Ausländerrecht: Zur Strafbarkeit eines Asylsuchenden wegen unerlaubter Einreise

Oberlandesgericht Bamberg, 24.09.14, Az.: 3 Ss 59/13

Die Zusammenhänge zwischen aufenthaltsrechtlicher Illegalität und Kriminalität sind äußerst komplex. So stellen sowohl die unerlaubte Einreise als auch der unerlaubte Aufenthalt Straftatbestände dar. Nach § 95 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, der ohne den erforderlichen Pass oder Aufenthaltstitel ins Bundesgebiet einreist oder sich darin aufhält, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft. Bei wiederholter Zuwiderhandlung drohen sogar bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe. Ebenso macht sich nach § 96 Abs. 1 AufenthG strafbar, wer einen Ausländer anstiftet oder ihm dabei hilft, illegal einzureisen oder illegal im Bundesgebiet zu bleiben (sogenanntes Einschleusen). Die §§ 95–97 AufenthG bilden insoweit typische Strafvorschriften des Nebenstrafrechts. Im Gegensatz zum allgemeinen Strafgesetzbuch (StGB) enthalten sie ihre Tatbestandsmerkmale nicht vollständig im Gesetzestext selbst, sondern verweisen auf andere Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes oder sonstiger Gesetze (etwa auf Pass- und Visumspflichten).

Besonders schwierig ist in der Praxis das Verhältnis dieser Strafvorschriften zum Asylrecht. Das deutsche Asylrecht gewährt Verfolgten ein Recht auf Schutz (Art. 16a Abs. 1 GG), steht aber in einem Spannungsverhältnis zu den Regeln über illegale Einreise. Einerseits soll ein Schutzsuchender nicht bestraft werden, nur weil er ohne Erlaubnis nach Deutschland flüchtet – das sieht auch Art. 31 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) so vor. Andererseits darf dieser Schutz nicht als Freibrief für jedwede Gesetzesverstöße verstanden werden. Diese Gegensätze führen immer wieder zu schwierigen Entscheidungen vor deutschen Gerichten. Ein illustratives Beispiel bietet der folgende Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg.

Einleitung: Flucht und Einreise des Angeklagten nach Deutschland

Der Angeklagte, ein afghanischer Staatsangehöriger, floh aus seinem Heimatland und gelangte über den Iran und die Türkei nach Griechenland. Dort erhielt er von einem Schleuser – gegen Bezahlung von 1.500 Euro – einen gefälschten pakistanischen Pass, der auf den Namen einer anderen Person ausgestellt war, aber mit dem Foto des Angeklagten versehen wurde. Am 17. August 2010 reiste der Angeklagte mit Unterstützung des Schleusers, der ihn durch die Flughafenkontrollen in Athen begleitete, per Flugzeug von Griechenland nach München ein.

Polizeikontrolle und Asylantrag

Bei der polizeilichen Einreisekontrolle am Flughafen München legte der Angeklagte den gefälschten Pass vor. Der kontrollierende Bundespolizist erkannte jedoch sofort die Fälschung, woraufhin der Angeklagte festgenommen wurde. Unmittelbar bei der Festnahme erklärte der Angeklagte, dass er in Deutschland Asyl beantragen wolle. Noch am selben Tag fand eine förmliche Vernehmung statt, in der der Angeklagte seine Fluchtgründe darlegte. Bereits am 18. August 2010 wurde er in die zuständige Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber überstellt, wo er einen formellen Asylantrag stellte. (Das Asylverfahren war zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung noch nicht abgeschlossen.) Aufgrund des Asylantrags erhielt der Angeklagte eine Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Diese Gestattung berechtigte ihn zum vorläufigen Verbleib in Deutschland für die Dauer des Asylverfahrens und befreite ihn zugleich von der Pass- und Ausweispflicht (§ 64 Abs. 1 AsylG). Außerdem entschieden die Grenzbehörden am Flughafen, dem Angeklagten die Einreise nicht zu verweigern – insbesondere wurde weder die Einreise nach § 18 Abs. 2 AsylG untersagt noch ein Flughafen-Asylverfahren nach § 18a AsylG eingeleitet. Damit war seine Einreise vorläufig legalisiert und sein Aufenthalt durch die Gestattung rechtlich gedeckt.

