Asylrecht: Die Zuerkennung subsidiären Schutzes für Syrer kann oftmals erfolgreich angegriffen werden.
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Ausländerrecht
Veröffentlicht:
von: Helmer Tieben

Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein, 15.08.2016, Az.: 12 A 149/16

Seit 2015 ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dazu übergegangen, insbesondere syrischen Schutzsuchenden nur noch den subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen.

Dieser subsidiäre Schutz wird grundsätzlich dann zuerkannnt, wenn dem Schutzsuchenden weder der Asylstatus, noch der Status als Flüchtling nach § 3 AsylG gegeben wird.

Subsidiär schutzberechtigt sind grundsätzlich Menschen, die stichhaltige Gründe dafür vorbringen können, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht und sie den Schutz ihres Herkunftslands nicht in Anspruch nehmen können oder wegen der Bedrohung nicht in Anspruch nehmen wollen.

§ 4 AsylG lautet insoweit:

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht.

Als ernsthafter Schaden gilt:

  1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
  2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
  3. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

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Doch durch das Asylpaket II gibt es einen für die Betroffenen sehr schwerwiegenden Unterschied zu den GFK-Flüchtlingen: Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ist nämlich für zwei Jahre ausgesetzt.

Dies hat zur Folge, dass immer mehr subsidiär Schutzberechtigte trotz Zuerkennung des subsidiären Schutzes gegen die Entscheidung des BAMF klagen, um einen besseren Schutzstatus zu erhalten. So auch in diesem Fall vor dem Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein.

Sachverhalt: Der Kläger in diesem Fall war syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens. Er war am 10.12.2015 auf dem Landweg nach Deutschland eingereist und hatte dann am 15.04.2016 einen Asylantrag gestellt.

Dieser Asylantrag wurde gemäß § 13 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG beschränkt.  Am 22.04.2016 erfolgte die persönliche Anhörung.

Mit Bescheid vom 28.04.2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den subsidiären Schutz zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Gegen diese Ablehnung klagte der Kläger mit Klage vom 12.05.2016 und beantragte, die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Entscheidung: Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schleswig Holstein erfolgte in diesem Fall ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, weil die Sache nach Ansicht des Gerichts keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies und der Sachverhalt geklärt war.

Auch folgte das Gericht dem Antrag des Klägers, da die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig erfolgt sei und den Kläger in seinen Rechten verlettzen würde.

Nach Überzeugung des Gerichts befinde sich der Kläger aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner vermuteten kritischen Überzeugung außerhalb Syriens, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Es könne dahinstehen, ob er Syrien wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen habe; ihm drohe jedenfalls bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche.

Auch könne dahinstehen, ob der Kläger vorverfolgt aus Syrien ausgereist sei, denn der Kläger könne sich auf beachtliche Nachfluchtgründe berufen. Die Kammer gehe mit Blick auf die Erkenntnismittel und die aktuelle Situation in Syrien im Einklang mit der mittlerweile ganz überwiegenden Rechtsprechung davon aus, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in seine Heimat ungeachtet individuell geltend gemachter Gründe und deren Glaubhaftigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung drohe. Es sei anzunehmen, dass der syrische Staat gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfungspunkt und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansehen würde, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletzen würde (grundlegend: OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 18.07.2012, Az. 3 L 147/12; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 9.01.2014, Az. OVG 3 N 91.13; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 29.10.2013, Az. A 11 S 2046/13; VG Regensburg, Urt. v. 6.07.2016, Az. RN 11 K 16.30889 – noch nicht veröffentlicht; VG Köln, Urt. v. 18.06.2015, Az. 20 K 4052/14.A; VG Augsburg, Urt. v. 25.11.2014, a.a.O.; VG Frankfurt/Oder, Urt. v. 26.09.2014, Az. 3 K 1489/13.A; VG Gießen, Urt. v. 17.07.2014, Az. 2 K 3472/12.GI.A; VG München, Urt. v. 9.07.2014, Az. M 22 K 14.30752; VG Aachen, Urt. v. 21.11.2013, Az. 9 K 1844/13.A; VG Kassel, Urt. v. 2.07.2013, Az. 5 K 200/13.KS.A; VG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2013, Az. A 7 K 2987/12; VG Regensburg, Gerichtsbescheid v. 14.3.2013, Az. RN 6 K 12.30059; VG Aachen, Urt. v. 11.01.2012, Az. 9 K 1698/10.A – alle Entscheidungen juris).

