Verwaltungsgericht Hannover, 27.04.2018, Az.: 12 A 60/17
Verpflichtungserklärungen nach § 68 AufenthG sind in entsprechender Anwendung von § 133, 154 BGB unter Würdigung bei der Abgabe zugrundeliegenden Umstände auszulegen. Dabei ist nicht der innere, sondern der erklärte Wille maßgeblich, also wie ihn die Ausländerbehörde bei objektiver Würdigung aller maßgeblichen begleitenden Umstände und des Zwecks der Erklärung verstehen durfte. Hierbei kann auch das spätere Verhalten der Beteiligten als Anhaltspunkt für die Auslegung von belangvoller Bedeutung sein. Hiervon ausgehend endet die im Zusammenhang mit der Niedersächsischen Anordnung zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 23 Absatz 1 AufenthG für syrische Flüchtlinge eingegangene Verpflichtung mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach einer anderen Rechtsgrundlage.Zudem stellt die Aufnahme syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge – wie bereits die Aufnahme bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge in den 1990er Jahren – ebenso eine öffentliche Angelegenheit dar, das unter den damals gegebenen Umständen einen atypischen Fall bejaht hat.
Wenn die Haftung des Verpflichtungsgebers für Leistungen, welche nach diesem Zeitpunkt erbracht worden sind, bei weitem über die Haftung hinausgehen würde, die jedoch nach den Vorstellungen der obersten Landesbehörde gewollt war, handelt es sich einzelfallbezogen um einen atypischen Fall. Dieser hat die Folge, dass die erstattungsberechtigte Behörde im Wege ihres Ermessens zu entscheiden hat, ob und in welcher Höhe der Erstattungsanspruch geltend gemacht wird. Ermessen in dem Sinne bedeutet, dass die Behörde einen Entscheidungsspielraum eingeräumt bekommt. Die gesetzliche Grundlage dafür befindet sich im § 40 VwVfG. Verkennt die Behörde ihr Ermessen oder handelt ermessenfehlerhaft, so ist die betreffende Entscheidung der Behörde als rechtswidrig anzusehen und damit auch aus diesem Grund aufzuheben.
Verpflichtungserklärung und ihre Reichweite
Der Kläger hatte am 30.09.2014 eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG unterzeichnet, um für den Lebensunterhalt seiner Schwester aufzukommen, einer syrischen Staatsangehörigen. Diese Verpflichtung galt vom Tag der Einreise bis zur Beendigung des Aufenthalts oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen anderen Aufenthaltszweck. Der Kläger war sich bewusst, dass seine Verpflichtung grundsätzlich mit dem Ende des Gesamtaufenthalts oder mit der Erteilung eines neuen Aufenthaltstitels für einen anderen Zweck enden würde.
Aufenthalt und Anerkennung der Schwester als Flüchtling
Die Schwester des Klägers reiste am 09.11.2014 mit einem gültigen Visum, das auf Grundlage der „Aufnahmeordnung Syrien“ ausgestellt wurde, nach Deutschland ein. Am 19.11.2014 erhielt sie eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG. Später stellte sie einen Asylantrag und wurde am 28.12.2015 als Flüchtling anerkannt, woraufhin sie am 13.01.2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erhielt. Zwischen dem 01.01.2016 und dem 31.05.2016 erhielt sie Sozialleistungen in Höhe von 3.513,00 Euro.
Rückforderung der Sozialleistungen
Die Stadt forderte die an die Schwester gewährten Sozialleistungen vom Kläger zurück, da sie der Auffassung war, die Verpflichtung des Klägers ende nicht mit der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Kläger wandte ein, dass seine Verpflichtung mit der Anerkennung als Flüchtling erloschen sei. Jedoch sah die Stadt dies anders und verwies auf den Wortlaut der Verpflichtungserklärung, die erst mit Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen anderen Zweck enden würde.
Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover
Das Verwaltungsgericht Hannover entschied, dass die Verpflichtung des Klägers am 12.01.2016 endete, als die Schwester des Klägers die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erhielt. Daher könne die Stadt nur Leistungen in Höhe von 281,04 Euro zurückfordern, die vor diesem Datum gewährt wurden. Das Gericht begründete dies mit der Auslegung der Verpflichtungserklärung und den Umständen, unter denen sie abgegeben wurde.
Auslegung der Verpflichtungserklärung
Das Gericht stellte fest, dass die Verpflichtungserklärung des Klägers mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen anderen Aufenthaltszweck endete. Der erklärte Wille des Klägers war maßgeblich, wie ihn die Ausländerbehörde bei objektiver Würdigung verstehen durfte. Die Verpflichtung des Klägers war an den ursprünglichen Zweck gebunden und endete mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG, was der Erfüllung eines anderen Aufenthaltszwecks entsprach.
Ermessensfehler der Behörde
Das Gericht sah in der Rückforderung der nach dem 12.01.2016 gewährten Leistungen einen Ermessensfehler. Die Behörde hätte das ihr zustehende Ermessen ausüben müssen, da die Verpflichtungserklärung in einem atypischen Fall abgegeben wurde. Der Kläger war nach Treu und Glauben nicht verpflichtet, über den 12.01.2016 hinaus für den Lebensunterhalt seiner Schwester aufzukommen, weshalb die Rückforderung in Höhe von 3.513,00 Euro rechtswidrig war.
Quelle: Verwaltungsgericht Hannover
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