Asylrecht: Schwere Eingriffe in die Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit stellen eine Verfolgung wegen der Religionsausübung dar

In Deutschland wird das Recht auf Asyl durch das Grundgesetz und das einfache Gesetzesrecht, vor allem das Asylgesetz (AsylG), ausgestaltet. Artikel 16a des Grundgesetzes (GG) verankert Asyl als Grundrecht für politisch Verfolgte. Dieses Asylgrundrecht hat Verfassungsrang und gewährleistet individuell einklagbaren Schutz vor politischer Verfolgung. Die aktuelle Ausgestaltung des Asylrechts berücksichtigt dabei sowohl nationale Regelungen als auch europäische Vorgaben und internationale Abkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Im Folgenden werden die wesentlichen Grundlagen, das Asylverfahren sowie wichtige gerichtliche Entscheidungen – Stand November 2025 – übersichtlich dargestellt.

Verfassungsrechtliche Grundlagen des Asylrechts (Art. 16a GG)

Artikel 16a GG formuliert das Asylrecht und enthält zugleich mehrere wichtige Einschränkungen und Regelungen, die im Zuge des Asylkompromisses 1993 eingeführt wurden. Im Einzelnen bestimmt Art. 16a GG:

  • Absatz 1: “Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.” – Dieses Grundrecht gewährleistet Schutz für Menschen, die aufgrund politischer Verfolgung nach Deutschland flüchten. Es handelt sich um ein subjektives Recht mit Verfassungsrang.

  • Absatz 2: Auf dieses Asylrecht kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem sonstigen “sicheren Drittstaat” eingereist ist. Diese Regel schließt Asylbewerber von der verfassungsrechtlichen Asylgewährung aus, wenn sie über ein Land einreisen, in dem ebenfalls Schutz vor Verfolgung besteht. Alle Nachbarstaaten Deutschlands gelten als sichere Drittstaaten, da sie entweder EU-Staaten sind oder die GFK und die Europäische Menschenrechtskonvention erfüllen. Faktisch bedeutet diese Bestimmung, dass Asyl im Grundgesetz nur noch greift, wenn die Einreise nicht über einen sicheren Drittstaat erfolgt – was in der Praxis selten der Fall ist. Die Zuständigkeit für solche Asylgesuche regelt meist das Dublin-System der EU, wonach der erste sichere Aufnahmestaat in Europa für das Asylverfahren verantwortlich ist.

  • Absatz 3: Der Gesetzgeber kann durch zustimmungspflichtiges Gesetz “sichere Herkunftsstaaten” definieren. Das sind Herkunftsländer, bei denen vermutet wird, dass dort keine politische Verfolgung stattfindet. Asylanträge von Personen aus sicheren Herkunftsstaaten werden im Regelfall als offensichtlich unbegründet betrachtet, was beschleunigte Verfahren ermöglicht. Die Vermutung der Verfolgungsfreiheit ist allerdings widerlegbar – ein Asylsuchender kann im individuellen Fall darlegen, dass er dennoch Verfolgung erlitten hat oder konkret bedroht ist. Deutschland führt eine Liste solcher sicheren Herkunftsländer im Anhang des Asylgesetzes. Diese Liste umfasst aktuell (Stand 2025) alle EU-Staaten sowie verschiedene weitere Länder, unter anderem die Westbalkan-Staaten, Georgien, Moldau, Senegal, Ghana und einige mehr. (Georgien und die Republik Moldau wurden erst Ende 2023 neu als sichere Herkunftsstaaten aufgenommen.)

  • Absatz 4: Erlaubt besondere Verfahrensregelungen für Personen, die aus sicheren Staaten einreisen. Dies bildet die Grundlage für Schnellverfahren – beispielsweise das Flughafenverfahren. Asylsuchende, die aus einem als sicher eingestuften Herkunfts- oder Drittstaat direkt am Flughafen ankommen, können in einem beschleunigten Verfahren innerhalb von wenigen Tagen (teilweise innerhalb von 48 Stunden) einen Bescheid erhalten. Sollte ihr Antrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden, kann ihre Zurückweisung oder Abschiebung unmittelbar erfolgen. Diese Regelung soll Missbrauch vorbeugen und Verfahren beschleunigen, muss aber so ausgestaltet sein, dass rechtliches Gehör und effektiver Rechtsschutz gewährleistet bleiben. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung 1996 betont, dass derartige Schnellverfahren nur unter strikter Wahrung gewisser Mindestgarantien verfassungsgemäß sind.

