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Bundessozialgericht, 22.03.2012, Az.: B 8 SO 30/10 R
Die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ist eine Pflichtleistung, deren Rechtsgrundlagen im SGB IX und SGB XII kodifiziert sind.
Anspruchsberechtigt sind Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind.
Voraussetzung für den Erhalt der Eingliederungshilfe ist allerdings, dass nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, die Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe auch erfüllt werden kann.
Nachfolgend auf die Antragstellung der hilfebedürftigen Person werden bei der Prüfung der Leistungsgewährung durch das zuständige Sozialamt daher sozialmedizinische und sozialpädagogische Gutachten herangezogen.
Maßnahmen der Eingliederungshilfe können zum Beispiel sein:
- Hilfestellung zur Fortbildung im Beruf oder zur Umschulung
- Versorgung mit orthopädischen oder anderen Hilfsmitteln
- Hilfe bei der Beschaffung und Erhaltung einer Wohnung
- Hilfen zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft.
Bei schulpflichtigen Kindern können ebenfalls Maßnahmen gefördert werden, die der besseren Eingliederung des Kindes in den Schulalltag dienen. In dem oben genannten Rechtsstreit des Bundessozialgericht hatte dieses darüber zu entscheiden, ob die beklagte Behörde verpflichtet war, im Rahmen der Eingliederungshilfe die Kosten für eine sogenannte „Montessori-Therapie“ für das Kind zu übernehmen.
Die Montessori-Therapie ist eine besondere pädagogische Therapieform, die eine ganzheitliche Förderung von (behinderten) Kindern durch Vernetzung von motorischem, sensorischem, sozial-emotionalem und kognitivem Lernen vorsieht.
Einleitung: Der Fall und die Klägerin
In diesem Fall klagt eine im Jahr 1998 geborene Klägerin gegen einen Ablehnungsbescheid des zuständigen Beklagten. Die Klägerin litt an einer Sprachentwicklungsverzögerung mit auditiver Gedächtnisschwäche, weshalb der Beklagte zunächst die Kosten einer „Montessori-Einzeltherapie“ während ihrer Kindergartenzeit übernahm. Nach ihrer Einschulung setzte der Beklagte die Kostenübernahme für einige Monate fort, lehnte jedoch die weitere Finanzierung ab dem 1. Januar 2006 ab. Der Beklagte begründete dies damit, dass Eingliederungshilfe gemäß dem Sozialgesetzbuch (SGB XII) nur für begleitende Hilfen gewährt werde und pädagogische Maßnahmen wie die Montessori-Therapie in den Verantwortungsbereich der Schule fielen.
Die Klage und das Urteil des Sozialgerichts
Da die Eltern der Klägerin die Kosten für die Therapie in der ersten Jahreshälfte 2006 selbst tragen mussten, klagte die Klägerin vor dem Sozialgericht. Sie forderte die vollständige Erstattung der entstandenen Kosten in Höhe von 1.181,50 Euro. Das Sozialgericht entschied teilweise zugunsten der Klägerin und verurteilte den Beklagten, die Hälfte der Kosten (590,75 Euro) zu übernehmen. Die Begründung basierte auf der Tatsache, dass die Eingliederungshilfe teilweise in Anspruch genommen wurde, jedoch die pädagogische Natur der Therapie nicht vollständig in den Rahmen der Eingliederungshilfe falle.
Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht
Beide Parteien legten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berufung ein. Das Landessozialgericht (LSG) hob das Urteil des Sozialgerichts teilweise auf und entschied zugunsten der Klägerin. Es verurteilte den Beklagten, die gesamten Kosten der Montessori-Therapie in Höhe von 1.181,50 Euro zu übernehmen. Das LSG sah die Therapie als notwendige Maßnahme zur Sicherstellung der Teilhabe der Klägerin am Schulunterricht und somit als eine Form der Eingliederungshilfe an.
Entscheidung des Bundessozialgerichts
Der Beklagte legte daraufhin Revision beim Bundessozialgericht (BSG) ein. Das BSG hob das Urteil des LSG auf und verwies die Sache zur weiteren Entscheidung zurück. Das BSG stellte fest, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine vollständige Kostenübernahme nach § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nicht eindeutig geklärt seien. Insbesondere müsse geprüft werden, ob der Beklagte die Kostenübernahme zu Unrecht abgelehnt habe und ob die durchgeführte Therapie für die Schulpflicht der Klägerin notwendig gewesen sei. Hierfür fehlten jedoch ausreichende Feststellungen im Berufungsurteil, weshalb das Verfahren zur weiteren Aufklärung an das LSG zurückverwiesen wurde.
Zusammenfassung: Wichtige Rechtsfragen und Ausblick
Der Fall dreht sich um die Frage, ob eine Montessori-Therapie als Maßnahme der Eingliederungshilfe im Sinne des SGB XII zu werten ist und inwieweit eine Behörde die Kosten für selbst beschaffte Leistungen erstatten muss, wenn sie diese ursprünglich abgelehnt hat. Im Kern geht es um die Frage, ob die Therapie notwendig war, um der Klägerin die Teilhabe am schulischen Leben zu ermöglichen. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil betont, dass weitere Feststellungen erforderlich sind, um diese Frage abschließend zu beantworten. Dies zeigt, dass die Abgrenzung zwischen pädagogischen Maßnahmen und der Eingliederungshilfe im Sinne der Sozialgesetzgebung weiterhin differenziert betrachtet werden muss.
Quelle: Bundessozialgericht
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