Ein solches Verhalten werde – ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen – vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen.

Das Verwaltungsgericht Regensburg habe hierzu zutreffend ausgeführt:

„Diese Beurteilung rechtfertigt sich nach wie vor aus der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebestopps im April 2011 aus Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, der umfassenden Beobachtung syrischer Staatsangehöriger im Ausland durch die syrischen Geheimdienste, der Eskalation der innenpolitischen Situation seit dem März 2011 und dem Umgang der syrischen Behörden insbesondere seit Beginn 2012 mit Personen, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen (vgl. VG Augsburg vom 25.11.2014 a.a.O. m.w.N.; OVG Sachsen-Anhalt vom 18.7.2012 a.a.O). Rückkehrer haben im Fall einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Befragung durch die Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass bereits diese Befragung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter auslöst (vgl. VG Köln vom 18.6.2015 a.a.O.). Das Gericht folgt der durch das OVG Sachsen-Anhalt erarbeiteten und nach wie vor gültigen Gesamtschau der Situation, wonach der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den längeren Aufenthalt im Ausland zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen nimmt (vgl. auch VG Frankfurt Oder vom 26.9.2014).“

Hinsichtlich der Behandlung der aus westlichen Ländern abgeschobenen Personen fehlt es zwar für die letzten Jahre an belastbaren Zahlen der Rückkehrer. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit der Verschärfung des inneren Konflikts in Syrien in den Jahren 2011/2012 wegen verschiedener Abschiebestopps keine abgelehnten Flüchtlinge abgeschoben wurden. Bis vor kurzer Zeit entsprach es der Praxis der Beklagten syrischen Flüchtlingen grundsätzlich den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, so dass keine Abschiebungen erfolgten. Dies gilt auch im Hinblick auf die mittlerweile stärker verbreitete Entscheidungspraxis der Beklagten, Syrern nur noch den subsidiären Schutzstatus zu gewähren. Die Beurteilung der im Falle einer Rückkehr drohenden Verfolgung und ihres Charakters kann daher nach wie vor nur im Wege einer Prognose aufgrund der zur Verfügung stehenden verifizierbaren Tatsachenberichte zu Verfolgungshandlungen gegenüber politischen Gegnern im Inland erfolgen (vgl. VG Meiningen vom 27.3.2014 Az. 1 K 20092/12 Me). Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht auf die Darstellung des Schicksals von Einzelpersonen in dem Urteil des OVG Sachsen-Anhalt vom 18. Juli 2012 und die dort dargestellte Verschärfung der innenpolitischen Situation Bezug.“

Es sei nicht ersichtlich, dass sich an der Lage in Syrien und damit auch an dieser Einschätzung etwas geändert habe. Die Beklagte sei weder in dem streitgegenständlichen Bescheid, noch im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren auf eine mögliche Gefährdung des Klägers im Falle der Rückkehr nach Syrien eingegangen. Das Gericht könne auch nicht nachvollziehen, weshalb die Beklagte in teilweiser Abkehr ihrer bisherigen behördlichen Entscheidungspraxis Syrern mittlerweile nur noch subsidiären Schutz gewähren würde und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft versage. Eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation in Syrien lasse das Vorbringen der Beklagten gänzlich vermissen.