  • Absatz 5: Stellt klar, dass die Bestimmungen des Art. 16a GG völkerrechtliche Verträge unberührt lassen. Insbesondere die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und bindende EU-Regelungen bleiben trotz der obigen Einschränkungen gültig. Mit anderen Worten: auch wenn ein Asylanspruch nach dem Grundgesetz ausgeschlossen ist (z.B. wegen Einreise über einen Drittstaat), müssen die Behörden dennoch prüfen, ob dem Betroffenen nach anderen Regelungen Schutz zusteht (etwa Flüchtlingsschutz nach der GFK/EU-Recht oder Subsidiärer Schutz bei Gefahr schwerer Schäden wie Krieg, Folter etc.). Art. 16a Abs. 5 GG gewährleistet somit, dass internationaler Flüchtlingsschutz und humanitäre Verpflichtungen weiterhin greifen, selbst wenn das enge verfassungsrechtliche Asylrecht im Einzelfall nicht zur Anwendung kommt.

Durch diese in Art. 16a GG festgelegten Punkte ist deutlich geworden, dass das Asylgrundrecht zwar weiterhin zentral ist, aber im Zusammenspiel mit europäischen und internationalen Regelungen zu sehen ist. Deutschland hat sein Asylrecht stark europäisiert: Zum einen wird der Zugang zum Asylverfahren durch EU-Abkommen (Dublin-Verordnung) beeinflusst, zum anderen sind die Kriterien für die Zuerkennung von Schutz an die EU-Qualifikationsrichtlinie und die Genfer Konvention angelehnt. Das Grundrecht auf Asyl bleibt als historische Errungenschaft bestehen, greift jedoch in der Praxis nur unter bestimmten Voraussetzungen direkt, da die meisten Flüchtlinge über sichere Drittstaaten einreisen. Flüchtlingsschutz wird deshalb heute oft über einfachgesetzliche Regelungen des Asylgesetzes gewährt – entweder als Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (nach §3 AsylG, was dem Status eines GFK-Flüchtlings entspricht) oder als subsidiärer Schutz (§4 AsylG), wenn zwar keine gezielte politische Verfolgung vorliegt, aber dem Betroffenen im Heimatland ernsthafter Schaden wie Krieg oder Folter droht.

Asylverfahren und Zuständigkeiten in Deutschland

Für die Prüfung von Asylanträgen ist in Deutschland das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig. Das BAMF nimmt den Asylantrag entgegen, führt eine Anhörung des Antragstellers durch und entscheidet anschließend über den Antrag. Die Entscheidung des BAMF kann folgendermaßen ausfallen:

  • Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG (was praktisch selten ist, da meist die Einreise über Drittstaaten erfolgte),

  • Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG (basierend auf der Genfer Flüchtlingskonvention – dies ist die häufigste Form des Schutzes für politisch Verfolgte),

  • Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG (wenn zwar keine Verfolgung im engen Sinne, aber ernsthafte allgemeine Gefahr im Heimatland besteht, z.B. Bürgerkrieg), oder

  • Ablehnung des Asylantrags (ggf. mit dem Zusatz „offensichtlich unbegründet“, insbesondere bei Antragstellern aus sicheren Herkunftsstaaten oder bei widersprüchlichen bzw. missbräuchlichen Anträgen).

Erhält ein Asylsuchender einen Ablehnungsbescheid, steht ihm der Verwaltungsrechtsweg offen. Gegen die BAMF-Entscheidung kann innerhalb bestimmter Fristen Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht erhoben werden. In eilbedürftigen Fällen – etwa wenn eine Abschiebung droht – kann zusätzlich vorläufiger Rechtsschutz beantragt werden, damit der Betroffene bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens in Deutschland bleiben darf. Die Verwaltungsgerichte überprüfen die Entscheidung des BAMF sowohl in tatsächlicher Hinsicht (etwa Glaubhaftigkeit des Vortrags, Situationsberichte zum Herkunftsland) als auch in rechtlicher Hinsicht (Einhaltung der Schutzkriterien und Verfahrensvorschriften).

