablehnung des Antrags und gesundheitliche Situation
Der Beklagte, die zuständige Ausländerbehörde, wies die Klägerin darauf hin, dass ihr Antrag auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis wahrscheinlich abgelehnt werde. Der Grund dafür war das Fehlen der nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) geforderten Deutschkenntnisse. Daraufhin legte die Klägerin im Mai 2013 dar, dass sie aufgrund schwerwiegender gesundheitlicher Probleme nicht in der Lage sei, die notwendigen Sprachkenntnisse zu erwerben. Sie erklärte, dass sie an einer Tumorerkrankung leide und sich im November 2012 einer komplizierten Operation habe unterziehen müssen. Zudem sei eine weitere Operation für Herbst 2013 geplant. Zusätzlich zu diesen körperlichen Beeinträchtigungen verwies die Klägerin auf erhebliche psychische Erkrankungen, die es ihr unmöglich machten, Deutsch zu lernen.
Rechtliche Argumentation der Klägerin
Die Klägerin argumentierte, dass die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes nach § 9 Abs. 2 Satz 2 AufenthG erfüllt seien. Dieser Paragraph sieht vor, dass von den Anforderungen an die Deutschkenntnisse abgesehen werden kann, wenn der Antragsteller wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, diese zu erfüllen. Trotz dieser Argumentation und der vorgelegten ärztlichen Atteste lehnte der Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis mit Bescheid vom 23. August 2013 ab. Die Begründung lautete, dass die vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht ausreichend seien, um nachzuweisen, dass die Klägerin dauerhaft nicht in der Lage sei, die erforderlichen Deutschkenntnisse zu erwerben.
Klage vor dem Verwaltungsgericht Münster
Am 11. September 2013 erhob die Klägerin Klage vor dem Verwaltungsgericht Münster. Sie argumentierte unter anderem, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 10. Juli 2014 (C-138/13) auch in ihrem Fall anwendbar sei. Der EuGH hatte in diesem Urteil entschieden, dass die deutschen Vorschriften, die den Nachweis einfacher Deutschkenntnisse für den Ehegattennachzug verlangen, gegen das Recht auf Freizügigkeit und Familienzusammenführung verstoßen. Die Klägerin sah eine Parallele zu ihrer eigenen Situation und argumentierte, dass die Anforderungen an die Deutschkenntnisse auch in ihrem Fall unzulässig seien.
Entscheidung des Verwaltungsgerichts Münster
Das Verwaltungsgericht Münster entschied jedoch gegen die Klägerin. Es stellte fest, dass sie keinen Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis habe, da sie die erforderlichen Deutschkenntnisse gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG nicht nachweisen konnte. Das Gericht führte aus, dass die Klägerin bei einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde im März 2014 nicht in der Lage gewesen sei, einfache Fragen in deutscher Sprache zu verstehen. Damit sei sie nicht in der Lage, sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich zu verständigen, wie es die für sie anwendbare Übergangsvorschrift des § 104 Abs. 2 AufenthG verlange.
Das Gericht prüfte auch, ob die Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation von den Sprachvoraussetzungen befreit werden könne. Nach § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG müssen die sprachlichen Integrationsvoraussetzungen nicht erfüllt werden, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann. Das Gericht kam jedoch zu dem Schluss, dass die vorgelegten ärztlichen Atteste nicht ausreichen, um eine dauerhafte Unfähigkeit der Klägerin nachzuweisen, Deutsch zu lernen. Zwar belegten die Atteste, dass die Klägerin an verschiedenen Krankheiten litt und zeitweise stationär behandelt worden war, jedoch konnte daraus nicht geschlossen werden, dass sie dauerhaft außerstande wäre, die Sprachvoraussetzungen zu erfüllen.
Vereinbarkeit des Spracherfordernisses mit EU-Recht
Im Urteil des Verwaltungsgerichts Münster wurde auch die Vereinbarkeit des Spracherfordernisses mit Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Türkei geprüft. Diese Bestimmung enthält eine sogenannte Stillhalteklausel, die es den Vertragsparteien untersagt, neue Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen. Die Klägerin argumentierte, dass das Spracherfordernis eine solche neue Beschränkung darstelle. Das Gericht sah dies jedoch anders. Es führte aus, dass das Spracherfordernis des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls darstelle. Denn das Erfordernis tangiere nicht das Recht der Klägerin, sich in einem Mitgliedsstaat der EU aufzuhalten und dort Wohnsitz zu nehmen. Vielmehr sei es ein rechtmäßiges Mittel zur Förderung der Integration von Ausländern in die deutsche Gesellschaft.
Schlussfolgerung und Bedeutung des Urteils
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster zeigt die Herausforderungen auf, die sich für ausländische Staatsangehörige in Deutschland ergeben, wenn sie versuchen, eine Niederlassungserlaubnis zu erhalten. Obwohl die Klägerin gesundheitliche Gründe geltend machte, konnte sie nicht nachweisen, dass diese sie dauerhaft daran hindern würden, die erforderlichen Deutschkenntnisse zu erwerben. Das Gericht sah daher keinen Anlass, von den Sprachvoraussetzungen abzusehen. Zudem wurde klargestellt, dass das Spracherfordernis keine unzulässige neue Beschränkung im Sinne der Stillhalteklausel darstellt. Damit bleibt das Spracherfordernis ein zentrales Element der Integrationspolitik in Deutschland.
Dieses Urteil verdeutlicht, dass gesundheitliche Einschränkungen allein nicht ausreichen, um von den Anforderungen des Aufenthaltsgesetzes befreit zu werden. Es betont zudem die Bedeutung des Spracherwerbs für die Integration und den dauerhaften Aufenthalt in Deutschland, selbst in Fällen, in denen EU-Recht ins Spiel kommt.
Quelle: Verwaltungsgericht Münster
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