Erstes Urteil des Amtsgerichts: Freispruch

Das Amtsgericht, das zunächst mit dem Fall befasst war, sprach den Angeklagten vom Vorwurf der unerlaubten Einreise, des unerlaubten Aufenthalts und der Urkundenfälschung frei. Das Gericht argumentierte, das Verhalten des Angeklagten sei durch das in Art. 16a Abs. 1 GG verankerte Asylgrundrecht gerechtfertigt. Insbesondere sah das Amtsgericht den persönlichen Strafaufhebungsgrund des Art. 31 GFK als einschlägig an. Nach Art. 31 GFK dürfen Flüchtlinge, die direkt aus einem Verfolgerstaat kommend ohne Erlaubnis einreisen und sich unverzüglich bei den Behörden melden, nicht wegen illegaler Einreise oder illegalen Aufenthalts bestraft werden. Diese Regelung – so das Amtsgericht – komme hier zum Tragen. Aufgrund der sofortigen Asylsuche des Angeklagten habe kein strafbarer Verstoß gegen § 95 Abs. 1 AufenthG vorgelegen. Auch eine Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) verneinte das Amtsgericht mit der Begründung, das Vorlegen des falschen Passes sei durch das Asylrecht ebenfalls gerechtfertigt bzw. entschuldigt gewesen. Folglich erging ein Freispruch in allen Anklagepunkten.

Revision der Staatsanwaltschaft und Entscheidung des OLG Bamberg

Die Staatsanwaltschaft akzeptierte diesen Freispruch nicht und legte Revision zum Oberlandesgericht Bamberg ein. Das OLG Bamberg hob das Urteil des Amtsgerichts am 12. Juni 2012 auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. In der Folge kam es zunächst erneut zu einem Freispruch vor dem Amtsgericht, gegen den die Staatsanwaltschaft abermals Revision einlegte – sodass das OLG Bamberg abermals mit der Sache befasst wurde.

In seinem Urteil vom 24. September 2014 stellte das OLG Bamberg klar, dass das Amtsgericht zwar im Ergebnis zu Recht eine Strafbarkeit wegen vollendeter unerlaubter Einreise und vollendeten unerlaubten Aufenthalts verneint habe. Denn der Angeklagte habe unmittelbar nach seiner Festnahme Asyl beantragt und dadurch die erwähnte Aufenthaltsgestattung (§ 55 Abs. 1 AsylG) erlangt. Diese Gestattung wiederum machte den Aufenthalt rückwirkend legal und befreite ihn von der Passpflicht (§ 64 Abs. 1 AsylG). Da – wie oben geschildert – die Behörden dem Angeklagten die Einreise nicht verweigert hatten und kein besonderes Flughafenverfahren durchgeführt wurde, war seine faktische Einreise nicht als illegal zu werten. Sein Aufenthalt galt als erlaubt, solange über den Asylantrag nicht entschieden war. Insoweit bestätigte das OLG: Eine Bestrafung wegen vollendeter illegaler Einreise oder wegen illegalen Aufenthalts kam hier tatsächlich nicht in Betracht.