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist dreistufig aufgebaut: Nach dem erstinstanzlichen Verwaltungsgericht kann in bestimmten Fällen Berufung zum Oberverwaltungsgericht (bzw. Verwaltungsgerichtshof in einigen Bundesländern) eingelegt werden. Schließlich kann das Verfahren grundsätzlicher Fragen wegen bis zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) gelangen. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) befasst sich in Ausnahmefällen mit Asylfragen, nämlich wenn Grundrechte verletzt sein könnten – allerdings muss hierfür der Rechtsweg ausgeschöpft sein und eine Verfassungsbeschwerde erhoben werden.

Das Asylverfahren in Deutschland ist durch das Asylgesetz (bis 2015: Asylverfahrensgesetz) detailliert geregelt. Dort finden sich z.B. Bestimmungen über die Verteilung der Asylbewerber auf die Bundesländer, den Ablauf der Anhörung, Fristen, den Umgang mit Folgeanträgen und Dublin-Verfahren sowie besondere Verfahrensarten (wie das beschleunigte Verfahren in besonderen Aufnahmeeinrichtungen). Im Laufe der Jahre – insbesondere ab 2015 während der erhöhten Zuwanderung – wurde das Asylgesetz mehrfach reformiert, um Verfahren effizienter zu gestalten, aber auch um Missbrauch vorzubeugen. So wurden etwa spezielle Ankunftszentren und sog. „AnkER-Zentren“ eingerichtet, in denen verschiedene Behörden unter einem Dach arbeiten, um Asylentscheidungen zügiger herbeizuführen. Gleichzeitig bleiben die rechtsstaatlichen Garantien für Asylsuchende wichtig: Recht auf Anhörung, Zugang zu Rechtsberatung und effektiver Rechtsschutz dürfen nicht ausgehöhlt werden.

Politische Verfolgung – Definition und Bezug zur Genfer Flüchtlingskonvention

Art. 16a GG gewährt Asyl ausschließlich für „politisch Verfolgte“. Der Begriff der politischen Verfolgung ist im Grundgesetz selbst nicht näher definiert. Seine genaue Konturierung obliegt der Rechtsprechung, insbesondere dem Bundesverfassungsgericht und den Verwaltungsgerichten, und orientiert sich maßgeblich an der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) sowie heute an der EU-Qualifikationsrichtlinie.

Nach allgemein anerkannter Definition liegt politische Verfolgung vor, wenn Eingriffe in Leib, Leben oder die persönliche Freiheit stattfinden (oder drohen), die an eines der in der GFK genannten Merkmale anknüpfen: nämlich Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Entscheidend ist, dass der Betroffene aufgrund eines dieser Merkmale gezielt benachteiligt oder bedroht wird, und dass die Verfolgungsmaßnahmen eine gewisse Schwere erreichen, sodass grundlegende Menschenrechte verletzt werden. Unerheblich ist dabei, ob das Merkmal, auf das die Verfolgung abzielt, dem Betroffenen angeboren, unveränderlich oder identitätsprägend ist – der Schutz gilt gleichermaßen. Beispiele: Jemand wird wegen seiner Religion drangsaliert, oder wegen der ethnischen Herkunft systematisch diskriminiert, oder aufgrund seiner politischen Oppositionshaltung bedroht. Auch die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe ist ein anerkannter Verfolgungsgrund – hierzu zählen etwa bestimmte Minderheiten, LGBTQ-Personen, oder je nach Land auch Frauen, wenn ihnen aufgrund ihres Geschlechts besondere Verfolgung droht (siehe weiter unten zur aktuellen Rechtsprechung).

Kein Asyl im Sinne des Grundgesetzes genießt hingegen, wer zwar vor großer Not flieht, aber nicht persönlich zielgerichtet aus den genannten Gründen verfolgt wird. Menschen, die vor einem allgemeinen Bürgerkrieg, vor extremer Armut oder Naturkatastrophen fliehen, fallen nicht unter den engen Begriff der politischen Verfolgung des Art. 16a GG. Ihr Schutzbedarf wird – falls gegeben – durch andere Instrumente gedeckt (subsidiärer Schutz oder humanitäre Aufnahmeprogramme), aber nicht durch das Asylgrundrecht. Diese Unterscheidung macht deutlich, dass Art. 16a GG den engen Kreis tatsächlich individuell Verfolgter schützen soll, während breitere Fluchtursachen über einfaches Gesetz- und Völkerrecht abgedeckt werden.

