Visum zu Studienzwecken im Eilverfahren: OVG Berlin-Brandenburg bestätigt hohe Anforderungen an die Plausibilität des Studienzwecks

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Wenn das Studienvisum im Eilverfahren scheitert

Wenn jemand ein Studium in Deutschland aufnehmen möchte, klingt das Aufenthaltsrecht zunächst recht klar: Wer einen Studienplatz hat und die Voraussetzungen erfüllt, hat einen gebundenen Anspruch auf die Aufenthaltserlaubnis. Doch so eindeutig der Gesetzestext wirkt – die Praxis ist es nicht.

Der Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 27. August 2025 ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass ein Studienvisum mehr verlangt als eine Zulassung und ein Sperrkonto. Es zeigt, wie komplex der Begriff der „Plausibilität” im Aufenthaltsrecht geworden ist – und wie hoch die Hürden im einstweiligen Rechtsschutz tatsächlich liegen.

Die Ausgangssituation: Beschwerde gegen die Versagung im Eilverfahren

Der Antragsteller wollte sein Visum im Wege einer einstweiligen Anordnung durchsetzen. Das ist eine häufige Konstellation: Viele Bewerber verlieren Zeit durch lange Visumsverfahren, und wenn Semesterbeginn oder Fristen näher rücken, bleibt nur noch der vorläufige Rechtsschutz.

Doch das Problem ist strukturell:
Ein Visum im Eilverfahren bedeutet immer eine faktische Vorwegnahme der Hauptsache.
Und genau deshalb sind die Hürden hoch. Das Gericht muss überzeugt sein, dass der Betroffene in der Hauptsache mit großer Wahrscheinlichkeit gewinnen würde. „Hohe Wahrscheinlichkeit“ – das ist ein Maßstab, der im Aufenthaltsrecht selten erreicht wird.

Das Verwaltungsgericht hatte den Antrag abgewiesen. Dagegen legte der Antragsteller Beschwerde ein – erfolglos.

Warum das Gericht so streng prüft: Die Logik des § 123 VwGO

Wer ein Eilverfahren anstrengt, braucht zwei Dinge:

  1. Anordnungsgrund – die Dringlichkeit.

  2. Anordnungsanspruch – die hohe Wahrscheinlichkeit des Erfolgs im Hauptsacheverfahren.

Im vorliegenden Beschluss legt das OVG den Fokus auf Punkt 2. Die Frage lautete:

Ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig, dass der Antragsteller tatsächlich einen Anspruch auf ein Studienvisum hat?

Diese Frage musste das Gericht verneinen – und zwar wegen der Plausibilität des Aufenthaltszwecks.

Das Herzstück der Entscheidung: Die Plausibilitätsprüfung nach § 19f Abs. 4 Nr. 6 AufenthG

Zwar ist § 16b AufenthG ein gebundener Anspruch. Doch seit Jahren macht die Rechtsprechung deutlich – und das OVG zitiert hier seine eigene Linie aus 2017 und 2019:

Behörden dürfen (und müssen) prüfen, ob der Studienzweck tatsächlich verfolgt wird.

Das bedeutet:

  • Ein echtes Interesse am Studium muss glaubhaft sein.

  • Die Bildungsbiografie muss in sich schlüssig erscheinen.

  • Es darf keine Indizien geben, dass eigentlich andere Zwecke verfolgt werden – etwa wirtschaftliche Motive, Fluchtalternativen oder Familiennachzug.

Im Kern geht es um eine Prognose:
Wird die Person das Studium tatsächlich aufnehmen und betreiben – oder wird sie das Visum für etwas anderes nutzen?

Und genau an dieser Stelle hat der Antragsteller verloren.

Die Zweifel der Behörde – und warum sie greifen

Die Auslandsvertretung hatte mehrere Punkte angeführt, die dem Gericht nachvollziehbar erschienen:

  1. Gebrochene Bildungsbiografie
    Zwischen Bachelor-Abschluss 2013 und Masterbeginn 2025 liegt ein Zeitraum von rund zwölf Jahren.
    Warum dieses Fach? Warum jetzt? Und in welcher Phase?

    Der Antragsteller gab darauf keine überzeugenden Antworten. Ein bloßes „Ich war 31 Jahre alt, das ist normal“ reichte dem OVG nicht.

  2. Frage des Familiennachzugs
    Der Antragsteller hatte ursprünglich einen Nachzug seiner Ehefrau und fünf Kinder beantragt.

    Das Gericht sah darin ein Indiz:
    Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Studienaufenthalt primär dazu dienen sollte, später einen Aufenthaltstitel für die Familie zu ermöglichen.