Mögliche Strafbarkeit wegen versuchter unerlaubter Einreise

Allerdings beanstandete das OLG Bamberg, dass das Amtsgericht die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen versuchter unerlaubter Einreise nicht ausreichend geprüft habe. Der Straftatbestand der unerlaubten Einreise nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ist gemäß § 95 Abs. 3 AufenthG schon im Versuch strafbar. Das OLG gab zu bedenken: Entscheidend sei die ursprüngliche Absicht des Angeklagten. Hatte er von Anfang an vor, in Deutschland Schutz zu suchen und Asyl zu beantragen? Oder wollte er zunächst ohne Asylantrag unter falscher Identität illegal ins Land gelangen und hätte er keinen Asylantrag gestellt, wenn er nicht aufgegriffen worden wäre? Im zweiten Fall – also wenn der Angeklagte lediglich die illegale Einreise plante und erst aufgrund der Festnahme spontan Asyl beantragte, um einer Bestrafung zu entgehen – greift der persönliche Strafaufhebungsgrund des Art. 31 GFK nicht. Flüchtlinge genießen den Schutz dieser Vorschrift nämlich nur, wenn sie aus eigenem Antrieb und unmittelbar nach der Einreise um Asyl nachsuchen. Wer hingegen primär als illegaler Migrant einreist und den Asylantrag erst stellt, nachdem er ertappt wurde, kann sich nicht auf Straffreiheit berufen. In diesem Licht hätte das Amtsgericht prüfen müssen, ob der Angeklagte sich wegen Versuchs der unerlaubten Einreise strafbar gemacht hat. Das OLG Bamberg verwies die Sache daher mit der Maßgabe an das Amtsgericht zurück, diese Frage aufzuklären.

Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung

Des Weiteren stellte das OLG Bamberg fest, dass der Freispruch hinsichtlich der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) keinen Bestand haben könne. Der Angeklagte hatte bei der Einreisekontrolle einen gefälschten Pass vorgelegt und sich damit objektiv einer Urkundenfälschung schuldig gemacht. Das OLG betonte, dass Art. 31 GFK lediglich die unrechtmäßige Einreise und den unrechtmäßigen Aufenthalt straffrei stelle – nicht aber die Begehung anderer Delikte wie etwa der Urkundenfälschung. Das Asylgrundrecht und die Genfer Konvention geben einem Schutzsuchenden kein Recht, zur Erlangung der Einreise falsche Dokumente vorzulegen. Folglich hätte das Amtsgericht den Angeklagten in diesem Anklagepunkt verurteilen müssen. Auch in diesem Punkt wurde das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben.

Schlussfolgerung und erneute Verhandlung

Zusammenfassend hob das OLG Bamberg das Urteil des Amtsgerichts aufgrund der festgestellten Rechtsfehler insgesamt auf. Für die neue Verhandlung gab das OLG folgende Leitlinien: Das Amtsgericht muss klären, ob der Angeklagte bereits bei der Einreise die Absicht hatte, in Deutschland Asyl zu beantragen. Wenn nein, käme eine Verurteilung wegen versuchter unerlaubter Einreise in Betracht. Zudem – so die Vorgabe des OLG – muss der Angeklagte wegen des Gebrauchs der gefälschten Urkunde (des falschen Passes) verurteilt werden, da insoweit kein Strafaufhebungsgrund greift. Die Sache wurde zur erneuten Entscheidung an einen anderen Richter des Amtsgerichts zurückverwiesen. (Letztlich endete der Fall in einer Verurteilung des Angeklagten wegen Urkundenfälschung. Hinsichtlich der versuchten unerlaubten Einreise konnte dem Angeklagten kein Vorsatz nachgewiesen werden, sodass er insoweit straflos blieb.)

Aktuelle Rechtsprechung: Bestätigung der Grundsätze

Der oben geschilderte Fall stammt aus dem Jahr 2014. Inzwischen haben Deutschlands höchste Gerichte die dort entwickelten Grundsätze bestätigt und präzisiert. Das Bundesverfassungsgericht betonte in einem Beschluss von Dezember 2014 (2 BvR 450/11) den Charakter des Art. 31 GFK als persönlichen Strafaufhebungsgrund: Die Norm schließt zwar die Bestrafung des Flüchtlings für seine illegale Einreise aus, lässt aber das Unrecht der Tat als solches unberührt. Das bedeutet, dass Dritte durchaus strafbar bleiben können, wenn sie an der illegalen Einreise beteiligt waren. So hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil von 2017 (3 StR 69/17) entschieden, dass ein Helfer oder Schleuser selbst dann bestraft werden kann, wenn die Einreise des Flüchtlings an sich aufgrund von Art. 31 GFK straffrei bleibt. Ebenso unterstrichen die Gerichte nochmals, dass Begleitdelikte – etwa das Verschaffen und Vorlegen falscher Papiere – nicht vom Asylrecht gerechtfertigt werden. Mit anderen Worten: Ein Flüchtling hat kein Recht, zur Ermöglichung seiner Flucht Straftaten wie Urkundenfälschung zu begehen. Diese Auffassung entspricht auch der Linie des UN-Flüchtlingskommissariats, das jedoch an die Staaten appelliert, strafrechtliche Sanktionen gegen Flüchtlinge so weit wie möglich zu begrenzen.