Wichtig ist auch, wer als Verfolger auftritt. Klassischerweise ging man vom Staat als Verfolger aus (z.B. politische Verfolgung durch Behörden, Polizei, Militär eines Regimes). In modernen Asylfällen erkennen Rechtsprechung und Gesetz aber auch nichtstaatliche Akteure als Verfolger an, sofern der Heimatstaat nicht willens oder nicht in der Lage ist, Schutz zu bieten. Das heißt, wenn z.B. eine terroristische Miliz oder auch Teile der Gesellschaft (etwa fanatische Familienangehörige, Clans etc.) jemanden verfolgen und der Staat gewährt dagegen keinen effektiven Schutz, kann dies ebenfalls als asylrelevante Verfolgung zählen. Zentral ist die Unfreiwilligkeit der Flucht: Der Verfolgte muss gezwungen sein, das Heimatland aufgrund ernster Bedrohung zu verlassen.

Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 definiert einen Flüchtling in Artikel 1 A in ähnlicher Weise: als Person, die “aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.” Diese Definition ist heute die Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts und wurde in EU-Recht übernommen. Das deutsche Asylrecht – sowohl auf Verfassungsebene als auch im Asylgesetz – lehnt sich eng an diese Kriterien an. Die deutschen Gerichte greifen bei der Auslegung, ob jemand politisch verfolgt ist, auf die Maßstäbe der GFK zurück. So hat das Bundesverfassungsgericht schon früh klargestellt, dass Verfolgung eine “rechtswidrige Verletzung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der persönlichen Freiheit” sein muss, die den Betroffenen “wegen eines asylerheblichen Merkmals” trifft und ihn gerade deshalb aus der Gemeinschaft ausgrenzt.

Ein wichtiger Aspekt, den die Rechtsprechung betont: Die Intensität der Verfolgung. Nicht jede Benachteiligung stellt bereits Asylgrund dar. Die Maßnahmen müssen ein so erhebliches Gewicht haben, dass Menschenwürde und Kernrechte verletzt werden. Typische Beispiele sind willkürliche Verhaftungen, Folter, Todesdrohungen, schwerwiegende körperliche Misshandlungen, existenzbedrohende Diskriminierungen oder andere Formen extremer Druckausübung. Kumulativ können auch mehrere geringere Eingriffe zusammen genommen die Schwelle zur Verfolgung erreichen, wenn sie in ihrer Gesamtheit unerträglich werden (z.B. dauerhafte schwerwiegende Schikanen, Berufsverbote, Entzug der Lebensgrundlage etc. aufgrund eines asylrelevanten Merkmals).

Wichtige Rechtsprechung: Asylgründe und aktuelle Entscheidungen

Das Asylrecht unterliegt ständiger Fortentwicklung durch die Gerichte. Sowohl deutsche Gerichte als auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) prägen durch ihre Urteile die Anwendung der Asylgesetze. Im Folgenden zwei exemplarische Entscheidungen – eine grundsätzliche zum Thema religiöse Verfolgung und eine neuere zur Einstufung sicherer Herkunftsländer –, die zeigen, wie Rechtsprechung den Schutzumfang konkretisiert.

Religiöse Verfolgung als Asylgrund – EuGH im Fall der Ahmadiyya (2012)

Ein meilensteinartiges Urteil zur religiösen Verfolgung erging bereits im Jahr 2012 durch den Europäischen Gerichtshof. Hintergrund war der Fall zweier Asylsuchender (im Urteil anonymisiert als Y und Z bezeichnet) aus Pakistan, die der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya angehören. In Pakistan waren Ahmadis vielfältigen Repressionen ausgesetzt: Ihre Religionsausübung wurde staatlich stark eingeschränkt und von Teilen der Gesellschaft gewaltsam unterdrückt.

