Bundesverwaltungsgericht, 10.12.2014, Az.: BVerwG 1 C 15.14
Beim Ehegattennachzug zu Deutschen muss der Antragsteller nicht nur die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für die beantragte Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 30 AufenthG, sondern zugleich die für jeden Aufenthaltstitel erforderlichen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG erfüllen.
Gemäß § 5 Abs. 1 AufenthG muss insofern der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert und dessen Identität geklärt sein. Darüber hinaus darf kein Ausweisungsinteresse bestehen und durch den Aufenthalt des Ausländers dürfen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigt oder gefährdet sein. Auch muss dieser die Passpflicht erfüllen.
Gemäß § 5 Abs. 2 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU darüber hinaus voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Gerade die erste Voraussetzung des § 5 Abs. 2 AufenthG führt in vielen Fällen zu Unverständnis. Wenn zum Beispiel ein Ehegatte mit einem Schengenvisum nach Deutschland eingereist ist und dieser von der Ausländerbehörde aufgefordert wird, wieder auszureisen, um das Visumsverfahren in seinem Heimatstaat nachzuholen.
In dem hier besprochenen Fall des Bundesverwaltungsgericht wurde durch sämtliche Instanzen die Frage behandelt, ob ein türkischer Staatsangehöriger, welcher bereits zu einem früheren Zeitpunkt illegal in Deutschland aufgegriffen worden und erneut ohne Visum nach Deutschland eingereist war, dennoch einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis ohne Wiederausreise zur Nachholung des ordnungsgemäßen Visumsverfahrens hatte.
Ausgangssituation: Illegaler Aufenthalt und Ausweisung
Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wurde im Dezember 2002 in Hamburg ohne gültige Aufenthaltserlaubnis angetroffen. Er wurde vorläufig festgenommen und im Februar 2003 aufgrund seines illegalen Aufenthalts ausgewiesen. Nach eigenen Angaben reiste er daraufhin in die Türkei zurück. Im April 2011 meldete sich der Kläger erneut bei der Ausländerbehörde in Hamburg und beantragte eine Aufenthaltserlaubnis, um seine deutsche Verlobte heiraten zu können. Er gab an, im März 2010 erneut illegal, dieses Mal mit Hilfe eines Schleppers, nach Deutschland eingereist zu sein, um Arbeit zu suchen.
Duldung und Eheschließung trotz illegaler Einreise
Nach seiner erneuten illegalen Einreise erteilte die Ausländerbehörde dem Kläger im April 2011 eine Duldung, die mehrfach verlängert wurde. Im August 2011 heiratete der Kläger seine Verlobte, eine deutsche Staatsbürgerin. Trotz der Eheschließung erhob der Kläger Widerspruch gegen seine frühere Ausweisung von 2003. Die Ausländerbehörde teilte ihm daraufhin mit, dass die Ausweisungsverfügung von 2003 als nicht erlassen gelte, da eine ordnungsgemäße Zustellung nicht erfolgt sei und auch nicht mehr beabsichtigt werde.
Im August 2011 wurde der Kläger vom Amtsgericht Hamburg wegen illegaler Einreise und illegalen Aufenthalts von März 2010 bis April 2011 zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Mit Bescheid vom 1. September 2011 lehnte die Ausländerbehörde den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowohl nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als auch nach § 25 Abs. 5 AufenthG ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies sie ebenfalls zurück.
Klage beim Verwaltungsgericht: Ein erster Erfolg für den Kläger
Gegen die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht entschied zugunsten des Klägers und verpflichtete die Ausländerbehörde, ihm eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen. Die Behörde legte jedoch Berufung beim Oberverwaltungsgericht ein, um diese Entscheidung anzufechten.
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts: Neuprüfung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung
Mit Urteil vom 10. April 2014 änderte das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ab. Es verpflichtete die Ausländerbehörde, über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Das Oberverwaltungsgericht argumentierte, dass der Kläger nicht nur die speziellen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 30 AufenthG erfülle, sondern auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG.
Rechtliche Beurteilung: Ausnahme vom Visumerfordernis und Ausweisungsgrund
Das Gericht führte aus, dass zwar ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vorliege, da der Kläger durch seine illegale Einreise und den anschließenden illegalen Aufenthalt einen nicht unerheblichen Rechtsverstoß begangen habe. Allerdings bestünde hier eine Ausnahme vom Regelfall, da der Kläger in ehelicher Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen lebe und der Ausweisungsgrund allein auf der illegalen Einreise und dem Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen basiere. In einem solchen Fall sei es nicht erforderlich, die Aufenthaltserlaubnis zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit zu verweigern. Das Oberverwaltungsgericht betonte, dass die Gefahr einer zukünftigen Wiederholung der Verstöße gegen Einreisevorschriften bei einem verheirateten Ausländer, der in einer stabilen ehelichen Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen lebt, grundsätzlich ausgeschlossen sei.
Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis scheitere auch nicht daran, dass der Kläger ohne das erforderliche Visum eingereist sei. Zwar erfülle er die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht, jedoch lägen die Voraussetzungen vor, nach denen hiervon gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden könne. Die Ausländerbehörde habe in den angefochtenen Bescheiden das ihr nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG eröffnete Ermessen nicht sachgerecht ausgeübt, weshalb sie verpflichtet wurde, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag zu entscheiden.
Revision zum Bundesverwaltungsgericht und Endurteil
Die Ausländerbehörde legte Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein. Dieses folgte jedoch der Argumentation des Oberverwaltungsgerichts nicht und entschied, dass die Vorinstanzen die Klage hätten abweisen müssen. Es stellte fest, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe, da er ohne das erforderliche Visum eingereist sei. Ein Absehen von der Visumpflicht sei nur in Ausnahmefällen möglich, in denen ein strikter Rechtsanspruch auf den Aufenthaltstitel bestehe, was hier nicht der Fall sei.
Das Bundesverwaltungsgericht hob die Urteile der Vorinstanzen auf und wies die Klage ab. Es betonte, dass das Visumverfahren ein wichtiges Instrument zur Steuerung der Zuwanderung sei und nicht durch illegale Einreise umgangen werden dürfe. Die eheliche Lebensgemeinschaft des Klägers mit einer deutschen Staatsangehörigen könne nicht als ausreichend für eine Ausnahme von der Visumpflicht angesehen werden, da der Kläger durch seine illegale Einreise und den illegalen Aufenthalt einen Ausweisungsgrund geschaffen habe, der weiterhin bestehe.
Quelle: Bundesverwaltungsgericht
Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.
Wenn Sie rechtliche Beratung benötigen, rufen Sie uns unverbindlich unter der Rufnummer 0221 – 80187670 an oder schicken uns eine Email an info@mth-partner.de
Rechtsanwälte in Köln beraten und vertreten Sie im Ausländerrecht.