Neue Gesetzeslage 2024: Strafbarkeit falscher Angaben im Asylverfahren

Neben der Gerichtspraxis hat sich auch die Gesetzeslage bis 2025 weiterentwickelt. Insbesondere wurde Anfang 2024 das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz verabschiedet, das einige relevante Änderungen im Ausländerstrafrecht brachte. Erstmals wird nun die Abgabe falscher oder unvollständiger Angaben im Asylverfahren unter Strafe gestellt. Bis dahin war es für Asylsuchende zwar selbstverständlich verboten, die Behörden zu belügen – eine direkte Strafandrohung gab es jedoch nicht. Dies hat sich geändert: Wer nun im Asylverfahren wissentlich falsche Angaben macht oder verschweigt, um sich einen Schutzstatus zu erschleichen oder dessen Aberkennung zu verhindern, dem droht Geldstrafe oder sogar Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Diese Neuregelung soll Fälle von Asylbetrug ahnden, wird aber auch von Fachleuten kritisch gesehen. Man befürchtet eine Kriminalisierung von Flüchtlingen und Helfern, etwa wenn Beratungsstellen bei Ungereimtheiten haftbar gemacht würden.

Ebenfalls verschärft wurden 2024 die Vorschriften gegen Schleuserkriminalität. So erweitert § 96 AufenthG nun die Strafbarkeit auch auf Fälle, in denen jemand wiederholt oder zugunsten mehrerer Ausländer bei der illegalen Einreise hilft – selbst wenn keine finanzielle Gegenleistung erbracht wird. Zuvor machte sich nach dem Gesetz vor allem strafbar, wer gewerbsmäßig oder gegen Bezahlung schleuste. Nun können auch altruistische Fluchthelfer theoretisch erfasst werden. Insbesondere die Seenotrettung von Flüchtlingen geriet hierbei in den Fokus der Diskussion: Hilfsorganisationen befürchteten, dass die Rettung Schiffbrüchiger strafrechtlich verfolgt werden könnte, wenn die Geretteten keine Papiere haben. Der Gesetzgeber hat zwar in letzter Minute klargestellt, dass die unentgeltliche Hilfeleistung auf dem Landweg unter Strafe gestellt wird – dennoch bleibt die Regelung umstritten. Kritiker weisen auf den absurden Effekt hin, dass die Rettung Erwachsener straflos sein kann, während die Rettung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge unter Umständen als Straftat gewertet werden könnte. Ob und wie die Gerichte hier ein eng begrenztes Verständnis zugunsten humanitärer Helfer entwickeln, bleibt abzuwarten.

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags wurde nach bestem Wissen auf Grundlage der im November 2025 geltenden Rechtslage erstellt. Dennoch sind die Materie und ihre Entwicklungen komplex und einem ständigen Wandel unterworfen. Es wird daher keine Gewähr für die vollständige Richtigkeit übernommen; eine Haftung ist ausgeschlossen.

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Helmer Tieben

Ich bin Helmer Tieben, LL.M. (International Tax), Rechtsanwalt und seit 2005 bei der Rechtsanwaltskammer Köln zugelassen. Ich bin auf Mietrecht, Arbeitsrecht, Migrationsrecht und Digitalrecht spezialisiert und betreue sowohl lokale als auch internationale Mandanten. Mit einem Masterabschluss der University of Melbourne und langjähriger Erfahrung in führenden Kanzleien biete ich klare und effektive Rechtslösungen. Sie können mich auch über
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