Y schilderte in seinem Asylverfahren in Deutschland, er sei in seinem Dorf wiederholt während des Gebets von einem Mob angegriffen, geschlagen und mit Steinen beworfen worden. Man habe ihm gedroht, ihn zu töten. Außerdem wurde er wegen angeblicher Blasphemie (Beleidigung des Propheten Mohammed) angezeigt – ein Vorwurf, der in Pakistan drakonische Strafen nach sich ziehen kann. Z berichtete ebenfalls von physischen Übergriffen aufgrund seines Glaubens und sogar von kurzzeitiger Inhaftierung, weil er seine Religion ausübte. Beide machten geltend, sie würden in Pakistan als Ahmadis umfassend in ihrer Religionsfreiheit behindert und schwebten in ständiger Gefahr, wenn sie ihren Glauben offen lebten.

Die deutschen Asylbehörden lehnten die Anträge von Y und Z jedoch zunächst ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die staatlichen Maßnahmen gegen Ahmadis in Pakistan – wie das Verbot, sich öffentlich zu ihrem Glauben zu bekennen – seien nur Einschränkungen der religiösen Betätigungsfreiheit in der Öffentlichkeit, aber keine asylrelevante Verfolgung. Man argumentierte, den Ahmadis stehe es frei, ihren Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren; daher sei keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben gegeben, sofern sie bestimmte provokative Handlungen (wie missionarische Tätigkeiten oder öffentliches Tragen religiöser Symbole) unterließen.

Gegen diese Entscheidung klagten Y und Z vor deutschen Gerichten. Das Verfahren gelangte schließlich bis zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), das erkannte, dass es hier um eine Grundsatzfrage geht: Unter welchen Voraussetzungen stellen Einschränkungen der Religionsausübung eine “Verfolgung” im Sinne des Flüchtlingsrechts dar? Das BVerwG rief den Europäischen Gerichtshof an und legte ihm diese Frage zur Auslegung des EU-Asylrechts vor.

Der EuGH stellte in seinem Urteil vom 5. September 2012 klar: Religiöse Verfolgung kann nicht auf den “Kernbereich” des privaten Glaubenslebens beschränkt werden. Entscheidend ist vielmehr, ob der Betroffene in seinem Herkunftsland seinen Glauben so, wie es ihm wichtig ist, ausüben könnte, ohne erhebliche Gefahren befürchten zu müssen. Der Gerichtshof betonte, dass der Begriff der Religion im Sinne des Flüchtlingsrechts ausdrücklich auch die Ausübung der Religion in der Öffentlichkeit umfasst – etwa gemeinsame Gottesdienste, missionarische Aktivitäten oder das Tragen religiöser Symbole. Wenn öffentliche Glaubensbetätigung aufgrund staatlicher Verbote oder gesellschaftlicher Sanktionen mit schwerwiegenden Nachteilen oder Bestrafungen verbunden ist, kann dies eine asylrelevante Verfolgung darstellen.

Konkret entschied der EuGH im Fall Y und Z: Einem Flüchtling ist die Flüchtlingseigenschaft (und damit Asyl) zuzuerkennen, wenn feststeht, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland religiöse Handlungen vornehmen würde, die ihn der realen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Die nationalen Behörden dürfen von einem Asylbewerber nicht verlangen, dass er auf bestimmte Ausdrucksformen seines Glaubens verzichtet, nur um sich vor Verfolgung zu schützen. Mit anderen Worten: Es ist unzumutbar, dass jemand seine Religion verleugnet oder nur im Verborgenen praktiziert, um Strafverfolgung oder Gewalt zu entgehen – ein derartiges “Ausweichverhalten” braucht ein Flüchtling nicht an den Tag zu legen.

Im Urteil führte der EuGH sinngemäß aus: Selbst wenn eine bestimmte religiöse Praxis (zum Beispiel das missionarische Werben für den eigenen Glauben oder das öffentliche Gebet) nicht zum unverzichtbaren Kern der Religion gehören mag, so ist das irrelevant für den Schutz: Entscheidend ist allein, ob der Betroffene persönlich diese Praxis für seine Glaubensidentität als wichtig ansieht und ob ihn die Ausübung objektiv in Gefahr bringen würde. Ist dies der Fall, liegt Verfolgung aus religiösen Gründen vor. Nicht jede Behinderung religiöser Betätigung ist zwar schon Verfolgung – der EuGH machte deutlich, dass nur ausreichend schwere Eingriffe ein Asylgrund sind. Doch im Falle der Ahmadis in Pakistan, die mit Gefängnisstrafen und massiver Gewaltandrohung bei öffentlicher Religionsausübung rechnen müssen, sei die Schwelle eindeutig überschritten.