Auch die steigende Zahl an Flüchtlingen aus Syrien habe nicht zur Folge, dass der einzelne sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling aufgrund dieses Massenphänomens nicht mehr als potentieller politischer Gegner des Regimes angesehen werde. Es sei vielmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass rückkehrende Asylbewerber politisch verfolgt würden, weil die syrische Regierung den Bürgerkrieg für eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung ansehe (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 15.03.2013, a.a.O.). Unter den derzeitigen Umständen werde jeder sich im westlichen Ausland aufhaltende Syrer im Falle seiner Rückkehr als möglicher Oppositioneller angesehen (vgl. VG Aachen, Urt. v. 11.01.2012, Az. 9 K 1698/10.A). Auch die obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte bei der Rückkehr knüpfe an die vom Staat unterstellte politische Überzeugung an (vgl. VG Köln, Urt. v. 22.05.2014, Az. 20 K 3152.13.A).

Diese Einschätzung werde auch durch die vorhandenen, aktuellen Erkenntnisquellen bestätigt. Hinsichtlich der Bewertung werde auf die oben in Bezug genommene Rechtsprechung und die nachfolgend dargestellten Erkenntnisse verwiesen. Im Übrigen werde auf die Einzeldarstellung im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt vom 18. Juli 2012 hingewiesen.

Die aktuellen „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (4. aktualisierte Fassung vom November 2015) würden ausführen, dass der Konflikt mit unverminderter Intensität fortgesetzt werde. Es sei von einer „immer schwierigeren Sicherheits- und Menschenrechtslage und humanitären Situation in Syrien“ auszugehen. Aufgrund einer weiterhin fehlenden politischen Lösung begrüße der UNHCR die Tatsache, dass viele Regierungen Maßnahmen ergriffen hätten, um die zwangsweise Rückführung von syrischen Staatsangehörigen oder Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien auszusetzen, einschließlich solcher Personen, deren Asylanträge abgelehnt worden seien. Nach Einschätzung des UNHCR sei es wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllten, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK hätten. Weiter würde es in dem UNHCR-Bericht heißen:

„Für viele aus Syrien geflohene Zivilisten besteht der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien. Für die Erfüllung der Kriterien der Flüchtlingsdefinition ist es nicht erforderlich, dass eine tatsächliche oder drohende Verfolgung auf sie persönlich, im Sinne eines „persönlichen Ausgewähltseins“ abzielt. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen sind, kann beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt wird, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliert, aus dem die Betroffenen stammen.“  

Auch wenn das Gericht nicht an die Einschätzung des UNHCR gebunden sei, teile es dessen Einschätzung, dass sich die Lage in Syrien im Vergleich zu den Jahren 2012/2013 weiter verschlechtert habe.

Soweit die Beklagte mitunter vortrage, die vermehrte Ausstellung syrischer Pässe spreche gegen die Annahme staatlicher Verfolgung syrischer Rückkehrer und Rückkehrerinnen, könne dem nicht gefolgt werden. Nach Angaben von Pro Asyl verfolge das syrische Regime auch ökonomische Interessen. An der Ausstellung von ca. 800.000 Pässen verdiene es ca. 470 Mio. Euro (Pressemitteilung v. 8.06.2016).

Das VG Regensburg (Urt. v. 29.06.2016, Az. RN 11 K 16.30666 – juris) habe hierzu zutreffend ausgeführt:

„Bezüglich der Motivation zur vermehrten Ausstellung syrischer Pässe durch Stellen innerhalb Syriens, aber auch durch die syrischen Auslandsvertretungen, weist das Auswärtige Amt darauf hin, dass sich die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert habe. Hierauf würden damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit Russland und dem Iran, die steigende Inflation, der Verfall der Infrastruktur, sowie der Verlust von Wirtschaftsräumen hindeuten. Es sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugute kämen.“  

Dem Kläger stünde keine sichere, innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG zur Verfügung, da nur die Möglichkeit einer Einreise über den von syrischen Regierungskräften kontrollierten Flughafen von Damaskus bestünde.

Die Flüchtlingsanerkennung scheide auch nicht aus anderen Gründen aus. Es bestünde die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien politische Verfolgung drohe, weil er die vermutete Systemfeindlichkeit im Rahmen einer Befragung durch die syrischen Sicherheitsbehörden nicht widerlegen könnte.

Quelle: Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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