Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 07.03.2018, Az.: OVG 11 N 152.16
Im Bereich des Kindernachzugs ist § 32 AufenthG anzuwenden Nach Absatz 1 ist dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte, eine Mobiler-ICT-Karte, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzen.
Hat das minderjährige ledige Kind bereits das 16. Lebensjahr vollendet und verlegt es seinen Lebensmittelpunkt nicht zusammen mit seinen Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in das Bundesgebiet, gilt Absatz 1 nur, wenn es die deutsche Sprache beherrscht oder gewährleistet erscheint, dass es sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann
§ 32 Abs. 1 AufenthG verlangt also, dass beiden Eltern oder dem allein Sorgeberechtigten ein hiesiges Aufenthaltsrecht zustehen muss. Hierfür ist nicht ausreichend und deswegen ohne Belang, dass nichtverheiratete Väter nach Anerkennung der Vaterschaft für ihre Kinder in der türkischen Gerichts- oder Rechtspraxis mitsorgeberechtigt sind.
Im nachstehenden Beschluss wird durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu den Darlegungsanforderungen gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vorgetragen.
Danach muss sich die Zulassungsbegründung der Berufung mit dem angegriffenen Urteil auseinandersetzen und begründen, warum ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ein pauschaler Verweis auf Zweifel innerhalb der Begründung genügt dafür nicht.
Einleitung des Falls
Das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 22. September 2016 lehnte die Klage einer türkischen Familie ab, die auf die Erteilung von Ehegatten- und Familiennachzugsvisa für die in Deutschland lebenden Familienangehörigen abzielte. Im Mittelpunkt der Entscheidung stand die Frage, ob die Klägerin zu 1. über die erforderlichen Sprachkenntnisse nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG verfügt, die für den Ehegattennachzug notwendig sind.
Sprachkenntnisse und Stillhalteklausel
Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Klägerin trotz ihres Aufenthalts in Deutschland während der Kindheit nicht über die einfachen deutschen Sprachkenntnisse verfüge, die gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlich seien. Ein Sprachtest, der in der deutschen Botschaft in Ankara durchgeführt wurde, bestätigte dies. Da keine weiteren Bemühungen unternommen wurden, die notwendigen Sprachkenntnisse zu erwerben, und weder eine Unzumutbarkeit noch eine Unmöglichkeit nachgewiesen wurden, lehnte das Gericht die Klage ab.
Zudem entschied das Gericht, dass die Einführung des Spracherfordernisses nicht gegen die Stillhalteklausel in Art. 13 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 EWG/Türkei (ARB 1/80) verstoße, da zwingende Gründe des Allgemeininteresses vorlägen. Auch ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86/EG wurde ausgeschlossen.
Anspruch auf Kindernachzug
Das Gericht lehnte ebenfalls die Erteilung von Kindernachzugsvisa für die Kläger zu 2. und 3. ab. Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 AufenthG waren nicht erfüllt, auch wenn die Visaanträge vor dem 16. Lebensjahr der Kinder gestellt wurden. Zum Zeitpunkt der Anträge war die Mutter gemäß Art. 337 ZGB Türkei 2001 allein sorgeberechtigt. Der Vater, der in Deutschland lebte, erlangte das gemeinsame Sorgerecht erst durch die Eheschließung im Jahr 2014.
Auch für den 2010 geborenen Kläger zu 4. wurde ein Anspruch verneint. Die Mutter hätte gemäß § 32 Abs. 1 und 3 AufenthG eine Einverständniserklärung zur Übersiedlung des Kindes zum Vater abgeben müssen, was jedoch nicht geschah. Es lagen keine besonderen Härtefälle vor, die eine Ausnahme rechtfertigen würden.
Berufungsantrag und seine Ablehnung
Die Kläger stellten fristgerecht einen Antrag auf Zulassung der Berufung, welcher vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg abgelehnt wurde. Das Gericht sah keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, da die Kläger keine schlüssigen Gegenargumente vorbrachten, die einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung in Frage gestellt hätten.
Der Hinweis der Kläger auf die Urteile des EuGH und des OVG Berlin-Brandenburg, wonach türkische Staatsangehörige keinen Nachweis von Deutschkenntnissen erbringen müssten, überzeugte das Berufungsgericht nicht. Das Gericht betonte, dass die Einführung des Spracherfordernisses nach der gesetzlichen Härtefallklausel in § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG gerechtfertigt sei, da sie zwingende Gründe des Allgemeinwohls verfolge.
Auseinandersetzung mit besonderen rechtlichen Schwierigkeiten
Das Gericht befand auch, dass die Kläger die notwendigen Auseinandersetzungen mit der Begründung des Verwaltungsgerichts nicht ausreichend geführt hätten. Der Vortrag, die Klägerin sei Analphabetin und daher nicht in der Lage, die deutsche Sprache zu erlernen, reiche nicht aus, um eine Unzumutbarkeit des Spracherwerbs zu begründen. Zudem habe die Klägerin seit der Eheschließung und der Visumsbeantragung keine Bemühungen unternommen, sich weiterzubilden.
Das Vorbringen der Kläger hinsichtlich der elterlichen Sorge des Vaters, die nach türkischem Recht auch unverheirateten Vätern zustehe, wurde ebenfalls abgewiesen. Das Gericht entschied, dass die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 AufenthG nicht erfüllt seien, da die Mutter, die ebenfalls sorgeberechtigt war, kein Aufenthaltsrecht in Deutschland besaß.
Ergebnis und Schlussfolgerung
Insgesamt konnte das Berufungsgericht keine rechtlichen Schwierigkeiten von allgemeiner Bedeutung erkennen, die eine Zulassung der Berufung gerechtfertigt hätten. Auch eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung des Falls wurde verneint, da keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung vorlag, die einer obergerichtlichen Klärung bedurft hätte. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde daher abgelehnt.
Quelle: OVG Berlin-Brandenburg
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