Dieses EuGH-Urteil von 2012 hat große Bedeutung für den Schutz religiöser Minderheiten. Es stellte klar, dass Religionsfreiheit umfassend geschützt wird: Gläubige Flüchtlinge dürfen nicht darauf verwiesen werden, ihren Glauben “leiser” oder heimlich zu leben, um unbehelligt zu bleiben. Für die deutsche Praxis bedeutete dies, dass Ahmadis aus Pakistan – wie Y und Z – grundsätzlich als Flüchtlinge anzuerkennen sind, sofern sie darlegen, dass sie ihren Glauben auch öffentlich ausüben möchten. In der Konsequenz haben nachfolgend sowohl das BVerwG als auch die Verwaltungsgerichte diese Linie übernommen. Religiöse Verfolgung wird seitdem großzügiger ausgelegt: Auch Gesetze oder Vorschriften, die eine Religion in unzumutbarer Weise einschränken, können Verfolgungscharakter haben, ebenso wie private Übergriffe, wenn der Staat keinen Schutz bietet. Das Urteil Y und Z hat damit den Grundstein dafür gelegt, dass zum Beispiel auch Christen in islamisch geprägten Ländern, Konvertiten oder andere religiöse Minderheiten effektiver Schutz erhalten können, falls ihnen bei öffentlicher Ausübung ihres Glaubens Verfolgung droht.

Aktuelle Rechtsprechung: Kriterien für sichere Herkunftsstaaten (EuGH 2025)

Ein weiterer bedeutsamer Aspekt des Asylrechts – vor allem politisch aktuell – ist die Frage der sicheren Herkunftsstaaten. Hier hat der Europäische Gerichtshof in jüngster Zeit die Maßstäbe verschärft. In einem Urteil vom 1. August 2025 (Rechtssachen C‑758/24 und C‑759/24) entschied der EuGH, unter welchen Voraussetzungen ein Land als “sicherer Herkunftsstaat” gelten darf.

Hintergrund: Wenn ein Asylbewerber aus einem als sicher eingestuften Herkunftsland kommt, wird sein Antrag im Regelfall als unbegründet angesehen, da man annimmt, er sei in seinem Heimatland nicht politisch verfolgt. Dieses Konzept hilft, offenkundig aussichtslose Anträge schnell abzulehnen und Ressourcen auf wirklich Verfolgte zu konzentrieren. Allerdings birgt es die Gefahr, dass Menschen aus benachteiligten Minderheiten eines „im Allgemeinen sicheren“ Landes zu Unrecht abgewiesen werden.

Im entschiedenen Fall ging es um zwei Asylbewerber aus Bangladesch, die in Italien um Schutz nachsuchten. Italien führt – wie Deutschland – eine eigene Liste sicherer Herkunftsstaaten. Bangladesch stand (und steht) auf der italienischen Liste. Die beiden Bangladescher wurden in einem beschleunigten Verfahren abgelehnt mit dem Hinweis auf diese Sicherheitseinstufung. Sie wehrten sich gerichtlich und das vorlegende Gericht zweifelte, ob die italienische Praxis mit EU-Recht vereinbar sei. Insbesondere war unklar, ob ein Land wirklich “sicher” genannt werden kann, wenn dort nur bestimmte Gruppen keine Verfolgung erleben, andere aber sehr wohl – hier spielte zum Beispiel die Situation von verfolgten Minderheiten eine Rolle. Ebenfalls problematisiert wurde die Transparenz der Entscheidungsgrundlagen: Italien hatte bei der Festlegung der sicheren Herkunftsstaaten nicht offengelegt, auf welche Informationsquellen (Lageberichte, Menschenrechtsgutachten etc.) es sich stützte.