    Dass die Familie inzwischen „nicht remonstriert“ habe, änderte daran nichts. Das Gericht wertete das als subjektive Bewertung, nicht als objektiven Umstand.

  3. Sprachkenntnisse – zu alt, zu wenig nachgewiesen
    Erforderlich ist C1. Das letzte Zertifikat stammte aus 2023. Nachweise über Aufrechterhaltung oder Fortschritt fehlten.

    Der Hinweis, er habe als Deutschlehrer gearbeitet, galt nicht als prüffähiger Nachweis.

  4. Stipendium war nur Einmalzahlung
    Die Einstufung als „begabter Bewerber“ durch die Friedrich-Ebert-Stiftung war zweischneidig.
    Denn: Gewährt wurde nur eine einmalige Unterstützung, nicht eine dauerhafte Studienförderung.

  5. Regionale Lage und Motivlage
    Die Lage afghanischer Staatsangehöriger im Iran könne – so die Behörde – Fluchtanreize verstärken.
    Das OVG stellt klar: Entscheidend ist die aktuelle Lage, nicht die Situation vor drei Jahren zum Zeitpunkt der Antragstellung.

Keiner dieser Punkt war für sich allein ausreichend. Aber in der Summe ergab sich ein Bild, das die Plausibilität erschütterte.

Ein entscheidender Aspekt: Ermessensausübung nach § 19f Abs. 4 Nr. 6 AufenthG

Selbst wenn die Plausibilität nicht vollständig widerlegt ist, kann die Behörde im Rahmen des § 19f Abs. 4 Nr. 6 AufenthG das Visum versagen.
Das Gericht betont: Dieses Ermessen war fehlerfrei ausgeübt.

Der Antragsteller konnte keine Ermessensfehler aufzeigen – weder:

  • Ermessensreduzierung auf Null,

  • fehlerhafte Gewichtung,

  • noch unzutreffende Tatsachenbasis.

Die Beschwerde blieb in diesem Kernpunkt schlicht oberflächlich. Sie stellte nur Bewertungen gegenüber – und das reicht im Eilverfahren nicht.

Die Konsequenz: Keine Vorwegnahme der Hauptsache

Im Ergebnis betont das OVG noch einmal seinen hohen Maßstab:

  • Ein Studienvisum kann im Eilverfahren nur gewährt werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache hoch wahrscheinlich ist.

  • Diese Wahrscheinlichkeit war nicht gegeben.

  • Deshalb scheiterte der Antragsteller – unabhängig davon, ob ein Anordnungsgrund bestand.

Was bedeutet die Entscheidung in der Praxis?

Gerade im Aufenthaltsrecht kommt es bei Visumverfahren für Studierende immer häufiger zu intensiven Plausibilitätsprüfungen. Der Fall zeigt exemplarisch:

Was Studierende beachten müssen

  • Eine nachvollziehbare und lückenlose Bildungsbiografie ist essenziell.

  • Lange Pausen müssen gut begründet werden.

  • Sprachkenntnisse müssen aktuell und nachprüfbar sein.

  • Jede Verbindung zwischen Visum und Familiennachzug wird kritisch betrachtet.

  • Stipendien müssen transparent dargestellt werden.

Was Anwälte und Berater wissen sollten

  • Die Plausibilitätsprüfung ist nicht nur formal – sie ist materiell.

  • Behörden haben einen weiten Einschätzungsspielraum.

  • Ein Eilverfahren ist nur erfolgversprechend, wenn die Aktenlage klar für den Antrag spricht.

  • Die Argumentation muss über persönliche Wertungen hinausgehen.

Ein letzter Tipp für Betroffene

Wenn Sie ein Studienvisum beantragen möchten – oder wenn Ihr Antrag abgelehnt wurde –, sollten Sie frühzeitig darauf achten, dass Ihre Bildungsbiografie und Motivation kohärent, vollständig und überprüfbar sind. Unklare Punkte, lange Pausen, alte Sprachzertifikate oder unklare Familienverhältnisse führen schnell zu Zweifeln der Behörden.

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Helmer Tieben

Ich bin Helmer Tieben, LL.M. (International Tax), Rechtsanwalt und seit 2005 bei der Rechtsanwaltskammer Köln zugelassen. Ich bin auf Mietrecht, Arbeitsrecht, Migrationsrecht und Digitalrecht spezialisiert und betreue sowohl lokale als auch internationale Mandanten. Mit einem Masterabschluss der University of Melbourne und langjähriger Erfahrung in führenden Kanzleien biete ich klare und effektive Rechtslösungen. Sie können mich auch über
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