Der EuGH traf in seinem Urteil zwei wesentliche Klarstellungen:

1. “Sicher” heißt sicher für alle Bevölkerungsgruppen: Ein Staat darf nach EU-Recht nur dann als sicherer Herkunftsstaat eingestuft werden, wenn darin keinerlei Gruppe systematischer Verfolgung ausgesetzt ist. Es genügt also nicht, dass z.B. die Mehrheit der Bevölkerung frei von Verfolgung ist, während etwa ethnische oder religiöse Minderheiten oder LGBTQ-Personen in diesem Land Repression erleiden. Gibt es Personengruppen, für die kein ausreichender Schutz besteht, darf das Land nicht pauschal als sicher gelten. Anders formuliert: Ein Land ist entweder für alle seine Staatsangehörigen sicher – oder es ist nicht sicher. Diese strikte Anforderung galt nach dem Urteil zumindest nach der aktuellen Rechtslage. (Der EuGH wies allerdings darauf hin, dass eine anstehende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ab 2026 Ausnahmen vorsehen wird: Künftig könnte es möglich sein, ein Land trotz Gefahren für eng umgrenzte Gruppen als “im Allgemeinen sicher” zu definieren, wenn für diese Gruppen besondere Prüfverfahren vorgesehen sind. Derzeit jedoch – Stand 2025 – gilt noch das strenge Prinzip “ganz oder gar nicht”.)

2. Transparenz und gerichtliche Überprüfbarkeit der Einstufung: Die EuGH-Richter hoben hervor, dass die Entscheidung eines Mitgliedstaats, ein Land auf die sichere Herkunftsliste zu setzen, nachvollziehbar und überprüfbar sein muss. Konkret muss der Gesetzgeber die Quellen und Erkenntnismittel benennen, auf denen seine Einschätzung der Sicherheit beruht – etwa Berichte des Auswärtigen Amtes, UNHCR-Einschätzungen, NGO-Berichte usw. Nur so haben sowohl abgelehnte Asylbewerber als auch die Gerichte eine reale Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Listung anzufechten oder zu prüfen. In dem italienischen Fall war kritisiert worden, dass ein neues Gesetz Bangladesch als sicher einstufte, ohne zu dokumentieren, welche Informationen diese Einstufung untermauern. Das erschwere es, eventuelle Veränderungen der Lage oder Fehlbewertungen offenzulegen. Der EuGH machte unmissverständlich klar: Mitgliedstaaten dürfen zwar selbstständig via Gesetz Staaten als sicher definieren, aber diese Entscheidung unterliegt voller gerichtlicher Kontrolle. Und für eine effektive Kontrolle müssen alle Fakten, Berichte und Kriterien offengelegt werden, die zu der Bewertung “sicher” geführt haben.

Dieses EuGH-Urteil aus 2025 hat auch für Deutschland unmittelbare Bedeutung. Auch hier existiert – wie oben erwähnt – eine Liste sicherer Herkunftsstaaten, festgelegt in §29a AsylG i.V.m. Anlage II. Dazu zählen derzeit neben allen EU-Staaten unter anderem Albanien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Nordmazedonien, Kosovo, Montenegro (Westbalkan), Senegal, Ghana, Georgien und Moldau. Die deutschen Behörden und Gerichte müssen nun die EuGH-Vorgaben beachten. Konkret heißt das: Bei jedem dieser Länder ist zu prüfen, ob wirklich alle Personengruppen dort vor politischer Verfolgung sicher sind. Sollte sich beispielsweise herausstellen, dass in einem dieser als sicher geltenden Staaten etwa Homosexuelle doch verfolgt werden (Stichwort: strafrechtliche Verfolgung oder massiver gesellschaftlicher Gewalt ohne staatlichen Schutz), müsste die Einstufung überdacht werden – zumindest dürften die Gerichte in solchen Fällen nicht einfach blind auf die Liste vertrauen, sondern müssen dem individuellen Schutzbegehren genauer nachgehen. Außerdem ist die Bundesregierung gehalten, die Erkenntnisquellen für die Bewertung offenzulegen. In Deutschland wird diese Transparenz zum Teil schon dadurch hergestellt, dass die Regierung regelmäßig Berichte zur Lage in den sicheren Herkunftsländern veröffentlicht (seit 2015 gesetzlich vorgeschrieben alle zwei Jahre). Dennoch dürfte das EuGH-Urteil auch hierzulande für Diskussion sorgen, ob die eine oder andere Ländereinstufung noch zeitgemäß ist – zumal die Sicherheit einer gesamten Bevölkerung stets sorgfältig belegt sein muss.

Die Entscheidung aus Luxemburg zwingt insgesamt zu einer vorsichtigen Handhabung der “sicheren Herkunftsstaaten”. Sie schützt Minderheiten in Ländern, die zwar eine Friedensregion sein mögen, aber eben nicht alle Einwohner gleichermaßen vor Verfolgung schützen. Politisch brisant ist dies deshalb, weil viele europäische Regierungen (auch die deutsche) das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ausweiten möchten, um Asylverfahren schneller abzuwickeln. Künftig – nach Inkrafttreten der neuen EU-Asylverfahrensverordnung (voraussichtlich 2026) – wird man wohl differenziertere Einstufungen vornehmen dürfen, z.B. Ausnahmen für bestimmte Gruppen definieren (etwa: „Land X ist sicher, ausgenommen Personenmerkmal Y“). Doch bis dahin gilt das EuGH-Diktum: einheitliche Sicherheit als Voraussetzung.

Für die deutsche Praxis bedeutet dies konkret, dass die Verwaltungsgerichte bei Klagen von Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsländern genau hinschauen müssen, ob im individuellen Fall nicht doch Verfolgungsgefahren bestehen, gerade wenn der Asylbewerber zu einer spezifischen Minderheit gehört. Die Tatsache, dass sein Land auf der Liste steht, vereinfacht zwar das Verfahren (Beweislast liegt mehr beim Antragsteller zu zeigen, warum dennoch Verfolgung droht), entbindet aber nicht von gründlicher Prüfung. Bereits in der Vergangenheit hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat nur dann verfassungsgemäß ist, wenn für jeden dieser Staaten generell keine politische Verfolgung stattfindet und gleichzeitig gewährleistet ist, dass begründete Ausnahmen im Asylverfahren anerkannt werden. Die EuGH-Rechtsprechung vom August 2025 stützt diese Linie nun auch auf europäischer Ebene nochmals ausdrücklich.

Fazit

Das deutsche Asylrecht ist ein komplexes Zusammenspiel von nationalem Verfassungsrecht, einfachen Gesetzen, EU-Vorgaben und internationalem Recht. Stand November 2025 lässt sich festhalten: Der Kern des Asylgrundrechts – Schutz für politisch Verfolgte – bleibt unangetastet, wurde jedoch durch viele Detailregelungen konkretisiert und eingeschränkt, um Missbrauch zu verhindern und Verfahren zu steuern. Europäische Gerichtsurteile haben zuletzt den Schutz in bestimmten Bereichen gestärkt, etwa indem sie klarstellten, dass religiöse Freiheit umfassend zu respektieren ist und dass bei den “sicheren Herkunftsstaaten” hohe Anforderungen gelten. Für Praktiker und Juristen ist interessant, dass die Rechtsprechung dynamisch bleibt: Sowohl in Fragen geschlechtsspezifischer Verfolgung, im Umgang mit Schutzgewährung innerhalb der EU (Stichwort: Flüchtlingsanerkennung in einem anderen EU-Staat) als auch hinsichtlich neuer EU-Regelungen (Asylverfahrensreform) gibt es laufend Entwicklungen. Für den Laien ist wichtig: Menschen, die tatsächlich verfolgt werden, genießen in Deutschland Schutz. Die rechtlichen Hürden zielen darauf ab, diesen Schutz gezielt denjenigen zukommen zu lassen, die ihn am dringendsten brauchen – zugleich aber ungerechtfertigte oder nicht verfolgungsbasierte Anträge schneller zu bearbeiten.

Wichtiger Hinweis: Dieser Beitrag wurde nach bestem Wissen und aktuellem Kenntnisstand erstellt. Dennoch kann angesichts der Komplexität und der laufenden Veränderungen der Materie keine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit übernommen werden. Er dient der allgemeinen Information und ersetzt keine verbindliche juristische Beratung.

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Helmer Tieben

Ich bin Helmer Tieben, LL.M. (International Tax), Rechtsanwalt und seit 2005 bei der Rechtsanwaltskammer Köln zugelassen. Ich bin auf Mietrecht, Arbeitsrecht, Migrationsrecht und Digitalrecht spezialisiert und betreue sowohl lokale als auch internationale Mandanten. Mit einem Masterabschluss der University of Melbourne und langjähriger Erfahrung in führenden Kanzleien biete ich klare und effektive Rechtslösungen. Sie können mich auch über
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